Justizminister ignorieren Rentenforderung

JVA Verbände und Gewerkschaften fordern Rentenanspruch und Mindestlohn für Strafgefangene

Mehmet Aykol arbeitet seit über 20 Jahren in einer Druckerei. Dennoch droht ihm Altersarmut, weil er später auf Grundsicherung angewiesen sein wird. Er gehört zu den rund 64.000 Strafgefangenen in Deutschland, die trotz regelmäßiger
Arbeit keine Rentenansprüche haben. „Das widerspricht dem erklärten Ziel des Strafvollzugs, straffällig gewordene Menschen
dabei zu unterstützen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden“, sagt Michael Löher vom Vorstand des Deutschen Vereins
für öffentliche und privatFürsorge e. V. Er fordert wie andere sozialpolitische Organisationen, dass Strafgefangene einen
Anspruch auf eine Rente haben sollten. Löher & Co. richten ihre Forderung an die Konferenz der Justizminister der Länder, die am 17. November in Berlin tagt. Warum die Rente im Knast erneut nicht auf der Tagesordnung steht, kann die Behörde auf Anfrage der taz nicht erklären. Fakt ist: Das Thema wird wie so oft in den letzten Jahrzehnten vertagt. Schließlich sah das Strafvollzugsgesetz von 1977 bereitsdie Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung vor. Sie wurde bis heute nicht
umgesetzt, weil sich Bund und Länder über die Finanzierung nicht einigen konnten. „Arbeitende Gefangene werden nicht nur gegenüber ihren KollegInnen draußen diskriminiert, sondern auch gegenüber den Strafgefangenen, die als FreigängerInnen außerhalb der Gefängnisse arbeiten und in die Rentenversicherung einbezogen sind“, betont die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe, Gabriele Sauermann. Ganze Familien würden durch den Ausschluss aus der Rentenversicherung stark belastet. Der Sprecher der 2014 gegründeten Gefangenengewerkschaft/ bundesweite Organisation (GG/BO) betont, dass neben der Rente auch die Zahlung von Mindestlohn nötig ist. Die Bundesländer sehen in der Knastarbeit
kein Arbeitsverhältnis, deshalb erhalten Gefangene auch keinen Lohn, sondern „Entgelt“. In der Berliner JVA Tegel etwa
bekommt ein Gefangener zwischen 8 und 15 Euro pro Tag. Das ist ein Stundenlohn weit unter 2 Euro. „Wo aktuell so viel von Altersarmut die Rede ist, können die Strafgefangenen nicht einfach aus der Diskussion ausgespart werden“, kritisiert Löher. Er
benennt ein klares Ziel der Initiative: „Nach den nächsten Bundestagswahlen muss die Rente hinter Gittern Teil der Koalitionsvereinbarungen werden“.

Inland TAZ.DIE TAGESZEITUNGDIENSTAG, 15. NOVEMBER 2016
PETER NOWAK

Ein Streik hinter Gittern wäre Meuterei

Mehmet Aykol arbeitet seit über 20 Jahren in einer Druckerei. Doch im Rentenalter droht ihm Armut, er wird auf Grundsicherung angewiesen sein. Aykol gehört zu den etwa 64 000 Strafgefangenen in Deutschland, die trotz regelmäßiger Arbeit keine Rentenansprüche haben. »Das widerspricht dem erklärten Ziel des Strafvollzugs, straffällig gewordene Menschen dabei zu unterstützen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden«, erklärte Michael Löher vom Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Gemeinsam mit weiteren sozialpolitischen Organisationen hat er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz die Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung gefordert.

Bereits in den früheren 1970er Jahren diskutierten Juristen und Kriminologen die soziale Gleichstellung der Beschäftigten hinter Gittern. Das Strafvollzugsgesetz von 1977 sah die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung vor. Sie wurde nicht umgesetzt, weil sich Bund und Länder nicht über die Finanzierung einigen konnten. Für Martin Singe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie geht es dabei um eine massive Verletzung der Grundrechte. Ähnlich argumentiert die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe, Gabriele Sauermann: »Arbeitende Gefangene werden nicht nur gegenüber ihren Kollegen draußen diskriminiert sondern auch gegenüber den Strafgefangenen, die als Freigänger außerhalb der Gefängnisse arbeiten und in die Rentenversicherung einbezogen sind.« Aus vielen Kontakten mit den Gefangenen weiß sie, wie stark der Ausschluss aus der Rentenversicherung die Menschen belastet.

Die 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) erfährt unter anderem wegen ihres Eintretens für die Rente arbeitender Gefangener viel Zustimmung. GG/BO-Sprecher Falk Pyrczek betont allerdings auch, dass nur die Zahlung von Mindestlohn für die Knastarbeit gewähreistet, dass die Gefangenen von ihrer Rente leben können.

Noch eine weitere Forderung der GG/BO ist für den Kampf um die Rente hinter Gittern wichtig: Die Gewährleistung von vollen gewerkschaftlichen Rechten im Gefängnis. »Wenn aktuell Gefangene für die Einbeziehung in die Rentenversicherung in einen Streik treten würden, könnten und müssten sie wegen Meuterei mit empfindlichen Strafen rechnen«, erklärt Pyrczek. So werde das Gefängnis zu einem Billiglohnland im Inneren der Bundesrepublik, das auch Arbeitskräfte an die Automobilbranche verleiht. Als hoffnungsvolles Zeichen wertet der Gefangenengewerkschafter, dass der LINKE-Bundesvorstand die Forderungen der GG/BO unterstützt. Pyrczek hofft, dass das Bundesland Thüringen mit dem LINKE-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow im Bundesrat die Initiative für die Rechte der Gefangenen ergreift.

Bei der Herbstkonferenz der Bundesjustizminister am 17. November in Berlin steht das Thema Rente für arbeitende Gefangene wieder einmal nicht auf der Tagesordnung. Michael Löher vom Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge erwartet in dieser Legislaturperiode keine Ergebnisse mehr. Jetzt müsse dafür gesorgt werden, dass die Forderung nach Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung in die Koalitionsverhandlungen nach den nächsten Bundestagswahlen Eingang findet.

Peter Nowak