Zu Besuch bei Ausbeutern


PROTEST: Spaziergang der „Migrant Strikers“ gegen ausbeuterische Arbeit
„Inversible Care Work“ und „Migrants without Labourrights“ ist auf den bunten Schirmen zu lesen, die Lucia aufgespannt hat. Sie gehört den Migrant Strikers an, einer Gruppe italienischer ArbeitsmigrantInnen. Mit einem Spaziergang durch das Berlin der prekären migrantischen Arbeit, der am Potsdamer Platz startet, wollen sie am Dienstagnachmittag auf die unterschiedlichen Formen der Ausbeutung hinweisen. Etwa 100 Menschen haben  sich am Platz eingefunden, eine Sambagruppe macht Musik. Einige AktivistInnen mit Clownsmasken fragen PassantInnen nach ihren Arbeitsbedingungen. Die meisten schweigen. Vor dem Eingang der Mall of Berlin erinnert die Gewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) an die acht rumänischen BauarbeiterInnen, die seit Monaten um den ihnen vorenthaltenen Lohn kämpfen und trotz juristischer Klagen bis heute kein Geld erhalten haben. Vor einem Gebäude der HistorikerInnenfakultät der Humboldt- Universität sprechen KommilitonInnen über prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Sie fordern einen
Tarifvertrag für die rund 6.000 studentischen Beschäftigten an Berlins Hochschulen. Vor dem Jobcenter in der Charlottenstraße
erinnern AktivistInnen der Erwerbsloseninitiative Basta an den Widerstand gegen Sanktionen und Schikanen. Auf dem Weg nach Kreuzberg wird die Aufmerksamkeit der Mitlaufenden auf die Restaurants gelenkt. „Die Gastronomiebranche ist ein zentraler Motor der prekären migrantischen Arbeit in Berlin“, sagt Nicola von den Migrant Strikes. Pablo von der Gruppe Oficina Precaria Berlin zeigt sich mit
dem Ablauf des Spaziergangs zufrieden. „Wir haben unterschiedliche prekär beschäftigte KollegInnen erreicht.“ Dazu gehören die Beschäftigten des Botanischen Gartens an der FU Berlin. Sie wehren sich gegen das geplante Outsourcing und haben ebenfalls am  Spaziergang teilgenommen. Dennoch will Erwin vom der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren einige Krisenproteste
organisiert hat, erst von einen Erfolg reden, wenn der Kampf gegen die Ausbeutung von migrantischen ArbeiterInnen auch über den 1. März hinaus fortgesetzt wird.
aus Taz vom 3.3.2016
Peter Nowak

Diese Ferienwohnung ist besetzt

Gegen Zweckentfremdung: Initiative macht Touristenappartement zu sozialem Zentrum

Die Erwerbsloseninitiative Basta hat eine Ferienwohnung in der Weddinger Soldiner Straße zweckentfremdet, um gegen fehlende bezahlbare Wohnungen zu protestieren.
Am Dienstagmorgen zogen sie ein und luden Nachbarn ein, die Wohnung zu besuchen: Drei Tage lang sollen Wohnungssuchende die Möglichkeit haben, sich auf eine ausliegende Interessentenliste einzutragen, die Liste soll schließlich an den Vermieter übergeben werden. Mit dem (vorübergehenden) Einzug in eine Ferienwohnung in Wedding will die Initiative »Basta« am Dienstag auf die Problematik der Zweckentfremdung von Wohnraum aufmerksam machen und vor allem Nachbarn ansprechen.

»Wie verhindere ich Zwangsräumungen?« und »Wie ziehe ich Hartz IV-kompatibel um?« lauten die Überschriften einiger Informationsblätter, die auf einen Tisch im Wohnzimmerauslagen. Im Flur und im Schlafzimmer hängten Aktivisten Plakate zu den Themen Erwerbslosigkeit und Zwangsräumung auf. An Tischen saßen kleine Gruppen und lassen sich über Probleme am Jobcenter beraten. Drei Tage soll die Dachgeschosswohnung in der Soldiner Straße 26 in Wedding ein soziales Zentrum sein. Über 200 Euro hat die Erwerbsloseninitiative dafür ausgegeben. Doch »Basta« verfolgt damit ein politisches Anliegen.

»Allein in Wedding werden aktuell mehrere hundert Ferienwohnungen angeboten. Für Bezieher von Arbeitslosengeld und Grundsicherung sind in dem Stadtteil dagegen nur zwei finanzierbare Wohnungen zu haben«, erklärt Basta-Aktivist Paul. Mit der Beschlagnahme wolle man auf dieses »Missverhältnis« aufmerksam machen. Paul betonte auch, dass es mit der Aktion nicht darum gehe, Besitzer von Ferienwohnungen als die Schuldigen an den Pranger zu stellen. »Für uns sind die fehlenden bezahlbaren Wohnungen das Problem.« Damit sind die Mitarbeiter von »Basta« regelmäßig konfrontiert. Schließlich organisieren sie jede Woche eine Beratung für Menschen, die Probleme mit dem Jobcenter haben. »Immer wieder kommen Menschen zu uns, die keine bezahlbare Wohnung finden«, erklärt Paul.

Zwei wohnungslose Frauen haben sich an der Aktion beteiligt. Am Donnerstag will Basta mit den Eigentümern über eine Vermietung verhandeln. Allerdings geht es der Initiative nicht nur um die eine Wohnung. Daher begann die Aktion am Dienstagmittag mit einem Stadtteilspaziergang durch die unmittelbare Umgebung der Soldiner Straße. Dort finden sich mittlerweile zahlreiche Ferienwohnungen. »Oft sind Ferienwohnungen von außen kaum zu erkennen. Nur die AnwohnerInnen selbst kennen die Wohnungen in ihren Häusern. Falsche Namen an Klingelschildern sollen den Schein einer ›normalen‹ Mietwohnung aufrecht erhalten«, erklärt Lisa von »Basta«.

Die Vermieter setzen dabei auf Berlinbesucher, die nicht nur das historische Stadtzentrum kennen lernen wollen. In den drei Tagen will die Initiative ein Verzeichnis von Ferienwohnungen zusammentragen und im Anschluss an die Aktion dem Bezirk zur Prüfung einer möglichen Zweckentfremdung vorgelegen.

»In der Soldiner Straße und der Umgebung wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen. Wenn ausgerechnet in einer solchen Gegend immer mehr Ferienwohnungen entstehen, wird der günstige Wohnraum noch mehr verknappt«, begründet ein älterer Anwohner, der bereits in den 80er Jahren im Wedding in einer Stadtteilgruppe aktiv war, seine Teilnahme an der Aktion. Er hofft, dass die Beschlagnahme keine einmalige Aktion ist und sich auch im Wedding wieder eine Mieterbewegung etabliert.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/998733.diese-ferienwohnung-ist-besetzt.html

Peter Nowak

Soziale Frage neu gestellt

„Links“ „Ratschlag“ im Haus der Demokratie

Rund 150 Teilnehmer haben sich am Samstag im Haus der Demokratie und Menschenrechte an einem „sozialpolitischen und
antifaschistischen Ratschlag“ beteiligt. Das Bündnis gegen Zwangsräumungen und die Erwerbslosengruppe Basta waren ebenso vertreten wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, die Junge GEW und die Interventionistische Linke (IL). Ein 88-jähriger Teilnehmer
erklärte, er wolle sich noch einmal engagieren, nachdem er in Dresden gesehen habe, wie aus einer Pegida-Demonstration heraus
ausländische SchülerInnen bedroht wurden. Angesichts der erstarkenden rechten und rassistischen Propaganda müsse die Linke wieder in der Öffentlichkeit wahrnehmbar werden, so der Konsens unter den Ratschlag-TeilnehmerInnen.  „Wir müssen die soziale Frage neu stellen und dürfen bei Verteilungskämpfen den Rechten nicht die Deutungshoheit überlassen“, begründeten die IL-VertreterInnen
ihren Vorschlag einer sozialen Allianz unter dem Motto „Berlin für Alle“. Zentraldabei ist die Forderung nach ausreichendem bezahlbarem Wohnraum nicht nur für die Neuankömmlinge, sondern für alle Menschen mit geringen Einkommen. S  könne verhindert
werden, dass Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden. Als positives Beispiel wurde der Widerstand von Obdachlosen gegen ihre Kündigung durch den Betreiber des „Gästehaus Moabit“ angeführt, das zur Flüchtlingsunterkunft werden  soll. Die von der Kündigung Betroffenen zeigten sich mit den Geflüchteten solidarisch. Verabredet wurde die Vorbereitung eines „Tages der sozialen Bewegungen“ in den kommenden Monaten. Dazu sollen auch Flüchtlingsinitiativen sowie gewerkschaftliche und feministische Gruppen eingeladen werden. Am 14. 2. wird die Diskussion im Haus der Demokratie fortgesetzt.
aus Taz 18.01.2016
Peter Nowak

Jobcenter Meißen, kein Skandal

Urlaub machen, wo andere sich ausbeuten

PROTEST Ehemalige Angestellte eines Hostels in Mitte demonstrieren gegen Lohndumping

„Für euch ist es Urlaub – für uns ist es Ausbeutung“ stand auf einen großen Schild, das am Samstagnachmittag auf einer Kundgebung vor dem Hostel Amadeus in der Brunnenstraße 70 getragen wurde. Rund 70 TeilnehmerInnen – ehemalige Beschäftigte des Hostels und deren UnterstützerInnen – protestieren dort gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen in dem Hostel.

„Ich arbeitete täglich etwa acht Stunden an sechs Tagen in der Woche. Und am Monatsende erhielt ich für die Arbeit 100 Euro,“ sagte ein ehemaliger Beschäftigter gegenüber der taz. Auch Nathan Letore aus Frankreich, zunächst zu Besuch in Berlin, landete im Amadeus-Hostel: „Wir suchten ein Zimmer, und im Hostel sagten sie uns, wir könnten hier leben und arbeiten.“ Auch James aus Schottland kam so zu einem Job mit viel Arbeit und geringem Lohn: Er habe dort drei Monate für einen Stundenlohn von 0,65 Cent gearbeitet, berichtet er der taz.

Eine Frau, die mehrere Wochen an der Rezeption des Hotels gearbeitet hat, berichtet, dass sie von der Geschäftsführung beauftragt wurde, an TouristInnen aus Bulgarien, Rumänien und Israel keine Zimmer zu vermieten.

Mit einem Rundgang durch das Hostel endete die Kundgebung. Die TeilnehmerInnen waren überrascht, dass alle Türen offen und kein Mensch in dem Hostel war. Sie klebten Protestplakate an die Wände und befestigten an einem Fenster ein Transparent mit der Parole „Geld her“. Mehrere der ehemaligen Beschäftigten wollen ihre Lohnforderungen juristisch einklagen.

„Mit der Kundgebung sollen nicht die Arbeitsbedingungen im Amadeus-Hostel, sondern auch die Praktiken der Jobcenter öffentlich gemacht werden“, meinte Gitta Schulz von der Erwerbsloseninitiative Basta, die die Kundgebung unterstützte. Beschäftigte ohne Arbeitsvertrag würden von den Jobcentern nicht als AufstockerInnen anerkannt und seien so gezwungen, von den geringen Löhnen zu leben.

Die Initiative bekommt die Dringlichkeit des Problems zu spüren. „Immer mehr Menschen aus verschiedenen Ecken Europas kommen in unsere Sozialberatung“, berichtet Schulz. Auch die ehemaligen Amadeus-Beschäftigten nutzen die Basta-Räume zur Vorbereitung der Kundgebung.

Die Basisgewerkschaft FAU, die ebenfalls die Kundgebung unterstützte, will in der nächsten Woche vor verschiedenen Berliner Hostels an Beschäftigte Fragebögen über die Höhe der Löhne und die Arbeitsbedingungen verteilen. Sie hält die Zustände bei Amadeus für keinen Einzelfall. Die Geschäftsführung des Hostels gab bisher keine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F17%2Fa0140&cHash=8804a9efb3549b28ecc012a258ff093f

Peter Nowak

Hungerlöhne im Hostel

„Für  Euch ist es Urlaub –  für uns ist es Ausbeutung“, skandierten ca. 70 TeilnehmerInnen vor dem Amadeus-Hostel in Bezirk Wedding. Unter ihnen waren mehrere ehemalige Beschäftigte, aus verschiedenen europäischen Ländern. Sie erhoben schwere Vorwürfe gegenüber der Geschäftsleitung des Hostels.
„Ich arbeitete täglich ca. 8 Stunden an 6 Tagen die Woche  Am Monatsende erhielt ich für die Arbeit 100 Euro, “ erklärte der   Belgier Thomas“.  Er wollte Berlin kennen lernen und landete im Amadeus-Hostel wie  Nathan Letore aus Frankreich:   „Wir suchten ein Zimmer und im Hostel sagen sie uns, wir können hier leben und arbeiten“.
Die Beschäftigten sind mittlerweile alle entlassen oder haben selber besser gekündigt.  Sie fordern von der Geschäftsleitung des Hostels die Nachzahlung der ihnen vorenthaltenen Löhne. In der nächsten Woche wollen einige Klagen einreichen.
Doch auch der Protest soll nach der Kundgebung weitergehen. Unterstützt wird er von der  Erwerbsloseninitiative Basta, die im Wedding regelmäßig Sozialberatung macht. Dort haben sich auch die ehemaligen Amadeus-Beschäftigten getroffen, um die Kundgebung vorzubereiten. Für Gitta Schulz vom Basta sind auch die Jobcenter ein Teil des Problems.

Beschäftigte ohne Arbeitsvertrag würden  von den Jobcentern nicht als AufstockerInnen anerkannt und seien so gezwungen, von den geringen Löhnen  leben zu müssen.   Die Erwerbsloseninitiative bekomme  die Dringlichkeit des Problems wöchentlich zu spüren.
„Erst war es ein  junger Mann und dann kamen immer mehr Menschen aus verschiedenen Ecken Europas in unsere Sozialberatung“, berichtet Schulz.   Nach der Kündigung werden ihnen die Leistungen erneut verweigert, da sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Für Menschen aus der EU ohne deutschen Pass stellt Erwerbsarbeit aber eine Bedingung für den Bezug von ALG II dar. Daher fordert Basta den uneingeschränkten Zugang zu Sozialleistungen für alle, unabhängig vom Pass  und Aufenthaltstatus.

Hostel im Wohnblock
Die Kundgebung endete mit einem spontanen Rundgang durch das Hostel. Die Türen stand offen und kein Mensch war zu sehen.  Dabei wurde deutlich, in welch schlechten Zustand die Räumlichkeiten sind. Im Internet haben viele ehemaligen Gäste ebenfalls darüber geklagt. Am Beispiel des Amadeus-Hostel wird  aber auch die Problematik der ausufernden Tourismusindustrie in Berlin besonders deutlich. Die schlechten Arbeitsbedingungen und Dumpinglöhne sind dabei ein wichtiges Problem,  die Auswirkungen auf die Umgebung ein anderes. Das Amadeus-Hostel  befindet sich  im Weddinger Teil der Brunnenstraße, in einer Gegend  im der viele einkommensschwache Mieter  leben. Das Hostel erstreckt sich auf große Teile eines Wohnblocks. So wird Wohnraum in den unteren Preiskategorien für touristische Zwecke  zweckentfremdet. Ein ehemaliger Beschäftigter berichtet, dass in das Hostel öfter vom Jobcenter Wohnungslose  vermittelt wurden. So sorgt das Hostel dafür, dass es immer weniger   billigen Wohnraum gibt und verdient dann an der Unterbringung der Obdachlosen,

aus: MieterEcho online 16.02.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/amadeus-hostel-kundgebung.html
Peter Nowak

Konflikt im Kreuzberger Jobcenter

SOZIALES Erwerbslose bringt Gruppe mit – Jobcenter ruft die Polizei

Am Tag vor Heiligabend ist es im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen: Eine Gruppe von zehn Personen wollte am Termin einer Erwerbslosen teilnehmen und drängte ins Büro. Der Sachbearbeiter wollte nur eine weitere Person als Beistand zulassen. Es kam zu Wortgefechten, schließlich rief das Jobcenter die Polizei.

Christel T. hält die Aktion für rechtswidrig. „Die Beistände sind auf meinen Wunsch zum Jobcenter gekommen“, so die Erwerbslose der taz. Sie hatte zuvor vom Jobcenter erfahren, dass ihr ab Januar sämtliche Zuwendungen für drei Monate gestrichen werden. Im Clinch mit dem Jobcenter befindet sich T. seit Monaten. „Ich habe es immer abgelehnt, mich auf Jobs zu bewerben, bei denen klar war, dass ich sie nicht bekomme“, erklärt sie. Mehrere Klagen gegen das Jobcenter sind anhängig, auch gegen die Totalstreichung will T. juristisch vorgehen. „Mir war vorher das Geld um 30 Prozent gekürzt worden, dann folgte gleich die 100-prozentige Streichung.“ Das Sozialgericht schreibe aber eine Kürzung von 60 Prozent als Zwischenschritt vor, begründet T. ihre Hoffnung, die Totalsanktionierung aufheben zu lassen.

Doch Christel T. setzt nicht nur auf den Rechtsweg. In den kommenden Tagen will sie im Jobcenter gegen die Gutscheine protestieren, mit denen Erwerbslose, denen alle Zahlungen gestrichen wurden, Lebensmittel kaufen können. Die Gutscheine können nur in bestimmten Läden eingelöst werden, die Auswahl der Waren ist beschränkt. Auch zu diesem Protest will T. mehrere Beistände mitbringen. Die Erwerbsloseninitiative Basta bestätigt, dass das Jobcenter Beistände nicht einfach abweisen kann.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F12%2F28%2Fa0203&cHash=31227041ef6eee5be87fc7bede5ba7b3

Peter Nowak

»Touristen« im Jobcenter“

Kommen Touristen jetzt auch zur Sightseeing-Tour ins Jobcenter? Dieser Eindruck musste sich zunächst aufdrängen, als am Donnerstagvormittag eine kleine Gruppe im Jobcenter Storkower Straße auftauchte. Eine Frau hatte einen Berlin-Guide in der Hand, ein Mann hielt eine Kamera in die Luft, die sich erst beim zweiten Blick als Attrappe erkennen ließ. Doch schnell entpuppten sich die vermeintlichen Touristen als Aktivisten der Berliner Erwerbsloseninitiative Basta. Seit mehr als zwei Jahren begleitet sie Erwerbslose aufs Amt, organisiert Proteste gegen Sanktionen und informiert Betroffene über ihre Rechte.

Dazu diente auch die Aktion am Donnerstag. Eine Frau wiederholte beim Rundgang durch das Jobcenter immer wieder die Sätze: »Jeder fünfte Erwachsene und jedes vierte Kind in Berlin lebt von Hartz IV. Viele haben Mietschulden«. Andere verteilten Flugblätter an die wartenden Erwerbslosen mit den Forderungen von Basta. Dazu gehört die Übernahme von Mietkautionen in Form von Bürgschaften statt wie bisher durch Darlehen und die Übernahme von Miet- und Energieschulden durch die Jobcenter. Zudem wurde an die Politik die Forderung gerichtet, eine berlinweite Mietobergrenze von vier Euro je Quadratmeter einzuführen und die pauschalen Grenzen für Miete und Energie abzuschaffen.

Nur wenige Wartende verweigerten das Informationsmaterial, viele vertieften sich sofort in die Lektüre und nickten zustimmend. »Da hätten die Wahlen anders ausgehen müssen«, rief ein Mann. Weniger freundlich reagierte das Sicherheitspersonal des Jobcenters. Es forderte mehrere Aktivisten zum sofortigen Verlassen des Hauses auf und drohte mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruch. Dazu kam es allerdings nicht. Bevor die Polizei eintraf, waren alle Basta-Aktivisten verschwunden.

»Wir setzten auf Selbstorganisation statt auf Wahlen«, erklärte Gitta Schulz von Basta. Gegenüber »nd« erklärte sie, dass die Aktion auch auf den bundesweiten Aktionstag »Keine Profite mit der Miete« am kommenden Samstag hinweisen soll. Unter dem Motto »Wem gehört Berlin« wird an diesem Tag um 14 Uhr eine Demonstration am Lausitzer Platz starten. Die Erwerbslosengruppe Basta wird dort mit Transparenten und Informationsmaterial anwesend sein.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/834404.touristen-im-jobcenter.html

Peter Nowak

Keiner muss allein zum Jobcenter

Initiative begleitet Hartz-IV-Empfänger und protokolliert Gespräche

Der Kühlschrank ist leer, das Konto ebenfalls, und das Jobcenter weigert sich, Geld zu überweisen. Dieser Albtraum vieler Erwerbsloser wurde für Bettina Kemper (Name geändert) zur Realität.

Viele Betroffene sind in dieser Situation überfordert und hilflos. Frau Kemper holte sich Unterstützung bei der Berliner Erwerbsloseninitiative Basta. Sie bietet jeden Mittwoch zwischen 10 und 13 und donnerstags zwischen 15 und 18 Uhr Beratung für Erwerbslose an.

»Die unübersichtlichen und immer repressiver werdenden Gesetze der so genannten Arbeitsmarktreform sorgen dafür, dass sich viele Betroffene als ohnmächtige Opfer einer willkürlich agierenden Behördenmaschinerie empfinden«, erklärte eine Basta-Mitbegründerin. Deshalb sei der Bedarf an Beratung groß. Ein Angebot der Gruppe ist die Begleitung von Erwerbslosen zu ihren Terminen im Jobcenter. Mit der Parole »Keine/r muss allein zum Amt« wird auf die rechtlichen Grundlagen hingewiesen. Jeder Erwerbslose hat das Recht, bis zu drei Begleiter seiner Wahl zum Termin mitzunehmen und muss so nicht mehr allein mit den Mitarbeitern der Jobcenter verhandeln. Ob die Begleitperson selber in die Verhandlungen eingreift oder nur zuhört und den Gesprächsverlauf protokolliert, entscheiden die Erwerbslosen selber. Der protokollierte Gesprächsverlauf des Termins von Frau Kemper beim Jobcenter Mitte liegt »nd« vor.

Danach bestätigte die zuständige Sachbearbeiterin, dass kein Geld überwiesen worden ist. Man wisse gar nicht, ob Kemper in der Wohnung lebt, die sie in dem Antrag als Adresse angibt. Ein Team von zwei Außenmitarbeitern, so die offizielle Bezeichnung der vom Jobcenter beauftragten Sozialdetektive, sei im Februar gleich drei Mal an der Wohnung gewesen, habe Frau Kemper aber nicht angetroffen. Dafür hätten die Mitarbeiter festgestellt, dass ihr Briefkasten gefüllt gewesen sei. Auch hätten Nachbarn auf Nachfragen deren Namen nicht gekannt.

Bettina Kemper weist die Vorwürfe zurück und spricht von »einer unangemessenen Unterstellung«. Der Briefkasten sei wegen eines Zeitungsabonnements voll gewesen. Sie sei nicht in ihrer Wohnung anzutreffen gewesen, weil sie in der Zeit an einer vom Jobcenter finanzierten Weiterbildung teilgenommen habe. Zudem hätte sie die Sozialdetektive auch nicht unangemeldet in die Wohnung gelassen, wenn sie Zuhause gewesen wäre.

Die Jobcentermitarbeiterin quittierte laut Protokoll diese Klarstellung mit der Bemerkung, wenn sie den Außendienst nicht in die Wohnung lasse, würden die Gelder von Frau Kemper erst recht gekürzt. Ein weiterer Streitpunkt zwischen der Erwerbslosen und dem Jobcenter ist das Namensschild am Briefkasten. »Wenn drei Namen drauf stehen, dann wird auch die Miete gedrittelt. Wir zahlen also höchstens noch die Hälfte von dem, was bis jetzt gezahlt wurde«, wird die Mitarbeiterin des Jobcenters im Protokoll zitiert. »Am Briefkasten hängen drei Namen, weil eine Freundin des Hauptmieters noch Post an diese Adresse bekommt«, begründete Frau Kemper den Sachverhalt. »Wenn selbst ein Briefkastenschild darüber entscheiden kann, ob das Jobcenter die Miete übernimmt, ist die Belastung für die Betroffenen besonders groß«, so die Basta-Aktivistin.

Erwerbsloseninitiative Basta, Wedding, Schererstraße 8
http://www.neues-deutschland.de/artikel/816849.keiner-muss-allein-zum-jobcenter.html
Peter Nowak