Das Ende eines lange gepflegten Vorurteils

GESCHICHTE  Linke Gewerkschaftsopposition in der Weimarer Zeit war nicht von Moskau gesteuert, stellt Historiker Stefan Heinz in seinem Buch fest

Deutsche Gewerkschaften sind gegenüber den Bossen zu kooperativ und üben sich in Ritualen, statt in Klassenkämpfen: Solche Klagen sind älter als der DGB. Schon in der Weimarer Zeit befand sich eine linke Minderheit im Konflikt mit den Vorständen des SPD-nahen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsverbands (ADGB). In der Endphase der Weimarer Republik organisierten sich große Teile dieser Gewerkschaftslinken in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Ihr organisatorisches Zentrum war die Berliner Metallbranche.

„Teuflische Pläne, dem Hirn Moskauer Diktatoren entsprungen“: Diese Charakterisierung der Ortsverwaltung des SPD-nahen Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV) für die linke Konkurrenz ist bis heute weit verbreitet. Dieses Bild hat der am Otto-Suhr-Institut der FU arbeitende Gewerkschaftsforscher Stefan Heinz infrage gestellt. In seinem 500-seitigen Buch rekonstruiert er die kurze Geschichte des Einheitsverbands der Metallarbeiter Berlins (EVMB), der größten RGO-Gewerkschaft. Dafür wertete er eine Vielzahl von Akten aus den Archiven beider Gewerkschaftsverbände,Überwachungsprotokolle von Polizei und Gestapo, interne Berichte der KPD und SPD sowie Artikel der parteiunabhängigen linken Presse aus.

Heinz weist nach, dass die Initiative zur Gründung nicht von der KPD-Führung oder der Kommunistischen Internationale, sondern von aus dem ADGB ausgeschlossenen GewerkschafterInnen ausging. Für den Forscher liegen die Wurzeln der RGO daher nicht in Moskau, sondern im Kampf gegen die Burgfriedenspolitik von SPD und Gewerkschaften während des Ersten Weltkriegs. Damals hatte sich vor allem unter den Berliner Metallarbeitern ein Kreis linker ArbeiteraktivistInnen herausgebildet.

Als sich im Herbst 1930 die staatlichen Schlichtungsstellen auf die Seite des Unternehmerlagers stellten und Lohnkürzungen festlegten, die vom ADGB akzeptiert wurden, gab der KPD-Vorstand grünes Licht für die Gründung des EVMB. Da dem linken Verband aber keine massenhafte Abwerbung von Mitgliedern aus der alten Gewerkschaft gelang und selbstorganisierte Streiks meist erfolglos blieben, wurde in den KPD-Gremien bald heftig über die RGO diskutiert. Die Auseinandersetzungen nahmen nach dem Machtantritt der Nazis zu.

Viele EVMB-Mitglieder kritisierten alle Versuche der KPD, angesichts der NS-Gefahr mit dem ADGB zusammenzuarbeiten. Der rote Verband hatte sich nach der Zerschlagung des ADGB am 2. Mai 1933 in der Illegalität zunächst konsolidiert und wurde erst durch mehrere Verhaftungswellen in den Jahren 1933 und 1934 empfindlich geschwächt. Im Jahr 1935 wurde der Verband im Zuge der von der KPD verfolgten Volksfrontpolitik, die eine Kooperation mit den SozialdemokratInnen und bürgerlichen Kräften propagierte, gegen den heftigen Widerstand der Basis aufgelöst.

Da die RGO-Politik in der offiziellen KPD-Geschichtsschreibung bald als Linksabweichung galt, wurde auch in der DDR kaum darüber geforscht. Nach erfolglosen Wiederbelebungsversuchen einiger maoistischer Parteien in den 70ern in Westberlin geriet das Thema weitgehend in Vergessenheit. Daher hat Heinz mit seiner Forschungsarbeit eine wichtige Lücke in der Geschichte des Berliner ArbeiterInnnenwiderstandes geschlossen.
 Stefan Heinz: „Moskaus Söldner? Der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft“, VSA-Verlag, Hamburg 2010

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F07%2F29%2Fa0157&cHash=4dbd89600f

Peter Nowak