Kein Schadenersatz für Opfer des Natokriegs

Am Vorabend des vierten Jahrestags des Bombardements von Kunduz entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen den verantwortlichen Staat zusteht

„Eine mörderische Entscheidung“ [1] lautete der ARD-Themenabend am 4.August. Es ist der vierte Jahrestag eines von dem Bundeswehroberst Klein zu verantwortenden Bombardements in der afghanischen Provinz Kunduz, die mindestens 140 Menschen das Leben kostete.

Es handelte sich in der Mehrzahl um junge Menschen, Kinder armer Bauern, die etwas Sprit aus einem Nato-Tanklastzug abzapfen wollten, der von Aufständischen entführt worden war. Die Bilder zum Film machen eigentlich schon deutlich, in welcher Atmosphäre eine solche tödliche Entscheidung getroffen wurde. Da sind eventorientierte junge Soldaten zu sehen, ein intellektuell dreinblickender Klein-Darsteller und ein Dorfbewohner mit traditioneller Kopfbedeckung und Bart. Besser kann der Clash der Kulturen, die da aufeinanderstießen, nicht dargestellt werden. Bezeichnenderweise laufen die Sendungen unter der Rubrik „Unterhaltung im Ersten“. Schließlich sollen ja die Fernsehschauer und Gebührenzahler nicht verschreckt werden, indem man die Rubrik „Deutsche Geschichte“ genannt hätte.

Einer solchen Eventisierung des Afghanistankrieges widersetzen sich Initiativen [2], die mit Veranstaltungen und Kundgebungen an die Toten von Kunduz erinnern. In Berlin kam am 3. September am Brandenburger Tor auf einer Videokundgebung [3] auch der Bremer Anwalt Karim Popal [4] zu Wort, der darüber klagte, dass viele Angehörige der Getöteten noch immer keine Entschädigung bekommen haben. Viele der Opferfamilien sind durch den Tod ihrer Angehörigen auch in finanzielle Not geraten. Oberst Klein hingegen ist trotz seiner mörderischen Entscheidung befördert worden.

Kein Schadenersatz für zivile Opfer im Jugoslawienkrieg

Zufälligerweise hat das Bundesverfassungsgericht am Vorabend des Bombardements von Kunduz eine Entscheidung [5] gefällt, die die deutschen Steuerzahler beruhigen dürfte. Danach haben die Opfer des Bombardements der Brücke von Varvarin in Jugoslawien keinen Anspruch auf Entschädigung.

Bei einem Angriff von Nato- Kampfflugzeugen auf die serbische Stadt Varvarin am 30.Mai 1999 wurde eine Brücke über den Fluss Morawa durch den Beschuss mit insgesamt vier Raketen zerstört. Zehn Menschen wurden getötet und 30 verletzt, 17 davon schwer. Mehrere Betroffene hatten auf Entschädigung geklagt [6]. Das Gericht bestätigte, dass es sich ausschließlich um Zivilpersonen handelte. Deutsche Flugzeuge waren nicht unmittelbar an dem Bombardement beteiligt, befanden sich aber ebenfalls im Einsatz in unmittelbarer Nähe des Tatorts. „Ob und inwieweit die eingesetzten deutschen Aufklärungsflugzeuge auch den Angriff auf die Brücke von Varvarin abgesichert haben, ist zwischen den Beschwerdeführern und der Bundesrepublik Deutschland im fachgerichtlichen Verfahren streitig geblieben“, hieß es in der Pressemitteilung des Gerichts. Doch der Grund für die Ablehnung der Entschädigung wird nicht damit begründet.

„Es gibt jedoch keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung gegen den verantwortlichen Staat zusteht. Derartige Ansprüche stehen grundsätzlich nur dem Heimatstaat des Geschädigten zu oder sind von diesem geltend zu machen. Art. 3 des IV. Haager Abkommens und Art. 91 des Protokolls I begründen keine unmittelbaren individuellen Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, weshalb offenbleiben kann, ob diese Vorschriften völkergewohnheitsrechtliche Geltung erlangt haben, “ heißt es in der Urteilsbegründung. Damit werden Kriegsopfer auf die Staaten verwiesen und individuelle Rechte negiert.

Das Europäische Zentrum für Menschenrechte [7], das die Kläger unterstützt [8] hat, kritisiert die Entscheidung. „Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts bleibt allerdings den Betroffenen weiterhin der Zugang zu Entschädigungsklagen für den rechtswidrigen Angriff der NATO verwehrt. Weder gegen die NATO direkt, noch gegen am NATO-Einsatz beteiligte Bundesrepublik Deutschland konnte bislang eine Entschädigung für den Verlust der Angehörigen erreicht werden. Die Forderung, den Geschädigten von Kriegshandlungen einen Weg vor die ordentlichen Gerichte zu eröffnen, bleibt damit aktuell.“ Der ECCHR kündigte an, nun den europäischen Rechtsweg einzuschlagen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154897

Peter Nowak 05.09.2013

Links

[1]

http://www.daserste.de/unterhaltung/film/eine-moerderische-entscheidung/index.html

[2]

http://www.friedenskooperative.de/terroterndx.htm

[3]

https://linksunten.indymedia.org/de/node/93771

[4]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153978

[5]

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg13-055.html

[6]

http://www.heise.de/tp/artikel/13/13313/1.html

[7]

http://www.ecchr.de

[8]

http://www.ecchr.de/index.php/varvarin.html

Verhaftet Henry Kissinger

Menschenrechtsvereine machen Druck

Anlässlich des 39. Jahrestags des Militärputsches in Chile wurden diese Woche in verschiedenen Tageszeitungen in Deutschland und dem Ausland Anzeigen mit dem Titel »Verhaftet Kissinger« geschaltet. Verantwortlich für die Aktion waren der in Chile geborene Künstler Alfredo Jaar und das Europäische Menschenrechtszentrum (ECCHR), das in Berlin seinen Sitz hat. Für Jaar ist es das Finale dreier Ausstellungen in Berliner Museen, in denen er sich auch mit dem Militärputsch gegen Chiles linkssozialistischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973 auseinandersetzte. Das Vorgehen der Generäle, die in den ersten Tagen nach dem Putsch Tausende Anhänger der gewählten Regierung verhaften, foltern und ermorden und auf öffentlichen Plätzen linke Literatur verbrennen ließen, weckte weltweit Assoziationen an den Faschismus. Jaar arbeitete in seinen Installationen mit Originaldokumenten, die nachweisen, dass die damalige US-Regierung und besonders ihr Außenminister Henry Kissinger seit der Wahl von Allende den Sturz der demokratisch legitimierten Regierung betrieben hat.

Das Ziel des ECCHR ist, Politiker und nichtstaatliche Akteure wegen von ihnen begangener Menschenrechtsverbrechen vor Gericht zu bringen. Ein Sprecher der Menschenrechtsorganisation bezeichnet Kissinger, der 1923 in Deutschland geboren wurde, als einen der »Hauptverantwortlichen, der von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten begangenen Kriegsverbrechen«. Weder sei seine Verstrickung jemals untersucht, noch sei er für seine Verbrechen angeklagt worden. Im Gegenteil: Bis heute sei Kissinger sowohl in Deutschland als auch international herzlich willkommen und respektiert.

Die Forderung, den US-Politiker juristisch zu belangen, ist alt und wird nicht nur wegen seiner Rolle beim Putsch in Chile erhoben. Kissinger hatte zwischen 1969 und 1977 verschiedene Funktionen innerhalb der US-Regierung inne. Während seiner Zeit als Außenminister eskalierte der Vietnamkrieg und wurde von den USA unter Bruch des Völkerrechts auf die Nachbarländer Kambodscha und Laos ausgeweitet. Jaar und der ECCHR haben deshalb die Anzeigen nicht nur in »taz«, »Tagesspiegel« und »Berliner Zeitung«, sondern auch in Medien von Laos, Kambodscha und Vietnam geschaltet. Dort versuchen Menschenrechtsorganisationen und Opferverbände ebenfalls, Kissinger vor Gericht zu bringen.

Heute Abend wird der Jurist und ECCHR-Mitbegründer Wolfgang Kaleck in Berlin mit Alfredo Jaar über die Kooperation von Menschenrechtsorganisationen und Kunst diskutieren.

18 Uhr, ECCHR-Büro, Zossener Str. 55-58
http://www.neues-deutschland.de/artikel/238538.verhaftet-henry-kissinger.html
Peter Nowak

Gesucht – Henry Kissinger

Ein Künstler erinnert gemeinsam mit Menschenrechtlern daran, dass die Verantwortlichen des Militärputsches in Chile noch immer straffrei geblieben sind

Am 14.September wurden in verschiedenen Tageszeitungen Anzeigen mit dem Titel „Verhaftet Kissinger“ geschaltet. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen Politik und Kunst. Der in Chile geborene Künstler Alfredo Jaar arbeitet für dieses Kissinger-Projekt mit dem Europäischen Menschenrechtszentrum zusammen. Für Jaar ist das Projekt das Finale dreier Ausstellungen in Berlin, die im besten Sinne engagierte Kunst zeigten. Dabei hinterfragt Jaar auch die Position des Künstlers immer wieder. Das beeindruckendste Beispiel in Berlin war eine Installation über den südafrikanischen Fotografen Kevin Carter, der für das Foto eines hungernden Kindes im Sudan den Pulitzer-Preis bekam und wenig später Selbstmord beging, nachdem Kritik laut geworden war, dass er mit dem Foto eines hungerndes Kindes berühmt werden wollte.

In den Berliner Ausstellungen werden auch verschiedene Arbeiten von Jaar gezeigt, in denen er sich mit dem Militärputsch gegen den linkssozialistischen Präsidenten chilenischen Salvador Allende am 11. September 1973 befasst. Das Vorgehen der Generäle, die gleich in den ersten Tagen nach dem Putsch Tausende Anhänger der gewählten Regierung verhaften, foltern und nicht selten ermorden und auf öffentlichen Plätzen linke Literatur verbrennen ließen, weckte weltweit Assoziationen an den Faschismus. Jaar zitiert Originaldokumente, die nachweisen, dass die damalige US-Regierung und besonders ihr Außenminister Henry Kissinger seit der Wahl von Allende den Sturz der Regierung betrieben haben und dass die Tatsache, dass die Linksregierung demokratisch legitimiert war, dabei kein Hindernis war.

Die Anzeigenkampagne zur Verhaftung Kissingers stellt Jaar bewusst in den Kontext des 39 Jahrestages des Militärputsches. Dieses Datum war in dem letzten Jahrzehnt durch die islamistischen Anschläge vom 11.September 2001 in den Hintergrund des Interesses geraten. Die Forderung, Henry Kissinger vor Gericht zu stellen, ist alt und wird nicht nur wegen seiner Rolle beim Putsch in Chile erhoben. Jaar und die Menschenrechtsorganisation werden deshalb die Anzeigen nicht nur in mehreren deutschsprachigen Zeitungen wie der taz, dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung, sondern auch in Medien von Laos, Kambodscha und Vietnam schalten, wo Menschen auch durch die von Kissinger repräsentierte Politik zu Schaden kamen.

Gefahr der Personifizierung?

Die Aktion erinnert an eine andere Kunstaktion: „Waffenhändler in den Knast“, mit der Künstler (http://www.politicalbeauty.de/center/News.html) gegen die Kraus-Maffei-Eigentümer intervenierten. Wie bei dieser Aktion stellt sich natürlich auch beim Kissinger-Projekt die Frage, ob damit nicht einer Personifizierung von Politik Vorschub geleistet und der Eindruck erweckt wird, Politik sei eine Kette von Verschwörungen. Allerdings ist gerade der Militärputsch tatsächlich eines der wenigen Beispiele für eine reale Verschwörung gegen unliebsame Regierungen.

Zudem sind Politiker wie Kissinger nicht nur Rädchen im Getriebe, sondern agieren in einen gewissen Rahmen durchaus eigenständig und können daher auch zur Verantwortung gezogen werden. Jaars Forderungen hat eine neue Aktualität bekommen, nachdem auch in Chile nach Jahrzehnten der Straflosigkeit, die sich die Militärs selber verordnet hatten, mittlerweile Klagen gegen einige für Morde und Kindesentführungen Verantwortliche begonnen haben.

FAZ-Artikel will US-Politiker wegen Irakkrieg vor Gericht sehen

Wenn aber ein Feuilletonredakteur der FAZ in einem Artikel, der am vergangenen Wochenende erschien, auch führende US-Politiker wegen des Irakkrieges vor Gericht sehen will, fragt man sich schon, ob das konservative Blatt jetzt zur Speerspitze der Anti-Irak-Kriegs-Bewegung geworden ist. Hat die Zeitung im Politikteil diesen Krieg damals nicht nach Kräften publizistisch unterstützt? Wäre da nicht eine redaktionsinterne Tagung über die Rolle des eingebetteten Journalisten im Krieg angebracht?

Ein solch greifbare Forderung fehlt in dem FAZ-Artikel ebenso wie der Name des deutschen Oberst Klein. Der kürzlich beförderte Militär ist für den Tod von fast 100 Toten von Kunduz verantwortlich. Wer ihn in einer deutschen Zeitung vergisst, wenn es um Politiker geht, die wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden sollen, muss sich schon den Vorwurf gefallen lassen, dass die Bereitschaft zur Aufklärung von Verbrechen dann nachlässt, wenn auch deutsche Militärs betroffen sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152766
Peter Nowak