Man spricht Hartz


Für Antragsteller ohne ausreichende Deutschkenntnisse soll es in den Jobcentern Übersetzer geben. In Berlin ist dies jedoch meist nicht der Fall.

Ein ungewöhnliches Bild bot sich den Besuchern Anfang Juni im Jobcenter Tempelhof-Schöneberg. Etwa 20 Menschen von der Berliner Erwerbsloseninitiative Basta skandierten die Parole »Hartz IV für alle«, wurden jedoch ­sofort vom Sicherheitsdienst eingekesselt und aus dem Gebäude gedrängt. Auch auf dem Vorplatz durften sie ihren Protest nicht fortsetzen. Die Polizei suchte sogar nach mehr als einer Stunde noch in der Umgebung des Jobcenters nach Menschen, die sich an dem Protest beteiligt hatten.
Warum aber fordert eine Erwerbs­loseninitiative, die für die Abschaffung der Agenda 2010 eintritt, plötzlich Hartz IV für alle? Es gehe darum, dass selbst diese minimale Unterstützung nicht allen gewährt wird, sagt Gitta Schalk von Basta. »Durch unsere wöchentliche Beratung treffen wir immer wieder Menschen, die mit ausgefüllten Anträgen von den Jobcentern weggeschickt werden, weil ihre Deutschkenntnisse für die Beantragung von Hartz IV angeblich nicht ausreichen«, so Schalk im Gespräch mit der Jungle World. Im Jobcenter Tempelhof-Schöneberg hätten sich solche Fälle in jüngster Zeit gehäuft. Deshalb wollte Basta gemeinsam mit abgewiesenen Menschen protestieren. Mitglieder der Initiative hatten Bücher in verschiedenen Fremdsprachen wie Kroatisch, Türkisch und Rumänisch dabei. Diese wollten sie den Mitarbeitern des Jobcenters auf einem Silbertablett präsentieren, was jedoch durch das schnelle Eingreifen des Sicherheitsdienstes verhindert wurde.

Eigentlich sollte ein solcher Nachhilfeunterricht nicht nötig sein. Denn in einer Weisung der Bundesagentur für Arbeit vom November 2016 wurde die Regelung zur »Inanspruchnahme von Dolmetscher- und Übersetzerdiensten« aktualisiert, um »ein rechtskonformes Verhalten an den Dienststellen sicherzustellen«. In dem Dokument wird erläutert, dass im Rahmen der EU-Freizügigkeit Menschen ohne gute Kenntnisse der deutschen Sprache die Dienste der Bundesagentur für Arbeit (BA) häufiger in Anspruch nähmen. »Für diesen Personenkreis darf der Zugang zu den Beratungs- und Sozialleistungen der BA ­sowie die Beantragung von Kindergeld und Kinder­zuschlag nicht durch Sprachbarrieren erschwert werden. Daher können Dolmetscher- und Übersetzungsdienste im erforderlichen Umfang in Anspruch genommen werden«, heißt es in der Weisung. Dorothee Lorenz von der Presseabteilung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der BA sagte der Jungle Word, auch im Jobcenter Tempelhof-Schöneberg seien Sprachvermittler für Arabisch, Farsi, Paschtu, Urdu und Russisch tätig.

Doch vielen Menschen, die sich schließlich an Basta wandten, hatte offenbar kein Übersetzer zur Verfügung gestanden. Dass es sich dabei nicht nur um ein Problem im Job­center Tempelhof-Schöneberg handelt, bestätigt die Rechtsanwältin Canan Bayram, die für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. »In meiner Abgeordnetensprechstunde beschweren sich immer wieder Menschen ­darüber, dass sie in staatlichen Einrichtungen, Behörden, Krankenhäusern oder Bildungseinrichtungen ohne Sprachkenntnisse abgewiesen oder schlecht behandelt werden«, sagt die Politikerin der Jungle World. Sie begleite häufiger Menschen aus der Türkei oder Bulgarien zum Jobcenter, um die Sprachbarriere zu überwinden. »Dabei gibt es kein Jobcenter, das nicht betroffen wäre. Nur die Bereitschaft, Lösungen im Sinne der Betroffen zu finden, ist bei den Jobcentern unterschiedlich ausgeprägt«, sagt Bayram. So sei im Jobcenter Spandau bei der Vorsprache mangels Sprachvermittler ein Termin vergeben worden, an dem ein Integrationslotse als Übersetzer anwesend sein konnte. Im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg sei eine Ombudsstelle eingerichtet worden, die Beschwerden annehmen und abhelfen kann. »Wichtig ist es, jeden Fall zu melden, damit die Dienstleistung der Jobcenter verbessert werden kann«, so Bayram. Das ist auch der Berliner Landesvorsitzenden der Linkspartei, Katina Schubert, wichtig. »Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen mit schlechten deutschen Sprachkenntnissen auf den Ämtern benachteiligt werden«, sagt die Sozialpoliti­kerin der Jungle World.

https://jungle.world/artikel/2017/26/man-spricht-hartz
Peter Nowak

Es ist Deutschland hier

JOBCENTER: Menschen ohne Deutschkenntnisse brauchen für ihre Anträge Sprachmittler. Doch viel zu oft fehlen diese. Jetzt macht eine Initiative Druck

„Wir fordern Hartz IV for all!“, skandierten die etwa 20 AktivistInnen der Berliner Erwerbsloseninitiative Basta vergangene Woche im Foyer des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg. Schon nach wenigen Minuten drängte sie der Sicherheitsdienst rabiat aus dem Gebäude. Nichts wurde es mit dem Plan, den MitarbeiterInnen Wörterbücher für Kroatisch, Türkisch, Italienisch und Rumänisch auf einem Silbertablett zu überreichen. „Bei unserer Beratung treffen wir immer wieder Menschen, die von den Jobcentern trotz ausgefüllter Anträge weggeschickt werden, weil ihre Deutschkenntnisse angeblich nicht ausreichen“, erklärt Gitta Schalk von Basta der taz. Das Jobcenter Tempelhof-Schöneberg tue sich dabei besonders hervor. Auf Schildern wird dort in englischer, deutscher und arabischer Sprache informiert: „Eine Beratung/Bearbeitung Ihres Anliegens kann nur im Beisein eines deutschsprachigen Sprachmittlers erfolgen.“ Für Schalk widerspricht das einer Weisung der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom November .2016, in der die „Inanspruchnahme von Dolmetscher- und Übersetzerdiensten“ geregelt wird. Dort wird erläutert, dass durch die EU-Freizügigkeit Menschen ohne gute deutsche Sprachkenntnisse die Dienste der Bundesagentur für Arbeit zunehmend in Anspruch nehmen. „Für diesen Personenkreis darf der Zugang zu den Beratungs- und Sozialleistungen der BA sowie die Beantragung von Kindergeld und Kinderzuschlag nicht durch Sprachbarrieren erschwert werden. Daher können Dolmetscher- und Übersetzungsdienste im erforderlichen Umfang in Anspruch genommen werden“, heißt es in der Weisung.
Dorothée Lorenz von der Presseabteilung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur erklärt da-
gegen auf Anfrage, dass beim Jobcenter Tempelhof-Schönberg SprachmittlerInnen für Arabisch, Farsi, Pashtu, Urdu und Russisch tätig seien.Doch für die Rechtsanwältin Canan Bayran, die für die Grünen im Berliner Abgeordnen-
tenhaus sitzt, haben alle Jobcenter Probleme, Menschen mit geringen Deutschkenntnissen SprachmittlerInnen zur
Verfügung zu stellen. Die Bereitschaft, Lösungen zu finden, sei unterschiedlich ausgeprägt. So würden im Jobcenter
Spandau IntegrationslotsInnen alls SprachmittlerInnen eingesetzt. In Friedrichshain-Kreuzberg sammelt eine Ombuds-
stelle Beschwerden über fehlende SprachmittlerInnen und bemüht sich um Abhilfe. Bayram setzt für die Einrichtung
einer Sprachmittlungshotline ein, wie sie in Pankow verwendet wird. Auch Lorenz sagt, dass durch die Telefonhotline DolmetscherInnen- und Übersetzungsdienstleistungen für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen in kürzester Zeit angeboten werden könnten.

TAZ.DIE TAGESZEITUNG, MITTWOCH, 14. JUNI 2017
PETER NOWAK