Mieter und Künstler stellen die Wohnungsfrage

Mit der Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt wird deutlich, dass der kapitalistische Verwertungszwang das größte Hindernis für alternative Wohnmodelle darstellt

Der türkische Teekocher mit dem Aufkleber der Kreuzberger Stadtteilinitiative Kotti & Co. gehört zum Inventar des Protest-Gececondo[1], das die Mieter im Mai 2012 am Kottbuser Tor errichtet haben. Nun findet sich der Teekocher auch im Haus der Kulturen der Welt[2]. Dort wurde im Rahmen der Ausstellung „Wohnungsfrage“[3], die am 22.Oktober eröffnet wurde, die Protesthütte nachgebaut.

„Das HKW hat uns die Möglichkeit gegeben, mit dem Architekten Teddy Cruz und der Wissenschaftlerin Fonna Forman[4] aus San Diego eine Antwort auf die Frage des Wohnens zu suchen. Sehr schnell waren wir uns einig, dass die Frage des Wohnens niemals nur eine räumliche /architektonische ist, sondern immer auch eine politische und eine ökonomische Frage“, erklärt Sandy Kaltenborn von Kotti & Co gegenüber Telepolis.

Im Rahmen der Ausstellung wird die temporäre Hütte nicht nur im HKW zu sehen sein. Vom 6. bis 8. November wird sie neben der Protesthütte am Kottbuser Tor aufgebaut. Dort wird auch die 50minütige Filminstallation „Miete essen Seele auf“[5] von Angelika Levi[6] zu sehen sein, in der die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in Kreuzberg verarbeitet wird.

Auch die Senioren der Stillen Straße[7], die 2012 mit der Besetzung[8] ihres von Schließung bedrohten Treffpunkts in Pankow für Aufmerksamkeit sorgten, sind Kooperationspartner der Ausstellung. Gemeinsam mit ihnen entwickelte das Londoner Architekturbüro Assemble die Installation Teilwohnung[9]. So ist ein Wohnkomplex entstanden, der im Erdgeschoss kollektiv genutzte Gemeinschaftsräume und Werkstätten beherbergt. Die anderen Etagen sind den privaten Räumen der Bewohner vorbehalten.

„Der Entwurf ermöglicht ein gemeinsames und zugleich selbstbestimmtes Wohnen von Menschen jeden Alters und stellt damit einen Gegenentwurf zu den isolierten Wohnanlagen dar „, betont einer der Architekten.

Mietenkämpfe, wenn der kapitalistische Verwertungszwang wegfällt

In der Eröffnungsansprache benannte der Intendant des HKW Bernd Scherer die Faktoren, die die Verbreitung solcher menschenfreundlichen Alternativen behindern. „Wohnungen werden nicht nur gebaut, um darin zu wohnen, sondern um Geld anzulegen und mit den wachsenden Preisen und Mieten zu spekulieren“, benannte er eine Situation, die heute Mieter mit geringen Einkommen leidvoll erfahren.

In der Ausstellung wird an Beispielen aus verschiedenen Teilen der Welt gezeigt, wie Wohnungen für die Allgemeinheit errichtet werden können, wenn der kapitalistische Verwertungszwang zurückgedrängt ist. So zeigt der Dokumentarfilm „Häuser für die Massen“ wie in Portugal nach der Nelkenrevolution 1974 die Mieter- und Stadtteilbewegung SAAL[10] Teil eines allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchs wurde. Hier wird deutlich, mit welcher Begeisterung, Menschen, die jahrzehntelang marginalisiert worden waren, die individuelle und gesellschaftliche Befreiung in die eigenen Hände nahmen.

Das Künstlertrio Lisa Schmidt-Colinet, Florian Zeyfang und Alexander Schmoeger dokumentiert die Geschichte des Wohnungsbaus in Kuba seit der Revolution. Im Zentrum stehen die aus Arbeitern bestehenden Microbrigaden[11], die mit Material von der Regierung ihre eigenen Wohnungen und daneben auch kommunale Gebäude wie Schulen und Krankenhäuser errichten. In dem Film werden auch aber die Probleme benannt, die durch den Mangel an Rohstoffen nach dem Ende des nominalsozialistischen Lagers, aber auch die dirigistische Politik der kubanischen Regierung entstanden sind.

Die Menschen wollen an der Basis entscheiden und nicht bevormundet werden, sagt in dem Film ein kubanischer Architekt. Sie wollen sich auch nicht von scheinbar objektiven Marktgesetzen unterwerfen. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus der hochinteressanten Ausstellung gewinnen lässt. Es ist bemerkenswert, dass schon im Ausstellungstitel, aber auch in den Texten der Zusammenhang zwischen den Problemen um die Mieten und dem Kapitalismus hergestellt wird. Friedrich Engels Schrift „Zur Wohnungsfrage“[12] klingt im Titel an.

Der Intendant des HKW spricht die Grenzen an, die eine Wohnungspolitik für viele Menschen im Kapitalismus hat. Dieser Aspekt ist deshalb besonders zu würdigen, weil auch viele Menschen, die sich positiv auf die aktuelle Mieterbewegung beziehen, den Zusammenhang zum Kapitalismus nicht herstellen.

Das wurde am Abend der Ausstellungseröffnung[13] bei der Vorstellung des Buches „Der Kotti“ von Jörg Albrecht[14] im „postpostmodernen Büro für Kommunikation WestGermany“[15] deutlich. Bei dem Autor, der in der Vergangenheit ebenfalls mit der Mieterinitiative Kotti & Co kooperierte, kam das Wort Kapitalismus nicht vor.

Mietrebellen forschen über ihre Geschichte

Kürzlich ist in Berlin die Ausstellung „Kämpfende Hütten“[16] zu Ende gegangen. Dort haben sich ehemalige Hausbesetzer, heutige Mietrebellen und Wissenschaftler mit der über 150jährigen Geschichte der Berliner Mieterbewegung befasst. An die Blumenstraßenkrawalle[17] gegen eine Zwangsräumung 1872 wurde ebenso erinnert, wie an die von dem Historiker Simon Lengemann erforschten Mieterräte[18] , die unter dem Motto „Erst das Essen, dann die Miete“[19] in der Endphase der Weimarer Republik die Mietzahlungen kürzten, um überhaupt überleben zu können.

Bei der Ausstellung wurde aber auch deutlich, dass selbst über die jüngere Geschichte der Mieterbewegung heute wenig bekannt ist. So informieren Dokumente über die Ende der 60er bis Anfang der 70er Jahren aktive Mieterbewegung im Westberliner Märkischen Viertel[20] und über den ebenso vergessenen Anteil, den Migrantinnen und Migranten an der Westberliner Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre hatten. Es ist auf jeden Fall ein Zeichen des Selbstbewusstseins der aktuellen Mieterbewegung, wenn sie mit Künstlern kooperiert und sich ihrer Geschichte vergewissert.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46360/1.html

Anhang

Links

[1]

http://kottiundco.net/2015/10/21/die-wohnungsfrage-stellen/

[2]

http://www.hkw.de

[3]

http://www.hkw.de/de/programm/projekte/2015/wohnungsfrage/ausstellung_wohnungsfrage/wohnungsfrage_ausstellung.php

[4]

http://www.uctv.tv/shows/The-Urbanization-of-Happiness-and-the-Decline-of-Civic-Imagination-with-Fonna-Forman-and-Teddy-Cruz-The-Good-Life-25953

[5]

http://www.weltfilm.com/de/filme/in-produktion/miete-essen-seele-auf

[6]

http://de-de.facebook.com/angelika.levi

[7]

http://stillestrasse.de/

[8]

http://stillestrasse10bleibt.blogsport.eu/

[9]

http://assemble.io/docs/Installation.html

[10]

http://www.uncubemagazine.com/sixcms/detail.php?id=14819803&articleid=art-1415705429622-e8121177-d0d5-4a97-831e-41091b148093#!/page24

[11]

http://www.florian-zeyfang.de/microbrigades-variations/movie/

[12]

http://gutenberg.spiegel.de/buch/zur-wohnungsfrage-5094/1

[13]

http://www.berlinonline.de/nachrichten/kreuzberg/buchvorstellung-das-kotti-ist-tot-es-lebe-vielleicht-bald-nichts-mehr-69994

[14]

http://www.fotofixautomat.de/

[15]

http://www.westgermany.eu/

[16]

http://kaempfendehuetten.blogsport.eu/

[17]

http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2014/me-single/article/blumenstrassenkrawalle-anno-1872.html

[18]

http://haendewegvomwedding.blogsport.eu/?p=828

[19]

http://www.berlinstreet.de/ackerstrasse/acker33

[20]

http://www.trend.infopartisan.net/trd0413/t020413.html

„Jede Zeit hat ihre Kämpfe“

RÜCKSCHAU Im Bethanien werden die Mietkämpfe der vergangenen 150 Jahre dargestellt

taz: Herr Lengemann, die Ausstellung „Kämpfende Hütten“ will eine Geschichte urbaner Kämpfe in Berlin zeigen.
Simon Lengemann: Im Zentrum der Ausstellung stehen die Kämpfe der Berliner MieterInnen der letzten 15 Jahre. Wir zeigen die ganze Bandbreite der Aktionen, von Demonstrationen über Volksbegehren bis zu verhinderten Zwangsräumungen. Zudem sollen Schlaglichter auf historische MieterInnenkämpfe geworfen werden. Anhand von Mietstreiks, migrantischen Besetzungen und Ostberliner Häuserkämpfen wird die Vielfalt vergangener Aktionen deutlich.
Wer sind die Organisatoren?
Wir sind ist ein Ausstellungskollektiv ohne institutionelle Bindung. Die Beteiligten kommen aus den aktuellen MieterInnenkämpfen,
den verschiedenen Berliner HausbesetzerInnenbewegungen  nd der akademischen Beschäftigung mit Miete und Wohnraum.
Thematisch gehen Sie bis 1872 zurück. Wie sahen damals die MieterInenkämpfe aus?
Zunächst handelte es sich um  spontane „Exmissionskrawalle“, so nannte man damals Proteste gegen Zwangsräumungen. Bekanntestes
Beispiel waren die Blumenstraßenkrawalle im Juli 1872.

In der Weltwirtschaftskrise lautete eine Parole „Erst das Essen, dann die Miete“. Welche Rolle spielten linke Parteien und MieterInnenverbände?
Die Krise brachte den offiziellen MieterInnenverbänden einen massiven Mitgliederschwund. Sie stellten sich dennoch massiv
gegen den Mietstreik und pochten auf die Einhaltung der  von ihnen mitgestalteten MieterInnengesetze. Die KPD dagegen
unterstützte die Kämpfe.

Die Ausstellung dokumentiert auch die MieterInnenbewegung im sozialen Wohnungsbau des Märkischen Viertels vor mehr als 40 Jahren. Warum konnte sie sich dort so lange halten?
Die neuen BewohnerInnen dieser Großsiedlung fanden zwar komfortable Wohnungen, aber keine städtische Infrastruktur
vor. Das waren sie vom Wedding, wo sie herkamen, anders gewöhnt. Von dort hatten sie die traditionelle Widerständigkeit
der alten ArbeiterInnenbewegung mitgebracht. Um 1968 beteiligten sich zudem auch linke Studierende und Intellektuelle
wie Ulrike Meinhof an der Stadtteilarbeit.  Mit der Moabiter Viertel Zeitung, deren Geschichte in der Ausstellung dargestellt wird,
hatten die MieterInnen sogar ein eigenes Sprachrohr.

Was können die heutigen MietrebellInnen daraus lernen?
Jede Zeit hat ihre eigenen Kämpfe. Aber natürlich wollen wir durch die Ausstellung und das Begleitprogramm Impulse für aktuelle Auseinandersetzungen um Wohnraum und Miete geben.
INTERVIEW: PETER NOWAK
■■Die Ausstellung findet bis zum 18. Oktober im TheaterSpiel-Raum im Bethanien statt

Simon Lengemann
■■28, Historiker und Amerikanist, forscht zu MieterInnenbewegung in der Weimarer Republik in der Zeit der Weltwirtschaftskrise.

Kämpfende Hütten

Mieterkämpfe haben in Berlin eine Geschichte.
Darauf weist die Ausstellung  „Kämpfende Hütten“ hin,  die sich den Kämpfen gegen Zwangsräumungen und Mieterhöhungen in den letzten 150 Jahren widmet.

„Kampf den Mieterhöhungen“ lautet die Schlagzeilen. Doch die Zeitung, in der sie zu finden war,  ist 45 Jahre alt und war zu unrecht lange vergessen. Es handelt  sich um die Märkische Viertel Zeitung (MVZ), die von Juni 1969 bis Juli 1973 existierte. Sie war das Sprachrohr der MieterInnenbewegung im Märkisches Viertel, die Ende der 60er Jahre berlinweit für Aufsehen sorgte und mehrere Jahre aktiv war. Über diese leider weitgehend  in Vergessenheit geratenen Mietrebell/innen informiert  die Ausstellung „Kämpfende Hütten“, die am 1.10. um 19 Uhr im TheaterSpielRaum  im Südflügel des Bethanien eröffnet wird. Vorbereitet wurden sie von einem kleinen Kreis von Aktiven, die sich aus unterschiedlichen Gründen für das Thema Wohnen interessieren. Einige der Beteiligten nehmen teil an  aktuellen MieterInnenkämpfen,  andere waren in der InstandbesetzerInnenbewegung der70er Jahre in West- oder Anfang der 90er Jahre in Ostberlin engagiert. Außerdem gehören auch Studierende dauzu, die sich mit Miete und Wohnraum beschäftigen. Sie alle wollen die weitgehend vergessene Geschichte der Berliner MieterInnenbewegung  einer größeren Öffentlichkeit bekannt machen.  .

Erst das Essen dann  die Miete

Die Ausstellung erinnert auch an die als  Blumenstraßenkrawalle in die  Geschichtsbücher eingegangenen Aufstände von Teilen der armen Bevölkerung Berlins im Juli 1872. Auslöser war die Räumung der Wohnung eines armen Schusters  in der Blumenstraße wegen Mietschulden. Damals  kamen Tausende Menschen aus den agrarischen Gebieten nach  Berlin in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie  landeten in oft  dunklen Hinterhauswohnungen.  Ständig gab es Räumungen.  Oft gab es auch spontanen Protest von Bekannten und NachbarInnen der Geräumten. Damals wurde  der Widerstand gegen Zwangsräumungen von der Polizei und den meisten Medien „Exmissionskrawalle“ genannt.  Die Quellenlage aus dieser Zeit ist schlecht. Meistens sind die Kämpfe in den Polizei- und Presseberichten dokumentiert. Es gab schließlich damals noch kein Archiv des Widerstands von unten. Schon besser ist die Quellenlage auch aus der Sicht der MieterInnen in der Zeit der Weimarer Republik. Vor allem in der Zeit der Wirtschaftskrise  wuchs in vielen proletarischen Kiezen eine  Bewegung, die mit der Parole „Erst das Essen dann die Miete“ zum Mietzahlungsboykott aufrief. Während die etablierten MieterInnenverbände, die in dieser Zeit viele Mitglieder verloren, die Aktion als ungesetzlich ablehnten, unterstützte die KPD sowie kleinere linke Gruppen und  ihre Presse die Aktion.

Auf die eigenen Kraft vertrauen
Das Interesse an der Geschichte der MieterInnenbewegung ist in der letzten Zeit vor allem deshalb gewachsen, weil in Berlin seit einen Jahren wieder MieterInnen auf die Straße gehen und Zwangsräumungen zu verhindern versuchen. Dieses wachsende Interesse an der „Geschichte von Unten“ ist positiv. In den Veranstaltungen, die die Ausstellungen begleiten, wird es sicher um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der über 150jährigen Berliner MieterInnenbewegung gehen.  Aber     damals wie heute, galt ein Grundsatz. Die MieterInnenbewegung war immer dann stark, wenn sie sich selbst organisierte und nicht auf Parteien und Großorganisationen vertraute.

Peter Nowak
Die Ausstellung „Kämpfende Hütten wird am 1.10.2015 um 19 Uhr im TheaterSpielRaum   im Südflügel des Bethanien eröffnet.  Sie ist vom 1. – 18.10. von Donnerstag bis Sonntag von 16 – 19 Uhr geöffnet.   Im Begleitprogramm gibt  es Filme, Vorträge und Diskussionen zu Berliner MieterInnenkämpfen. Das vollständige Programm findet sich unter http://kaempfendehuetten.blogsport.eu/

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/kaempfende-huetten.html

MieterEcho online 01.10.2015

Peter Nowak