Vereinbarungen mit Flüchtlingen in Kreuzberg – aber keine Lösung

Viel wird davon abhängen, ob der außerparlamentarische Druck der letzten Tage für die Rechte der Geflüchteten anhält

Im Mittwochabend kam es in letzter Minute zu einer Vereinbarung im Konflikt um dievon Geflüchteten besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule [1]in Berlin-Kreuzberg: Die Flüchtlingsaktivisten können in der Schule bleiben, der Bezirk nahm das Räumungsbegehren zurück und die Polizei hebt nach über einer Woche die Sperrzone auf.
Ein Sicherheitsdienst soll nun in der Schule den Zuzug neuer Flüchtlinge verhindern. Eine Flüchtlingsunterstützerin sieht hier neue Konflikte vorprogrammiert: „Die Bewohner der Schule sind keine Gefangenen und werden sich nicht vorschreiben lassen, wer sie besuchen darf.“

Die Kreuzberger Grünen geben sich in einer Presseerklärung erleichtert und betonen, dass sie sich immer für eine einvernehmliche Lösung eingesetzt haben. Sie beschweren sich noch einmal darüber, dass in den letzten Tagen Spitzenpolitiker der Grünen in Kreuzberg bedroht worden seien. Tatsächlich dürften der als links geltenden Kreuzberger Parteiorganisation Schlagzeilen wie „Grüne wollen besetzte Schule räumen lassen“ [2] sauer aufgestoßen sein. Selbst ihnen nahestehende Medien wie die Taz haben die Grünen kritisiert. Nun können sie stolz auf eine andere Berichterstattung verweisen.

Jetzt solle man gefälligst die Kritik an den Senat richten, an dem die Grünen nicht beteiligt sind, kommentiert [3] die Taz heute. In die gleiche Kerbe schlägt der Berliner Co-Vorsitzende der Grünen, Daniel Wesener. Nachdem er auf die positiven Folgen der Einigung für den Stadtteil Kreuzberg hingewiesen hat, schreibt [4] Wesener:

Gleichwohl ist der Kompromiss keine Lösung für die dahinter stehenden Probleme. Wenn die Ereignisse rund um die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule eines gezeigt haben, dann doch wohl: Wir brauchen eine neue Asylpolitik und einen anderen Umgang mit Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. Beides kann es nur geben, wenn sich alle politischen Ebenen, kommunale, Landes- und Bundesebene, unterhaken. Viel zu lange wurde von den verschiedenen Seiten nur die Verantwortung bei den anderen gesucht oder sich weggeduckt, anstatt gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Neue Demonstrationen angekündigt

Wesentlich gedämpfter ist die Stimmung unter den Flüchtlingen [5]. „Dass wir nicht geräumt werden, ist ein Erfolg. Aber das geforderte Bleiberecht haben wir nicht erreicht“, erklärt ein Aktivist. Daher haben auch nicht alle Dachbesetzer die Vereinbarung unterschrieben.

Eine Ruhepause gönnen sich die engagierten Flüchtlinge auch nach dem Stress der letzten Tage nicht. Bereits am Donnerstagnachmittag mobilisieren sie zu einer Demonstration gegen die Verschärfung der Asylgesetzgebung (im Bundestag wurde die dritte Lesung zum Gesetzesvorhaben „Asylrechts-Verschärfung und den Doppelpass für Migrantenkinder [6]„, die ursprünglich nach der Sommerpause geplant war, vorverlegt).

Wie Geflüchteten Proteste erschwert werden, zeigte sich erst vor wenigen Tagen. Ein Busunternehmen, das die Teilnehmer einer antirassistischen Demonstration [7] von Brüssel nach Berlin zurückbringen sollte und schon im Voraus bezahlt worden war, stornierte [8] kurzfristig den Vertrag und die Demoteilnehmer saßen damit in Brüssel fest. Die Aktivisten werfen der Polizei vor, auf den Busunternehmer Druck ausgeübt zu haben, den Vertrag zu kündigen, damit sich die Flüchtlinge nicht an den Protesten gegen die damals noch angedrohte Räumung der besetzten Schule beteiligen können.

Tatsächlich wird jetzt viel davon abhängen, ob die außerparlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich in den letzten Tagen für die Rechte der Geflüchteten eingesetzt haben, weiter engagieren und kritisch bleiben gegen die Parteien im Berliner Senat und Rathaus Kreuzberg. Ohne sie wäre die Schule schon längt geräumt und viele der Geflüchteten abgeschoben worden.

http://www.heise.de/tp/news/Vereinbarungen-mit-Fluechtlingen-in-Kreuzberg-aber-keine-Loesung-2249193.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.heise.de/tp/news/Sperrzone-mitten-in-Berlin-2248231.html

[2]

http://www.welt.de/politik/deutschland/article129678886/Gruene-wollen-besetzte-Schule-raeumen-lassen.html

[3]

http://www.taz.de/Kommentar-besetzte-Schule-Kreuzberg/!141658/

[4]

http://gruene-berlin.de/pressemitteilung/gerhart-hauptmann-schule-ein-guter-kompromiss-aber-keine-echte-l%C3%B6sung

[5]

http://ohlauerinfopoint.wordpress.com

[6]

http://www.migazin.de/2014/07/03/asyl-gesetz-doppelpass-sommerpause-bundestag/

[7]

http://freedomnotfrontex.noblogs.org/

[8]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F07%2F02%2Fa0135&cHash=cc89db6ae113375484f5e63deda266c6

Kein Bleiberecht im Protestcamp

Nach der Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Berliner Oranienplatz ist die Stimmung zwischen manchen ehemaligen Bewohnern und den verantwortlichen Politikern immer noch angespannt. Die Unterstützer der Flüchtlinge beginnen mit der Analyse eigener Fehler.

»Eine Diskussion ist nicht mehr möglich, daher beende ich die Veranstaltung jetzt«, sagte ein sichtlich gestresster Reza Amiri. Er ist Bezirksverordneter in Friedrichshain-Kreuzberg für die Linkspartei und moderierte in der vergangenen Woche eine zweistündige Diskussion im Veranstaltungsort SO 36, bei der die Stimmung von Beginn an überaus gereizt war. Wenige Tage nach der Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz trafen die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und diejenigen Flüchtlinge aufeinander, die die freiwillige Räumung abgelehnt hatten.

»Wir wollen kein Blabla hören« und »Sie sind Teil des Problems« waren noch die freundlicheren Sätze, die die Bürgermeisterin zu hören bekam. Bei vielen verfing es auch nicht, dass Herrmann die Ausdauer der Flüchtlinge lobte und die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik als rassistisch bezeichnete. Auch als es um die Zukunft der besetzten ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule ging, redeten Politiker und Geflüchtete aneinander vorbei. Der Bürgermeisterin schwebte ein Flüchtlingsprojekt vor, das von Politikern und Bewohnern gemeinsam entwickelt werden sollte. Die derzeitigen Bewohner des Gebäudes riefen schlicht: »Wir wollen endlich eine funktionierende Dusche.«

Und so schienen im SO 36 die Fronten eindeutig zu verlaufen. Auf der einen Seite stand die grüne Bürgermeisterin, die die Flüchtlingsproteste im Allgemeinen lobte, aber auch klarstellte, dass es am Oranienplatz kein Camp zum Übernachten mehr geben werde. Auf der anderen Seite standen die Flüchtlinge und ihre Unterstützer, die sich wieder einmal darin bestätigt sehen konnten, dass SPD und Grüne es bestens verstehen, eine Protestbewegung zu spalten. Schließlich waren Bilder durch die Presse gegangen, auf denen zu sehen war, wie diejenigen Geflüchteten, die mit dem Senat das Abkommen geschlossen hatten, den Platz gegen eine feste Unterkunft einzutauschen, auch Zelte von Flüchtlingen abrissen, die diese Vereinbarung abgelehnt und in den vergangenen Wochen mehrmals erklärt hatten, den Platz nicht räumen zu wollen.

Für die Verhandlungen mit den Flüchtlingen wurde die Berliner Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration, Dilek Kolat (SPD), von liberalen Medien sehr gelobt. Die Taz beförderte sie sogar in den Kreis der potentiellen Nachfolgerinnen und Nachfolger von Klaus Wowereit (SPD). In der Zeitung war in den vergangenen Monaten wiederholt der angeblich liberale Berliner Umgang mit den Flüchtlingsprotesten der Law-and-Order-Politik von Olaf Scholz (SPD) in Hamburg gegenübergestellt worden.

Nach der Räumung des Oranienplatzes zeigte sich jedoch, worin der Unterschied vor allem besteht. In Hamburg gab es Massendemonstrationen zur Unterstützung der Geflüchteten, die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat mit der Aufnahme von Flüchtlingen organisationsintern eine Diskussion über eine Gewerkschaftsmitgliedschaft für Migranten ohne Aufenthaltstitel ausgelöst. In Berlin geschah nichts Vergleich­bares.

In der Berliner Antirassismusbewegung hat nach der Räumung des Oranienplatzes eine Debatte über die eigenen Fehler begonnen. Denn die Fronten sind nicht so klar, wie es im S0 36 schien. Dort waren die Geflüchteten, die den Platz freiwillig verlassen hatten, gar nicht anwesend. Dabei wäre es wichtig gewesen, ihre Sichtweise einzubeziehen und sie nicht einfach als Handlanger der Politik abzuqualifizieren, wie es einige Unterstützer und Gruppen taten. Diese Geflüchteten gehörten monatelang zum Flüchtlingsprotest und organisierten im vergangenen Jahr Demonstrationen und auch ein mehrtägiges Tribunal. Viele von ihnen haben auch nicht die Absicht, den Protest einzustellen. Sie hatten aber das nachvollziehbare Bedürfnis, morgens nicht schon beim Weg zur Toilette von Passanten beobachtet oder fotografiert zu werden. Ein Geflüchteter, der sich dazu entschlossen hatte, den Platz zu verlassen, formulierte es gegenüber einem Unterstützer prägnant: »Wir sind nicht die Affen, die ihr begaffen könnt, sondern Menschen mit Bedürfnissen.«

Das größte Problem scheint im Rückblick jedoch gewesen zu sein, dass es den Geflüchteten und ihren Unterstützern nicht gelungen ist, im Laufe der monatelangen Auseinandersetzungen Entscheidungswege zu finden, mit denen die Bedürfnisse und Forderungen sämtlicher Campbewohner berücksichtigt und Kompromisse ermöglicht worden wären. So hätten auch Forderungen an die Öffentlichkeit gestellt werden können, die alle Geflüchteten unterstützt hätten.

Die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak (Linkspartei) stellte während der Veranstaltung im SO 36 ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vor, das eine rechtliche Handhabe aufzeigt, wie allen Flüchtlingen nach Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes ein Aufenthalt aus humanitären Gründen gewährt werden könnte. Eine gemeinsame Forderung nach einem solchen Aufenthaltstitel hätte vielleicht Unterstützung über den unmittelbaren Kreis der Helfer hinaus erhalten. Die Versuche, die Solidaritätsarbeit mit den Geflüchteten unter dem Motto »Die letzte Meile laufen wir« (Jungle World 33/13) auszuweiten, stießen im vergangenen Jahr auf wenig Resonanz. So blieb den Campbewohnern und dem engeren Kreis der Unterstützer die Hauptarbeit überlassen, auch während der ­Verhandlungen mit dem Senat. Das machte es den politischen Verantwortlichen leicht, die unterschiedlichen Interessen gegeneinander auszuspielen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/17/49730.html

Peter Nowak

„Vages Versprechen“

Die Berliner Senatorin für Integration, Dilek Kolat (SPD), hat behauptet, eine Einigung mit den Flüchtlingen erzielt zu haben, die am Oranienplatz und in einer Schule in Kreuzberg um ihr Bleiberecht kämpfen. Martina Mauer ist Sprecherin des Berliner Flüchtlingsrats und widerspricht dieser Darstellung. Das Gespräch wurde am 20. März geführt.

Small Talk von Peter Nowak


Warum sprechen Sie von einer Scheineinigung?

Weil anders als vom Senat dargestellt nur ein Teil der Flüchtlinge dem Papier zustimmt. Das derzeit vorliegende Angebot des Berliner Senats lässt viele Frage offen. Daher ist auch nicht für alle beteiligten Flüchtlingsgruppen erkennbar, ob das Angebot auch für sie eine Lösung ist.

Welche unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen sind betroffen?

Fünf Gruppen waren in der Verhandlungsdelegation mit Kolat vertreten. Die Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland noch nicht registriert sind, sollen nach dem Angebot Duldungsbescheinigungen erhalten, wobei deren Geltungsdauer noch unklar ist. Doch das ist nur eine Minderheit der Flüchtlinge. Für alle Flüchtlinge, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt und eine Wohnsitzauflage für andere Bundesländer haben, ist das Angebot nur ein vages Versprechen. Das gilt auch für die Flüchtlinge mit Duldungsstatus und Wohnsitzauflage in anderen Bundesländern und für Geflüchtete, die wegen der Dublin-Verordnung Abschiebeverfügungen in andere EU-Länder haben.

Ist es nicht problematisch, wenn die Gruppe der Geflüchteten so aufgespalten wird?

Ihre ursprüngliche Forderung war ein generelles Bleiberecht für alle. Das war politisch nicht durchsetzbar. Deshalb ging es darum, zumindest für jede Gruppe eine akzeptable Lösung zu finden. Das leistet das vorliegende Angebot jedoch nicht.

Was soll mit der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule geschehen?

Die Senatsverwaltung fordert jetzt neben der Räumung des Oranienplatzes de facto auch die Räumung der Gerhard-Hauptmann-Schule, obwohl die Delegation es ausdrücklich abgelehnt hat, die Verhandlungen auf die Zukunft der besetzten Schule auszuweiten.

Wie kann es zu einer Lösung kommen?

Die Gespräche zwischen den Flüchtlingen und dem Senat müssen fortgesetzt werden. Die jetzt vom Senat präsentierte Scheineinigung ist in dieser Hinsicht kontraproduktiv, weil sie die Flüchtlinge spaltet und dazu dienen könnte, medial und in der Öffentlichkeit eine polizeiliche Räumung vorzubereiten.

http://jungle-world.com/artikel/2014/13/49577.html

Interview: Peter Nowak