Zugeständnisse und Kontrolle

Der Berliner Senat kommt Initiativen, die für bezahlbaren Wohnraum kämpfen, vorgeblich entgegen. Doch insbesondere das Vorgehen der SPD dürfte bloße Wahlkampftaktik sein.

Erfolg oder Mitmachfalle? Diese Frage stellen sich die Berliner, die mit einem Volksbegehren eine sozialere Wohnungspolitik erreichen wollten, seit dem 19. August. An diesem Tag nämlich hat die Verhandlungsgruppe des Bündnisses für ein Mietenvolksbegehren mit der Berliner SPD einen Kompromissvorschlag ausgehandelt. Demnach soll das Gesetz zur Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin Ende September im Abgeordnetenhaus eingebracht und spätestens im November beschlossen werden. Anfang 2016 soll es in Kraft treten. Zu den Eckpunkten gehört eine Begrenzung der Mieten in Sozialwohnungen auf 30 Prozent der Nettoeinkommen der Bewohner. Bei hohen Betriebskosten kann die Miete sogar auf 25 Prozent gedeckelt werden. Für die Kosten von Neubau, Ankauf und Modernisierung von Wohnungen, die im Besitz städtischer Gesellschaften sind, soll ein Sonderfonds geschaffen werden. Der Neubau von bis zu 3 000 Sozialwohnungen mit Durchschnittsmieten von 6,50 Euro pro Quadratmeter soll ebenso gefördert werden wie die Modernisierung von 1 000 Sozialwohnungen. »Mit Beharrlichkeit und Sachverstand hat das Mietenvolksbegehren dem Senat weitgehende Zugeständnisse abgerungen«, kommentierte Uwe Rada in der Taz den Kompromissvorschlag.

Da sich etwa 70 Prozent der Berliner Mietwohnungen in Privatbesitz befinden, wird sich allerdings der wohnungspolitische Effekt in Grenzen halten. Mieterinitiativen sehen auch andere Schwachpunkte an dem vorgelegten Vorschlag. So soll die in dem geplanten Gesetz festgeschriebene Kappung der Mietkosten bei maximal 30 Prozent durch Subventionen vom Senat erreicht werden. Wohnungen bleiben weiter eine Ware und die Profite der Eigentümer werden nicht geschmälert. Doch den Initiatoren des Volksentscheids war klar, dass diese kapitalistischen Grundlagen nicht zur Abstimmung stehen. Die Mieterinitiative »Kotti & Co«, die mit der Besetzung des Gecekondu am Kottbuser Tor vor drei Jahren den Anstoß für die neue Berliner Mieterbewegung gegeben hat, sieht in dem Kompromissvorschlag einen großen Erfolg.

»Jetzt werden Zugeständnisse angeboten, die es seit 20 Jahren in Berlin nicht gegeben hat. Wir glauben aber nicht, dass damit die Verdrängung einkommensschwacher Teile der Bevölkerung aus den Stadtteilen und den Sozialwohnungen aufgehalten werden kann«, sagte ein Mitglied von »Kotti & Co« der Jungle World.

Hannah Schuster, die für die Mieten-AG der Interventionistischen Linken (IL) in dem Bündnis mitarbeitet, betont im Gespräch mit der Jungle World, dass es sich bei der ausgehandelten Vereinbarung lediglich um einen Vorschlag handle. »Wir werden alle Aspekte gründlich diskutieren und dann entscheiden, ob uns der Kompromiss ausreicht oder ob nachverhandelt werden muss.«

Schusters IL-Mitstreiter Ralf Neumann betont, dass das Volksbegehren nur ausgesetzt worden sei und jederzeit wieder vorangetrieben werden könne. In der ersten Phase hatten Mieteraktivisten innerhalb von sieben Wochen berlinweit fast 50 000 Unterschriften gesammelt und damit das notwendige Quorum weit übertroffen. Komme es zu keiner Einigung mit der SPD, könne das Bündnis das Volksbegehren fortsetzen und eine Abstimmung über die ursprünglichen Forderungen einleiten, kündigte Neumann an.

Die SPD, seit 20 Jahren als Regierungspartei mit unterschiedlichen Koalitionspartnern hauptverantwortlich für die Privatisierung des Berliner Wohnungsmarktes, will sich in den kommenden Wahlkämpfen offenbar als Mieterpartei inszenieren. Daher hat sie ein besonderes Interesse, den ausgehandelten Zwischenstand als fertiges Verhandlungsergebnis hinzustellen und so Fakten zu schaffen. Dass dabei fast alle Medien mitgespielt haben, ist kein gutes Zeichen für die Initiative, wenn sie sich dazu entschließen sollte, das Volksbegehren weiter voranzutreiben. Die SPD hat für diesen Fall schon mit einer juristischen Überprüfung des Gesetzentwurfes gedroht, was eine mehrmonatige Blockade bedeuten könnte.

Neumann sieht daher bei der SPD eine Taktik von Zuckerbrot und Peitsche am Werk. Dabei sei es vor allem das Ziel der Partei, die Teile des Volksbegehrens auszuklammern, die die kapitalistische Verwertungslogik in Frage stellen. »Bei dem Kompromissvorschlag der SPD handelt es sich um eine Kombination aus sozialem Zugeständnis bei voller staatlicher Kontrolle ohne echte Mitbestimmung der Mieterinnen und Mieter«, moniert Neumann. So werden die im Volksbegehren vorgesehenen Mieterräte im SPD-Vorschlag zu Organen der Mitverwaltung degradiert, die keinerlei Befugnisse haben. »Der Senat behält alles in der Hand, Mieterinnen und Mieter sowie soziale Bewegungen Berlins bleiben ganz bewusst außen vor«, fasst Neumann zusammen. Das Kalkül ist klar: Die Kooperation von Mieterinitiativen mit Gruppen der außerparlamentarischen Linken vor allem aus dem Umfeld der IL soll behindert werden, in dem auf einige Mieterforderungen eingegangen wird und alle anti­kapitalistischen Elemente gestrichen werden. Dieses Bündnis sorgte für einen Erfolg des Volksbegehrens, der selten benannt wird: Auch in armen Stadtteilen war der Rücklauf der Unterschriften groß. Das ist durchaus nicht selbstverständlich. Wie der Soziologe Thomas Wagner in seinem Buch »Die Mitmachfalle: Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument« ausführte, wird das Instrumentarium Volksbegehren eher von Angehörigen der Mittelschicht als von Armen genutzt, was die Durchsetzung sozialpolitischer Forderungen mittels Volksbegehren oft erschwert.

http://jungle-world.com/artikel/2015/36/52613.html

Peter Nowak

„Es geht um Elitenherrschaft“

MITBESTIMMEN Modelle der Bürgerbeteiligung können durchaus kritisch gesehen werden, sagt der Kultursoziologe Thomas Wagner, der gerade ein Buch dazu veröffentlichte

taz: Herr Wagner, Sie haben sich in mehreren Büchern kritisch mit den verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligungen auseinandergesetzt. Warum?

Thomas Wagner: Unter dem Stichwort Bürgerbeteiligung werden auch Gesellschaftsmodelle propagiert, die in Bezug auf die Partizipation großer Teile der Bevölkerung noch hinter die parlamentarische Demokratie zurückfallen.

Inwiefern?

Die Forderung nach der Direktwahl von PolitikerInnen erfreut sich etwa bei Wirtschaftslobbyisten wie Olaf Henkel großer Beliebtheit. Ihnen geht es dabei vor allem um eine plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft. Trotzdem wird diese Forderung auch von linken Parteien oft kritiklos unterstützt. Modelle der Bürgerbeteiligung werden so zum Herrschaftsinstrument. Einst kam der Ruf nach BürgerInnenbeteiligung aus dem alternativen Milieu. Mittlerweile versprechen sich maßgebliche Kreise aus Wirtschaft und Politik davon eine Imageförderung oder wollen damit der schwindenden Zustimmung von neoliberalen Reformprojekten entgegenwirken.

Können Sie Beispiele nennen?

Ein in Berlin viel diskutiertes Projekt war 2012 das BMW Guggenheim Lab. Hier wurde unter dem Stichwort „BürgerInnenbeteiligung“ Imagepflege für einen international agierenden Autokonzern getrieben. Es gibt auch viele weniger bekannte Beispiele. Bei Mediationsverfahren etwa stellen engagierte BürgerInnen Unternehmen ihre Expertisen zur Verfügung. Im Rahmen von BürgerInnenhaushalten sollen sie selbst entscheiden, an welcher Stelle gekürzt werden soll. Die Frage, ob und wie politischer Druck zur Verhinderung von Kürzungsprogrammen aufgebaut werden kann, wird dann gar nicht mehr gestellt.

Warum befürchten Sie, dass die Interessen einkommensschwacher Teile der Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungsmodelle noch mehr unter den Tisch fallen?

Verschiedene Studien weisen nach, dass sich an BürgerInnenbeteiligungsmodellen stärker als in den traditionellen Parteien Angehörige der Mittelschichten engagieren. Die Interessen der Marginalisierten sind dort noch weniger vertreten als bei traditionellen Partizipationsmodellen wie Parteien und Gewerkschaften.

Ist Bürgerbeteiligung also eine Klassenfrage?

Es ist auf jeden Fall ein Fakt, dass sich marginalisierte Menschen selbst dann weniger an Volksentscheiden beteiligen, wenn sie von den Forderungen direkt betroffen sind. So ist 2010 in Hamburg eine vom Senat geplante Schulreform, die mehr Chancengleichheit für SchülerInnen aus der einkommensschwachen Bevölkerung bringen sollte, daran gescheitert, dass sich genau diese Teile der Bevölkerung nicht an der Abstimmung beteiligt haben. Den Ausschlag gaben die Hamburger Mittelschichten, die sich massiv gegen die Reform engagierten.

Auch die Wahlbeteiligung ist bei Marginalisierten niedriger als bei Angehörigen der Mittelschichten. Insofern kann man daraus doch kein Argument gegen Volksentscheide machen.

Wenn InitiatorInnen von Volksbegehren mit der direkten Demokratie argumentieren, müssen sie sich schon Gedanken darüber machen, wie marginalisierte Teile der Bevölkerung einbezogen werden können. Sonst ist es zumindest keine Demokratie für alle.

Was hieße das für das Tempelhof-Volksbegehren?

Auch hier wäre wichtig, dass MieterInneninitiativen sowie Erwerbslosen- und Migrantengruppen in die Diskussion einbezogen werden.

Thomas Wagner Jahrgang 1967, ist Kultursoziologe und hat sich in mehreren Büchern kritisch mit Modellen von direkter Demokratie und BürgerInnenbeteiligung auseinandergesetzt, u. a. „Demokratie als Mogelpackung“ sowie „Die Mitmachfalle“, erschienen bei Papyrossa

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F11%2Fa0128&cHash=133ea2e8d6c1867f8a7a01627

INTERVIEW PETER NOWAK

Mitgehangen, mitgefangen

In Deutschland werden die Forderungen nach mehr direkter Demokratie lauter. Seit einiger Zeit kommt es immer häufiger zu Bürger- und Volksbegehren.

»Hamburg ist spitze«, lautete das Fazit eines Rankings, das die Initiative »Mehr Demokratie« Anfang Oktober veröffentlichte. Sie setzt sich für bundesweite Volksentscheide ein und listet Bundesländer auf, in welchen die gesetzlichen Hürden für dieses Instrument besonders niedrig sind. Hier steht Hamburg an erster Stelle. »Zu ­fast allen Themen können dort Volksbegehren und Bürgerentscheide angesetzt werden«, loben die »Freunde der direkten Demokratie«, wie sich die Anhänger der Volks- und Bürgerentscheide nennen. Diese Selbstbezeichnung ist Ideologie. Soll doch damit betont werden, dass hier die Bevölkerung ihre Meinung ganz ungefiltert von Parteien, Institutionen und Wirtschaft zum Ausdruck bringen kann. Die Grünen sowie die Piraten- und die Linkspartei übertrumpfen sich geradezu in Bekenntnissen zur direkten Demokratie.

Diese drei Parteien hatten am 22. September in Hamburg unabhängig vom Wahlergebnis besonderen Grund zur Freude. Parallel zur Bundestagswahl entschied eine knappe Mehrheit der Wahlberechtigten, dass die Hamburger Energienetze von der Stadt zurückgekauft werden sollen. Lange Zeit war unsicher, ob eine Mehrheit zustande kommen würde, weil eine Koalition aus SPD, CDU, FDP, großen Teilen der DGB-Gewerkschaften und sämtlichen Hamburger Boulevardmedien vor einer Neuverschuldung warnte. Das Hamburger Ergebnis ist auch eine Vorlage für das Bündnis »Berliner Energietisch«, das ebenfalls einen Volksentscheid für den Rückkauf der Energienetze ini­tiiert hat, über den am 3. November abgestimmt wird. Mittlerweile versuchen die Initiatoren, übertriebene Erwartungen an einen Erfolg zu dämpfen. Niedrigere Strompreise nach einer Rekommunalisierung der Energienetze habe man nie versprochen, betonen sie. Damit machen sie explizit die Grenzen der vielbeschworenen direkten Demokratie deutlich.

Auch kommunale Stadtwerke müssen gewinnbringend wirtschaften. Dennoch wäre es für arme Menschen in Berlin ein Fortschritt, wenn es ein Moratorium bei Stromabschaltungen gäbe. Besonders die linken Gruppen im Bündnis »Berliner Energietisch« haben sich dieses Themas unter dem Stichwort »Kampf gegen die Energiearmut« angenommen. Der Hamburger und Berliner »Energietisch« liefern auch eine propagandistische Vorlage für die linken Freunde der direkten Demokratie. Schließlich wird dort eine wirkliche Verbesserung für große Teile der Bevölkerung mittels Volksentscheid gegen den Widerstand von Parteien, Wirtschaft und Presse durchgesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass es dafür in der Bevölkerung eine Mehrheit gibt.

Dennoch wäre es falsch, in der direkten Demokratie generell ein Instrument zur Durchsetzung sozial gerechterer Verhältnisse zu sehen. Gerade in Hamburg hat sich bereits zwei Mal gezeigt, dass sich damit auch die Verfestigung alter Privilegien durchsetzen lässt. Im Jahr 2010 konnte die Bürgerinitiative »Wir wollen lernen« mit einem Volksentscheid eine Bildungsreform verhindern, welche die Privilegien der Hamburger Oberschicht ein wenig eingeschränkt hätte. Bereits 2009 initiierten Altonaer Kaufleute erfolgreich einen Bürgerentscheid für eine Ikea-Filiale im Stadtteil. Die Gegner, die als Alternative die Einrichtung eines sozio­kulturellen Stadtteilzentrums gefordert hatten, konnten sich nicht durchsetzen.

Als erfolgreiches Bürgerbegehren zugunsten der Immobilienwirtschaft bewertete der damalige Leiter der Region Nord der Aurelis Real Estate, Harald Hempen, die Pro-Ikea-Initiative in der Branchenzeitung Immobilienmanager. Dort befasste man sich bereits im August 2012 in einem Themenschwerpunkt mit der Frage, wie kritische Bürger schon vor Entscheidung über Großprojekten einbezogen werden können. Der Immobilienbranche geht es dabei um die Erhöhung der Akzeptanz solcher Projekte bei der Bevölkerung. Man dürfe die Meinungsbildung nicht den Gegnern überlassen, befand der Geschäftsführer von Aurelis Real Estate.

Für den Kultursoziologen und Publizisten Thomas Wagner handelt es sich bei dieser Art der Bürgerbeteiligung um »trojanische Pferde neoliberaler Stadtentwicklung«. Er hat in dem kürzlich erschienen Buch »Die Mitmachfalle« eine Fülle von Beispielen zusammengetragen, bei denen Modelle der Bürgerbeteiligung als moderne Herrschaftsinstrumente genutzt werden. Dabei werden auch manche von der außerparlamentarischen Linken favorisierte Formen der Partizipation kritisch untersucht. Zu ihnen gehört auch das sogenannte Stadtteil-Organizing, das der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke in den USA beobachtete. Er kritisiert im Gespräch mit Wagner, dass der US-amerikanische Bürgerrechtler Saul David Alinsky, der ein Wegbereiter des Community Organizing war, auf eine Kooperation mit den Eliten setzte und eine konfrontative Stadtteilpolitik ablehnte. Diese Form des Stadtteil-Organizing korrespondiert mit Mediationsmodellen, die bei derzeit umstrittenen Großprojekten zum Einsatz kommen. Die Bereitschaft zu Pragmatismus und schneller Kooperation ist bei diesen Modellen eine Grundvoraussetzung. Initiativen oder Einzelpersonen, die auf eine Politik der konsequenten Interessenvertretung setzen, gelangen bei diesem Vorgehen schnell in den Ruf, radikal und kompromisslos zu sein, und werden ausgegrenzt.

Das kann widerständigen Stadtteilinitiativen ebenso passieren wie kämpferischen Basisgewerkschaften oder sogar Parlamenten, wenn sie nicht bereit sind, ohne längere Diskussionen die neuesten Wirtschaftskonzepte zu billigen. Die Rede von der direkten Demokratie kann dann durchaus als Drohung aufgefasst werden, den wirtschaftsliberalen Umbau der Gesellschaft zügig umzusetzen. Wenn man bei einer Volksabstimmung die Bevölkerung vor die Wahl stellt, für eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zu stimmen oder den Rückzug des Investors zu riskieren, dürfte es nicht schwer sein, die entsprechenden Mehrheiten zu erhalten. In der Schweiz, einem Land, das die Befürworter der direkten Demo­kratie gerne als Vorbild bezeichnen, stimmte bei einer Volksabstimmung im vorigen Jahr eine Mehrheit gegen eine von den Gewerkschaften geforderte Verlängerung des gesetzlichen Mindest­urlaubs. Die Furcht, damit die Schweiz als Wirtschaftsstandort zu schädigen, gab den Ausschlag. In Österreich ist Ende September mit den »Neos« bei der Nationalratswahl erstmals eine Partei in das österreichische Parlament gewählt worden, die sich selbst als »Polit-Startup« bezeichnet, eine wirtschaftsliberale Ausrichtung hat und sich für die Erleichterung von Volksabstimmungen einsetzt.

Sollte es in absehbarer Zeit zu schwarz-grünen Koalitionen in Deutschland kommen, dürften Volksabstimmungen auch hierzulande an Bedeutung gewinnen. Für eine solche Kooperation setzt sich Heiner Geißler (CDU) schon länger ein. Er gilt als vehementer Befürworter der Bürgerbeteiligung und kann bereits auf praktische Erfahrungen verweisen. Schließlich haben Geißler als Schlichter im Bahnhofskonflikt und die Grünen in Baden-Württemberg vorgeführt, wie man ein in der Bevölkerung umstrittenes Projekt wie »Stuttgart 21« doch noch verwirklichen kann. Ohne direkte Demokratie wäre das wohl kaum möglich gewesen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/42/48635.html

Peter Nowak

Die Mitmachfalle

Thomas Wagner entlarvt Partizipationsprozesse bei großen Bauprojekten als Mogelpackung

Hat der Runde Tisch mit Heiner Geißler nur dazu beigetragen, dass der Bahnhof in Stuttgart doch gebaut wird? Thomas Wagner beleuchtet in seinem neuen Buch Bürgerbeteiligung von Startbahn West bis Porto Alegre.

Bürgerbeteiligung hat einen guten Ruf bei den Grünen, der Linkspartei und der außerparlamentarischen Linken. Doch oft ist

Bürgerbeteiligung hat einen guten Ruf bei den Grünen, der  Linkspartei aber auch der außerparlamentarischen Linken.  Doch oft ist die Aufforderung zum Mitgestalten eine Mogelpackung, lautet die These des Soziologen Thomas Wagner. Bereits vor zwei  Jahren hat er seine Kritik an Modellen der direkten Demokratie als „Deutschlands sanften Weg in den Bonapartismus“   in einem im Papy Rosa-Verlag erschienenen Buch theoretisch begründet. Jetzt hat Wagner im gleichen Verlag unter dem Buch  „Die Mitmachfalle – Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument“ seine Kritik erweitert und mit vielen aktuellen Beispielen  untermauert.
Am Prominentesten ist die  Mediation beim  Großprojekt Stuttgart 21, wo der vielgelobte Heiner Geißler vielleicht mehr dazu getan hat, dass das Projekt doch noch gebaut wird.  Der CDU-Veteran habe nicht erst am Beispiel Stuttgart erkannt, dass  neue Wege gesucht werden müssen, „um die Profitinteressen privater Unternehmen zu wahren und die Eigentumsverhältnisse zu schützen“, schreibt Wagner. Die stark politisierte Bewegung  gegen Stuttgart 21 war gerade dabei, Lernprozesse über Staat und Kapitel zu machen, die durch die Mediation weitgehend  neutralisiert wurden  Ähnliche Entwicklungen  hat es bereits Jahre zuvor bei der Erweiterung der Startbahn-West im Rhein-Main-Gebiet gegeben. Der langjährige Aktivist in der Anti-Startbahnbewegung Michael Wilk gehört zu den frühen Kritikern dieser Mitmachkonzepte. Im Gespräch mit  Wagner unterscheidet er  basisdemokratische Entscheidungsprozesse von den großen Parteien vorangetriebene  Mediationsverfahren am Frankfurter Flughafen, das Wilk als Befriedungsstrategie bezeichnet.
Als ein weiteres bekanntes Beispiel für die Mitmachfalle bezeichnet Wagner,   das  Guggenheim-Lab, das im  Sommer 2012  kurzzeitig die Presselandschaft bewegte, weil die Initiatoren nach Protestankündigungen seinen Standpunkt aus Kreuzberg nach Prenzlauer Berg verlegten.  In dem Lab werden Vorschläge für eine lebenswerte Welt für den Mittelstand  gesammelt. Die  Belange der einkommensschwachen Teile der Bevölkerung spielen kaum eine Rolle. Daher hat Wagner auch viel Verständnis für die  von der übergroßen Medienöffentlichkeit und  der Politik heftig angegriffen Kritiker des Lab.
In einem eigenen Kapitel unterzieht  Wagner die Ideologie der auch bei Politikern der Linkspartei beliebten Bürgerhaushalte  einer fundierten Kritik. Während das gute Image  vor allem daher rührt,  dass sie mit dem brasilianischen  Porto Alegre, der Stadt der ersten   Weltsozialforen, verknüpft werden, zigt Wagner  auf, wie mittels  Bürgerhaushalten Betroffene  an den Spar- und Kürzungsdiktaten beteiligt werden und diese so besser akzeptieren sollen. Daher haben auch immer  mehr unternehmerfreundliche Denkfabriken und selbst die FDP Gefallen an den Mitmachmodellen gefunden, wie Wagner nachweist.     Sie erhoffen sich davon eine reibungslosere Durchsetzung von Großprojekten.
Deren  Gegner sollten  daher auf die  Austragung von Interessengegensätzen ohne Vereinnahmung  sowohl in der Arbeitswelt, am Jobcenter wie im Stadtteil stark machen, so Wagners Plädoyer.     Sein Buch kann als nützlicher Ratgeber genutzt werden, um möglichst nicht in alle Mitmachfallen zu stolpern.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/831487.die-mitmachfalle.html
Peter Nowak
Wagner Thomas, Die Mitmachfalle – Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument, 160 Seiten, 12,90 Euro, Papy Rosa Verlag, 2013, ISBN 9783894385279

Warnung vor der Mitmachfalle

Links

[1]

http://s445925490.e-shop.info/shop/article_527-9/Wagner%2C-Thomas%3A-%3CBR%3EDie-Mitmachfalle.html

[2]

http://www.horx.com/Zukunfts-Lexikon.aspx

[3]

https://www.entrepreneurship.de/artikel/holm-friebe-wir-nennen-es-arbeit/

[4]

http://saschalobo.com/

[5]

http://www.hfm-berlin.de/Adrienne_Goehler.html

[6]

http://worldcat.org/identities/lccn-n79-39875