Verliert die Linkspartei ihre friedenspolitische Unschuld?

Morgen wird sich zeigen, ob manche Abgeordnete der Linkspartei dem Bundeswehreinsatz im Rahmen der Vernichtung syrischer Chemiewaffen zustimmen werden

Einige Friedensgruppen sehen das so und haben in den letzten Tagen eine sehr zivile Schlacht der Offenen Briefe [1] eröffnet. Gewarnt wird, dass die Linkspartei ihr parlamentarisches Alleinstellungsmerkmal als Friedenspartei verlieren würde, wenn, wie angekündigt, einige ihrer Abgeordneten den Bundeswehreinsatz im Rahmen der Vernichtung syrischer Chemiewaffen [2] zustimmen. Abgestimmt wird auch über einen Antrag der Linken [3], in dem von der Bundesregierung gefordert wird, keine zivil wie militärisch verwendbaren Güter, die zur Herstellung chemischer oder biologischer Waffen verwendbar sind, an Staaten zu genehmigen, die die Chemiewaffen- und die Biowaffenkonvention der Vereinten Nationen nicht ratifiziert haben.

Kritisch ist die parlamentarische Absegnung des von der Bundesregierung in der vergangenen Woche beschlossenen Mandats. Es sieht vor, dass die Bundeswehr mit 300 Soldaten und einer Fregatte den Einsatz des US-Spezialfrachters „Cape Ray“ [4] schützen soll. Auf dem Schiff werden im Mittelmeer die syrischen Chemiewaffen durch das sogenannte Hydrolyseverfahren [5] unbrauchbar gemacht. Die Zustimmung der Linkspartei ist nicht notwendig, weil bereits eine ganz große Koalition aus Union, SPD und Grünen eine Zustimmung zu dem Einsatz angekündigt haben.

Wenn einige Linke nun in dieser Frage auch mit Ja stimmen, wollen sie ein Signal setzen, nicht zu den ewigen Neinsagern gehören zu wollen. Das aber wird als erster Schritt in ein potentielles Bündnis mit der SPD und vielleicht auch den Grünen verstanden. Der einer Regierungsbeteiligung aufgeschlossene, in den Medien als Reformer titulierte Flügel und die nicht so sehr darauf erpichten Kreise, die gerne als Traditionalisten abgewatscht werden, belauern sich gegenseitig. Wer gibt wieder welche Signale, ist immer die großeFrage. Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Abstimmung über eine Begleitung eines zur Vernichtung vorgesehenen Giftgastransportes eine solch heftige Debatte provozierte.

Abrüstungspolitisch glaubwürdig?

Paul Schäfer war verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der letzten Legislaturperiode. Weil er bei den letzten Wahlen den Wiedereinzug ins Parlament verfehlte, kann er jetzt nur noch per Offenem Brief [6] agieren und seine Parteifreunde zur Zustimmung auffordern [7]:

„Ein Nein zum Antrag der Bundesregierung käme für mich nicht in Frage. Dass die Koalition diesen Einsatz auch zur Legitimation anderer Militäreinsätze missbrauchen wird, ist klar, aber kein ausreichender Grund.
Eine Enthaltung wäre eine Option, weil man sich der Abrüstung nicht verweigern will, aber die besonderen Begleitumstände – ’neue deutsche Verantwortung‘ heißt mehr Militäreinsätze – kritisch sieht. Ein Ja wäre meine bevorzugte Option, weil man sich in der Sache, um die es eigentlich geht, konsequent verhält und abrüstungspolitisch glaubwürdig bleibt.“

Vor allem die beiden letzten Absätze in Schäfers Text sind interpretationsfähig. Obwohl er die Stimmenthaltung als eine Option sieht, nicht die Waffenvernichtung, aber deutsche Militäreinsätze abzulehnen, bezeichnet er am Schluss eine Zustimmung als seine bevorzugte Option. Aus der Logik seiner Argumentation kann das aber nur bedeuten, dass er beides, die Vernichtung des Giftgases und die neue deutsche Verantwortung, nicht kritisch sieht. Inhaltich argumentiert Schäfer, die Begleitung des Giftgases sei „kein Kampfeinsatz. Die UN-Resolution 2118 stützt sich nicht auf das Kapitel VII der UN-Charta, der Auftrag lautet nicht, einen Gegner militärisch zu bezwingen, sondern ist auf Begleitschutz und hierbei auf Selbstverteidigung und die Pflicht zur Nothilfe festgeschrieben.“

Symbolpolitik der Bundeswehr?

Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Annette Groth widersprach [8] ihrem Ex-Kollegen.

„Selbstverständlich ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zu begrüßen. Die geplante Entsendung von 300 Soldaten zum maritimen Begleitschutz des US-Schiffes CAPE RAY, an dessen Bord die syrischen Chemiewaffen unbrauchbar gemacht werden sollen, ist aber mehr als fragwürdig. Denn sie stellt formal einen Kampfeinsatz dar.“

Groth weist auch darauf hin, dass die Beteiligung der Bundeswehr am Giftgastransport nicht benötigt und die Gefährdungslage von der Bundesregierung selber als niedrig eingeschätzt wird Daher sei die
Beteiligungder Bundeswehr selber eine Symbolpolitik. Die Bundesregierung will damit weltpolitisch Flagge zeigen. Ähnlich argumentiert der aktuelle verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Alexander Neu. Die Argumente seines Vorgängers für eine Zustimmung überzeugen ihn nicht. In einem Interview [9] sagte er:

„Paul Schäfer kann mir den militärischen Mehrwert durch eine deutsche Fregatte nicht plausibel erklären. Die Sicherheitsmaßnahmen sehen so aus: Auf dem US-Schiff, das die Vernichtung der Chemiewaffen vornimmt, ist eine US-Spezialeinheit. Um das Schiff herum bilden US-Kriegsschiffe einen ‚Schutzgürtel‘. Jenseits dieses Schutzgürtels soll es einen zweiten durch Kriegsschiffe anderer Staaten, darunter der deutschen Fregatte, geben. Zugleich wird seitens der Bundesregierung gesagt, die Bedrohungslage sei ‚gering‘. Der zweite, äußere Schutzgürtel ist faktisch nicht erforderlich.“

Das Parteizentrum um Gysi versucht den Konflikt um den Bundeswehreinsatz nun dadurch zu entschärfen, dass er für alle Bundestagsabgeordneten der Linkspartei eine Stimmenthaltung empfiehlt.

http://www.heise.de/tp/news/Verliert-die-Linkspartei-ihre-friedenspolitische-Unschuld-2166325.html

Peter Nowak

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[3]

[4]

[5]

[6]

[7]

[8]

[9]

Altes Feindbild USA

Links

[1]

http://german.irib.ir/analysen/beitraege/item/225513-fidel-castro-die-usa-und-ihre-verb%C3%BCndeten-bereiten-einen-genozid-an-den-arabischen-v%C3%B6lkern-vor

[2]

http://www.adoptrevolution.org/liveblog-damaskus/

[3]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154881

[4]

http://www.heise.de/tp/artikel/39/39824/1.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/syrien-bnd-faengt-beleg-fuer-giftgaseinsatz-durch-assad-regime-ab-a-919965.html

[6]

http://www.heise.de/tp/artikel/18/18224/1.html

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Kommentar auf diesen Beitrag in der jungen Welt vom 7.9.2013:

http://www.jungewelt.de/2013/09-07/003.php

7.09.2013 / Wochenendbeilage / Seite 3 (Beilage)Inhalt

Der Schwarze Kanal: Imperialismusapologie

Von Werner Pirker

Antiamerikanische Verschwörungstheoretiker hätten wieder einmal Hochkonjunktur, klagt Peter Nowak in einem Beitrag für das Internetportal Telepolis. Er wird doch nicht etwa eine antiamerikanische Verschwörung vermuten? »In der letzten Woche hatten die Restbestände der deutschen Friedensbewegung ihr altes Feindbild USA wieder poliert«, empört sich der Mann, der einst unzählige Friedensdemonstrationen mit seinen Energiebällchen belieferte, was auch der Grund dafür sein mag, daß es nur noch Restbestände der Friedensbewegung gibt. Daß die Obama-Administration gerade dabei ist, einen weiteren Krieg zu entfesseln, kann einen Nowak nicht erschüttern. Äußerst erzürnt reagiert er hingegen auf die Antikriegsproteste. »Wie immer bei solchen Anlässen, kannte das US-Bashing keine Grenzen«, schreibt er.

Die reine Hysterie, befindet der Telepolis-Autor. »Die Propheten des großen Blutbads und des sich ausbreitenden Flächenbrands im Nahen Osten«, schreibt er, »waren wieder in ihrem Element. Merkwürdigerweise sahen sie diese schwarzen Visionen erst dann gegeben, wenn die USA und andere NATO-Mächte eingreifen. Daß der syrische Bürgerkrieg ein solches Blutbad schon längst produziert und daß er auch die Nachbarländer wie Libanon destabilisiert, wird dabei von denen gerne ausgeblendet, für die ein Konflikt erst dann zum großen Problem wird, wenn die USA eingreifen.« Damit ergreift Nowak die Position »humanitärer Interventionisten« – nicht direkt, sondern von hinten rum, wie das so seine Art ist. Um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen, müßten die USA und ihre NATO-Partner die Bürde des weißen Mannes auf sich nehmen und militärisch eingreifen, lautet der Klartext. Die durchaus realistische Annahme, daß dies ein noch viel größeres Blutbad und einen Flächenbrand im Nahen Osten auslösen könnte, erscheint dem Autor als wahnhafte Weltuntergangsprophezeiung paranoider Amerikafeinde.

Die entscheidende Frage, warum der syrische Konflikt ein solches Gewaltpotential in sich trägt, blendet Nowak gerne aus. Denn nicht erst mit dem Anlaufen offener Kriegsvorbereitungen der USA und ihrer Willigen ist der Konflikt zum großen Problem geworden, wie er das der Friedensbewegung unterstellt. Der Westen und die arabische Reaktion waren vom Anfang an mehr oder weniger verdeckte Teilnehmer am syrischen »Bürgerkrieg«. Erst als die bewaffneten Oppositionsbanden trotz der ihnen zu Teil gewordenen massiven militärischen und politischen Unterstützung immer mehr in die Defensive gerieten, wurde ein direktes militärisches Eingreifen des Westens auf die Tagesordnung gesetzt. Daß Obama es nach dem Londoner Parlamentsvotum gegen eine britische Kriegsbeteiligung etwas langsamer angehen wollte und die Kriegsfrage dem US-Kongreß zur Entscheidung vorlegte, weiß der Autor als »Bruch mit den autoritären Vorstellungen der Bush-Ära« zu würdigen.

Doch es ist kein demokratischer Impuls, den die Obama-Administration folgt, sondern schlicht die Tatsache, daß sie nicht alleine die Verantwortung für einen Krieg mit unabsehbaren Folgen übernehmen will. Dabei geht es vor allem um die Herstellung eines Konsenses unter den Eliten. Der Krieg soll von Demokraten und Republikanern gemeinsam getragen werden und damit »demokratisch« legitimiert erscheinen. Im Umkehrschluß bedeutet das die Delegitimierung demokratischen Widerstandes gegen die Kriegspolitik. Ein neuer nationaler Schulterschluß ist gefordert, der sich angesichts der wachsenden Kriegsskepsis in der US-amerikanischen Bevölkerung freilich nur noch schwer herstellen lassen wird.

Über die Legitimität eines von den USA und Co. entfesselten Angriffskrieges kann indessen nicht ein Mehrheitsvotum im US-Kongreß entscheiden. Einzig der UN-Sicherheitsrat ist dazu befugt, eine Militärintervention zu legitimieren, was freilich immer noch nicht bedeutet, daß sie auch wirklich legitim ist. Gegenwärtig sorgen Rußland und China dafür, daß ein illegitimer Krieg im Sicherheitsrat nicht für legitim erklärt wird.

Nowak wäre nicht Nowak, würde er sich, wie die als »Antideutsche« auftretenden deutschen Neocons, zu einer offenen Befürwortung imperialistischer Kriege hinreißen lassen. Er zieht es vor, seine Schleimspuren im Vorfeld des antideutschen Wahns zu hinterlassen. Im Ton nicht ganz so kriegstreiberisch, ist seine Absicht die gleiche: Die Diskreditierung der Friedens- und antiimperialistischen Bewegung als notorische Amerika-Hasser und damit die Nutzung des Feindbildes »Antiamerikanismus« als Projektionsfläche einer neuen Imperialismusapologie.

Verhandeln oder Angreifen in Syrien?

Links

[1]

http://www.cap-lmu.de/cap/fellows/stuetzle.php

[2]

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2229149/

[3]

http://apxwn.blogspot.de/2013/08/baschar-al-assad-im-interview-fur.html#more

[4]

http://www.sueddeutsche.de/politik/giftgaseinsatz-in-syrien-die-rote-linie-fuer-obamas-glaubwuerdigkeit-1.1754546-2

[5]

http://www.taz.de/Debatte-Syrischer-Buergerkrieg/!122544/

[6]

http://www.taz.de/!122490/

[7]

http://www.ag-friedensforschung.de/

[8]

http://www.ag-friedensforschung.de/bewegung/antikriegstag2013-baf.html

[9]

http://www.jungewelt.de/2013/08-28/059.php