Dragopolis ehrte Arbeiterdichter

»Mein Mann wurde auch als Gefangener zur Garde-Dragonerkaserne gebracht und ist dort ein Opfer der Soldateska geworden.« Diesen Brief richtete Klara Möller im Januar 1919 an »Die Republik«, die Tagesszeitung der Arbeiterräte, die für eine grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse kämpften. Klara Möller beschrieb dort, wie sich ihr Mann mit sechs weiteren Parlamentären nach der Besetzung des »Vorwärts«-Gebäudes Anfang Januar 1919 den auf Seiten der Ebert-Noske-Regierung kämpfenden Freikorps ergaben. Die sieben unbewaffneten Männer wurden brutal misshandelt und dann erschossen.

Dass ihrer jetzt, 98 Jahre später, am Ort ihrer Ermordung gedacht wurde, geht auf die Initiative der stadtpolitischen Gruppe »Dragopolis« zurück. Sie setzt sich auf dem Gelände des Dragonergeländes für ein Stadtteilprojekt mit bezahlbaren Mieten ein. »Wir haben uns natürlich auch gefragt, was auf dem Dragonergelände historisch passiert ist«, erklärt ein Mitglied der Initiative gegenüber »nd«. Eine Gedenktafel im Eingangsbereich des nahen Finanzamtes Friedrichshain/Kreuzberg erinnert bereits an das Januarverbrechen. Doch die Initiative strebt weit mehr an und wollte zunächst einmal auch mehr über die Opfer wissen. Dabei kam ihr ein Aufsatz des Historikers Gerhard Engel in der Zeitschrift »Arbeit – Bewegung – Geschichte« zu Hilfe, in dem das publizistische Werk des Arbeiterdichters Werner Möller rekapituliert wird. Während der Gedenkveranstaltung dieser Tage für die Ermordeten wurden einige seiner Gedichte rezitiert.

Seine während des Ersten Weltkrieges die Kriegs- und Hungerspolitik der kaiserlichen Regierung anprangernden Artikel brachten Möller eine mehrmonatige Gefängnisstrafe ein. In seinen letzten Lebensmonaten versuchte Möller, die Novemberrevolution voranzutreiben. Er warnte, sich damit zu begnügen, dass der Thron der Hohenzollern gefallen ist, und dabei zu übersehen, dass der deutsche Michel sich schon wieder nach Recht, Ordnung und dem starken Staat sehnt – dem er selbst kurz darauf zum Opfer fallen sollte. Hunderttausende nahmen Ende Januar 1919 in Berlin an seiner Beerdigung teil. Sein Grab in der Gedenkstätte der Sozialisten wurde 1941 von den Nazis eingeebnet. Zum 100. Jahrestag des Verbrechens plant die Initiative Dragopolis ein würdiges Gedenken im dann fertiggestellten Stadtteilzentrum.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1040283.dragopolis-ehrte-arbeiterdichter.html

Peter Nowak

Stadtteilinitiative gedenkt der ermordeten Vorwärts-Besetzer

MieterEcho online 17.01.2017

Stadtteilinitiative gedenkt der ermordeten Vorwärts-Besetzer

„Mein Mann wurde auch als Gefangener zur Garde-Dragonerkaserne gebracht und  ist dort ein Opfer der Soldateska geworden. Der Tod durch Erschießen wäre ein milder gewesen, doch die Verletzungen meines Mannes sind derart, dass von Erschießen keine Rede sein kann“.  Diesen Brief richtete Klara Möller im Januar 1919 an die „Die Republik“, die Tagesszeitung der Arbeiterräte, die vor 98 Jahren in Deutschland für eine grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach der Novemberrevolution kämpften. Klara Möller beschrieb dort, wie sich  ihr Mann mit sechs weiteren Parlamentären nach der Besetzung des Vorwärtsgebäudes Anfang Januar 1919 den auf Seiten der Ebert-Noske-Regierung kämpfenden Freikorps ergeben hatte. Es waren neben Möller der Journalist  Wolfgang Fernbach, der  Mechaniker Karl Grubusch, der  Schmied Walter Heise, der Kutscher Erich Kluge,  der Werkzeugmacher Arthur Schöttler und  der Schlosser Paul Wackermann. Die sieben unbewaffneten Männer wurden in der Dragonerkaserne in Berlin-Kreuzberg brutal misshandelt und dann erschossen. Dass ihner  98 Jahre später am Ort ihres Todes gedacht wurde,  geht auf die  Initiative der stadtpolitische Gruppe “Dragopolis” zurück. Sie setzt sich auf dem Gelände des Dragonergeländes  für ein Stadtteilprojekt mit bezahlbaren  Mieten ein.  „Wir haben uns natürlich gefragt, was auf dem Dragonergelände historisch passiert ist“, erklärt ein Mitglied der Stadtteilinitiative  gegenüber MieterEcho online.  Dabei kam ihnen ein  Aufsatz des Historikers Gerhard Engel  in der Zeitschrift für historische Studien „Arbeit Bewegung Geschichte“  zur Hilfe. Dort rekapituliert der Historiker auch das publizistische Werk des Arbeiterdichters Werner Möller. Während der Gedenkveranstaltung wurden mehrere der  Gedichte und  Artikel vorgetragen, die Möller in seinem kurzen Leben  in der Presse der sozialdemokratischen Presse veröffentlichte. Nachdem er die Politik des Burgfriedens und der Kriegskredite  der PD-Führung scharf kritisierte, konnte er nur noch in den kleinen Zeitungen der linken Opposition publizieren, was das Auffinden seiner Texte erschwert.

Zum 100 Todestag eine Ehrung im Stadtteilzentrum

Die Stadtteilinitiative will ihre Geschichtsarbeit fortsetzen.  Ihre Utopie ist, am 11. Januar 2019,  hundert Jahre nach auf dem Mord auf dem Gelände des geplanten Stadtteilzentrums einen Gedenkort für die Opfer einzurichten. Doch noch immer ist die Zukunft des Areals unklar. Erst kürzlich schrieb der Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums Jens Spahn an die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, dass die Willensbildung zum weiteren Umgang mit der Liegenschaft noch nicht abgeschlossen ist“.  Bisher gehört die lukrative Immobilie dem Bund, der sie dem Höchstbietenden verkaufen und damit weiteren Luxusbauten den Weg ebnen wollte . Nachdem die Stadtteilinitiative für ihr Gegenmodell viel Zustimmung bekam,  gab sich die Berliner SPD auf einmal  rebellisch.  Im Bundesrat verweigerte sie dem Bundesfinanzministerium die Zustimmung zu dem schon getätigten Verkauf des Areals an einen Privatinvestor für 36 Millionen Euro. Doch der Käufer hat bereits Schadenersatzforderungen angekündigt. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Lisa Paus monierte, in dem Vertrag  fehle eine Klausel, die Schadenersatzforderungen explizit ausschließt. Das Bundesfinanzministerium widerspricht dieser Darstellung. Ungeklärt ist auch, warum der Vertrag bereits  unterschrieben wurde, bevor die zuständigen Gremien gehört wurden. Ob es dabei lediglich um handwerkliche  Fehler handelt oder ob hier weiter versucht wird, einen Privatinvestor Vorteile zu verschaffen, ist offen.

MieterEcho online 17.01.2017

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/vorwaerts-besetzer.html
Peter Nowak

JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung

An einen trüben Januartag 1933 wurde die russische Kommunistin Sinaida Wolkowa in Berlin beerdigt. Sie hatte im Alter von 31 Jahren Selbstmord verübt. Ihr Vater konnte nicht an ihrer Beerdigung teilnehmen, weil er im türkischen Exil lebend von den meisten europäischen Staaten kein Visum bekommen hatte. «Sämtliche Formalitäten rund um die Beerdigung erledigte daher Alexandra Pfemfert. Sie hatte sich um Sinaida gekümmert, seitdem die Trotzki-Tochter im Herbst 1931 nach Berlin gekommen war», schreibt der Historiker Marcel Bois in der aktuellen Ausgabe des JahrBuchs für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung (www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de).
Bois zeigt in seinem Beitrag, welch große Rolle Alexandra Ramm-Pfemfert und Franz Pfemfert in Deutschland nicht nur für die Betreuung von Trotzkis Tochter spielten. Das Ehepaar hatte auch einen großen Anteil daran, dass Trotzkis Schriften im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht und gedruckt wurden. Dabei hatte der Rätekommunist Franz Pfemfert durchaus ideologische Konflikte mit Trotzki. Doch die Pfemferts wollten den im innerparteilichen Machtkampf mit Stalin Unterlegenen unterstützen, schreibt Bois. Fragt sich nur, warum sein sehr informativer Aufsatz mit der politisch fragwürdigen Überschrift «Eine transnationale Freundschaft im Zeitalter der Extreme: Leo Trotzki und die Pfemferts» versehen wurde.
Der britische Historiker Gleb Albert beschäftigt sich in diesem Jahrbuch mit der Haltung des Anarchisten Erich Mühsam zur Sowjetunion und kommt zu dem Schluss, dass er noch Ende der 20er Jahre eine Grundsympathie mit dem Land der Oktoberrevolution hegte. Eine von der Roten Hilfe geplante Rundreise Mühsams durch die Sowjetunion wurde allerdings von KPD-Funktionären wie Wilhelm Pieck verhindert, die fürchteten, Mühsam könnte auch politische Gefangene in der UdSSR ansprechen. Gleb weist allerdings nach, dass die Vorgespräche für die Rundreise schon recht weit gediehen ware und daran auch führende anarchistische Aktivisten beteiligt waren.
Der Historiker Gerhard Engel widmet sich dem Sozialdemokraten Alfred Henke, der in der Zeit der Novemberrevolution in Bremen auf dem linken Flügel der USPD stand und heftig die SPD bekämpfte, nur um zwei Jahre später wieder in den Schoß der Sozialdemokratie zurückzukehren. Mit der Geschichte der Mietenkämpfe am Ende der Weimarer Republik greift der junge Historiker Simon Lengemann ein sehr aktuelles Thema auf. Angesichts von Mietrebellen, die sich in verschiedenen Städten gegen die Verdrängung wehren, wächst das Interesse an der Geschichte. Lengemann zeigt viele Parallelen zu einer Bewegung auf, die vor über 80 Jahren die Parole «Erst das Essen – dann Miete» ausgab.
Mit seiner breiten Themenwahl wendet sich das JahrBuch nicht nur an Historiker und Sozialwissenschafter, sondern auch an politisch Interessierte. Die Texte sind überwiegend auch für Nichtstudierte verständlich geschrieben. Seit 2012 wurde das JahrBuch dreimal jährlich vom Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung herausgegeben. Ab 2016 wird das Heft im Metropol-Verlag unter dem Titel Arbeit – Bewegung – Geschichte. Zeitschrift für historische Studien erscheinen.
JahrBuch zur Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung,

Nr. III/2015. NDZ GmbH, 230 S., 11 Euro

aus: SoZ/ Januar 2016

http://www.sozonline.de/2016/01/jahrbuch-fuer-forschungen-zur-geschichte-der-arbeiterbewegung/


von Peter Nowak

Keine Beerdigung

Neues vom Kommunismus? Peter Nowak stellt zwei neue Studien vor

Kommunismus wird in der Öffentlichkeit noch immer weitgehend mit Stalinismus und dessen Verbrechen gleichgesetzt. Nur wenig bekannt ist von der vielfältigen Opposi­tion, die es bereits in den 20er Jahren im Umfeld der KPD gegen die Politik der Stalinisierung gab. In den letzten Jahren haben junge HistorikerInnen begonnen, sich mit den dissidenten Strömungen der kommunistischen Geschichte zu beschäftigen. Erst nach der Öffnung der Archive in den nominalsozialistischen Ländern wurden viele Quellen zugänglich. So konnten die vergessenen Spuren einer dissidenten Geschichte des Kommunismus wieder aufgenommen werden – zwei Publikationen geben einen Eindruck von dieser verdienstvollen Forschungsarbeit.

Der Historiker Marcel Bois stellt im Klartext-Verlag auf knapp 600 Seiten relevante Strömungen der Kommunistischen Opposi­tion in der Weimarer Republik vor. Um eine erste Gesamtdarstellung der kommunistischen Opposition, wie auf der Rückseite des Buches angekündigt, handelt es sich allerdings nicht. Schließlich wird auf die räte- und linkskommunistischen Strömungen in der Kommunistischen Internationale, die bereits 1919 oder nach der Niederschlagung des Aufstands von Kronstadt mit der Politik der Komintern gebrochen haben, ebenso wenig eingegangen wie auf die bordigistische Strömung, die Mitte der 20er Jahre in Opposition zur Politik der sowjetischen Machthaber geriet. In verschiedenen Länden, auch in Deutschland, bildeten sich Gruppen, die die Kritik des italienischen KP-Vorsitzenden Amadeo Bordiga an der Entwicklung der Kommunistischen Internationale teilten und für einen strikt antiparlamentarischen Kurs eintraten. Bois erwähnt diese Strömung nur in einer Fußnote. Diese Feststellung ist wichtig, weil so verhindert wird, dass vorschnell neue Schließungen in der Forschung der dissidenten kommunistischen Strömungen erfolgen und kleinere, weniger bekannte Gruppen unerwähnt bleiben. Bois ist es allerdings nicht zum Vorwurf zu machen, dass er nicht sämtliche Facetten der kommunistischen Dissidenz berücksichtigt. Werden doch bei seiner Arbeit die großen Schwierigkeiten deutlich, das Phänomen des Linkskommunismus begrifflich zu fassen. Bois macht deutlich, dass das Gemeinsame dieser Strömung gar nicht so einfach zu benennen ist. Selbst die Ablehnung der Stalinisierung kann als kleinster gemeinsamer Nenner erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre geltend gemacht werden. Zuvor haben einige der späteren linkskommunistischen Akteure wie Werner Scholem in Stalin einen Bündnispartner und in Trotzki einen Exponent der Rechten in der kommunistischen Bewegung gesehen.

Zudem wurde ein gemeinsames Vorgehen der Opposition dadurch erschwert, dass einige führende Linkskommunisten wie Scholem oder Ruth Fischer die Vorzüge einer innerparteilichen Demokratie erst entdeckten, als sie in Opposition zur Parteitagsmehrheit gerieten. Als Exponenten der Parteiführung haben sie noch selber ausgiebig Gebrauch von administrativen Maßnahmen gegen vermeintliche Oppositionelle gemacht.

Bis zum Ende der Weimarer Republik spielten diese und andere Widersprüche in der linken Opposition eine wichtige Rolle und erschwerten eine Kooperation. So wollten einige Oppositionelle auf keinen Fall in eine Nähe zu Trotzki gebracht werden. Andere verweigerten Unterschriften unter Aufrufe, unter denen Ruth Fischer oder Werner Scholem standen. Das sind nur einige der von Bois detailliert beschriebenen Widersprüche, die ein gemeinsames Auftreten der kommunistischen Opposition erschwerten. Grund dafür waren neben inhaltlich-politischen Differenzen auch persönliche Animositäten.

Diese internen Probleme wurden von der KPD-Führung natürlich weidlich ausgenutzt. So wurden oppositionelle Kommunisten mit wenig innerparteilichem Rückhalt, wie die Gruppe um den besonders sektiererisch auftretenden Iwan Katz, schnell ausgeschlossen. Wesentlich bekannter war die Gruppe »Entschiedene Linke«, die maßgeblich von Karl Korsch mitbegründet wurde, dessen Texte zur marxistischen Philosophie in den 60er Jahren für die Neue Linke bedeutsam werden sollten. Sein Wirken als marxistischer Politiker nach seinem Parteiausschluss 1926 wird von Bois nachgezeichnet.

Echte Pionierarbeit leistet Bois mit seiner Darstellung der »Weddinger Opposition«, eine vor allem aus dem Arbeiterradikalismus gespeisten linken Parteiflügel, der über den Berliner Stadtteil hinaus landesweit aktiv wurde. Ihr gelang es noch bis Anfang der 30er Jahre, in der KPD aktiv zu bleiben. Die Parteiführung ging mit der gut verankerten Strömung vorsichtiger um als mit marginalen Oppositionsgruppen. Bois zeigt allerdings auch, dass vor allem in den frühen 30er Jahren manche oppositionellen Kommunisten wieder die Nähe zur KPD suchten. Die Gefahr des Nationalsozialismus ließen für manche die Differenzen in den Hintergrund treten.

Doch gerade Trotzki erregte zu dieser Zeit auch über das kommunistische Milieu hinaus Beachtung, weil er für eine Aktionseinheit von SPD und KPD eintrat und den NS viel gründlicher als die KPD-Führung analysierte. Anders als diese sah er in den verschiedenen Faschismen kein Werkzeug des Großkapitals, sondern eine eigenständige Bewegung des abstiegsbedrohten Mittelstands, die von Teilen der Eliten und der Wirtschaft allerdings für ihre Zwecke benutzt wurde. Auch mit seinen frühen Warnungen vor den Gefahren des NS für die Arbeiterbewegung und alle demokratischen Bewegungen sollte Trotzki wesentlich realitätsnäher sein als die KPD-Führung mit ihrem Zweckoptimismus, die ein Hitlerregime für eine kurze Zwischenstation auf dem Weg zur Revolution erklärte. Davon unabhängig kamen auch die als Rechtsabweichler aus der KPD ausgeschlossenen Kommunisten Heinrich Brandler und August Thalheimer zu einer ähnlich realistischen Einschätzung des NS wie Trotzki. Alte Feindschaften aus den 20er Jahren verhinderten allerdings eine Kooperation dieser unterschiedlichen kommunistischen Dissidenten. Auch hier zeigte sich wieder die Unfähigkeit selbst der schlaueren Köpfe der kommunistischen Opposition, auf der Basis eines Minimalkonsenses zu kooperieren.

Umso wichtiger waren die wenigen Menschen, die sich nicht an kleinlichen innerorganisatorischen Streitereien beteiligten, wie die Publizisten Alexandra Ramm und Franz Pfemfert. Wie Bois nachweist, haben sie einen großen Anteil an der Veröffentlichung von Texten dissidenter Kommunisten und sorgten dafür, dass der exilierte Trotzki in Deutschland seine Positionen bekannt machen konnte.

Der große Vorzug von Bois’ Arbeit besteht darin, dass er keine Heldengeschichte der linken Opposition schreibt, sondern detailliert zeigt, dass sie oft nicht weniger autoritär auf abweichende Meinungen reagierte als die stalinistische Mehrheitsströmung. Daher bleibt Bois bei der Frage vorsichtig, ob die dissidenten Kommunisten, hätten sie sich durchgesetzt, eine Alternative gewesen wären: »Möglicherweise wäre tatsächlich ein unabhängiger deutscher Kommunismus entstanden, der nicht jeden Schwenk aus Moskau mitgemacht hätte. Doch denkbar ist, dass … die Entdemokratisierung der Partei fortgesetzt worden wäre.« (S. 529) Kritisch anzumerken bleibt dagegen, dass Linkskommunisten wie Werner Scholem einen Kommunismus ohne nationale Vorzeichen anstrebten, deshalb auch gegen das Konzept vom »Sozialismus in einem Land« auftraten. Ein spezifisch deutscher Kommunismus hätte ihm ferngelegen – auch hätte eine erfolgreiche Revolution in Deutschland die weitere Entwicklung der Sowjetunion nicht unberührt gelassen.

Rollentausch – die Bremer Linksradikalen

Anders als der Spartakusbund orientierten die Bremer Linkradikalen schon 1915 auf eine eigenständige Organisierung außerhalb der SPD. Diese Strömung, die in der frühen KPD eine wichtige Rolle spielen sollte, ist heute (jenseits der Publikationen von Hans Manfred Bock) weitgehend vergessen. Einen ihrer Exponenten, den Lehrer Johann Knief, hat der Historiker Gerhard Engel in seiner im Dietz-Verlag erschienenen Biographie dem Vergessen entrissen. Hier wird uns die Gedankenwelt eines Linksradikalen vor 120 Jahren nahegebracht, und es wird der Kampf gegen die »reformorientierten« Kräfte in der Sozialdemokratie verdeutlicht, die bereits lange vor dem ersten Weltkrieg Kurs auf eine Mitgestaltung des imperialistischen Deutschlands nahmen. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD 1914 ist dann nur der Schlusspunkt einer längeren Entwicklung.

Die Bremer Linksradikalen setzten sich auf dem Gründungsparteitag der KPD mit ihrer antiparlamentarischen Linie durch. Mehrheitlich stimmten die Delegierten gegen die Beteiligung an den ersten Wahlen zum Reichstag der Weimarer Republik. Zu den strikten Gegnern dieser Linie gehörten damals noch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie eben Johann Knief, der damit in Widerspruch zu der von ihm repräsentierten Strömung geriet.

Knief starb bereits im Frühjahr 1919 kurz nach der Niederschlagung der Bremer Räte­republik. Obwohl es nach seinem Tod in Bremen einen großen Trauermarsch von ArbeiterInnen gab, wurde er bald vergessen. Weil das Geld für die Beerdigung fehlte, stand die Urne bis 1926 im Büro der Bremer KPD. Wegen seiner schweren Erkrankung und des frühen Tods konnten die Widersprüche nicht mehr ausdiskutiert werden. Mit dem Buch erinnert Engel nicht nur an Knief, sondern an eine wichtige linke Strömung, die bald zur ersten Opposition in der frisch gegründeten KPD gehörte.

Literaturliste

  • Marcel Bois: »Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik«, Essen 2014, 613 Seiten, 39,95 Euro, ISBN 978 3-8375-1282-3
  • Gerhard Engel: »Johann Knief – ein unvollendetes Leben« (Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus, Bd. XV), Berlin 2011, 467 Seiten. 29,90 Euro, ISBN: 978-3-320-02249-5

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