Werbefreies Internet, Zensur oder Kampf gegen Google?


In Frankreich sorgt der zweitgrößte Internetprovider Free mit seinem Angebot, das standardmäßig einen Werbeblocker integriert hat, für Diskussionen

In Frankreich schien sich das neue Jahr mit einer Revolution im Internet anzukündigen. Millionen Surfer konnten die Webseiten ohne jegliche Werbung aufrufen. Der zweitgrößte Internetprovider Freebox hatte zum Jahreswechsel den Werbeblocker Adblock Plus in sein Angebot Freebox Revolution integriert. Doch schon nach wenigen Tagen war Schluss mit dem werbefreien Internet.

Die französische Ministerin für Telekommunikation Fleur Pellerin hatte Freebox die Nutzung des Werbeblockers untersagt. Der Mitgründer von Adblock Plus Till Faida gibt sich in einem Pressestatement trotz des politischen Eingriffs zufrieden:

„Der Vorstoß des Internetproviders Freebox in Frankreich zeigt, in welcher Krise sich Online-Werbung derzeit international befindet. Mittlerweile wurde Freebox zwar untersagt, diese Funktion zu nutzen; dennoch ist die Nachfrage der Verbraucher nach Werbeblocker groß.“

Die Suchanfragen nach „Adblock“ in Frankreich hätten sich nach der Bekanntgabe von Freebox mehr als verdoppelt. Circa 100.000 neue Abonnenten sollen sich in den letzten Tagen das Add-on Adblock Plus heruntergeladen haben.

Zweite Front im Kampf gegen Google?

Doch die Geschichte von der bösen Industrie, die mit Unterstützung der Politik ein werbefreies Internet verhindert, klingt zu schön, um wahr zu sein. Vor allem erklärt sie nicht, warum Freebox den Werbeblocker überhaupt integrierte, statt selber an der Werbung zu verdienen. In der FAZ beschreibt Jörg Altwegg die Maßnahme als zweite Front im Kampf gegen Google:

„Die französischen Internetprovider wollen den Suchmaschinenkonzern an den Kosten für die technische Infrastruktur beteiligen. Orange, SFR und Bouygues, die wichtigsten Anbieter, unterstützen das Anliegen. Sie investieren Milliarden in die Netze und Sendeanlagen und halten Google für einen Parasiten, der kaum Kosten hat und überall profitiert.“

Zudem hat Freebox mit seiner Maßnahme keineswegs ein webefreies Internet im Sinn und wollte Marktanteile und Sympathien erhöhen. Schließlich gehört Free gehört dem Unternehmer Xavier Niel, der mit seinen Billigangeboten für Internet und mobiles Telefonieren die Marktführer in Zugzwang brachte und die ganze Landschaft verändert hat. Er ist inzwischen auch einer der drei Eigentümer der Zeitung Le Monde.

Wer entscheidet, was akzeptable Werbung ist?

Auch der Adblock Plus steht schon länger in der Kritik. Denn ganz so konsequent sind die Verantwortlichen bei ihrem Kampf gegen die Werbung nicht. Mittlerweile haben sie den Terminus akzeptable Werbung eingeführt und meinen damit die Anzeigen, die den Programmentwicklern als akzeptabel erscheinen.

„Werbung soll nicht blinken oder Töne von sich geben, sie soll Webseiten nicht mit Scripten verstopfen und so die Ladegeschwindigkeit behindern. Am besten sind reine Textanzeigen, die den Nutzer mit Inhalten und nicht mit aufmerksamkeitsheischenden Effekten zu überzeugen versuchen“, so die Philosophie der Adblock-Entwickler

Weil auch der größte Teil der Werbeindustrie das Interesse haben dürfte, Produkte zu entwickeln, die die Interessenten nicht gleich nerven, könnten so vermeintliche Vorkämpfer für ein werbefreies Internet, die vor zwei Jahren noch heftig bekämpft wurden, zu Propagandisten einer besonders freundlichen, aber auch besonders erfolgreichen Werbung werden. Schon monieren Kritiker im Netz, dass sich Adblock von der Werbeindustrie kaufen ließ. Das dürfte allerdings ein ähnliches Märchen sein, wie die Erzählung von Freebox als Vorkämpfer für ein werbefreies Internet.


Vorreiter einer neuen Zensurmöglichkeit

Wache Beobachter fürchten noch ganz andere Folgen. Der Präzidenzfall Free Revolution hat ein Modell vorgeführt, wie ein Provider standardmäßig Zensur in sein Angebot einbauen kann, warnt das Magazin Numérama. Free habe in dieser Hinsicht großen Schaden angerichtet:

„Free hat gezeigt, dass ein Provider dazu bereit ist, Inhalte zu blockieren (vergessen wir für zwei Minuten, dass es Werbung war, es handelt sich in erster Linie um HTML-Code), ohne die Abonnenten davon in Kenntnis zu setzen, ohne ihnen zu sagen, welche Inhalte auf der Webseite, die sie aufsuchen, unterdrückt wurden.“

Mit der Aktion habe Free ein Feld für alle Lobbyisten aus allen möglichen Richtungen eröffnet, die gerne bestimmte Zugänge zu bestimmten Inhalten gesperrt hätten. Die Einrichtung einer Option, die es ermöglicht, den Blocker zu desaktivieren, macht die Angelegenheit nicht viel besser, kritiert Numérama. Um diese Wahl überhaupt zu haben, müsse man informiert sein. Noch schlimmer sei aber, dass sich die Option ‚Filter ausschalten‘ auf „perverse Weise“ gegen die Interessen der Nutzer verwenden ließe – nämlich als Information darüber, wer den Filter ausschaltet. Das kann in Frankreich rechtliche Konsequenzen haben – bei Usern, die auf Filesharer-Seiten gehen.

Das Hadopi-Gesetz schreibt vor, dass der Rechner mit einem Filter versehen sein muss, um ihn vor Missbrauch im Zusammenhang mit Verletzungen von Immaterialgüterrechten zu schützen. Ansonsten drohen dem User unter der angegebenen IP bei Verletzungen von Lizenzrechten Strafen, wenn ihm nachgewiesen wird, dass er sich der „Nachlässigkeit“ schuldig gemacht hat. Bislang war dieser Nachweis schwer zu führen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153497
Peter Nowak