Ein großer Teil der Linken und Liberalen bewegt sich bewusst oder unbewusst in den theoretischen Fußstapfen von Karl Popper. Aber es gibt linke Gegenstimmen

Verschwörungen und Entschwörungen

Was vor Jahrzehnten der Kampf um jeden Cent mehr und jede Minute Lohnarbeit weniger gewesen ist, kann heute der Kampf um besseren Gesundheitsschutz sein. Dass es dabei um mehr als um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht, macht der Publizist Daniel Kulla in einem Aufsatz mit dem Titel "Die beste Antwort auf die Verschwörung ist der Klassenkampf" deutlich.

Der Umgang mit der Corona-Epidemie hat in den letzten Tagen in den öffentlich-rechtlichen Medien einen Bedeutungswandel erfahren. Die Devise „Stay at Home“ ist schon länger vorbei. Jetzt lautet die Devise: „Mit Corona leben und daraus gestärkt hervorgehen.“ Das wird schon daran deutlich, dass so unterschiedlich….

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Kontrolle und BEFREIuNG

Was lesen die freien Mitarbeiter_innen des Augustin?

•Nein, es ist nicht das nächste Buch über die böse Überwachung, der wir doch alle hilflos ausgeliefert sind. Markus Metz und Georg Seeßlen nutzen ihr profundes Wissen in Historie, Kunst und Philosophie für ihre Geschichte von Freiheit und Kontrolle. Sie zeigen auf, wie wir alle in unterschiedlichem Maße Anteil an den Kontrollregimen haben. «Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven ist ja in Wirklichkeit noch nicht zu ENDE», lautet der gar nicht so pessimistische Schlusssatz.

Markus Metz, Georg Seeßlen, Freiheit und Kontrolle – Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven, Suhrkamp 2017, 461 S., 20,60 Euro,

Peter Nowak, Autor Tun & Lassen

aus: literaturherbst der österreichischen Zeitung Augustin

Der Trumpismus, seine Claqueure und Gegner

Anmerkungen zu einer neuen Politikform und der deutschen Querfront
Eins hat der künftige Präsident der USA schon geschafft. Obwohl er noch gar nicht im Amt war, wurde bereits eine Politikform nach ihm benannt. Der Begriff des Trumpismus wurde in vielen Medien[1] seziert. Dabei wusste niemand so genau, was dieser Trumpismus eigentlich sein soll.

„Ist es fair, Donald Trump aus der Ferne zu analysieren?“, fragte[2] denn auch Die Zeit. Damit wird das Problem des Trump-Diskurses der letzten Wochen auf den Punkt gebracht. Da Trump als rechter Populist immer das sagt, was das jeweilige Publikum seiner Zielgruppen von ihm hören will, kann es auch keine Definition des Trumpismus geben. Auch da kann jeder etwas Anderes rein interpretieren.

Querfront für Trump

Das erklärt, warum autoritäre Linke wie Rainer Rupp[3] durchaus Hoffnung in Trump setzen. Ausgerechnet vor einem Bild von Karl Marx[4], der die Globalisierung zu den Positiva der historischem Rolle des Kapitalismus zählte, lobt Rupp den angeglichen Globalisierungsgegner Trump. Besonders erfreut ist der Putin-Freund Rupp darüber, dass Trump mit Russland gut kooperieren will.

Nun könnte man dem ehemaligen Nato-Spion Rupp viel Spaß bei seiner Reise zum „Magazin für Souveränität“, Compact, wünschen. Doch es gibt im Lager der autoritären Traditionslinken durchaus mehr Sympathie für Trump, die aber bisher eher leise geäußert wird, weil viele noch unsicher sind, ob Trump seine Ankündigen überhaupt ernst meint. Doch sollte er sich mit Putin verständigen, könnte sich die Querfront zwischen Trumpisten und Teilen der autoritären Linken noch deutlicher manifestieren. Da wird wieder ein Lagerdenken bedient.

Auch die erklärten Trump-Gegner in Deutschland und in anderen Ländern bereiten sich schon ideologisch darauf vor, indem sie den USA unter Trump eine von Deutschland angeführte westliche Welt entgegensetzen. „Nur Merkel kann die Implosion des Westens verhindern“, schrieb[5] Alan Posener bereits Mitte November.

Diese These wird seitdem auch von deutschen Politikern wiederholt. Hier zeichnet sich schon eine Entwicklung ab, die unter Reagan und Bush ihre Anfänge genommen hat. Eine von Deutschland geführte EU will sich im Kampf mit den USA als letzte Verteidigerin der westlichen Werte gerieren. Dieser deutschen Triumph, 72 Jahre nach der totalen Niederlage, wird nur von Traditions-Rechten wie Björn Höcke noch immer nicht begriffen, der in seiner berüchtigten Dresdner Rede auch von einer „gegenderten Bundeswehr“, die Befehlsempfängerin der US-Politik sei, schwadroniert.
Schon Streit über Anti-Trump-Proteste

Während ein Lager der Grünen wie auch Sozialdemokraten und Teile der Konservativen zum Kampf der westlichen Werte gegen Russland aufrufen, als stünden wir erneut vor dem 1. Weltkrieg, haben manche Traditionslinke keine andere Antwort als eine Apologie Putins und ihre Hoffnung auf eine Achse Putin-Trump. In dieser Gemengelage gibt es auch über die ersten Proteste gegen Trump schon Zoff.

In den USA mobilisiert eine Koalition gegen Trump[6]. Diese Idee wurde von einen globalen Bündnis aufgerufen[7], das Trump als Vorreiter eines sich weltweit auf dem Vormarsch befindlichen Rechtspopulismus versteht. Daher soll heute in Berlin im Rahmen dieses Bündnisses[8] auch vor der Berliner AfD-Zentrale demonstriert werden.

Ausdrücklich distanziert von diesen Protesten hat sich die DKP[9], die sich von Trumps rassistischer Innenpolitik distanziert, ihn aber in der Außenpolitik noch als unentschieden bezeichnet. In der Neuen Rheinischen Zeitung, einem weiteren Querfront-Projekt von Traditionslinken, werden die Anti-Trump-Proteste als „Teil der anti-russischen Massenhysterie, die in den USA seitens der Wahlverlierer geschürt wird und die ihr Echo in den untertänigen NATO-Ländern findet“, bezeichnet[10].

In der NRZ macht man sich gar nicht mehr die Mühe, sich von Trumps Rassismus zu distanzieren, dafür wird völlig willkürlich noch ein Seitenhieb gegen George Soros ausgegeben. Die Klientel versteht, die reiche Juden sind auch gegen Trump.

„Wait and see!“

Dass die Positionierung vieler Jüdinnen und Juden in den USA gegenüber Trump vor allem davon abhängt, was sie von der Nahost-Politik seines Vorgängers Obama halten, zeigt ein Beitrag[11] von Michael Wolfssohn in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. Er warnt vor Horrorvisionen einer Ära Trump, spart sich aber auch jegliche Vorschlusslorbeeren. Sein abgeklärter Schluss lautet:

Man muss kein Trump-Fan sein, um festzustellen: Horror-Vorhersagen gehören zum menschheitsgeschichtlich üblichen und längst bekannten Getöse. Sie stammen von schlechten Verlierern und besonders von den jeweils entmachteten Gegeneliten und ihren Anhängern. Unter „Eliten“ sind Positions- und Meinungseliten zu verstehen. Gleiches gilt für unkritisch übernommene Horror-Überlieferungen. Sie stammen von den zuvor entmachteten und dann an die Macht zurückgekehrten Positionseliten. Und Trump? Wait and see!
Michael Wolfssohn[12]

Diesen Grundsatz hätten auch die meisten Autorinnen und Autoren beherzigen sollen, die in den wenigen Wochen zwischen der Wahl und der Amtseinführung von Trump bereits ihre Bücher auf dem Markt geworfen haben. Eine der wenigen Ausnahmen ist das kleine Büchlein des Kulturkritikers Georg Seeßlen (siehe: Donald Trump: Populismus als Politik[13], das im Verlag Bertz + Fischer[14] veröffentlicht wird.

Dort wird Trump überzeugend als Produkt der Kulturindustrie dargestellt. Dabei wird auch deutlich, wie stark sowohl Bewunderer als viele Gegner von Trump auf Inszenierungen hereinfallen. Das zeigt Seeßlen besonders deutlich im Kapitel „Spiel im Thronsaal – Eine Bildbetrachtung“, wo Trump, seine Frau und sein jüngster Sohn in einem spätfeudalistischen Ambiente zu sehen sind.

Danach gab es in den Medien viel Häme über den schlechten Geschmack der Trump-Familie. Seeßlen beschreibt das Bild detailreich auf 20 Seiten und beendet das Kapitel mit folgender Auflösung: „Die Bildunterschrift bei Getty Images besagt: ‚Melanie, Donald and Barron Trump at Home Shoot (this Image is been retouched). Donald Trump is wearing a suit tie by Brioni, Melanie Trump is wearing a dress by Halston, shoes by Manolo Blahnik, makeup by Mykel Renner for Kett Cosmetics and hair by Mordechia for Yarohair.com. Barron Trump is wearing a jackts and pants by Papo d’Anjo, shirt by Leon and shoes by Todds‘.“

Georg Seeßlen kommentiert diese Inszenierung: „Wir haben vielleicht zu viel gesehen. Es war alles bloß Reklame. Diesen Donald, diese Melanie und diesen Barron Trump gibt es gar nicht. Sie sind Erfindungen der Design-Industrie. Das erklärt manches.“ Dieser Kommentar könnte auch auf den Wahlkampf und auf fast alles, was bisher zu Trump und seinem Umfeld öffentlich wurde, ausgedehnt werden.

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3604037
https://www.heise.de/tp/features/Der-Trumpismus-seine-Claqueure-und-Gegner-3604037.html

Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/amerika/das-geheimnis-von-donald-trumps-erfolg-13730711.html
[2] http://www.zeit.de/2016/36/psychologie-donald-trump-ferndiagnose/seite-2
[3] https://deutsch.rt.com/meinung/43036-rainer-rupp-us-prasident-trump/
[4] https://deutsch.rt.com/meinung/43036-rainer-rupp-us-prasident-trump
[5] https://www.welt.de/politik/deutschland/article159602280/Nur-Merkel-kann-die-Implosion-des-Westens-verhindern.html
[6] https://www.democraticcoalition.org/the-coalition
[7] http://berlin.carpediem.cd/events/2212416-inauguration-day-protest-no-to-global-trumpism-at-brandenburger-tor/
[8] http://www.no-to-nato.org/2017/01/nein-zum-globalen-trumpismus-zeit-zu-handeln
[9] http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/01/erklaerung-der-dkp-berlin-zur-demonstration-am-20-1-nein-zum-globalen-trumpismus/
[10] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23464
[11] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27456
[12] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27456
[13] https://www.heise.de/tp/features/Donald-Trump-Populismus-als-Politik-3600997.html
[14] http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?products_id=506

Aufstand der Mitte?

Nicht der soziale Frieden, sondern Minderheiten sind die Opfer der enthemmten Mitte und der Austeritätspolitik

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit fand am 4.Juni im Harz das Kyffhäusertreffen[1] des rechten Flügels der AfD statt.  Dort stimmte Björn Höcke seine treue Zuhörerschaft unter dem Motto „Die Geduld unseres Volkes ist zu Ende“ auf den Furor Teutonicus ein, auf ein Deutschland, das wieder Denkmäler statt Gedenkorte baut. Höcke hofft auf einen schnellen Kollaps der „entarteten“ Altparteien, die verschwinden könnten wie Anfang 1990er Jahre die italienische Christdemokratie.

Wer das Video[2] ansieht, fühlt sich an die Frühzeiten der völkischen Bewegung am Beginn der Weimarer Republik erinnert, die damals schon die Zerstörung der Weimarer Republik plante.  Vor einiger Zeit noch hätte man solche Versammlungen als Treffen der Ewiggestrigen abgetan. Doch Höcke und Co. treten als eine Kraft auf, die ganz unverhohlen die Machtfrage stellt und ihre Gegner zu Boden zwingen will.

Dass die völkische Rechte mit so viel Selbstbewusstsein  auftritt, hat etwas mit jener „Enthemmten Mitte“ zu tun, wie sie eine Studie beschriebt, die von der Rosa Luxemburg Stiftung, der Heinrich Böll Stiftung und der Otto Brenner Stiftung am Mittwoch gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellt wurde (Gewaltbereitschaft in rechten Gruppen steigt[3]). Die repräsentative Erhebung ist der neueste Teil eines Langzeitforschungsprojekts, das seit 2002 politische Einstellungen in Deutschland untersucht.

Das Problem ist die Mitte

Nun ist der Mitte-Begriff immer problematisch, weil er suggeriert, das wäre der Ort der Vernunft und Stabilität und die rechten und linken Ränder wären das eigentliche Problem. Doch die Studie räumt ja gerade mit dieser Vorstellung auf.

Es ist die ominöse Mitte der Gesellschaft, die sich völkisch radikalisiert und genau das ist der Grund, warum Höcke und Co. so penetrant optimistisch sind. Oliver Decker, einer der Mitverfasser der Studie bracht das bei der Vorstellung gut auf den Punkt:

Bei Nazis und Rechtsextremen denkt man an die Ränder der Gesellschaft. Das trifft es aber nicht, die Ideologie des völkischen Denkens ist sehr verbreitet.

Dabei hat sich die Zahl der Personen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild gegenüber den Vorjahren nicht verändert. Was sich gegenüber den Vorjahren verändert hat, wird  im Fazit der Studie benannt. Dort ist die Rede:

(…) von einem teilweise deutlichen Anstieg der Abwertung bestimmter Gruppen: Islamfeindschaft, Antiziganismus und die Abwertung von Asylantragstellern. Gleichzeitig wachsen die Befürwortung einer antidemokratischen, autoritären Politik und die Akzeptanz von Gewalt bzw. die Bereitschaft, selbst Gewalt einzusetzen, etwa um den eigenen Interessen Nachdruck zu verleihen oder sich «gegen Fremde durchzusetzen.

Der Befund ist keineswegs überraschend. Erst kürzlich legte die Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro einen Bericht[4] über antiziganistische Einstellungen in Berlin[5] vor. Dabei wurde auch deutlich, dass der Antiziganismus bis in die Amtsstuben hinein verbreitet ist und sich auf große Teile der Bevölkerung stützt. Es ist das Gefühl, solche Ressentiments,  nicht mehr nur im kleinen Kreis, sondern in aller Öffentlichkeit zu äußern können, ohne dass es zumindest gesellschaftlich sanktioniert wird. Das mobilisiert wiederum andere Menschen. Genau das ist das eigentlich Neue, das die Studie formuliert.

Kritik von Vertretern der enthemmten Mitte

Der Berliner Politologe Klaus Schröder[6] bezeichnete die Studie im Deutschlandfunk als belanglos[7] und sah die deutsche Mitte – zu der er sich selber zählt – verunglimpft. Ihm passte die ganze Richtung nicht, er verwies darauf, dass auch noch die der Linkspartei nahestehende Rosa Luxemburg-Stiftung an der Studie mitgearbeitet habe.

Für Schröder, der sich seit Jahren als wissenschaftlicher Anhänger der Totalitarismustheorie einen Namen gemacht hat, ist so etwas ein Unding. Zudem sieht er in einer Aussage, nach der „Deutschland endlich die Macht und Geltung bekommen soll, die ihm zusteht“, nicht etwa Ausdruck einer extrem rechten Gesinnung. Schließlich würden ihr viele zustimmen. Dass er mit dieser Aussage eigentlich den Befund der Studie nur bestätigt und selber das beste Beispiel für die enthemmte Mitte ist, wird ihm dabei gar nicht bewusst.

Das gilt auch für seine Kritik an einer Frage der Studie, die die Einstellung zu  Geflüchteten erkunden soll.

Und bei der Ausländerfeindlichkeit sehen wir eine Frage, die ist typisch für die Suggestion, die hier gestellt wird, nämlich: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ Nun weiß ja kein Mensch, warum die hier herkommen. Also würde jeder sagen, ja wahrscheinlich gibt es welche, die wollen den Sozialstaat ausnutzen, andere wiederum nicht. Wenn aber die Befragten gezwungen werden, auf eine pauschale, generalisierte Frage zu antworten, dann haben sie nicht viele Möglichkeiten.

Derart gibt sich Schröder hier als Versteher und Erklärer der enthemmten Mitte. Auch sein Dresdner Kollege Werner Patzelt[8] hat am gleichen Tag, als die Mitte-Studie  erschienen ist, wieder einmal den Pegida-Versteher[9] gegeben.

Bei einer neuen Buchvorstellung über Pegida hat er erneut an die Politik appelliert[10], deren Anliegen ernst zu nehmen und sie bloß nicht auszugrenzen. Das Buch trägt den programmatischen Titel Pegida. Warnsignale aus Dresden[11]. Sowohl der Herausgeber als auch sein Forschungsobjekt sind gute Beispiele für die „Enthemmte Mitte“.

Aufstand der Mitte und das semantische Terrain

Doch auch das politische Spektrum, das sich positiv auf die Studie bezieht und sofort die altbekannten Phrasen ablässt, ist Teil des Problems. So fällt den sozialdemokratischen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz nur ein Aufstand der Mitte[12] ein, der auch noch ein Aufstand der Anständigen sein soll.

Dass er sich damit auf dem semantischen Terrain der enthemmten Mitte befindet, ist die eine Sache. Dass er dann noch nachschiebt, es dürfe nicht zugelassen werden, dass „Populisten und Extremisten den sozialen Frieden in Europa gefährden“,  ist politisch besonders grotesk.

Damit liefert Schulz gleich die Rechtfertigung für Repression gegen Gewerkschaften und soziale Initiativen[13],  wie sie die Parteifreunde von Schulz in Frankreich (Frankreich: Orgie der Polizeigewalt[14] erproben.

Die enthemmte Mitte hingegen gefährdet den sozialen Frieden gerade nicht. Menschen mit solchem autoritären Gedankengut beteiligen sich in der Regel nicht an Arbeitskämpfen und mobben eher kämpferische Kolleginnen und Kollegen, spielen so eher die Rolle einer Art Pegida am Arbeitsplatz.

Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Apicella hat in ihrer kürzlich in der Rosa Luxemburg-Stiftung veröffentlichten Studie[15] „Amazon in Leipzig. Von den Gründen, (nicht) zu streiken“ diese Mechanismen gut beschrieben. Nicht der soziale Frieden, sondern politische und gesellschaftliche Minderheiten sind die Opfer der enthemmten Mitte und der Austeritätspolitik, die Schulz und seine Parteifreunde seit Jahren führend mit vorantreiben.

„Ressentiments – etwa gegenüber Flüchtlingen, Roma,  Schwulen… – sind vor diesem Hintergrund nicht nur Ausweis mangelnder Bildung oder fehlenden ethnischen Bewusstseins. Sie sind vielmehr die konsequente Fortsetzung innergesellschaftlicher und/zwischenstaatlicher Konkurrenz – und zwar noch im Sozialprotektionismus als dessen Negation:  Die genannten Gruppen sind ‚die anderen‘, mit denen ‚die Anständigen‘ und ‚die Fleißigen‘ konkurrieren müssen und/oder die unberechtigterweise an den ‚eigenen nationalen‘ Konkurrenzerfolgen teilhaben wollen und/oder die diese Konkurrenzerfahrungen gefährden“, stellt der Gewerkschafter und Publizist Patrick Schreiner[16] den Zusammenhang zwischen der Austeritätspolitik und der „enthemmten Mitte“ her.

Bisher gibt es noch zu wenige Bücher, die weniger soziologisch diese Zusammenhänge erklären. Das kürzlich vom Markus Metz und Georg Seeßlen im Verlag  Bertz + Fischer erschienene Buch Hass und Hoffnung, Deutschland, Europa und die Flüchtlinge[17] gehört zu den wenigen Texten, die nicht mit moralisierenden Appellen auf die „enthemmte Mitte“ reagieren.

Wer den Neoliberalismus bekämpft, ohne seine andere Seite, den Neofaschismus zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, den Faschismus bekämpfen zu können, ohne die organisierte Dummheit zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, die Dummheit bekämpfen zu können, ohne jene Kräfte zu bekämpfen, die von ihr profitieren, hat ebenfalls verloren.

Die Stärke dieses Buches liegt darin, dass hier die Mechanismen der Kulturindustrie und der IT-Technologie bei der Herausbildung der autoritären Subjekte der enthemmten Mitte gut beschrieben werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48549/1.html

Peter Nowak 16.06.2016

Anhang

Links

[1]

http://www.derfluegel.de

[2]

https://youtu.be/oRSOaacPsqA

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48535/

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Antiziganismus-im-System-3227242.html

[5]

http://amaroforo.de/dokumentation-von-antiziganismus-berlin

[6]

http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/apt/mitarbeiter/schroederk

[7]

http://www.deutschlandfunk.de/studie-die-enthemmte-mitte-politologe-haelt-mitte-studie.694.de.html?dram:article_id=357314

[8]

http://wjpatzelt.de

[9]

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Patzelt-Pegida-Erklaerer-oder-versteher-2542334.html

[10]

http://www.welt.de/politik/deutschland/article156226402/Wissensluecken-machen-Pegida-Anhaenger-so-radikal.html

[11]

https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/news/pegida-warnsignale-aus-dresden-das-neue-buch

[12]

http://www.zeit.de/news/2016-06/16/deutschland-eu-parlamentspraesident-schulz-fordert-aufstand-der-anstaendigen-16085612

[13]

https://www.facebook.com/Against-police-violence-and-for-demonstration-rights-in-france-2016-1051796708224609/?fref=nf

[14]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48536/

[15]

http://www.rosalux.de/publication/42258/amazon-in-leipzig.html

[16]

https://www.kritisch-lesen.de/autor_in/patrick-schreiner

[17]

http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?products_id=478

Flüchtlinge abschieben im Thor-Steinar-T-Shirt geht gar nicht

Über das deutsche Dispositiv und die Symbolpolitik in der Flüchtlingsdebatte

Angesichts der toten Flüchtlinge in einem Transporter in Österreich [1] macht eine Berliner Boulevardzeitung mit der Schlagzeile „Weine Europa“ auf und ruft zum Handeln auf. Die Losung am Schluss zeigt die Stoßrichtung: „Schlepper bekämpfen“, heißt sie und somit wird nur aktualisiert, was der Mainstream in Politik und Medien seit Jahren predigt.

Nicht die gesetzlichen Regelungen, die Flüchtlinge zwingen, die Dienste der Schlepper in Anspruch zu nehmen, empört die Mehrheit, die nichts mit Pegida zu tun haben will. Für Aufregung sorgt, dass durch die Schlepper das durch die unvernünftige Wirtschaftsordnung hervorgehobene Elend der Welt ins Zentrum der EU gebracht wird.

Wären die Leichen der Geflüchteten nicht in einem Auto in Österreich gefunden worden, hätten sie auch kaum eine Notiz in den Medien gefunden. Aus den Augen, aus dem Sinn, heißt die Devise. Und wenn die Menschen nicht im EU-Raum sterben, braucht sich die Politik auch keine Gedanken über eine andere Flüchtlingspolitik zu machen.

Der Notstand von Heidenau

Auch das sächsische Heidenau ist in den letzten Tagen zum Zentrum einer Symbolpolitik geworden, in deren Zentrum Grundgesetz, Versammlungsfreiheit, Demokratie und das Ansehen Deutschlands verteidigt werden müssen. Nur: Die Geflüchteten, also die Menschen, die konkret von den Rechten bedroht wurden und werden, werden höchstens bei zivilgesellschaftlichen Gruppen [2] erwähnt. Da nahm Cem Özdemir von den Grünen schon mal seinen ganzen Gratismut zusammen und kündigte [3] zu einem Zeitpunkt an, am Wochenende nach Heidenau zu fahren, als dort noch alle Veranstaltungen vom Ordnungsamt verboten worden waren.

Als Begründung wurde ein Polizeinotstand genannt, der vor Monaten während der Hochzeit von Pegida auch schon zu Demonstrationsverboten in Leipzig führte. Özdemirs Ankündigung, nach Heidenau zu kommen, sorgte noch am Mittag für Kritik. Der Politiker hätte keinen Respekt vor dem Rechtsstaat, lautete der Vorwurf. Wenige Stunden später hob ein Gericht das Demonstrationsverbot auf, weil der polizeiliche Notstand nicht genügend begründet gewesen sei.

Noch wird über den genauen Ort des „Willkommensfests“ gestritten und weitere juristische Auseinandersetzungen sind nicht unwahrscheinlich. Doch wie immer der Streit ausgeht, am Ende wird schon der Rechtsstaat Deutschland gewonnen haben und die Forderung nach mehr Polizei wird dann die konkrete Folge sei .

Die Geflüchteten sind dabei nur Kulisse dieser Symbolpolitik. Wenn die Politiker und die eingebetteten Medien das Städtchen wieder verlassen haben, bleiben die Geflüchteten wieder mit den Rechten allein. Nur einige solidarische Initiativen aus der Umgebung werden versuchen, zumindest einige minimale Zivilstandards durchzusetzen. Dabei gibt es auch unter den solidarischen Menschen Streit darüber, ob man nicht vielmehr dafür sorgen sollte, dass die Geflüchteten nicht mehr in den Orten leben müssen, wo sie nicht erwünscht sind.

In der letzten Woche hatten in Leipzig linke Gruppen den Transport von weiteren Flüchtlingen nach Heidenau durch eine Blockade verhindert [4]. Die Menschen haben vorher deutlich gemacht, dass sie sich weigern, an den Ort umgesiedelt zu werden. Der Widerstand ist konsequent. Schließlich sollten antirassistische Gruppen nicht zum Vollstrecker der staatlichen Flüchtlingspolitik werden, zu der auch die zwangsweise Unterbringung von Menschen an Orten gehört, in die sie nicht wollen. „Nein zum Heim“ war schließlich ursprünglich eine antirassistische Parole, bevor sie von Pegida und Co. gekapert wurde.

Politisch korrekt abschieben

Ist es nun auch ein antirassistischer Erfolg, dass in Baden-Württemberg ein Busfahrer entlassen wurde, der bei seiner Fahrt ein T-Shirt mit Symbol der in rechten Kreisen beliebten Modemarkte Thor Steinar getragen hat? Das Busunternehmen begründete [5] die Entlassung damit, dass es wichtig sei, in dieser sensiblen Frage ein Zeichen zu setzen.

In dem Bus saßen abgelehnte Flüchtlinge, die von Karlsruhe zum Airport Baden/Baden transportiert wurden, wo sie abgeschoben wurden. Wo die Menschen leben werden, wenn sie Deutschland verlassen haben, ob ihnen wirtschaftliche Not oder vielleicht sogar Verfolgung drohen, weiß niemand und interessiert auch nicht. Aber dass politisch korrekt abgeschoben wird und der Busfahrer nicht ein T-Shirt mit einem Zeichen trägt, dessen Bedeutung wahrscheinlich ein Großteil der Businsassen gar nicht vertraut ist und das sie mangels anderer Probleme auch gar nicht beachtet haben, war ein Signal an die Öffentlichkeit.

„Der hässliche Deutsche ist zurück. Scharfmacherisch im Ton, unerbittlich gegenüber Griechenland, entwürdigend im Umgang mit Flüchtlingen“, schrieb der Publizist Georg Seeßlen in einem Taz-Kommentar [6] über das neue deutsche Dispositiv. Er vergaß noch hinzufügen, dass dabei aber alles politisch korrekt zugehen soll.

Denn Flüchtlinge zur Abschiebung mit einem Thor-Steinar-T-Shirt fahren, das geht gar nicht.

http://www.heise.de/tp/news/Fluechtlinge-abschieben-im-Thor-Steinar-T-Shirt-geht-gar-nicht-2793934.html?view=print

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45828/1.html

[2]

http://www.dresden-nazifrei.com/index.php/34-aufruf/aufruf/711-heute-die-pogrome-von-morgen-verhindern

[3]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/heidenau-cem-oezdemir-will-trotz-verbot-demonstrieren-a-1050253.html

[4]

http://www.sueddeutsche.de/news/politik/fluechtlinge-blockade-in-leipzig-asylsuchende-nicht-nach-heidenau-verlegt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-150824-99-11730

[5]

http://www.focus.de/politik/deutschland/abgelehnte-asylbewerber-gefahren-t-shirt-mit-neonazi-symbolen-busfahrer-nach-fahrt-mit-fluechtlingen-gefeuert_id_4908717.html

[6]

http://www.taz.de/!5223522/