Zwischen Straßenmilitanz und Biofeinkost

Der Spielfilm »Deckname Jenny« zeichnet ein Porträt der militanten und der reformerischen linken Szene

Die Szene spielt in einem Krankenhaus. Eine schwer kranke Frau in mittlerem Alter verabschiedet sich von ihrer kleinen Tochter Jenny mit den Worten: »Da wo ich jetzt hingehe, müssen wir alle eines Tages gehen.« Ich wäre aber gern noch bisschen geblieben.» Ein sehr konventioneller Anfang für einen alternativ-politischen Spielfilm.

In der Schlussszene von «Deckname Jenny» entscheidet sich die junge Frau mit einer Gruppe von Genoss_innen, sich am Aufbau einer Rätegesellschaft in Rojava zu beteiligen. Zuvor hat sie klargestellt, dass sie keinesfalls als Märtyrerin auf ein Plakat abgebildet werden will, sollte sie in Kurdistan umkommen.

Zwischen diesen Szenen erleben wir 100 Minuten politische Geschichte von jungen Leuten, die nicht mehr nur auf Demos gehen wollen. Dabei lernen sie die Geschichte ihrer Eltern kennen, die in ihrer Jugend in der Bewegung 2. Juni und den Revolutionären Zellen aktiv gewesen waren, dies aber vor den Kindern gut verborgen gehalten hatten.

In dem Film werden viele Themen angesprochen, die aktuell die außerparlamentarische Linke beschäftigen. Da geht es um ehemalige Linke, die, nun wohlhabend geworden, nur noch mit Zynismus auf ihre Vergangenheit zurückblicken. Da geht es um Geflüchtete, die abgeschoben werden und untertauchen, um selbstbewusste Frauen, die sich über die Vorstellung von romantischer Liebe auch zwischen Frauen lustig machen.
Auch in feministischen Kreisen sorgte Fansa einst für Debatten, weil sie als Transperson die Existenz von zwei Geschlechtern und damit auch die Notwendigkeit weiblicher Rückzugsräume infrage stellte. In dem Film «Verdrängung hat viele Gesichter» zeigte sie, wie die ärmere Bevölkerung in einem Berliner Stadtteil auch durch linke Baugruppen verdrängt wird.

«Keine Reformautonomen, kein Kuscheln mit Fördertöpfen, keine Staatsantifa», sagt ein junger Autonomer auf einem der vielen linken Plenen im Film. Dass er trotzdem nicht redundant und langweilig wirkt, liegt an der Ironie und an einem Humor, der auch die eigene Szene nicht verschont. So fremdelt ein Ex-Militanter sichtlich, als er in ein Biorestaurant zum Treffen eingeladen wird. Eine Einführung in die Feinheiten der Biokost beendet er mit der trockenen Feststellung, dass dem Staat nichts passiert, solange Militante dort einkaufen. Er ist wie viele der im Film auftretenden Personen auch in der Berliner Linken aktiv und wirkt deshalb besonders identisch.

In solchen Szenen wird dann nicht nur der neue grüne Mittelstand mit Hohn und Spott überzogen. Auch vegane Linksradikale und Tierrechtler_innen sind gemeint.

Die Regisseurin Samira Fansa hat mit diesem Film die real existierende Linke, ob reformerisch oder militant, gut nachgezeichnet. Das mag auch daran liegen, dass sie selbst seit mehr als drei Jahrzehnten in der radikalen Linken aktiv ist. Überregional bekannt wurde Fansa übrigens durch ihre umstrittene Farbbeutelattacke auf den damaligen grünen Außenminister Joschka Fischer, als dieser im Mai 1999 seine grüne Partei auf dem Bielefelder Parteitag auf den Natokrieg gegen Jugoslawien einschwor.

Wie die anderen Projekte der streitbaren Regisseurin wird auch «Deckname Jenny» wieder für Kontroversen sorgen, allein schon deshalb, weil darin «Militanz nicht als kompletter Irrweg dargestellt wird. Der mit Unterstützung der selbstverwalteten Filmarche produzierte Film wurde über Crowdfunding finanziert, wobei noch mehr als 5000 Euro fehlen. Am 14. Dezember hat der Film im Berlin-Kreuzberger S036 Vorpremiere und soll dann ab Februar auch in anderen Städten zu sehen sein.

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Peter Nowak