Der Abschied vom linken Gipfelhopping

Eine »taz«-Diskussion über die G8-Proteste
Der Tod des 23jährigen Globalisierungskritikers Carlo Giuliani bei Protesten gegen den G8-Gipfel am 20. Juli 2001 in Genua hat europaweit Protest ausgelöst. Ebenso die Verhaftung hunderter Globalisierungskritiker, die in italienischen Polizeiwachen und Kasernen gedemütigt, geschlagen und sogar gefoltert wurden.

 Neun Jahre später hat die »tageszeitung« (taz) zu einer Podiumsdiskussion geladen. Thema: Was ist aus den Gipfelspektakeln geworden? Dass die Proteste mit Genua nicht zu Ende gingen, zeigte sich an den Podiumsteilnehmern: Fast alle wurden durch die damaligen Ereignisse politisch geprägt und engagierten sich später u. a. in der Klimabewegung.

Der Journalist Matthias Monroy sieht die Gipfelproteste nicht als gescheitert an. Man müsse sich nur von den Vorstellungen eines Gipfelhopping verabschieden, bei dem Globalisierungskritiker, zumeist aus Westeuropa und den USA, zu Protesten rund um den Globus jetten. Für linke Gruppen vor Ort seien Gipfelproteste in ihrem Land oft über den Gipfelevent hinaus mobilisierend.

So betonten Aktivisten, dass das beim G8-Gipfel von Heiligendamm 2007 erprobte Blockadekonzept im Februar 2010 bei der Verhinderung des Naziaufmarsches in Dresden erfolgreich angewandt wurde. Das von Tadzio Müller vorgestellte Aktionskonzept für den Widerstand gegen den Castortransport ins Wendland orientiert sich ebenfalls an Aktionsformen der Globalisierungskritiker. Mit einer Aktion des zivilen Ungehorsams sollen die Gleise unpassierbar gemacht werden, auf denen der Castor im November ins Zwischenlager rollen soll. Müller sieht gute Chancen, auch Aktivisten aus Umweltgruppen und Nichtregierungsorganisationen für das Konzept zu gewinnen. Denn die von der Bundesregierung geplante Aufkündigung des rot-grünen Atomkompromisses fördere die Aktionsbereitschaft bei Menschen, die die AKW-Frage bei den Grünen in guten Händen wähnten.

Aus dem Publikum kamen dazu Einwände. Aktionen des zivilen Ungehorsams bedürfen einer gründlichen Vorbereitung, damit die Beteiligten wissen, auf was sie sich einlassen, so ein Aktivist. Unbeantwortet blieb die Frage, ob Aktionsformen aus der globalisierungskritischen Bewegung bei sozialen Protesten Anwendung finden könnten. Dabei wurde an die europäischen Krisenprotesttag am 29. September erinnert, zu dem Attac und andere Gruppen Aktionen des zivilen Ungehorsams planen. Und auch die Gewerkschaften haben mittlerweile Flashmobs für sich entdeckt, die einmal im Umfeld der globalisierungskritischen Bewegung entstanden sind.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/175783.der-abschied-vom-linken-gipfelhopping.html

Peter Nowak

Ist über allen Gipfeln Ruh?

Die globalisierungskritische Bewegung diskutiert über die Ursachen ihres Rückgangs

9 Jahre ist es mittlerweile her, dass in Genua der 23jährige Carlo Giuliani von der italienischen Polizei erschossen wurde. Sein Tod hatte die globalisierungskritische Bewegung mobilisiert. In den ersten Jahren fanden am 20.Juli in verschiedenen Städten Gedenkdemonstrationen statt. Am 20.Juli 2010 nahm die Bewegungsredaktion der Taz den Jahrestag zum Anlass für eine Diskussion über die Ursachen der Gipfelmüdigkeit. Welchen Anteil hat daran die staatliche Repression?

Für Valeria Bruschi, die in der Diaz-Schule in Genua von der Polizei misshandelt und verhaftet wurde, sind die Ereignisse vom 20. Juni 2001 in Genua noch nicht zu Ende. Für die juristische Ebene stimmt das eindeutig. Sowohl gegen Polizisten, die wegen der Ausübung der Gewalt gegen Demonstranten angeklagt sind, als auch gegen Demonstranten, die beschuldigt werden, am militanten Aktionen teilgenommen zu haben, sind die Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Am Beispiel der Proteste gegen den Nato-Gipfel in Straßburg im April 2009 und der Aktivitäten der Klimabewegung im Dezember 2009 in Kopenhagen wurde gezeigt, dass gegen Demonstranten immer häufiger präventiv vorgegangen wird. „Das heißt sie werden für Taten verhaftet, die sie gar nicht begangen haben“, erklärte Tadzio Müller von der Climate Justice Action, der in Kopenhagen präventiv verhaftet wurde.

Müller sagte allerdings auch, es sei zu defensiv, nur über die Repression gegen die globalisierungskritische Bewegung zu debattieren. Die Bewegung müsse sich eigene Ziele vornehmen. Einen Ansatzpunkt sieht er in den Protesten gegen die Castor-Transporte ins Wendland im kommenden November im Wendland. Da bis dahin der rot-grüne Atomkompromiss Geschichte sei, werde die Zahl der aktiven Castor-Gegner wachsen und könnten Konzepte des zivilen Ungehorsams erfolgreich durchgesetzt werden. Aus dem Publikum wurde ebenfalls die Meinung vertreten, dass die Gipfelproteste nicht in erster Linie durch die Repression zurückgegangen seien. Es habe sich vielmehr in Teilen der globalisierungskritischen Bewegung die Überzeugung durchgesetzt, die Gipfel und ihr Einfluss seien überschätzt worden. Deshalb setzen auch Teile der globalisierungskritischen Bewegung auf die verstärkte Förderung von Protesten auch in betrieblichen und sozialen Kämpfen.

Grenzenübergreifende Polizeistrategien

Der Journalist Matthias Monroy, der seit Jahren europäische Polizeistrategien analysiert, lieferte einige Beispiele dieser europäischen Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte. So findet zurzeit im brandenburgischen Lehnin europäische Polizeiübungen statt, an der über 300 Polizisten aus verschiedenen europäischen Ländern teilnehmen. Monroy stellte am Ende noch die Kampagne Reclaim your Data vor, die von zahlreichen Bürgerrechtsorganisationen unterstützt wird. Monroy selbst ist es nach langwierigen juristischen Verfahren gelungen, seine gespeicherten Daten löschen zu lassen. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/148056

Peter Nowak