Kunst und Arbeitswelt

Das »Potosi-Prinzip« im Haus der Kulturen

Von außen sieht es aus, als hätte sich in der kleinen Kammer jemand häuslich eingerichtet. Über dem Bett hängen Fotos, in einer Ecke steht ein Fernsehgerät. Der Raum ist eine Unterkunft chinesischer Wanderarbeiter. Die Installation ist Teil des im Erdgeschoss der Berliner IG-Metall-Ortsverwaltung nachgebauten Pekinger Museums der Wanderarbeiter. Dort wird die knapp 30jährige Geschichte der chinesischen Wanderarbeiter auf Bildtafeln, aber auch mit vielen Fotos und Utensilien, anschaulich dargestellt. Dazu gehören extra für die Wanderarbeiter gedruckte Zeitungen ebenso wie die verschiedenfarbigen Aufenthaltsgenehmigungen. Einige Exponate widmen sich der Kultur der Wanderarbeiter in mehreren Generationen. Die Jugendlichen spielen in Bands, die in ihren Texten auf ihre speziellen Probleme eingehen. Auf zahlreichen Fotos wird die Achtung vor der Arbeit beschworen. Die Ausstellung macht deutlich, dass die Wanderarbeiter in China keine vergessene Minderheit mehr sind. Mittlerweile hat die chinesische Politik erkannt, dass sie deren Probleme nicht mehr ignorieren kann. Das im Mai 2008 eröffnete Museum der Wanderarbeiter wäre ohne die Unterstützung durch die offizielle Politik nicht möglich gewesen.

 Das war nicht immer so. Noch am 17. März 2003 ist ein studentischer Wanderarbeiter von der chinesischen Polizei totgeprügelt worden, weil seine Papiere nicht in Ordnung waren. Die vom Arbeitskreis Internationalismus der Berliner IG-Metall organisierte Ausstellung macht deutlich, dass das viel gerühmte chinesische Wirtschaftswunder auf der Arbeitskraft der Wanderarbeiter beruht. Auch viele der bei uns so beliebten Videokameras und Computer wurden von ihnen hergestellt. Auf diese Aspekte wird in mehreren Begleitveranstaltungen hingewiesen.

Die Kisten, mit denen die Utensilien des chinesischen Wanderarbeitermuseums nach Berlin transportiert wurden, befinden sich im Haus der Kulturen der Welt (HdKdW). Sie sind Teil der von Alice Creischer, Max Jorge Hinderer und Andreas Siekmann kuratierten Ausstellung »Das Potosi-Prinzip«. Benannt ist sie nach der bolivarischen Stadt Potosi, im 17. Jahrhundert eine der größten Städte der Welt. Der massive Transport von Silber und Gold aus Lateinamerika nach Europa sorgte damals für einen Akkumulationsschub. Weniger bekannt ist, dass zu dieser Zeit auch Tausende von Bildern nach Europa exportiert wurden, mit denen die Verbreitung der christlichen Religion in Lateinamerika gefeiert wurde.

Im HdKdW sind einige dieser Bilder zu sehen. 25 zeitgenössische Künstler haben sich in ihren Arbeiten mit dem Verhältnis von Christianisierung, Ausbeutung der Arbeitskraft und ursprünglicher Akkumulation auseinandergesetzt. Eine Broschüre dient den Besuchern als Leitfaden für den Gang durch die komplexe Ausstellung. Während im HdKdW die Geburt des europäischen Kapitalismus künstlerisch bearbeitet wird, dokumentiert die Berliner IG-Metallverwaltungsstelle die Geburt einer neuen Arbeiterklasse.

Haus der Kulturen der Welt, John-Forster-Dulles-Allee 10, Mi.-Mo.: 11-19 Uhr, IG-Metall, Jakobstr. 149, Mo.-Do.: 9-18 Uhr, Fr.: 9-15 Uhr.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185504.kunst-und-arbeitswelt.html

Peter Nowak