Die Linke sollte über die staatlichen Maßnahmen gegen das Coronavirus kritisch diskutieren. Ein von Liberalen veröffentlichtes »Manifest für die offene Gesellschaft« hilft dabei wenig

Wir müssen reden

Nun ist bekannt, dass den liberalen Freund*innen der offenen Gesellschaft Begriffe wie Klassen oder gar Klassenkampf ein Gräuel sind. Deshalb werden sie auch nie begreifen, dass sozialer Frieden und Zusammenhalt in einer kapitalistischen Gesellschaft Ideologie sind und auf Ein- sowie Unterordnung zielen. Wenn dann in dem Manifest noch als Ziel benannt wird, man wolle sich besonnen, in Ruhe und ohne Angst über Corona und die Folgen austauschen, dann denkt man an Fernseh-Talkrunden à la Anne Will und Ähnliches.

Nach über einem Jahr Corona-Lockdown hat man gelegentlich den Eindruck, in einer Zeitschleife gefangen zu sein. So fordert das Kampagnennetzwerk Campact erneut einen harten Lockdown mit Kontakt- und Versammlungsverboten und einer nächtlichen Ausgangssperre. Wer den Nutzen solcher Maßnahmen in Zweifel zieht, dem wird von Campact-Vorstandsmitglied Felix Kolb »Körperverletzung durch Unterlassen« vorgeworfen.  Da ist wieder der autoritäre Schwenk bei großen Teilen der Linken zu spüren, der möglicherweise …

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»Campact ist so lebendig wie zuvor«

Felix Kolb über die Ermittlungen nach dem Brand im Materiallager des Netzwerks

In der Nacht zum 9. Januar brannte das Lager des Aktivistennetzwerks Campact in Verden komplett ab. Der Staatsschutz geht von Brandstiftung aus. Peter Nowak sprach über die Folgen und den Stand der Ermittlungen mit dem Campact-Vorstandsmitglied und Politikwissenschaftler Felix Kolb.

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»Vermittelbare Aktionsformen«


Die Umweltschützerin Hanna Poddig hat in einem offenen Brief die Verdener Kampagnenorganisation Campact für deren Einschätzung zum G20-Gipfel in Hamburg heftig kritisiert. Die Jungle World hat mit Felix Kolb, einem der beiden Vorsitzenden von Campact e. V., über gewaltfreie Aktionen und Militanz gesprochen.


Im Campact-Newsletter nach dem G20-Gipfel wurde die Frage gestellt, ob es angesichts der heftigen Gewalt noch richtig sei, Politik und Polizei dafür zu rügen, dass sie bereits vor den Demonstrationen das Versammlungsrecht stark einschränkten. Ist Campact für Einschränkungen des Demonstrationsrechts?

Natürlich sind wir gegen die Einschränkungen des Demonstrationsrechts. Das Versammlungsrecht ist einer der Grundpfeiler einer ­lebendigen und streitbaren Demokratie. In Hamburg wurde es massiv verletzt – etwa mit einer 38 Quadratkilometer großen Demo­verbotszone, der Untersagung der Camps und unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen. Die Politik der G20-Staaten bietet jede Menge Gründe für Kritik – und diese Kritik darf in einem Rechtsstaat nicht ausgesperrt werden. Aber der Protest muss friedlich bleiben. Wie sehr militante Aktionsformen unserem Anliegen schaden, das haben die Tage in Hamburg noch einmal gezeigt.

Warum hat sich Campact überhaupt von Aktionen distanziert, mit denen der Verein nichts zu tun hatte?
Wir haben bewusst eine Demonstration in einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis vor dem Gipfel organisiert, um Öffentlichkeit und Medien mit unserer Kritik an der Politik der G20 zu erreichen. Wir befürchteten, dass dies während der Gipfeltage nicht gelingen würde. Nach Hamburg ist es jetzt wichtig, eine Debatte über legitime und vermittelbare Aktionsformen zu führen und ­inhaltlich Position zu beziehen. Denn der politische Schaden, den die Militanz anrichtete, betrifft auch unsere Arbeit negativ.

Von Campact hieß es, in einer parlamentarischen Demokratie gebe es keine sinnvolle Militanz. Was ist mit der Gewalt des Staates?
Das Gewaltmonopol des Staates ist und bleibt ein riesiger zivilisatorischer Fortschritt. Aber natürlich braucht dieses Gewaltmonopol Kontrolle, denn es wird gelegentlich missbraucht. Das ist während der G20-Tage wiederholt vorgekommen, wie viele Berichte über brutale Übergriffe durch Polizisten dokumentiert haben. Es ist gut und richtig, dass Ermittlungsverfahren gegen tatverdächtige Polizeibeamte eröffnet wurden.

Hanna Poddig erinnert in ihrem offenen Brief daran, dass Campact beispielsweise das Zerstören von genmanipulierten Pflanzen unterstützt hat. Distanziert sich Campact nun von der eigenen Bewegungsgeschichte?
Wir haben uns an keiner Stelle von Idee und Praxis des zivilen Ungehorsams distanziert, wie sie der politische Philosoph John Rawls skizziert hat. Für Rawls basiert ziviler Ungehorsam auf der Prämisse, dass eine Gesellschaft zunächst grundsätzlich gerecht und demokratisch strukturiert ist. Wenn trotzdem staatliche Verfahren zu illegitimen Entscheidungen führen, dann kann es moralisch richtig sein, Gesetze bewusst und öffentlich zu brechen. Ein Kernprinzip ist, dass ich mich dabei gewaltfrei verhalte und zu meinem Ungehorsam stehe. Nicht jede Aktion, die für sich das Label ziviler Ungehorsam reklamiert, steht in dieser demokratischen Tradition. Wenn sich aber in diesem Sinne Tausende auf Castor-Gleise setzen oder Kohlebagger blockieren, ist das legitim und wichtig.

Ist Militanz nicht für die Durchsetzung der Anliegen von Campact von Vorteil, weil man darauf verweisen kann, was passiert, wenn die Reformvorschläge nicht umgesetzt werden?
Die in dieser Frage implizierte Strategie halte ich für völlig falsch. Militanz in einem demokratischen Staat ist in meinen Augen nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch politisch äußerst schädlich für alle progressiven Anliegen. Zunächst verdrängt Militanz die Inhalte aus der öffentlichen Debatte. Sie verschreckt das bürgerliche Milieu, das für die Realisierung progressiver Forderungen unerlässlich ist. Sie lädt die Hardliner dazu ein, weitere Gesetzesverschärfungen zu fordern, und zwingt damit die progressive Bewegung in einen Verteidigungskampf um das Demonstrationsrecht.

https://jungle.world/artikel/2017/31/vermittelbare-aktionsformen
Interview: Peter Nowak