Scheppern gegen Luxusneubauten im Friedrichshainer Nordkiez

An dem kalten, dunklen Winterabend sind nur wenige Anwohner/innen im Friedrichshainer Nordkiez auf der Straße. Doch pünktlich um 19 Uhr ist Lärm zu hören. Es wird auf Töpfe und Pfannen geschlagen, man hört Pfeifen und Tröten. Auf einmal füllt sich die leere Straße und  ca.30 Menschen laufen zwischen den Baustellen an der Rigaer Straße 71-73 und dem gegenüberlegenden Grundstück der Rigaer Straße 36-39 hin- und her. Auch auf den Balkonen der umliegenden  Häuser stehen Menschen mit Lärmgeräten. Nach 10 Minuten setzt wieder Stille ein. Dieses Szenario wiederholt sich seit dem 19.Januar täglich.
„Kiezscheppern gegen die CG-Gruppe und andere Luxusinvestoren“, heißt die Aktion, mit der AnwohnerInnen ihren Protest gegen Nobelbauten im Kiez ausdrücken. Im Fokus der Kritik steht das Carre Sama-Riga, das nach Plänen der CG-Gruppe auf dem Gelände der Rigaer Straße 71 – 73  entstehen soll. In den letzten Monaten gab es verschiedene Protestaktionen von Anwohner/innen  (MieterEcho Online berichtete), die befürchten, dass mit diesen Projekt eine Entwicklung beschleunigt wird, die auch im Friedrichshainer Nordkiez schon vor Jahren begann.

Eine Lidl-Filiale muss Eigentumswohnungen und einem Hotel weichen
Auf den  letzten  Baulücken werden Wohnungen für Besserverdienende gebaut. Für einkommensschwache Menschen geht neben den Wohnungen auch die soziale Infrastruktur verloren. Das wird auf dem Gelände der Rigaer Straße 36-39 deutlich. Die dortige Lidl-Filiale musste am 31. Dezember 2016 schließen. Auch dort sollen Eigentumswohnungen und ein Hotel entstehen.  „Der Nordkiez wird für die Tourist/innen aufgewertet. Bald werden die entsprechenden Restaurants folgen“, befürchtet eine Anwohnerin, die sich an der Lärmaktion beteiligt. Auch an der Rigaer Straße 71-73 sollen die Abrissarbeiten weitergehen. Bisher gab es wegen der Räumung des Bauschutts, der denkmalgeschützten Häuser, die bereits  vor 6 Monaten abgerissen wurden, Probleme. Der Friedrichshainer Geschichtsverein Wolfgang Kohlhasse hat vehement kritisiert, wie hier der Denkmalschutz Investoreninteressen geopfert wurde. Diese Kritik hat der Vorsitzende des Geschichtsverein Wanja Abramowski in einen Stellungnahme präzisiert, die unter (http://www.friedrichshainer-geschichtsverein.de/einwand.pdf) veröffentlicht wurde. Der Text ist auch Gegenstand einer der zahlreichen Einwände, die im Rahmen des baurechtlichen Verfahrens beim Bezirksamt  Friedrichshain/Kreuzberg eingegangen sind und nun  geprüft werden. Dass damit der Bau behindert wird, glauben die meisten AnwohnerInnen nicht. Die CG-Gruppe zumindest geht davon aus, dass SPD und Grüne ihre Pläne abnicken werden. Dabei hat der neue Bezirks-Baustadtrat Florian Schmidt in einem  Interview mit dem Tagesspiegel angekündigt, er werde sich alle Bauprojekte seines Vorgängers genau ansehen. Auf eine Einwohner/innenanfrage in der BVV zu den Bauplänen auf dem Grundstück der Rigaer Straße 71-73 wollte sich Schmidt aber nicht festlegen. Er sei noch nicht lange im Amt und müsse sich erst mit der Materie vertraut machen, erklärte er. Die Anwohner/innen befürchten, dass die CG-Gruppe genau diese Zeit nutzt, um Fakten zu schaffen. Daher wollen sie mit dem Kiez-Scheppern deutlich  machen, dass die Pläne im Kiez nicht akzeptiert werden, egal wie die BVV entscheidet. „Natürlich fordern wir die Bezirksverordneten auf, Mitte März, wenn es um die Baugenehmigung geht, das Projekt zu stoppen. Doch egal wie die Abstimmung ausgeht, für uns geht der Widerstand vor Ort weiter“, erklärt eine Nachbarin, bevor sie zwei alte Pfannen schlägt.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/friedrichshainer-nordkiez.html

MieterEcho online 23.01.2017

Peter Nowak

Unter Schutz gestellt – und abgerissen

GENTRIFZIERUNG Friedrichshainer Geschichtsverein kritisiert Abriss von zwei denkmalgeschützten Häusern in der Rigaer Straße

Die Zukunft des sozial-, industrie-und baugeschichtlich interessanten Bauobjektes ist immer noch ungewiss“: So wird, ein wenig umständlich, im Programmheft des Landesdenkmalsamts (LDA) zum Tag des Offenen Denkmals eine Exkursion zu den Eckert’schen Häusern in der Rigaer Straße 71–73 beworben. Wanja Abramowski vom Friedrichshainer Geschichtsverein
Hans Kohlhase e. V. leitet die Tour – und spricht von einer bewussten Irreführung durch das Landesdenkmalamt. „Zu dieser Führung hat das Landesdenkmalamt in seinem Programmheft einen Text veröffentlicht, in dem entgegen den Tatsachen behauptet wird, die Zukunft des Denkmalobjektes sei ungewiss, obwohl es bereits vor Redaktionsschluss des Programmhefts abgerissen wurde“, kritisiert Abramowski. Tatsächlich ist von den 1875 errichteten Eckert’schen Häusern nur noch ein Trümmerhaufen zu sehen. Am 30. Juni sind die Häuser überraschend abgerissen worden. Nachdem der 2008 vom Friedrichshainer Geschichtsverein beantragte Denkmalschutz von der damals im Bezirk regierenden SPD abgelehnt wurde, hatten die Grünen die ältesten Häuser im Friedrichshainer Nordkiez vor zwei Jahren dann doch noch unter Denkmalschutz
gestellt. Für Abramowski war das aber nur ein taktisches Manöver des Bezirks im Zuge der Verhandlungen mit dem neuen Investor für das Grundstück:  Abramowski spricht von Denkmalschutz für den Abriss. Auf dem Areal plant die CGGruppe
ein Nobelobjekt, das sie als Carree Sama Riga bewirbt. In den letzten Wochen hatte die Stadtteilinitiative „Keine Rendite
mit der Miete“ mehrere Protestaktionen gegen den geplanten Neubau organisiert, durch den die AnwohnerInnen Mietsteigerungen im Kiez befürchten. Am kommenden Samstag organisieren die AnwohnerInnen ein Straßenfest in der Rigaer
Straße, auch der Widerstand gegen den Neubau soll dort thematisiert werden.

aus taz vom 12.9.2016
PETER NOWAK