Kann man Troika-Politik einfach wegklagen?


Der Rechtswissenschaftler Fischer-Lescano kritisiert, dass die von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik dem europäischen Rechtssystem zuwiderlaufe. Die Fokussierung auf den Rechtsweg könnte allerdings zu Illusionen führen

Der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano hat vor drei Jahren für innenpolitische Furore gesorgt, weil er das Plagiatsverfahren gegen den damaligen Verteidigungsminister Guttenberg ins Rollen brachte. Sein aktuelles Projekt würde, wäre es erfolgreich, sogar für Wirbel in ganz Europa sorgen.
In einem Gutachten, das der zur Zeit am Zentrum für Europäische Rechtspolitik lehrende Fischer-Lescano für den Europäischen Gewerkschaftsbund und die österreichische Arbeitskammer erstellt, kommt er zu dem Fazit, dass die wesentlich von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik dem europäischen Rechtssystem zuwiderläuft. Da das Thema natürlich von allgemeinen Interesse ist, hat der Wissenschaftler eine Zusammenfassung seiner Thesen ins Netz gestellt. Das Fazit des 68-seitigen juristischen Gutachtens fasst Fischer-Lescano so zusammen:
1. Auch in der Finanzkrise sind die europäischen Organe und Institutionen zur Beachtung des Unionsrechts verpflichtet. Es gibt keinen Ausnahmezustand, der das Unionsrecht suspendiert. Die europäischen Institutionen müssen in ihrem institutionellen Eigeninteresse die existenziellen sozialen Fragen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ernst nehmen.
2. Die Europäische Kommission und die EZB sind an Grundrechte gebunden. Das bezieht sich auf die Grundrechtscharta, aber auch auf völkervertragliche Menschenrechtskodifikationen und Völkergewohnheitsrecht.
3. Durch ihre Beteiligung am Abschluss der Memoranda of Unterstanding beeinträchtigen EZB und Europäische Kommission zahlreiche der nach diesen Normen geschützten Rechte.
4. Durch ihre Beteiligung an der Aushandlung, dem Abschluss und der Durchsetzung der Memoranda of Unterstanding verletzen die Unionsorgane das Primärrecht. Sie handeln rechtswidrig.
5. Die Verletzung der genannten Menschenrechte kann zum einen vor europäischen Gerichten und Ausschüssen geltend gemacht werden. Aber auch Verfahren auf internationaler Ebene stehen zur Verfügung.
Zurück auf den Boden des Rechts?
In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau konstatiert Fischer-Lescano die bekannten Folgen der Austeritätspolitik:
„Die Tarifautonomien werden ausgehöhlt, Mindestlöhne gesenkt, Gesundheitskosten auf Patienten abgewälzt. Ähnliches gilt für den Bereich Bildung. Die Folgen dieser Politik sind von der Internationalen Arbeitsorganisation bis zum Europäischen Sozialausschuss, der die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta überwacht, als menschenrechtswidrig kritisiert worden, weil sie gerade die besonders verletzbaren Gruppen – Kinder, Frauen, Migrantinnen und Migranten, Behinderte – benachteiligt; aber auch weil sie zu einer Verarmung geführt haben, die ganze Generationen in die Hoffnungslosigkeit treibt.“
Nun will der Rechtswissenschaftler „die Sparpolitik juristisch diskutieren“. Diesen vagen Begriff hat der Jurist sicher bewusst gewählt. Zumindest in der FR wollte er den populistischen Eindruck vermeiden, dass man die Troika-Politik wegklagen kann.
„Wenn einzelne Auflagen rechtswidrig sind, fällt nicht automatisch der gesamte Kreditvertrag, es werden nur einzelne Klauseln unwirksam. Es ist rechtlich ein alltäglicher Vorgang, dass ein Vertrag in Kraft bleibt, auch wenn einzelne Klauseln des Vertrages unwirksam sind.“
Im Taz-Interview will sich Fischer-Lescano auch nicht festlegen, hält aber erfolgreiche Klagen gegen die Folgen der Troika-Politik für möglich. Auf die Frage, ob ein griechischer Krebspatient, der seine Medikamente nicht mehr bezahlen kann, gegen die Kreditauflagen klagen könnte, antwortete der Wissenschaftler:
„Unter bestimmten Umständen: Ja. Es gibt ja bereits Klagen, aber sie richten sich meist direkt gegen die nationalen Umsetzungsakte, also etwa die griechische Regierung. Bislang werden die Handlungen der EU-Organe selbst nicht deutlich genug problematisiert. Dabei werden auf Unionsebene die menschenrechtswidrigen Weichen gestellt.“
Dass eine Klage griechischer Beamter gegen die Streichung des 13. Monatsgehalts vom Europäischen Gerichtshof nicht zugelassen wurde, begründete Fischer-Lescano damit, dass man hier einen falschen Präzedenzfall ausgesucht hat.
Nach dem Katheder- ein Juristensozialismus?
Dabei wird bei der Diskussion um den Rechtsweg nicht einmal die Frage gestellt, warum denn die Auftraggeber nicht koordinierte europäische Streiks als Konsequenz dieser Studie vorbereiten. Schließlich handelt es um die österreichische Arbeiterkammer und europäische Gewerkschaften, deren schärfstes Kampfmittel nun mal nicht der Gang vor das Gericht sein sollte. Zumal die in der Studie an zentraler Stelle kritisierte EZB noch in diesem Jahr im Osten von Frankfurt/Main ihre neue Zentrale eröffnet.
Dazu plant ein europäisches Bündnis bereits Proteste nach dem Vorbild der Blockupy-Aktionstage vom letzten und vorletzten Jahr. Würden die Aktionen von europaweiten gewerkschaftlichen Arbeitsniederlegungen begleitet, wie es sie in Ansätzen am 14. November 2012 gegeben hat, wäre die Zukunft der Troika-Politik tatsächlich wieder offen.
Es gibt bereits ein kleines europaweites Netzwerk mit dieser Orientierung. Doch dabei ist gerade die Fokussierung auf den Rechtsweg ein Problem. Die Vorstellung, ein schönes Leben ohne Diskriminierung, Ausbeutung, Ausgrenzung etc. auf dem Rechtsweg herbeiführen zu können, ist genau so illusionär wie das Bestreben der von Marx verspotteten Kathedersozialisten vor mehr als 150 Jahren, die soziale Gerechtigkeit durch kluge Staatspolitik herbeisehnten.
Dabei zeigt das Beispiel Portugal, dass sich juristische, soziale und gewerkschaftliche Kämpfe ergänzen können. Dort hat das höchste Gericht des Landes zwei Mal Teile der von der Troika diktierten Austeritätspolitik als unvereinbar mit der nach der Nelkenrevolution entstandenen Verfassung des Landes erklärt. Die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften des Landes nutzen solche Entscheidungen, um ihre Anstrengungen zu erhöhen, mit Streiks und Demonstrationen diese Politik infrage zu stellen. Bisher ist es auch deshalb nicht gelungen, weil diese Auseinandersetzungen nationalstaatlich begrenzt waren und nicht europaweit koordiniert wurden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155609
Peter Nowak
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Sanierungsfall EU?

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und Markus Ferber (CSU) streiten für noch mehr Deutschland in der EU

Die Deutsch-belgisch-luxemburgische Handelskammer steht gewöhnlich nicht im Zentrum des Medieninteresses. Doch jetzt hat eine Rede für Schlagzeilen gesorgt, die EU-Kommissar Günther Oettinger dort vorgetragen hat und die via Bild schnell Gegenstand der öffentlichen Debatte wurde.

Lautsprecher der deutschen Konservativen

Einige markante Zitate wurden dabei aus der Rede herausgegriffen. Statt die Wirtschafts- und Schuldenkrise zu bekämpfen, zelebriere Europa „Gutmenschentum“ und führe sich als „Erziehungsanstalt“ für den Rest der Welt auf, monierte Oettinger.

Diskutiert wurden auch Oettingers Bewertungen unterschiedlicher Regierungen im EU-Raum. „Mir machen Länder Sorgen, die im Grunde genommen kaum regierbar sind: Bulgarien, Rumänien, Italien.“ In Großbritannien regiere Premiere Cameron mit einer „unsäglichen Hinterbank, seiner englischen Tea-Party“.

Interessant ist auch Oettingers Positionierung zu aktuell heiß diskutierten innenpolitischen Reizthemen in Deutschland: „Deutschland ist auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Leistung – besser wird es nicht mehr.“ Doch die deutsche Politik habe im Moment die falsche Tagesordnung: Mindestlohn, Betreuungsgeld und Frauenquote – das seien nicht die Antworten auf zukünftige Herausforderungen.

Spätestens hier wird deutlich, dass sich Oettinger hier am rechten Flügel der Union positioniert. Diese Positionierung durchzieht auch seine Beurteilung der Situation in der EU. Es ist kein Zufall, dass sie vor einem Gremien vorgetragen wird, in dem die Kern-EU-Länder vertreten sind, die schon mal in der Diskussion als Kandidaten für einen Nord-Euro gehandelt werden. So artikuliert Oettinger das Unverständnis politischer Kreise nicht nur in Deutschland, die den Rest der EU noch mehr an die Kandare nehmen und die Führungsmacht Deutschlands und seiner engsten Verbündeten spüren lassen wollen.

Dabei ist die Metapher vom Sanierungsfall EU sicher kein Zufall. Staaten, die saniert werden sollen, kommen unter Ausnahmerecht und werden notfalls unter Kuratel gestellt. So könnte dem Lamento über die Unregierbarkeit bestimmter EU-Staaten die Forderung folgen, dass sie gleich von einem aus Brüssel bestimmten Gremium verwaltet werden. Schließlich geht es ja vor allem darum, die von der EU beschlossenen Vorgaben umzusetzen.

Nun sind solche Vorstellungen durchaus keine Zukunftsmusik. Wer verfolgt hat, wie die Troika-Politik in Griechenland, Portugal und anderen EU-Ländern umgesetzt wurde und wie hier Abstimmungen der Bevölkerung bekämpft und Wahlen als lästiges Beiwerk behandelt werden, kann erkennen, dass Oettinger hier nur sehr prononciert ausgesprochen hat, was eigentlich schon seit Längerem EU-Politik ist.

Zudem war es auch keine Geheimrede, die von Bild enthüllt wurde. Es ist eher wahrscheinlich, dass der Redner sehr daran interessiert war, dass seine Worte durch die Art und den teilweise irreführenden Duktus der Veröffentlichung erst so richtig im Land bekannt wurden. So kann auch manch konservativer Unionswähler, der überlegt, das nächste Mal der Alternative für Deutschland die Stimme zu geben, die Interessen des deutschen Standorts bei der Regierungspartei in guten Händen wähnen.

Frankreich im Visier

Dass Oettinger dabei neben Bulgarien und Rumänien auch Italien als Sanierungsfall aufführt, zeigt deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen dem sogenannten Kerneuropa und der europäischen Peripherie geht. Das wird auch durch die Reaktionen auf die Oettinger-Rede deutlich.

So hat der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber im Interview mit dem Deutschlandfunk darauf verwiesen, dass der Adressat für Oettingers Kritik die EU-Kommission sein muss, ist sich in der Sache aber mit dem EU-Kommissar einig. Es geht ihnen darum, die Austeritätspolitik noch umfassender im EU-Raum durchzusetzen. Dabei hat Ferber gleich noch einen weiteren „Sanierungsfall“ ins Visier genommen, den Oettinger auch als derzeit nicht zukunfstfähig bezeichnet hat: das Nachbarland Frankreich.

Seit dort ein sozialdemokratischer Präsident die Wahlen gewonnen hat, wurde das Land zum Feindbild, obwohl sich Hollande in wesentlichen Punkten entgegen seiner Wahlversprechen der Merkel-Linie untergeordnet hatte. Doch weil Hollande zumindest einige soziale Grausamkeiten der konservativen Vorgängerregierung abmilderte, steht er seit Monaten in Kritik von Konservativen à la Ferber. Der hat im Interview denn auch sein Unverständnis geäußert, dass die EU-Kommission beim Defizitverfahren weiterhin Geduld mit Frankreich zeige. Frankreich muss liefern, verwendet Ferber hier die gleiche Wortwahl, die er bereits vor 18 Monaten auch in Bezug auf Griechenland gebraucht hat.

Im Gegensatz dazu will Ferber Spanien entgegen kommen, weil dessen rechtskonservative Regierung gegen den Widerstand großer Teil der Bevölkerung die sozialen Grausamkeiten umsetzt, die Berlin vorgibt. Gegen eine so offen vorgetragene Politik von Zuckerbrot und Peitsche regt sich im EU-Raum Widerstand, und das scheinen sowohl Oettinger als auch Ferber nicht nur in Kauf zu nehmen. So ist Oettingers Schelte der britischen „Teaparty“ Wasser auf die Mühlen der britischen EU-Gegner. Doch es ist durchaus im deutschen Interesse, wenn das Land austreten würde. Schließlich würde dann das prodeutsche Lager in der EU noch unangefochtener und gestandene Deutschnationale aller Parteien haben den Briten nie vergessen, dass sie 1989 keine Freunde der deutschen Wiedervereinigung waren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154341
Peter Nowak