Wie steht’s um Fair statt prekär?

 Berliner GEW verlängert Kampagne in Jugend- und Sozialarbeitsbranche / Andreas Kraft ist Betriebsrat und Fachgruppenleiter für Kinder, Jugend und Sozialarbeit in der Bildungsgewerkschaft (GEW) Berlin

ND: Die Berliner GEW hat sich dazu entschlossen, die Kampagne »Fair statt prekär«, die jetzt enden sollte, zu verlängern, warum?
Kraft: Ursprünglich war die Kampagne bis April 2010 begrenzt. Wegen des verstärkten öffentlichen Interesses, auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die Treberhilfe in Berlin, haben wir beschlossen, die Kampagne um ein Jahr zu verlängern.

Was genau verbirgt sich hinter der Kampagne?
Mit der Kampagne »Ich stehe auf fair, statt prekär« will die GEW-Berlin Öffentlichkeit für die Arbeitsbedingungen im Bereich Kinder-, Sozial-, und Jugendarbeit herstellen. Außerdem geht es darum, die GEW für die Beschäftigten attraktiv zu machen.

Wir wollen erreichen, dass in der Kinder-, Sozial- und Jugendarbeit nach Tarif bezahlt wird und dass Unternehmen, die dagegen verstoßen, keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen.

Neben der besseren Bezahlung geht es auch um die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse. Die aktuellen kapazitätsorientierten Verträge, durch die die Beschäftigten unter ständigem Druck stehen, sollen durch feste Arbeitsverträge ersetzt werden. Von der Politik fordern wir eine verstärkte Kontrolle in diesem Bereich. Weil hier noch verlässliche Zahlen fehlen, wird dem prekären Praktiken Tür und Tor geöffnet.

Wie steht es um die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten in der Berliner Kinder- und Jugendarbeit?
Mittlerweile sind in diesem Bereich prekäre Arbeitsverhältnisse an der Tagesordnung. Die Zahl der Teilzeitarbeitsverhältnisse liegt heute bei 70 Prozent. Seit dem Ausstieg aus dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) im Jahre 2002 wurden die Gehälter um bis zu 20 Prozent abgesenkt. Eine Erzieherin verdient heute im Monat durchschnittlich zwischen 800 und 900 Euro für einen 30-Stunden-Job.

Gibt es Gegenwehr?
Die könnte größer sein. Generell ist die Konfliktbereitschaft bei den Beschäftigten und auch bei den Betriebsräten in der Branche nicht besonders groß. Das zeigt sich auch darin, dass Betriebsräte auf Klagen vor den Arbeitsgerichten verzichten, obwohl die Erfolgschancen groß sind.

Kennen Sie auch Beispiele für die Behinderung von Betriebsratsarbeit in dem Bereich?
Die zwei Betriebsräte beim Trägerverbund Independent Living – Verbund freier Jugendhilfeträger e.V. (IL) beklagen seit Langem die Behinderung ihrer Arbeit. Die Wahl eines Betriebsrates war von der IL-Geschäftsführung angefochten worden. Auf einer Betriebsversammlung wollte das Unternehmen den Betriebsrat mit der Polizei des Saales verweisen. Auch Kollegen, die die Betriebsräte unterstützten, wurden so unter Druck gesetzt, dass einige schon gekündigt haben. Auch die Arbeitsbedingungen waren bei IL lange sehr prekär. So mussten die Mitarbeiter lange Zeit die Kosten für die Diensthandys selber tragen.

Gibt es schon messbare Ergebnisse der Kampagne?
Die Mitgliederzahl der GEW wächst. Außerdem werden wir vermehrt von Beschäftigten zu Informationsveranstaltungen eingeladen. Das zeigt, dass das Interesse zugenommen hat, sich gegen die schlechten Arbeitsverhältnisse zu wehren. Zudem verbessert sich die Position der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch den zunehmenden Arbeitskräftemangel in diesem Bereich. Das Personal kann daher nicht mehr so einfach mit der Drohung eingeschüchtert werden, dass sie problemlos ersetzt werden können.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/168396.wie-steht-s-um-fair-statt-prekaer.html

Interview: Peter Nowak