Geschichte im Schulbuch

Tagungsnotizen

Die Hand zum Hitlergruß erhoben, empfangen deutsche Frauen 1938 die deutsche Wehrmacht im Sudentenland. Dieses Foto begrüßte die Besucher einer Diskussionsveranstaltung im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst. Sie fand in dem Saal statt, wo die Wehrmacht am 8. Mai 1945 kapitulierte. »Wie kommt die Geschichte ins Schulbuch?«, lautete die Frage, die Wissenschaftler aus Deutschland, Russland und Tschechien erörtern wollten.

Den Ausführungen von Jaroslav Najber, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Studien zu totalitären Regimen in Prag, war zu entnehmen, wie die Totalitarismustheorie, die Kommunismus und Nationalsozialismus gleichsetzt, sich im öffentlichen Geschichtsbild niedergeschlagen hat. Das Interesse an den Sudentendeutschen als Opfer von Vertreibung nach 1945 sei unter Schülern gewachsen. Über Forschungen zu den Naziverstrickungen und den Antisemitismus vieler Organisationen der Sudetendeutschen wusste Najber nichts zu berichten. Auch zum geringen antifaschistischen Widerstand unter Sudentendeutschen werde in Tschechien nicht geforscht. »Es geht in der Forschung immer auch um die Relevanz«, sagte er. Wer in Tschechien an einem solchen Geschichtsverständnis Kritik übt, werde als »Ewiggestriger« gebrandmarkt.

In Russland ist der Terror der deutschen Wehrmacht und ihrer Sondereinheiten nicht vergessen. Entsprechend gab es vor einigen Monaten heftige Empörung, als der russische Schüler Nikolai Desjatnitschenko in einer Rede im Deutschen Bundestag Wehrmachtsoldaten als Opfer bezeichnete; seine Reise in die Bundesrepublik war übrigens von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung finanziert worden. Die Moskauer Geschichtslehrerin Tamara Eydelman berichtete, dass sich einige Politiker und Schuldirektoren in ihrer Heimat in der Auseinandersetzung hinter den Schüler und dessen Lehrerin stellten. Sie selbst teile auch nicht die geballte Kritik an den beiden in Russland. Deren Initiatoren würden nationalistisch argumentieren. Keiner der mit knapp 20 Teilnehmern schlecht besuchten Veranstaltung widersprach ihr.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Geschichtsdidaktik an der Berliner Humboldt-Universität, Thomas Sandkühler, sieht in absehbarer Zeit keine Chance für eine gemeinsame europäische Geschichtspolitik. Es habe in den letzten Jahren Geschichtsbücher gegeben, die einen solchen Ansatz verfolgt hätten, sie würden im Schulunterricht jedoch kaum verwendet. Eydelmann und Najbert erklärten, in ihren Ländern würden solche Bücher nicht auf Interesse stoßen. Ein Zuhörer machte dann darauf aufmerksam, dass die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Russland und die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen im deutschen Geschichtsnarrativ noch längst nicht fest verankert sind.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1082652.geschichte-im-schulbuch.html

Peter Nowak

Rechte Provokationen am Tag der Befreiung

Die NPD marschiert vor dem Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst auf – in Berlin-Buch wurde das sowjetische Ehrenmal beschmiert.

Zum 68ten Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus veranstaltete wie in jedem Jahr das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst ein Fest, an dem russische Veteranen, israelische Journalisten und Politiker verschiedener Parteien teilnahmen. Doch die Feier wurde durch eine Veranstaltung der NPD vor dem Museum empfindlich gestört, die von 16.00 bis 18.00 Uhr andauerte.

Rund 30 Mitglieder der rechten Szene, darunter der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke, stellten die Deutschen als Opfer der Alliierten und besonders der Roten Armee hin. Schon in den vergangenen Jahren hatten die NPD und andere rechtsextreme Gruppen Demonstrationen vor dem Museum organisiert, in dem im Mai 1945 die Vertreter des NS-Regimes die Kapitulationsurkunde unterzeichneten.

Die Museumsleitung wurde kurzfristig von der rechten Aktion am 8. Mai informiert. „Eine Benachrichtigung durch die örtliche Polizei erfolgte mündlich einige Stunden vor Beginn der Kundgebung. Zahlreiche Gäste zeigten sich verständnislos und empört von der Präsenz der NPD-Anhänger vor dem historischen Ort“, erklärte die Pressesprecherin des Deutsch-Russischen Museums Julia Franke. Auch Museumsdirektor Jörg Morre kritisierte im Gespräch mit dem Radiosender „Stimme Russlands“, dass das Haus erst drei Stunden vorher über die rechte Demonstration informiert worden sei und das noch von der untersten Ebene der Polizei.

Morre kritisierte zudem, dass die Kundgebung genehmigt wurde. „Jeder vernünftige Innenpolitiker dürfte wissen, was wir heute für ein Ort sind“, erklärte Morre am 8. Mai. Die Partei Die Linke hat angekündigt, die rechte Kundgebung im Berliner Abgeordnetenhaus zur Sprache zu bringen.

Auch das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Buch war in der Nacht zum 8. Mai mit rechten Parolen wie „Besatzer raus“ beschmiert worden. Die Aktion erfolgte wenige Stunden, bevor die Vertreter der Bezirksverordnetenversammlung an dem Mahnmal einen Kranz niederlegten. Der politische Staatsschutz hat die Ermittlungen wegen Sachbeschädigung aufgenommen.

aus Blick nach Rechts
http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/rechte-provokationen-am-tag-der-befreiung
Peter Nowak