Warum ist der Rassismus in Ostdeutschland so stark?

Wäre es nicht mehr als 25 Jahre nach dem Untergang der DDR Zeit für die Frage, welchen Anteil die Art und Weise der Wende am Aufkommen der Rechten hat?

Seit 1990 wird über diese Frage diskutiert. Namen wie Hoyerswerda und Rostock haben sich schließlich eingeprägt. Das Besondere dort waren nicht die rassistischen Anschläge, sondern die offensichtliche Tatsache, dass sich Teile der Bevölkerung offen als rassistischer Mob präsentieren.

Dass nur wenig später auch in Mannheim-Schönau ein rechter Mob aus Nazis und „besorgten Bürgern“ gegen Migranten vorgingen, ist schon weniger präsent. Auch aktuell sind rassistische Tatorte, die nicht in Ostdeutschland liegen, oft kein Thema. So wurde am 3. September 2016 mitten Touristenmagnet Mauerpark im „bunten“ Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ein Grillfest von Menschen aus Kamerun von rechten Fußballfans überfallen.

Es gab mehrere Schwerverletzte. Die Polizei nahm zunächst die Daten der Angreifer nicht auf. Die Öffentlichkeit nahm kaum Notiz[1] davon. Erst zwei Wochen nach dem Angriff begann der Staatsschutz zu ermitteln[2].

Rassismus als Standorthindernis

Nun ist die Diskussion über die Ursachen des Rassismus in Ostdeutschland erneut laut geworden Anlass ist der jüngste Jahresbericht Deutsche Einheit der Bundesregierung, der „vom bedrohten Frieden“ spricht und den Rassismus als Malus bei der Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland bezeichnet (Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland: „Es gibt nichts schönzureden“[3]).

Berlin, 10. November 1989. Bild: Sue Ream/CC BY 3.0

Hier zeigt sich schon, was die Verfasser des Berichts als eigentliches Problem ansehen. Nicht dass Menschen, die als Nichtdeutsche klassifiziert werden oder die einer deutschen Norm in anderer Hinsicht nicht entsprechen, um Gesundheit und Leben fürchten müssen. Vielmehr könnte Deutschland als Wirtschaftsstandort Schrammen bekommen.

Eine solche Sichtweise ist nicht neu. Immer wieder haben Kommunal- und Landespolitiker der verschiedenen Parteien in der Berichterstattung über den Rassismus mehr als in den Angriffen einen Imageschaden für ihre Gemeinde, die Stadt oder das Bundesland gesehen. Daher wurde eine kritische Zivilgesellschaft, eine antifaschistische Gruppe oder Medienvertreter schnell zum Feindbild von Politikern aller Parteien, die sich nur um das Image ihres Standorts sorgen.

Im Jahresbericht Deutsche Einheit wird vordergründig offen mit den Rassismus und den rechten Aktivitäten in Ostdeutschland umgegangen. Doch die Diskussion über die Ursachen machte schnell den Eindruck, als befänden wir uns in einer Zeitschleife und wiederholten die alten Debatten noch einmal.

Welchen Anteil hatte die DDR-Politik?

Vor 25 Jahren war es natürlich naheliegend zu fragen, welchen Anteil die Politik der DDR daran hatte, dass in Ostdeutschland ein Teil der Bevölkerung kein Problem damit hatte, vor brennenden Flüchtlingsheimen gemeinsam mit Nazikadern zu feiern. Es gab schließlich tatsächlich Anknüpfungspunkte für die Frage. In der DDR gab es keine 68er-Bewegung, der Anteil der Nichtdeutschen war geringer als in Westdeutschland etc.

In den letzten mehr als 25 Jahren sind sehr verdienstvolle Arbeiten über die Defizite im antifaschistischen Teil Deutschlands erschienen, der die DDR nach der Lesart der DDR ja gewesen ist. Zu erinnern sei nur an die Arbeiten des Historikers Harry Waibel[4], der kürzlich einige Fälle von Rassismus in der DDR aufarbeitete, die nicht ins offizielle Geschichtsbild der DDR-Führung passen.

Viele andere Arbeiten zu Antisemitismus und regressiven Antizionismus in der DDR wurden ausführlich diskutiert. Sie waren notwendig und auch politisch sinnvoll, wenn sie nicht dazu dienten, gegen die Realität das Vorbild BRD in hellem Licht erstrahlen zu lassen.

Die akribische Recherche über die blinden Flecken in der DDR hat höchstens das Ergebnis gebracht, dass es dort in puncto Rassismus und Antisemitismus in großen Teilen der Bevölkerung nicht so viel anders als in Westdeutschland aussah. Da brauchen wir nur das Thema, das Harry Waibel untersuchte, als Beispiel zu nehmen. Über die mangelhafte Aufarbeitung von rassistischen Verbrechen in Westdeutschland können zivilgesellschaftliche Gruppen sehr viel Aktuelles berichten.

Seit Jahren gibt es zwischen ihnen und der Polizei heftigen Dissens darüber, wann ein von Rechten verübter Anschlag[5] rassistisch und neonazistisch motiviert ist. In den 1950 und 1960er Jahren war es mit einer oft noch im NS sozialisierten Polizei und Justiz oft noch viel schwerer für Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt, Gerechtigkeit zu erlangen.

War die DDR nicht einfach zu deutsch?

Was zudem bei der Diskussion über Rassismus in der DDR oft auffällt, ist ihre Konzentration auf die SED und die von ihr beeinflussten Institutionen bei der Verantwortlichkeit. Ausgeblendet wird, dass es in West- wie in Ostdeutschland um die gleiche deutsche Bevölkerung handelte, die sich selber als deutsches Volk imaginiert, den NS-Staat bis zum Schluss weitgehend getragen hat und bis im Mai 1945 noch die letzten versteckten NS-Gegner und Juden nicht verschonte.

Da sich, wie Bert Brecht bereits 1953 feststellte, auch die SED kein anderes Volk wählen konnte, wäre doch die Frage, wie man im Osten und im Westen versuchte, dieser NS-sozialisierten Gesellschaft zivilisatorische Maßstäbe beizubringen. Im Westen wurden die hoffnungsvollen Ansätze der Reeducation, die wesentlich von deutschen Emigranten erarbeitet wurden, im Kalten Krieg bald zurückgedrängt, weil man das alte NS-Personal wieder brauchte.

In der DDR wurde in der Bildungsarbeit gründlicher mit der NS-Ideologie abgerechnet. Doch stalinistische Strukturen mit ihrem Autoritarismus, der Versuch, einen spezifischen DDR-Nationalismus zu entwickeln, sowie ein auch regressiver Antizionismus in der SED waren hier Hinderungsgründe.

Was das Thema Rassismus in Ostdeutschland angeht, muss aber zumindest im Jahr 2016 auch die Frage gestellt werden, wie die Politik der Wende, die Art der Übernahme und des Elitenaustausches dazu beigetragen hat, dass die Rechte in Ostdeutschland so stark wurde. Anfang der 1990er Jahre äußerten die Neonazis, was zuvor in der DDR verboten war, und gerierten sich damit als Widerstandskämpfer gegen die DDR und ihre Lesart des Antifaschismus.

Welchen Anteil hatte die Politik der Wende für den Rassismus in Ostdeutschland?

Zudem müsste bei einer Analyse des Rassismus in Ostdeutschland auch die Sozialpolitik betrachtet werden. Schließlich wurde Ostdeutschland politisch gewollt zum innerdeutschen Niedriglohnsektor mit hoher Abwanderung und geringer gewerkschaftlicher Organisierung. Soziale Einrichtungen aus der DDR wurden zum großen Teil geschlossen.

Es gibt schon seit mehr als zwei Jahrzehnten auch dazu Analysen und es fehlte auch nicht an Warnungen, dass sich hier aus politischen und sozialen Gründen eine rechte Szene etablieren könnte. Mit den rassistischen Pogromen sowie Pegida und ihren Ablegern hat sich diese Prognose bewahrheitet. Der Historiker Dirk Borstel[6] hat sich kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk[7] diesen Aspekten zumindest gestellt.

Man muss ein bisschen gucken, wie die Demokratie übers Land kam. Ein Teil der Bevölkerung hat sie erkämpft mit großen Hoffnungen und viele dieser Hoffnungen sind zumindest im Einzelnen, im Klein-Klein enttäuscht worden. Das sieht man am besten, wenn man ein bisschen mal vergleicht, wie in den 50er-Jahren im Westen die Demokratie kam. Da kam sie zusammen mit dem Wirtschaftswunder. Das heißt, man wusste, dieses System ist in der Lage, Arbeit zu schaffen, Wohlstand zu schaffen, eine positive Zukunft, diese Idee, dass es zumindest den eigenen Kindern später einmal besser gehen würde.

Das hat im Osten nicht stattgefunden, sondern im Osten wurde es für viele verbunden mit sozialem Abstieg, mit Ängsten, mit Unsicherheit, aber auch mit dem Wissen, dass die Perspektive in den einzelnen Regionen auch sehr unterschiedlich, in einigen ja bis heute auch sehr, sehr schlecht bis schwach ist.Dirk Borstel

Dirk Borstel

Borstel hätte noch deutlicher werden können. Viele derjenigen, die wirklich gegen den autoritären DDR-Staat gekämpft haben, wollten keine Wiedervereinigung, sondern eine demokratische DDR. Diese in der DDR-Oppositionsbewegung weit verbreitete Vorstellung wurde von den BRD- Institutionen nie ernst genommen.

Mit einer Bevölkerung, die sich mit Fahnen und Helmut-Helmut-Geschrei als Deutsche imaginierte, wurde das Klima für die Wiedervereinigung geschaffen. Nur dann kam eben kein Marshallplan, der im Westen den Wirtschaftsaufschwung brachte, sondern der Kapitalismus mit seinen Deregulierungen und seinen stummen Zwängen der Verwertung über die Menschen. Weil Borstel diesen Aspekt ausblendet, bleibt sein Schlussstatement doch mindestens naiv:

Und wir haben auch einen Teil der Bevölkerung, der sich mit der Demokratie tatsächlich nie wirklich arrangiert hat, der eigentlich was anderes wollte, früh schon auch völkische Vorstellungen hatte, andere Vorstellungen eines Zusammenlebens, und uns ist es in den 25 Jahren nicht gelungen, dieses Milieu, was heute zum Teil eben AfD wählt, tatsächlich auf die Seite einer liberalen, weltoffenen Vorstellung von Demokratie zu ziehen.Dirk Borstel

Dirk Borstel

Hier wird ein idealistischer Demokratiebegriff eingeführt, wie er vielleicht in Universitätsseminaren gelehrt wird. Denn in den letzten 25 Jahren haben die Menschen eben nicht mit der Demokratie, sondern mit Kapitalismus und seinen stummen, gar nicht demokratischen Zwängen Bekanntschaft gemacht. Eine Analyse, die diesen Aspekt ausspart, wird immer einen blinden Fleck haben.

Heute müsste also die Frage nicht mehr lauten, welche Verantwortung hatte die Politik der DDR daran, dass die Rechte heute in Ostdeutschland so stark ist, sondern welche Verantwortung die Politik nach der Wende als Ursache dafür hatte, dass für die meisten Menschen heute nicht die idealen Gesetze der Demokratie, sondern die Zwänge des Kapitalismus auf ihren Alltag einwirken.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49515/2.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

https://en.wikipedia.org/wiki/German_reunification#/media/File:BerlinWall-BrandenburgGate.jpg

[1]

https://linksunten.indymedia.org/de/node/191102

[2]

http://www.reachoutberlin.de/de/content/mutma%C3%9Flicher-%C3%BCbergriff-im-mauerpark-dynamo-fans-sollen-kameruner-verletzt-haben

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49485/

[4]

http://www.harrywaibel.de/

[5]

http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990

[6]

http://www.fh-dortmund.de/de/fb/8/personen/lehr/borstel/index.php

[7]

http://www.deutschlandfunk.de/deutschland-rechts-gibt-es-eine-voelkische-mobilisierung.694.de.html?dram:article_id=366448