Gentechnisches Netzwerk warnt vor Gesetzen, die angeblich das Strafverfahren modernisieren soll. Doch das Problem ist die Diskreditierung von Rechten für Verdächtige oder Angeklagte

Sind erweiterte DNA-Analysen eine Gefahr für Minderheiten?

Das Problem besteht aber gerade darin, dass große Teile der Bevölkerung es völlig in Ordnung finden, wenn die eines Verbrechens Beschuldigten oder Angeklagten ihrer Rechte beschnitten werden. Dass gegen alle Fakten eine steigende Kriminalität bei Teilen der Bevölkerung als Tatsache angesehen wird und diese gerne mit Nichtdeutschen in Verbindung gebracht wird, ist ein weiteres Problem. Erst in diesem Kontext können diese Gesetzesveränderungen zur Gefahr werden

Es ist eine eher trockene Materie, mit der sich der Bundestag derzeit beschäftigt. Dazu gehört die Reform des Strafprozessrechts mit zahlreichen Einzelpunkten, die wahrscheinlich auch ein Großteil der Bundestagsgeordneten nicht überblicken. Der großspurige Titel „Modernisierung des Strafverfahrens“ erinnert an das „Gute Kita-Gesetz“ und ähnliche Namensgebungen, denen ein Propagandaeffekt nicht abgesprochen werden kann. Am vergangenen Mittwoch hat der Rechtsausschuss dem Gesetz zur „Modernisierung der Strafverfahren“ zugestimmt. Am heutigen Freitag soll das Gesetz im Plenum beschlossen werden. Die wichtigste Änderung besteht wohl darin, dass die Polizei ….

„Sind erweiterte DNA-Analysen eine Gefahr für Minderheiten?“ weiterlesen

Wattestäbchen sind gefährlich

Das Bundeskriminalamt hat mehr als eine Million DNA-Profile in einer Datenbank gespeichert. Die meisten dieser Daten werden nicht bei Schwerverbrechen, sondern bei Diebstahldelikten oder Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gesammelt.

»Während Max Schrems mit dem Ruf ›Kämpf um deine Daten‹ Facebook und anderen Giganten zumindest Nadelstiche versetzt, sind die DNA-Datenbanken im letzten Jahrzehnt weltweit gewachsen.« Zu dem ernüchternden Fazit, dass die DNA-Sammelwut in der Debatte um Überwachung kaum eine Rolle spielt, gelangen Susanne Schultz und Uta Wagenmann vom »Gen-ethischen Netzwerk«. Vor kurzem haben sie das Buch »Identität auf Vorrat – Zur Kritik der DNA-Sammelwut« herausgegeben, das sich mit der polizeilichen DNA-Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und anderen Ländern beschäftigt.

Die Publikation macht deutlich, dass es genügend Gründe für eine größere Aufmerksamkeit gäbe. Was als »Kopfgeburt« des damaligen deutschen Innenministers Otto Schily (SPD), der sich für die Ausweitung der DNA-Analysen einsetzte, begann, hat sich zu einem internationalen Netz von Datenbanken entwickelt. Mittlerweile seien EU-weit die DNA-Profile von knapp zehn Millionen Menschen gespeichert, berichtet der Politikwissenschaftler Eric Töpfer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Hierzulande hat das Bundeskriminalamt über eine Million DNA-Profile in einer Datenbank gespeichert. Doch eine ähnliche Bewegung, wie sie gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung entstand, ist gegen diese DNA-Datenbanken nicht in Sicht.

In den achtziger Jahren existierte noch eine gentechnikkritische Bewegung, die sich bereits über DNA-Tests Gedanken machte, bevor diese technisch ausgereift waren. Sie war vor allem in feministischen Kreisen beheimatet und bestand überwiegend aus Wissenschaftlerinnen und Medizinerinnen. Das »Gen-ethische Netzwerk« steht in dieser Tradition. Wenn man sich fragt, warum die DNA-Sammelwut mittlerweile kaum noch hinterfragt wird, muss man auf die Akzeptanz von Gentechnik zu sprechen kommen, die in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Immer häu-figer wird ihr zugetraut, dass sie gesellschaftliche Probleme lösen kann. Deshalb kann sich eine Propaganda Gehör verschaffen, die DNA-Tests als Waffe gegen Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord anpreist. In den USA kooperiert die Firma »Gordon Thomas Honeywell Governmental Affairs« bei ihrer Lobbyarbeit für die DNA-Industrie mit Opfern von schweren Verbrechen. Zu den Sponsoren des Lobbyunternehmens gehört die Firma »Life Technologies«, die ein führender Anbieter ist. Erfolgreich kann Lobbyarbeit jedoch nur sein, wenn es in Teilen der Gesellschaft Denkmuster gibt, an die sie anknüpfen kann. Dazu zählt der Wunsch, Verhaltensweisen, die als gesellschaftlich störend empfunden werden, mit moderner Technologie zu bekämpfen oder einzuschränken. Diese Vorstellung, die der wissenschaftlichen und technischen Revolution vorausging, wurde populärer, als sich mit der Entwicklung der Gentechnologie die wissenschaftlichen Möglichkeiten boten, solche Dystopien Wirklichkeit werden zu lassen.

Wenn, wie das »Gen-ethische Netzwerk« beklagt, DNA-Analysen in der Bundesrepublik längst nicht nur bei Schwerverbrechen, sondern in hohem Maß auch bei Kleinkriminalität wie Diebstahlsdelikten angewendet werden, dürfte dieses Vorgehen bei dem Teil der Bevölkerung, der sich eine wissenschaftliche Bekämpfung gesellschaftlicher Probleme wünscht, wohl kaum auf Ablehnung stoßen. Eine kritischere Haltung zur DNA-Datensammelwut setzt eine Problematisierung solcher Vorstellungen voraus. Wenn Schultz und Wangenmann feststellen, dass die DNA von Unterprivilegierten und Angehörigen rassistisch diskriminierter Gruppen überdurchschnittlich häufig erfasst wird, korrespondiert das mit einer weitverbreiteten sozialchauvinistischen Haltung, die diese Gruppen schnell in die Nähe von Kriminalität rückt. Hier ist wahrscheinlich der Grund zu suchen, warum die DNA-Sammelwut auch bei Überwachungskritikern kaum Thema ist. Dabei resultiert daraus eine diskriminierende Strafverfolgungspraxis.

http://jungle-world.com/artikel/2015/01/51164.html

Peter Nowak

Peter Nowak

Die Schmuddelkinder der gegenwärtigen Überwachungsdebatte

Die Suche nach revolutionären Zellen

Immer häufiger werden Linke zur Abgabe einer DNA-Probe für polizeiliche Ermittlungen aufgefordert. Wer nicht freiwillig zum Speicheltest antritt, muss mit einer DNA-Entnahme unter Zwang rechnen.

»Unsere DNA könnt ihr uns nehmen, unseren Willen brecht ihr nicht!« So lautete das trotzige Motto, das bei einer kleinen Kundgebung, die Mitte Januar in Berlin stattfand, auf einem großen Transparent zu lesen war. Zuvor waren zwei linke Aktivisten von der Polizei zu einer DNA-Entnahme gezwungen worden. Auch in Stuttgart fand unter Zwang eine DNA-Entnahme statt. Die Betroffenen werden beschuldigt, an der Herstellung der Zeitschrift Radikal beteiligt gewesen zu sein und die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) unterstützt zu haben. Bundesweit ermittelt die Bundesanwaltschaft (BAW) in diesem Zusammenhang gegen neun Personen. Sie wurden von den Ermittlungsbehörden schriftlich aufgefordert, freiwillig eine DNA-Probe abzugeben, was diese jedoch ablehnten. In der kommenden Zeit muss daher mit weiteren Zwangsvorführungen zur Speichelabgabe gerechnet werden.

Das Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen« möchte diese Vorfälle dazu nutzen, größeren gesellschaftlichen Widerstand gegen die DNA-Entnahme zu organisieren. Der Zeitpunkt scheint günstig gewählt, schließlich müssen sich derzeit auch Umweltschützer und Antimilitaristen mit der DNA-Entnahme beschäftigten, die als Ermittlungsmethode gegen sie eingesetzt wird.

Am 21. Januar sollte sich beispielsweise ein Antimilitarist aus Stendal im Polizeirevier von Salz­wedel zur Speichelentnahme einfinden. Gegen ihn wird wegen »Sabotage gegen Wehrmittel« im Rahmen des antimilitaristischen Camps ermittelt, das im September 2012 in der Altmark aus Protest gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) und den Bau der militärischen Übungsstadt Schnöggersburg auf dem Gelände des GÜZ stattfand. Der Antimilitarist lehnte die Abgabe einer DNA-Probe ab und rechnet nun mit einer baldigen Zwangsvorführung. Auf einem bundesweit verbreiteten Plakat, das zwei zerbrochene Wattestäbchen zeigt, wird unter dem Motto »DNA-Sammelwahn – das könnt ihr knicken« zum Widerstand gegen diese Ermittlungsmethode aufgerufen.

Die Expansion der DNA-Datenbanken kommt keineswegs überraschend, wurde aber von einem großen Teil der außerparlamentarischen Linken lange Zeit ignoriert. Während sich seit Jahren eine große Protestbewegung gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland engagiert, beschränkte sich das Interesse an der Datenentnahme per Wattestäbchen bisher auf einen kleinen Kreis von Experten.

Feministische Gruppen beschäftigen sich seit den frühen achtziger Jahren mit der Gen- und Reproduktionstechnologie, dabei kritisierten sie auch immer wieder die DNA-Untersuchungsmethoden. In dieser Tradition steht auch das »Gen-ethische Netzwerk« (GEN), das 2011 eine Kampagne unter dem Motto »DNA-Sammelwut stoppen« initiierte. In einem offenen Brief beschrieb Susanne Schultz vom GEN damals die Dimension, die bei der Sammlung von DNA-Proben als Bestandteil polizeilicher Ermittlungen mittlerweile erreicht worden ist: »Seit ihrer Einrichtung 1998 wächst die DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt (BKA) beständig. Derzeit umfasst sie bereits 921 657 DNA-Profile – davon fast 730 000 Personendatensätze, der Rest sind Spurendatensätze (Stand: Juni 2011).«

Schultz widmete sich in ihrem Brief auch dem beliebten Argument, diese Untersuchungsmethode diene in erster Linie der Bekämpfung von Schwerstkriminalität. »Längst geht es nicht mehr nur um Kapitalverbrechen wie Mord oder Vergewaltigung. DNA-Proben werden bei jeder sich bietenden Gelegenheit entnommen. Jeden Monat kommen über 8 000 DNA-Profile neu hinzu.«

Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) werden bei dieser Praxis sehr großzügig ausgelegt. Das BVerfG hatte in Urteilen von 2000 und 2009 entschieden, dass eine DNA-Untersuchung nur erfolgen darf, wenn prognostiziert werden kann, dass gegen die Betroffenen weiterhin Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Diese juristische Bestimmung hat sich in der polizeilichen Praxis als probates Mittel zur Legitimation erwiesen. Mittlerweile haben Aktivisten aus den unterschiedlichsten politischen Gruppierungen Post erhalten, mit der sie zur DNA-Abgabe aufgefordert wurden.

Da sich derzeit mehr Menschen aus persönlicher Betroffenheit für die DNA-Untersuchungen interessieren, könnte auch ins Blickfeld des öffentlichen Interesses geraten, worauf das GEN bereits vor drei Jahren hingewiesen hat, nämlich dass im Jahr 2014 der Abgleich der DNA-Daten mit »sicheren Drittstaaten« wie den USA und der Aufbau einer transatlantischen Kartei von »travelling violent offenders« geplant ist. Dazu sollen gewalttätige Fußballfans ebenso zählen wie politische Aktivisten.

Im Rahmen der Kampagne »DNA-Sammelwut stoppen« wurden Aufrufe und öffentliche Briefe verfasst und Seminare zum Thema angeboten. Mit dem überlebensgroßen Wattestäbchen »Willi Watte« wurde auf Demonstrationen und Kundgebungen bundesweit um Aufmerksamkeit geworben. Mit einer Kundgebung vor der Europäischen Kommission am 26. August 2011 machte das Bündnis darauf aufmerksam, dass an diesem Tag die Vernetzung aller DNA-Datenbanken in Europa technisch abgeschlossen wurde.

Auf der Homepage der Kampagne »Finger weg von meiner DNA« findet man zwar immer noch viele wichtige Dokumente über die DNA-Datenprofile und die Geschichte des internationalen Protests gegen DNA-Datenbanken, Informationen über die derzeitige Debatte erhält man dort allerdings nicht. Die Homepage der Kampagne wird seit 2012 nicht mehr betreut. »Wir hätten gerne weitergemacht, aber die Bewegungsstiftung, die unsere Arbeit finanzierte, hat uns signalisiert, dass andere Themen wichtiger sind«, sagt Alexander Schwerin vom GEN im Gespräch mit der Jungle World. Vor allem die außerparlamentarische Linke habe das Thema vor drei Jahren noch weitgehend ignoriert. Dagegen haben bürgerrecht­liche Gruppen schon lange vor Grundrechtseinschränkungen mittels Wattestäbchen gewarnt.

»Seit die DNA-Analyse möglich und relativ einfach handhabbar ist – gerade steht wieder eine Beschleunigung der Analysezeiten an –, ist ihre Anwendung umstritten. Je mehr der Staat und seine Organe über die Bürger und Bürgerinnen wissen, umso besser können sie jederzeit eine ›Tat‹ verfolgen. Umso größer ist zugleich die Macht des Staates«, sagte die Soziologin Elke Steven vom Komitee für Grundrechte.

Die jahrelange Vorarbeit könnte für den Protest, der sich derzeit gegen die DNA-Untersuchungen formiert, von Vorteil sein. Das GEN möchte in den kommenden Monaten eine Broschüre zur Geschichte der DNA-Datenbanken und zum Widerstand dagegen herausgegeben. Jüngere Aktivisten müssen mit der Recherche also nicht ganz von vorne anfangen, leider wurden die gründlichen Vorarbeiten, die oft von feministischen Gruppen zur Bedeutung der DNA-Analyse geleistet wurden, allzu lange ignoriert.

http://jungle-world.com/artikel/2014/06/49278.html

Peter Nowak

„Die beste DNA ist die, die nicht abgegeben wurde“

Kampagne „Wider die DNA-Sammelwut“ fordert strengere Kontrollen und Einschränkungen der Datenbanken und langfristig deren Auflösung 

Am Montag startet das Gen-ethische Netzwerk mit weiteren Organisationen eine Kampagne „Wider die DNA-Sammelwut“. In einem Offenen Brief werden noch einmal die Gründe aufgezählt, die aus Sicht der Kritiker schwerer wiegen als einige medial herausgestellte Kriminalfälle, die mittels DNA-Tests aufgeklärt worden sind .

 „Längst geht es nicht mehr nur um Kapitalverbrechen wie Mord oder Vergewaltigung – wenn das jemals die alleinige Zielsetzung der polizeilichen Erfassung biologischer Merkmale gewesen ist. DNA-Proben werden bei jeder sich bietenden Gelegenheit entnommen, etwa bei Wohnungseinbrüchen, Diebstählen oder sogar Fällen von Beleidigung, und oft auch im Rahmen von Massengentests“, monieren die Kritiker in dem Offenen Brief.

„Wir sehen hier die Tendenz der Etablierung eines präventiven Überwachungsstaates, in dem jeder, gegen den ermittelt wurde, mittels biologischer Spuren überwacht werden soll“, erklärt die Mitarbeiterin des Gen-ethische Netzwerkes Susanne Schultz gegenüber Telepolis. Das Fernziel der Kampagne ist die Auflösung aller Datenbanken. Als kurz- und mittelfristige Ziele werden eine unabhängige, regelmäßige Kontrolle der Datenbanken, eine Revision des umstrittenen Gesetzes von 2005, das zu einer drastischen Expansion der DNA-Datenbank beim BKA geführt hat, ein Verbot mittels DNA-Tests Verwandtschaftsbeziehungen und persönliche Eigenschaften zu ermitteln und ein Ausstieg aus dem globalen Datenaustausch gefordert.

Die letzte Forderung bezieht sich auf den sogenannten Prozess von Prüm, nach den alle europäischen DNA-Datenbanken bis zum 26. August vernetzt werden sollen. Susanne SchuItz weist darauf hin, dass in einigen Ländern die rechtlichen Bedingungen bei der DNA-Entnahme noch schlechter als in Deutschland sind. So stellte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EuGH) fest, dass die britische Polizei mit ihrer DNA-Datenbank das Grundrecht auf Datenschutz sehr weitgehend verletzt hat. Dort wurden sogar bei einer Festnahme ohne Ermittlungsverfahren und bei jedem Bagatelldelikt auch die Daten von Kindern auf Dauer gespeichert.

Das Thema DNA-Datenschutz ist nach Ansicht von Schultz auch in zivilgesellschaftlichen Organisationen noch längst nicht so präsent, wie beispielsweise der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung. Das liegt sicherlich auch daran, dass ein selbstorganisierter Datenschutz fast unmöglich ist. Man kann schließlich seine DNA nicht zu Hause lassen wie ein Handy und das DNA-Profil kann auch nicht verschlüsselt werden. Allerdings wird noch immer zu wenig beachtet, dass eine DNA-Entnahme nur mit einer richterlichen Anordnung erfolgen darf. Obwohl juristische Klagen zur Löschung einer unrechtmäßig entnommen DNA führen können, plädiert Schultz für vorausschauenden Datenschutz: „Die beste DNA ist die, die nicht abgegeben wurde.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149883 

Peter Nowak