Richter wollen Marke „Unabhängigkeit der Justiz“ aufpolieren

„Baulärm ist hinzunehmen“, „Für die Rendite werden Mieter skrupellos vergrault“, Richterin in Mietstreit in der Kritik“. Das sind nur drei von vielen Überschriften  Berliner Medien, die sich in den letzten Monaten kritisch mit Urteilen  des Berliner Landgerichts in Mietsachen befassten. Doch nicht nur aus der Presse kam  Kritik. So haben Mieteraktivisten  ein Seminar des  Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e.V. besucht, das von der Richterin der 63 Kammer des Landgerichts  Regine  Paschke geleitet wurde. Die Kritik zeigt Wirkung. Am vergangenen Montag  lud  der Präsident des Berliner  Landgerichts Bernd Pickel zu einem zweistündigen Hintergrundgespräch   über das  Bild der Justiz bei Mietprozessen eingeladen.  Schon in der Pressemitteilung  wurde die Intention deutlich.  „Die  Neutralität der Gerichte wird zu einzelnen Mietprozessen in der Presse und in Internetforen intensiv diskutiert“, heißt es dort. „Unabhängigkeit unser Marken“, hieß es beim Gespräch. Die Marke muss also wieder mal  poliert werden.

Fakten, Fakten, Fakten

Nun könnten sich die Richter die Frage stellen, ob die kritisierten Entscheidungen Anlass zur Kritik gegeben haben können. Aber  die Einladung weist   in Richtung Presseschelte.   „Nicht immer wird in der Berichterstattung über Mietthemen deutlich, welche Rolle „die Justiz“ in  dem Geschehen einnehmen darf, nach welchen rechtlichen Vorgaben sie  tätig wird und wo sie Entscheidungsspielräume hat und wo nicht. In der oft  hitzigen Diskussion kommen auch die Fakten des jeweiligen Prozesses in  den Medien manchmal zu kurz“.  Die Fakten sollten nun in Hand einiger der besonders kritischen Urteile Berliner  Landgerichts nachgeliefert werden. Dabei standen die  Klagen der Mieter der Moabiter  Calvinstraße 21 im Mittelpunkt.  Dazu gehört das Urteil gegen eine  Rentnerin,  vor  deren  Bad   und Küche die  Eigentümerin, die  Terrial Stadtentwicklung GmbH aus Baden-Württemberg,  eine Mauer hochgezogen hat.   Anders als die Vorinstanz war die Kammer des Landgerichts mit Frau Paschke als Richterin der Meinung, ein Abriss der Mauer wäre für die Eigentümer ein zu großes Opfer.  Zudem hätte die Mieterin mittels Einstweiliger Verfügung den Bau der Mauer vor der Fertigstellung verhindern müssen. Hier vermissten die Richter in der Berichterstattung den Hinweis, dass zu diesem Urteil Revision zugelassen wurde.  Die Richter wollten den Eindruck zerstreuen, vor der 61ten  Kammer des Berliner Landgerichts hätten Mieter keine oder nur eine geringe Chance, sich gegenüber den Vermietern durchzusetzen. Die Nachfragen und Kommentare der anwesenden Journalisten zeigten aber auch,  dass der Erfolg  der Überzeugungsarbeit nicht besonders groß war.

Mit den Haus- und Grundstücksverband Öffnung in die Gesellschaft
Auf viel Unverständnis bei den anwesenden Journalisten sorgte auch die Verteidigung der Nebentätigkeiten der Richterin Regine Paschke beim Haus- und Grundbesitzerverband durch ihre Kollegen.  Die Honorare überstiegen nicht die üblichen Sätze und zudem sei es doch ein Vorteil für die Rechtspflege, wenn Richter nicht immer nur Akten lesen sondern sich in der  Gesellschaft  bewegen würden, erklärten die Richter. Dass  der Haus- und  Grundbesitzerverband  ein gutes Beispiel für eine Öffnung in die Gesellschaft  sein soll, verwundert nicht. Schließlich sind auch viele Richter Besitzer einer Eigentumswohnung oder eines Eigenheims. Am kommenden  Freitag soll das Landgericht darüber entscheiden, ob die Mieter  der Calvinstraße die  Modernisierung dulden müssen.  Kritik scheint fast vorprogrammiert.

aus: MieterEcho online 15.10.2013

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/pressegespraech-richterin-paschke.html
Peter Nowak

Richter sorgen sich um „Marke Unabhängigkeit“

Das Berliner Landgericht lud Journalisten zum zweistündigen Pressegespräch. Der Grund: Zahlreiche Urteile und Entscheidungen in Mietsachen standen in der Kritik

„Baulärm ist hinzunehmen“, „Für die Rendite werden Mieter skrupellos vergrault“, „Richterin in Mietstreit in der Kritik“.

Das sind nur drei von vielen Überschriften Berliner Medien, die sich in den letzten Monaten kritisch mit Urteilen des Berliner Landgerichts in Mietsachen befassten. Doch nicht nur aus der Presse kam Kritik. So haben Mieteraktivisten ein Seminar des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen besucht, das von der Richterin der 63. Kammer des Landgerichts, Regine Paschke, geleitet wurde.

Die Kritik zeigt Wirkung. Am vergangenen Montag hatte Bernd Pickel, der Präsident des Berliner Landgerichts, zu einem zweistündigen Hintergrundgespräch über das Bild der Justiz bei Mietprozessen eingeladen. Schon in der Pressemitteilung wurde die Intention deutlich. „Die Neutralität der Gerichte wird zu einzelnen Mietprozessen in der Presse und in Internetforen intensiv diskutiert“, heißt es dort. „Unabhängigkeit ist unsere Marke“, hieß es beim Gespräch. Die muss also wieder mal poliert werden.

Muss die Mauer vor dem Küchenfenster weg?

Nun könnten sich die Richter die Frage stellen, ob die kritisierten Entscheidungen Anlass zur Kritik gegeben haben können. Aber die Einladung weist in Richtung Presseschelte: „Nicht immer wird in der Berichterstattung über Mietthemen deutlich, welche Rolle ‚die Justiz‘ in dem Geschehen einnehmen darf, nach welchen rechtlichen Vorgaben sie tätig wird und wo sie Entscheidungsspielräume hat und wo nicht. In der oft hitzigen Diskussion kommen auch die Fakten des jeweiligen Prozesses in den Medien manchmal zu kurz.“

Die Fakten sollten nun in Hand einiger der besonders kritischen Urteile des Berliner Landgerichts nachgeliefert werden. Dabei standen die Klagen der Mieter der Moabiter Calvinstraße 21 im Mittelpunkt. In dem Haus wehren sich mehrere Mieter gegen eine Luxusmodernisierung.

Bundesweit bekannt wurde ein Urteil des Landgerichts im Fall einer Mieterin in dem Haus, deren Fenster in Küche und Bad durch eine Mauer verdeckt wird. Sie wurde von der Eigentümerin, die Terrial Stadtentwicklung GmbH hochgezogen. Anders als die Vorinstanz war die Kammer des Landgerichts mit Frau Paschke als Richterin der Meinung, ein Abriss der Mauer wäre für die Eigentümer ein zu großes Opfer. Zudem hätte es die Mieterin versäumt, mittels einstweiliger Verfügung den Bau der Mauer vor der Fertigstellung zu verhindern. Dann wäre das Opfer für den Vermieter nicht so hoch gewesen. Hier vermissten die Richter in der Medienberichterstattung auch den Hinweis, dass zu diesem Urteil Revision zugelassen wurde.

Nicht nur in diesem Fall wollten Richter auf der Pressekonferenz den Eindruck entgegenwirken, vor der 63. Kammer des Berliner Landgerichts hätten Mieter keine oder nur geringe Chancen, sich gegenüber den Vermietern durchzusetzen. Die Nachfragen und Kommentare der anwesenden Journalisten zeigten aber auch, dass der Erfolg der Überzeugungsarbeit nicht besonders groß war. So machte ein anwesender Journalist darauf aufmerksam, dass eine Mieterin ihre Kündigung wegen einer Mietminderung nur abwenden konnte, weil sie die vom Vermieter geforderte Summe zahlte. Die Kammer Justiz könne es nicht als Beispiel für mieterfreundliche Urteile heranziehen.

Ist ein Seminar beim Immobilienverband ein Eintauchen in die Gesellschaft?

Auf wenig Verständnis bei den anwesenden Journalisten stieß auch die Verteidigung der Nebentätigkeiten der Richterin Regine Paschke beim Haus- und Grundbesitzerverband. Die Honorare überstiegen nicht die üblichen Sätze und zudem sei es doch ein Vorteil für die Rechtspflege, wenn Richter nicht immer nur Akten lesen, sondern sich in der Gesellschaft bewegen würden, erklärten die Richter auf der Pressekonferenz.

Dass der Haus- und Grundbesitzerverband als gutes Beispiel für eine Öffnung der Justiz in die Gesellschaft angeführt wurde, verwundert nur, wer die soziale Positionierung der überwiegenden Mehrheit der Richterinnen und Richter in Deutschland außer Acht lässt. Schließlich sind viele von ihnen selber Besitzer einer Eigentumswohnung oder eines Eigenheims, wenige sind Gewerkschaftsmitglieder und wohl keiner war je Hartz-IV-Empfänger oder wird es in seinem Leben werden.

In den 1970er Jahren gab es zahlreiche Bücher und Aufsätze auch in kritischen juristischen Publikationen, die sich fragen, was es für die Justiz bedeutet, wenn die Staatsanwälte und Richter überwiegend dem mittleren und höheren Bürgertum angehören, in diesen Kreisen verkehren und deren Wertvorstellungen teilen, während ein Großteil der Angeklagten, aber auch der Kläger beim Mietprozessen den subalternen Teil der Gesellschaft angehen, man könnte auch altmodischer von Unterklassen sprechen.

Beim Pressegespräch wurde diese gesellschaftliche Kluft mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen wurde an die Pressevertreter appelliert, mehr Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz zu haben.

Die Justiz und die gesellschaftlichen Debatten Erstaunlich war auch, wie beharrlich die vier Richter beim Pressegespräch betonten, sie würden sich mit ihren Entscheidungen nur an der Gesetzgebung orientieren. Dass es eine Rechtsprechung gibt, die diese Gesetze unterschiedlich auslegt und interpretiert, und dass oft genug die Gesetze an Gerichtsentscheidungen angepasst wurden, wird dabei völlig ausgeblendet.

Allein die Einberufung des Pressegesprächs machte deutlich, dass die Justiz nicht unabhängig von den gesellschaftlichen Debatten ist. Durch eine in Berlin sich entwickelnde Mieterbewegung stehen die Entscheidungen des Landgerichts in Mietersachen unter einer besonderen Beobachtung und Kritik. Damit bestätigt sich eine ältere Beobachtung, dass in Bewegungszeiten, Einrichtungen und ideologische Staatsapparate, die sonst völlig unhinterfragt akzeptiert werden, kritischer betrachtet werden. So haben streikende Arbeiter die Bildzeitung boykottiert, die sie jahrelang unhinterfragt gelesen haben. Nun macht das Berliner Landgericht im Zuge der Mieterbewegung die Erfahrung, dass ihre Marke Unabhängigkeit in die Diskussion gerät. In anderen Städten dürften der Justiz ähnliche Erfahrungen noch bevorstehen.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155145

Links:

[1]

http://www.berliner-zeitung.de/bezirke/prozess-wegen-mietminderungen-calvinstrasse–baulaerm-ist-hinzunehmen,10809310,22704664.html

[2]

http://www.welt.de/finanzen/immobilien/article118954666/Fuer-die-Rendite-werden-Mieter-skrupellos-vergrault.html

[3]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-fall-von-befangenheit-richterin-in-mietstreit-in-der-kritik/7995596.html

[4]

http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/landgericht/standorte/dienstgebaeude-littenstrasse/

[5]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/2013/06/08/kundgebung-gegen-seminar-von-richterin-paschke-fuer-vermieterinnen-mi-12-juni-1330-uhr-luetzowufer-15/

[6]

http://www.bfw-bund.de/index.php?id=130&tx_ttnews[tt_news]=2943&tx_ttnews[backPid]=130&cHash=efdc3b569f

[7]

http://www.bfw-bund.de

[8]

http://www.moabitonline.de/12036

[9]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/calvinstrasse-in-moabit-zugemauerte-mieter-streit-verschaerft-sich/6832270.html

[10]

http://home.immobilienscout24.de/1263426