Ein Ort des Schreckens

NS-GESCHICHTE Ausstellung in der Charité zeigt die Arbeit im Krankenrevier des KZ Ravensbrück

Jeder Mensch denkt bei dem Wort ‚Krankenrevier‘ an lange, stille Gänge, weiße Betten, tüchtige Schwestern. Für die Häftlinge des KZ Ravensbrück war das Revier wie jeder Winkel des Lagers ein Ort der Angst und des Schreckens“, schrieb die langjährige politische Gefangene Erika Buchmann in dem Standardwerk „Die Frauen von Ravensbrück“. 120.000 Frauen aus 30 Ländern waren zur Zeit des Nationalsozialismus von der SS in das 80 Kilometer nördlich von Berlin gelegene Konzentrationslager gepfercht worden. Einer kleinen Ausstellung über die Arbeit im Krankenrevier des KZ Ravensbrück, die im Campus der Charité gezeigt wird, gelingt es, etwas von dem Schrecken zu vermitteln.,Zahlreiche Fotos, Zeichnungen und Schriftzeugnisse ehemaliger Revierarbeiterinnen und ihrer Patientinnen geben einen Eindruck von den Ängsten der Häftlinge, aber auch der Solidarität unter ihnen. „Zunächst wurden im Krankenrevier hauptsächlich die Folgen von Arbeitsunfällen und isshandlungen notdürftig behandelt. Mit der zunehmenden Überfüllung nach Kriegsbeginn breiten sich Seuchen und andere Krankheiten aus, für deren Behandlung die SS nie ausreichend Medikamente zur Verfügung stellte“, schreibt die Historikerin Christl Wickert, die die Ausstellung zusammen mit Ramona Saavedra Santis kuratierte. Auf einem Foto ist der entstellte Fuß einer Frau zu sehen, der von SS-ÄrztInnen Krankheitskeime injiziert wurden. Viele Gefangene überlebtensolche Versuche nicht oder trugen lebenslange gesundheitliche Schäden davonMehrere Tafeln widmen sich der juristischen Aufarbeitung dieser medizinischen Verbrechen nach dem Krieg. Auch medizinische Helferinnen unter den Häftlingen wurden beschuldigt, der SS geholfen zu haben. „Es waren alles Spritzen zu Heilzwecken“, rechtfertigte sich die Schweizerin Anne Spoerry 1949, als man ihr vorwarf, sie sei durch ihre Tätigkeit für den Tod von Häftlingen mitverantwortlich. Die Ausstellung ist Teil des

Projekts „Wissenschaft in Verantwortung – GeDenkOrt Charité“ und leistet damit auch ei-nen Beitrag zur  eschichtsaufarbeitung. „Auch Ärzte der Berliner Universitätsmedizin waren in der Zeit des Nationalsozialismusan Medizinverbrechen im Konzentrationslager Ravensbrück beteiligt“, heißt es seitens der Charité. Die Schau ist als Wanderausstellung konzipiert und kann verliehen werden.

Peter Nowak

Taz vom 3.8.2016
■■Die Ausstellung „… unmöglich, diesen Schrecken aufzuhalten“ ist bis 31. August im Charité-CrossOver, Campus Charité Mitte, Charitéplatz 1 zu sehen. Mo.–Fr. 7–20 Uhr, Eintritt frei


Den Opfern ein Gesicht

Die Planungen für einen Gedenkort an die Euthanasiemorde in der NS-Zeit treten in eine neue Etappe

Am Sonntag konnten Besucher das letzte Mal die Entwürfe für ein Denkmal für die sogenannten T 4-Morde in der Berliner Topographie des Terrors besichtigen. Nächstes Jahr sollen die Bauarbeiten beginnen. Betroffenenorganisationen kritisieren das Vorhaben als »Pro-Forma-Gedenken zum Billigtarif«.

»Ich vergehe vor Not, muss ich Euch schreiben. Jetzt, wo meine Männer fort sind, muss ich hier sitzen und kann nichts tun«. Diese Zeilen schrieb ein Schuhmachermeister am 3. September 1939 aus der PsyPsychiatrieanstalt Grafeneck an seine Angehörigen. Er war von den nationalsozialistischen Behörden als geisteskrank verhaftet worden und hat die Anstalt nicht mehr lebend verlassen. Wie er sind viele Patienten im Nationalsozialismus ermordet worden. Für sie soll nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom November 2011 ein Gedenk- und Erinnerungsort geschaffen werden. Noch bis zum 16. Dezember können die Entwürfe für den geplanten Gedenk- und Informationsort Tiergartenstraße 4 in einer Sonderausstellung in Berliner Topographie des Terrors begutachtet werden.
Ein großer Teil der Entwürfe befasst sich mit der im Krieg zerstörten Villa in der Tiergartenstraße 4, in der die Mordaktion geplant wurde. Sie wird auchT4-Morde genannt. Dass sich der Begriff durchsetzte, ist auch ein Erfolg von Betroffenengruppen, die sich seit langem gegen den verharmlosenden Begriff Euthanasiemorde wehrten. Denn Euthanasie heißt wörtlich übersetzt „schöner Tod“. Dabei wurden die als geisteskrank stigmatisierten Menschen grausam ermordet, vergast, vergiftet oder erhängt. In verschiedenen ausgestellten Erinnerungsmodellen sollen neben dem Täterort, die Opfer ein Gesicht bekommen. So steht beim als Siegerentwurf prämierten Modell eine blaue, halbdurchsichtige Spiegelwand im Mittelpunkt. Damit greifen die Preisträger Elemente des Andernacher Spiegelcontainers auf, der von dem Künstler Paul Patze gemeinsam mit Schülern 1996 entworfen wurde und an Opfer der T4-Morde erinnern, die nach einem Zwischenaufenthalt in Andernach in Hadamar vergast wurden. Eine Gedenkplatte, die bereits am Täterort eingelassen ist, soll in das mit dem ersten Preis prämierten Modell integriert werden. Dort heißt es schlicht aber aussagekräftig: „Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter“. Tatsächlich sind in beiden Teilen Deutschlands nicht nur die meisten an den T4-Morden beteiligten Ärzte sowie das Klinikpersonal nicht bestraft worden. Viele haben ihre Karriere oft bruchlos fortgesetzt.
Entwürfe, die solche Zusammenhänge deutlicher thematisierten und auch an die Diskriminierung von Psychiatriepatienten bis in die Gegenwart ansprechen, kamen nicht in die engere Auswahl. So sollen in einem Modell 6 Stelen aus dem Holocaust-Denkmal verwendet werden, um an die 6 Orte zu erinnern, an denen die T4-Morde in Deutschland durchgeführt werden. Damit würde auch der von Historikern nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Vernichtung der als geisteskrank erklärten Menschen und der Shoah hergestellt. Auch Rene Talbot von der Gruppe Irrenoffensive erinnert daran, dass viele der in die T4-Mordaktionen involvierten Täter auch an der Vernichtung der europäischen Juden beteiligt waren. Verbände der Psychiatrieerfahrenen kritisieren die aktuelle Denkmalauslobung als „Proforma-Gedenken zum Billigtarif“. Damit monierten sie die begrenzten finanziellen Mittel und den engen vorgegebenen Rahmen für den Erinnerungsort, der auch von einigen an der Ausstellung beteiligten Künstler in den Begleittexten kritisch angesprochen wird. 500000 Euro stellte der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für den Gedenkort zur Verfügung. Mit dem Bau soll im nächsten Jahr begonnen werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/807524.den-opfern-ein-gesicht.html
Peter Nowak

Bedroht in Hoyerswerda

Antifa-Gruppen fordern Gedenkort und Entschädigung für Naziopfer von 1991
Am Wochenende wollen Antifa-Gruppen in Hoyerswerda an die rassistischen Ausschreitungen von 1991 erinnern. Diese bildeten den Auftakt einer Serie von Angriffen auf Ausländer in Deutschland nach der Vereinigung.

Der Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Rostock hat vor einigen Wochen für große Aktivitäten gesorgt, nicht nur seitens der antifaschistischen Bewegung, sondern auch der offiziellen Politik. Wenn für Sonnabend zwei linke Bündnisse zu einer Demonstration nach Hoyerswerda mobilisieren, wird die Teilnehmerzahl hingegen wohl im dreistelligen Bereich bleiben. Dabei war die sächsische Stadt der erste Ort in Deutschland, wo nach der Vereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Unter dem Beifall Hunderter Schaulustiger griffen Neonazis im September 1991 ein Wohnheim von Vertragsarbeitern aus Vietnam und Mosambique an. Die Opfer wurden schließlich unter Polizeibegleitung in Bussen aus der Stadt gebracht.

Allerdings nicht in Sicherheit. »Viele mussten die Nacht in den Bussen verbringen und sind sofort abgeschoben worden«, erinnert sich Mathias Buchner an die unwürdige Behandlung der Opfer rechter Gewalt. Er ist Sprecher des Bündnisses »Pogrom 91«, in dem sich linke Aktivisten aus der Region zusammengeschlossen haben. Den Begriff rassistisches Pogrom haben sie bewusst gewählt, weil bei den Angriffen Tote bewusst in Kauf genommen worden seien, begründet Buchner die Wortwahl, die in Hoyerswerda nicht nur beim CDU-Bürgermeister, sondern auch bei Stadträten der LINKEN auf Ablehnung stieß. Die Demonstration am Sonnabend wird allerdings von LINKE-Politikern unterstützt, darunter die antifaschistische Sprecherin der Landtagsfraktion, Kerstin Köditz und die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Auch die Linksjugend Solid mobilisiert zur Demo und versuchte Unterstützung in Hoyerswerda zu finden. Dabei wurden Solid-Aktivisten an ihrem Infostand auf dem Marktplatz von Neonazis bedroht. Anschließend versammelten sich die Rechten vor dem Büro der Partei, wo die Jugendorganisation eine Veranstaltung geplant hatte. Auf Anraten der Polizei musste sie vorzeitig abgebrochen werden, was nach Augenzeugenberichten von der mit Reichskriegsflagge aufmarschierten Neonazigruppe mit Applaus und den Rufen »Hoyerswerda bleibt braun« quittiert wurde. Bereits im vergangenen Jahr waren Opfer der Ausschreitungen von 1991, die zum 20. Jahrestag nach Hoyerswerda gekommen waren, von Neonazis erneut angegriffen worden. Dies sei auch ein Grund gewesen, in diesem Jahr wieder bundesweit nach Hoyerswerda zu mobilisieren, erklärt Martin Peters vom Bündnis »Rassismus tötet« gegenüber »nd«.

Die Initiativen fordern einen angemessenen Gedenkort und eine Entschädigung der Opfer. Die Stele, die im vergangenen Jahr aufgestellt wurde, erfüllt diesen Anspruch nicht. Sie spricht ganz allgemein von »extremistischen Ausschreitungen«. »Von Rassismus ist dort ebenso wenig die Rede, wie von der Unterstützung durch große Teile der Bevölkerung«, kritisieren die Antifagruppen. Eine Woche nach der Demonstration wird es im Rahmen der Interkulturellen Woche in der Kulturfabrik Hoyerswerda eine Veranstaltung mit den Herausgebern der Anthologie »Kaltland« geben, die das rassistische Pogrom thematisiert.

Demo, 22. September, 14 Uhr, Bahnhof Hoyerswerda

http://www.neues-deutschland.de/artikel/239012.bedroht-in-hoyerswerda.html
Peter Nowak

Missbraucht, schwanger – und als „asozial“ stigmatisiert

ERINNERUNG Bündnis fordert Gedenken an Naziopfer, die in Rummelsburg inhaftiert waren

Viel ist über das Leben von Erna K. nicht bekannt. Die aus armen Verhältnissen stammende Frau arbeitete als Haushaltshilfe und wurde während der Naziherrschaft im Alter von 17 Jahren von ihrem Arbeitgeber missbraucht. Sie wurde schwanger und war als „asozial“ stigmatisiert zwischen 1941 und 1944 im Arbeitshaus Rummelsburg inhaftiert. 1944 wurde sie zwangssterilisiert.

Aktion der Gestapo

Die Historikerin Susanne Doetz stieß bei ihren Forschungen zur Geschichte der Zwangssterilisierung auf die Daten von Erna K. Die junge Frau war eine von Tausenden, die im Arbeitshaus Rummelsburg litten, weil sie als „asozial“ galten. Am 13. Juni 1938 verhaftete die Gestapo im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu“ tausende Menschen, die sich nicht in die NS-Volksgemeinschaft einfügen konnten oder wollten.

Am vergangenen Samstag organisierte der „AK Marginalisierte gestern und heute“ vor dem ehemaligen Rummelsburger Arbeitshaus eine Gedenkaktion, auf der auch die Historikerin Susanne Doetz sprach. Auf Transparenten, die an dem Gebäude befestigt waren, wurden außerdem aktuelle Forderungen formuliert: „Arbeitshäuser Rummelsburg – für einen würdigen Gedenkort“, hieß es dort.

Dieses Anliegen ist dem Bündnis sehr dringlich – denn das Rummelsburger Areal ist zum Filetstück der Immobilienbranche geworden. Zudem fürchtet die Initiative, dass sich die vom Bezirk Lichtenberg ernannte Expertenkommission, die ein Konzept für einen Gedenkort erarbeiten sollen, vor allem auf die DDR-Zeit konzentriert, in der das ehemalige Arbeitshaus als Gefängnis diente. Der Historiker Thomas Irmer, der sich seit Jahren mit der Geschichte der Berliner Arbeitshäuser befasst, bekräftigte vor Ort die Forderung der Initiative. „Hier ist der authentische Gedenkort für die Erinnerung der als ,asozial‘ verfolgten Menschen“, sagte Irmer. „Sie dürfen nicht wieder an den Rand gedrängt werden.“

Georgel Caldararu von der Romaselbsthilfeorganisation Amaro Drom wies in seiner Ansprache darauf hin, dass in vielen Ländern Europas Roma und Sinti noch immer als „asozial“ stigmatisiert werden.

Tödliche Folgen

Für Dieter Eich hatte die Stigmatisierung als „asozial“ erst vor wenigen Jahren tödliche Folgen. Er war im Mai 2000 in Buch von Neonazis ermordet worden, die hinterher damit prahlten „einen Assi geklatscht“ zu haben. Die Initiative „Niemand ist vergessen“ sammelt Spenden für einen Gedenkstein für dieses Opfer der Stigmatisierung sogenannter Asozialer.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F06%2F12%2Fa0154&cHash=2dfe73ff50
Peter Nowak

Kein Mensch ist asozial

Ein Bündnis kämpft für einen Gedenkort auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Arbeitshauses in Rummelsburg.
An der Rummelsburger Bucht im Berliner Stadtteil Lichtenberg hat in den vergangenen Jahren ein Bauboom eingesetzt. Man muss schon lange suchen, um in der Gegend noch Hinweise auf Berlins größtes ehemaliges Arbeitshaus zu entdecken, das dort 1879 in der Hauptstraße 8 eingeweiht wurde. Auf einer Tafel des ehemaligen Expo-Projekts Rummelsburg ist lediglich zu lesen: »Das Arbeitshaus und das Waisenhaus waren Sozialbauten, die vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Hauptstadt und ihrer sozialen Probleme entstanden.« Die vielen Menschen, die dort, als asozial und arbeitsscheu stigmatisiert, zwangseingewiesen wurden, werden nicht erwähnt. Dabei war für sie das Arbeitshaus oft ein Ort des Schreckens, wie der Berliner Historiker Thomas Irmer betont. Die sechs dreistöckige Gebäude umfassende Anlage war für mehr als 1 000 Insassen beiderlei Geschlechts vorgesehen. Dazu gehörten Personen, die nach einer Strafverbüßung eingewiesen wurden, aber auch Obdachlose, Bettler, Prostituierte und Pflegebedürftige, die kein Hospital aufnahm.
 
1933 sorgten Razzien und Verhaftungswellen dafür, dass das Arbeitshaus bald überbelegt war. Arrestzellen für Homosexuelle und »psychisch Abwegige«, ein »Bewahrungshaus« für »Asoziale« und eine »Sonderabteilung« für Juden wurden eingerichtet. Nach einem Erlass des Reichsinnenministeriums von 1937 wurden die Insassen aus Rummelsburg, soweit sie für den »Zwangs­arbeitsein­satz« ungeeignet waren, in Konzentrationslager überführt. Wie viele Menschen davon betroffen waren, ist ebenso wenig bekannt wie deren Namen und ihr weiteres Schicksal. Der Arbeitskreis »Marginalisierte gestern und heute«, in dem Erwerbslosen- und Antifagruppen sowie soziale Initiativen zusammenarbeiten, hat in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Veranstaltungen sowie einem Buch und einem Film an die Geschichte des Arbeitshauses erinnert.
 
Der AK fordert eine intensivere Forschung und einen eigenen Gedenkort für die als asozial Stigmatisierten auf dem Gelände. Am 24. Juni konnte er nun einen ersten Erfolg verbuchen. Die Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg verfügte einen vorläufigen Baustopp für ein Grundstück, auf dem der Friedhof des Arbeitshauses lag, um dort Ausgrabungen durchführen zu können.

In den vergangenen Wochen hatte der AK mit einer symbolischen Besetzung und einer Open-Air-Filmnacht gegen die Privatisierung des Grundstücks protestiert. »Es ist der letzte freie Ort, an dem ein würdiger Erinnerungsort für die Opfer der Stigmatisierung als Asoziale und Arbeitsscheue errichtet werden kann«, erklärte Lothar Eberhardt von der Gedenkinitiative. Doch um das zu erreichen, werden die Aktivisten wohl noch mehr Druck ausüben müssen als bisher. Denn die Parteien in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg haben dem Baustopp aus teils fragwürdigen Gründen zugestimmt.
 
Die CDU interessiert sich vor allem für die Zeit von 1950 bis 1990, als das Gebäude in der DDR als Untersuchungsgefängnis genutzt wurde. »Die Singularität der Naziverbrechen darf nicht aufgeweicht werden«, bekräftigt demgegenüber Dirk Stegemann vom AK. Die Initiative fordert einen Gedenkort für die als asozial Stigmatisierten sowie die sowjetischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die tagsüber in Fabriken in Lichtenberg und Oberschöneweide schuften mussten und nachts auf dem Gelände unter erbärmlichen Bedingungen untergebracht waren. Die Existenz dieses Zwangsarbeiterlagers ist erst vor kurzem bekannt geworden. Lothar Eberhardt erinnert überdies daran, dass die Geschichte der Verfolgung sogenannter Asozialer lange vor 1933 begann und 1945 nicht beendet war. Sie erhielten im Nachkriegsdeutschland keine Entschädigung. Unter den Opfern der Neonaziangriffe der vergangenen Jahre waren auch Erwerbslose wie der im Jahr 2000 in Berlin-Buch ermordete Dieter Eich. An sie soll nach dem Willen des Arbeitskreises am Ort des ehemaligen Arbeitshauses ebenfalls erinnert werden.

http://jungle-world.com/artikel/2011/26/43491.html

Peter Nowak

Erinnern an die Tempelhofer Unfreiheit

GESCHICHTE Auf dem Tempelhofer Feld soll ein Gedenkort für Nazi-Opfer eingerichtet werden – irgendwann. Initiative begrüßt Beschluss des Abgeordnetenhauses und kritisiert unklare Finanzierung
Auf dem Tempelhofer Feld soll ein Informations- und Gedenkort für die Opfer des NS-Terrors eingerichtet werden. Das hat das Abgeordnetenhaus in der vergangenen Woche auf Antrag von SPD- und Linksfraktion beschlossen. Während der Flughafen mit den Rosinenbombern während der Berlin-Blockade verbunden wird, wurde lange verdrängt, wie eng das Areal mit der Terrorpolitik der Nazis verbunden war.

Die SS hatte im Juni 1933 auf dem Tempelhofer Feld Berlins erstes Konzentrationslager errichtet, das als „Hölle am Columbiadamm“ berüchtigt war. Ab 1938 schufteten Tausende Zwangsarbeiter auf dem Flughafengelände für die Rüstung, darunter auch 500 Juden, die 1941 in Auschwitz ermordet wurden.

Als am 8. Mai 2010 das Areal für die Bevölkerung geöffnet wurde, musste eine Initiative gegen Behinderungen durch die Anmeldungsbehörde und das Desinteresse vieler BesucherInnen kämpfen, als sie an die KZ-InsassInnen und ZwangsarbeiterInnen erinnern wollten. Gegenüber der taz bezeichnet Beate Winzer, die Vorsitzende des „Fördervereins für ein Gedenken an die Naziverbrechen in und um das Tempelhofer Feld e. V.“, den Beschluss des Abgeordnetenhauses als einen „ersten Schritt“, der Konsequenzen haben müsse. So müsse der Senat die Bebauungspläne für das Gelände ändern und Grünflächen für einen Gedenkort ausweisen. Zudem sei die finanzielle Ausstattung noch nicht geklärt. Auch in der Benennung des Areals erkennt Winzer mangelnde Sensibilität für den historischen Ort. „Es ist eine Frechheit gegenüber den Menschen, die hier gelitten haben, wenn noch immer von der ,Tempelhofer Freiheit‘ gesprochen wird.“

In der Auszeichnung des Flughafens Tempelhof als „Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“ durch die Bundesingenieurkammer sieht Winzer eine Entpolitisierung der Geschichte. Damit werde unterschlagen, dass die Ingenieure für die Rüstung geforscht haben. Über die Zwangsarbeit in der Rüstungsforschung wird der Historiker Thomas Irmer am 29. Juni um 18 Uhr in der Mediengalerie in der Dudenstraße 10 referieren. Dort ist noch bis zum 1. Juli die Ausstellung „Das KZ Columbiahaus und Zwangsarbeit am Flughafen Tempelhof“ zu sehen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F06%2F29%2Fa0173&cHash=c88ac2719c

Peter Nowak

Townhouses bedrohen Erinnerungsort

LICHTENBERG Am einstigen „Arbeitshaus“ Rummelsburg wird der Opfer einer NS-Aktion gedacht. Der Erhalt des Ortes ist gefährdet

„Arbeitsscheu Reich“ – so hieß eine Maßnahme, mit der am 13. Juni 1938 in Deutschland tausende als „asozial“ stigmatisierte Menschen in sogenannte Arbeitshäuser und KZs verschleppt wurden. In Berlin führte ihr Weg unter anderem ins „Arbeitshaus“ Rummelsburg. Dort erinnert am Sonntag der „AK Marginalisierte – gestern und heute“ mit einer Gedenkveranstaltung an die Opfer der NS-Aktion.

Die Veranstaltung, auf der unter anderem die Historiker Thomas Irmer und Jens Dobler sowie die Zeitzeugin Ilse Heinrich sprechen werden, hat einen ganz aktuellen Anlass: Es geht um den Erhalt des historischen Gedenkorts. Der „AK Marginalisierte“ hatte am Dienstag den Friedhof des einstigen „Arbeitshauses“ an der Rummelsburger Bucht mit Transparenten markiert, auf denen „Privatisierung stoppen – Ge-denk-mal-schutz“ stand. „Es ist der letzte freie Ort, an dem ein würdiger Erinnerungsort für die Opfer der Stigmatisierung als Asoziale und Arbeitsscheue errichtet werden kann“, so Lothar Eberhardt von der Initiative. Die AktivistInnen fürchten, dass das Areal bald den Besitzer wechselt. Ein Bieterverfahren hat bereits stattgefunden. Im Bezirksamt Lichtenberg wird über eine Änderung des Bebauungsplans diskutiert, in dem das Gelände für Gewerbebetriebe ausgeschrieben ist. InteressentInnen wollen hier „Townhouses“ bauen.

„Es gibt einen Zielkonflikt zwischen einem historischen Gedenken und einer Verwertung des Areals für die Stadtentwicklung“, meint Katrin Framke, Lichtenberger Bezirksstadträtin für Kultur. Die als Parteilose für die Linke in das Amt gewählte Gesellschaftswissenschaftlerin begrüßt die Forderung des AK Marginalisierte nach einem Erinnerungsort für die Insassen des „Arbeitshauses“ ausdrücklich. Der Senat habe es versäumt, potenziellen Investoren klare Auflagen zum historischen Gedenken zu machen, kritisiert sie. Theo Stegmann vom AK Marginalisierte ist sich mit Framke einig, dass die historische Forschung über die Geschichte des Friedhofs vorangetrieben werden muss. Eine Bebauung würde der historischen Forschung den Ort rauben, befürchtet er.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F06%2F03%2Fa0173&cHash=e36b154f6e

 PETER NOWAK