Darf man noch mit der bolivarianischen Revolution solidarisch sein?

Der Druck auf die Linkspartei zeigt, wie eng die Grenzen derer sind, die immer eine offene Gesellschaft propagieren – Ein Kommentar

Die linksliberale Taz hat sich in den letzten Monaten besonders als Verteidigerin der Offenen Gesellschaft profiliert. Sie steht in Frontstellung einerseits zu den verschiedenen rechtspopulistischen Anwandlungen von Trump bis Erdogan. Aber genauso gegen alle Versuche, eine linke Alternative gegen die Rechten auch gegen den kapitalistischen Normalzustand zu finden.

Für einen solchen Ausweg stand seit 1998 Venezuela nach der Regierungsübernahme durch den Linksnationalisten Chavez. Nach einem Putschversuch und einem Unternehmerstreik radikalisierte sich ein Teil der bolivianischen Basis, aber auch deren Leitfigur Chavez. Er sprach sogar vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts, doch der Erfinder dieses Begriffes Heinz Dietrich will heute nicht mehr gerne an diese kurze Freundschaft mit der bolivarianschen Revolution erinnert[1] werden. Denn Venezuela hat heute nicht viele Freunde.

Die Linke will Helden ohne Fehl und Tadel

Die Zeit, als das Land als Wunschbild vieler Linker galt, sind lange vorbei. In den Zeiten, in denen das Land unter dem niedrigen Ölpreis leidet, die bolivarianische Bourgeoisie ihr hässliches Gesicht zeigt, das nicht zu dem Utopia linker Blütenträume passt, kurz: seit auch in Venezuela der linken Euphorie die Mühen der Ebene folgten, will man sich nicht mehr gerne als Freund der bolivarianischen Revolution outen.

Che Guevara wird ja auch nur deshalb so verehrt, weil er so jung starb wie angeblich einst Jesus und an Salvador Allende wird vor allem wegen seines Widerstands gegen die Putschisten erinnert. Über die linke Praxis schweigt man dann bei beiden eher, seien es die von Che Guevara verantworteten Hinrichtungen nach der kubanischen Revolution oder Allendes Schwanken zwischen einer reformistischen und einer revolutionären Politik. Die Linke will ihre Helden ohne Fehler und Widersprüche und ist da sehr christlich. Deswegen hat der Che -Guevara-Kult auch etwas sehr Religiöses. Da ist die Haltung der Linkspartei zu loben, die dem bolivarianischen Venezuela auch in schwierigen Zeiten die Solidarität nicht aufkündigt.

In ihrer auf dem letzten Parteitag verabschiedeten Resolution[2] wird an einige Aspekte erinnert, die heute in der Venezuela-Berichterstattung der meisten Medien kaum eine Rolle spielen. So heißt es dort:

Die gegenwärtige ökonomische und soziale Situation in Venezuela ist angespannt. Die Ursachen dafür liegen aber nicht vorrangig in Fehlern der Regierung Maduro, wie es viele Medien schreiben. Tatsache ist: Die venezolanischen Bourgeoise hat das chavistische Projekt nie akzeptiert, sie hat nie verwunden, dass Hugo Chávez ihr den Zugriff auf die Ölrente weggenommen hat, um mit ehrgeizigen Sozialprogrammen die Armut im Land zu bekämpfen. Ebenso hat sie es bis heute nicht geschafft, die Präsidenten Chávez und Maduro auf demokratischem Wege abzulösen. Der Putsch der Oligarchie von 2002 brach unter dem massiven Widerstand der ärmsten Teile der Bevölkerung und loyaler Militärs zusammen.

Die Linke

Kritische Fragen an die Freunde der bolivarianischen Revolution sind angebracht

Nun kann man sicher darüber streiten, ob in der Erklärung nicht die Verantwortung der venezolanischen Regierungen für die gegenwärtige Krise einen zu geringen Stellenwert einnimmt.

Warum ist Venezuela mehr als 15 Jahre nach Beginn der bolivarianischen Revolution noch immer so stark vom Erdöl abhängig? Warum gibt es keinen Kampf gegen die bolivarianische Bourgeoisie? Warum werden Kapitalisten noch immer in Venezuela hofiert? Warum wurden die ersten Ansätze von Rätestrukturen[3], wie sie der Publizist Dario Azzelini[4] sehr gut herausgearbeitet hat, nicht weiterentwickelt? Warum ist das Parlament, das sich zu einem Machtzentrum der Feinde der bolivarianischen Revolution geworden ist, nicht schon längst in die Schranken gewiesen worden? Und schließlich: Warum behandelt auch die gegenwärtige venezolanische Regierung, linke Kritiker der gegenwärtigen Entwicklung, die den bolivarianischen Prozess weiterentwickeln wollen genauso als Gegner wie die Rechten, die zurück zu den Zeiten vor Chavez wollen? Solche kritischen Frage wären an die zu stellen, die sich heute auf die Seite von Venezuelas Regierung stellen.

Dabei könnte an Gedanken des in der letzten Zeit leider verstummten exzellenten Kenners der bolivarianischen Revolution Azzelini angeknüpft werden, der bereits vor einigen Jahren die Probleme des Umgestaltungsprozesses benannt[5] hat:

In Venezuela wurde ein „Aufbau von zwei Seiten“ begonnen, der sowohl Strategien und Herangehensweisen „von unten“ wie „von oben“ umfasst. Also sowohl solche, die eher in der konstituierenden Macht, den Bewegungen, der organisierten Bevölkerung die zentrale Kraft der Veränderung sehen, als auch solche, die diese in der konstituierten Macht, im Staat und den Institutionen sehen.

Dario Azzelini
Daran anknüpfend wäre die Frage zu stellen, ob aktuell in Venezuela die Kräfte von unten noch korrigierend eingreifen und auch gegen die neue Bourgeoisie einen Kampf führen können.

In dieser Demokratie nicht angekommen?

Doch wenn der Inland-Redakteur der linksliberalen Taz Martin Reeh, der noch in den frühen 1990er Jahren selber noch auf der Suche nach Wegen jenseits der bürgerlichen Demokratie war, der Linkspartei wegen ihrer Venezuela-Resolution vorwirft, nicht im Club der Demokraten zu sein, sollte die Gescholtene das als Auszeichnung verstehen.

Reeh schreibt in dem Kommentar[6]: „Teile der Linkspartei sind immer noch nicht vollständig in der Demokratie angekommen. Und deshalb verteidigen sie Maduro, ihren Bruder im Geiste.“

Das ist die Sprache von einem, der seine eigenen Träume von der Gesellschaft jenseits der bürgerlichen Demokratie begraben hat und für den es nun keine Alternative mehr geben darf. Deshalb wird jeder gemaßregelt, der sich nicht mit in den Käfig der bürgerlichen Demokratie einsperren lassen will.

Reeh wird wissen, dass sich vor 100 Jahren hinter dem Banner der bürgerlichen Demokratie jene versammelt hatten, die die Revolution der Arbeiter und Soldaten im Blut ertränkt haben. Es waren die Eberts und Noskes, die Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und tausende Arbeiter ermorden ließen, weil sie noch nicht in der bürgerlichen Demokratie angekommen waren.

Es waren vor 100 Jahren die Bolschewiki, die die Sowjetmacht als Alternative zur bürgerlichen Demokratie errichteten. Damals gab es die Alternative Räte oder bürgerliches Parlament und hinter letzterem verbarg sich die Reaktion. Heute zeigt sich in Venezuela, dass die Frage nach einer Alternative zur bürgerlichen Revolution noch immer aktuell ist. Die in der letzten Woche gewählte verfassungsgebende Versammlung ist gegenüber dem venezolanischen Parlament die fortschrittlichere Variante, weil die bisher benachteiligten und diskriminierten Teile der Gesellschaft dort besonders berücksichtigt werden, darunter Arbeiter und Indigenas. Dagegen gehen die Privilegierten des Landes auf die Straße, weil sie um ihre Privilegien fürchten und alle, die sich über die Riots von Hamburg vor einigen Wochen aufgeregt haben, loben in Venezuela die Gewalt der Rechten auf der Straße, die für den größten Teil der Toten der letzten Wochen verantwortlich sind.

Für die Taz, die sich doch sonst immer so die Verteidigung von Minderheiten auf die Fahne schreibt, ist das keine Zeile wert. Doch es wäre eben nicht undemokratisch, sondern im Gegenteil ein gesellschaftlicher Fortschritt, wenn die Verfassungsgebende Versammlung in Venezuela das Parlament ersetzt. Die Frage, wie viele Menschen die jeweiligen Institutionen gewählt haben, ist insofern nebensächlich, weil gesellschaftlicher Fortschritt immer eine Sache von bewussten Minderheiten war, die eine klare Perspektive hatten. Das war 1789 bei der französischen Revolution ebenso wie 1917 in Russland. Die Frage, ob eine Institution den gesellschaftlichen Fortschritt repräsentiert, erweist sich eben nicht an der Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern an den Inhalten, die dort vertreten werden.

Die blutigen Mumien der Vergangenheit stehen hinter dem venzolanischen Parlament

Aktuell gehört zu den vehementen Gegnern der bolivariansichen Revolution unter dem Banner der Verteidigung des Parlaments auch die Regierung von Brasilien, die im letzten Jahr mittels eines Parlamentsputsches und einer reaktionären Massenbewegung eine gewählte, gemäßigte sozialdemokratische Regierung aus dem Amt geputscht hat und nun versucht, mit Lula eine weitere bekannte Persönlichkeiten dieser sozialdemokratischen Ära zu kriminalisieren, um so seine Kandidatur für die nächsten Präsidentenwahlen zu verhindern. Denn, die alten Mächte in Brasilien fürchten, etwas von ihrer Macht und ihren Privilegien abgeben zu müssen, wenn Lula die nächsten Wahlen gewinnt, wie es alle Umfragen vorhersagen.

Auch die argentinische Regierung, die die soziale Bewegung im eigenen Land kriminalisiert, gehört zu des Verteidigern der venezolanischen Parlaments gegen die neue verfassungsgebende Versammlung. In Venezuela selber melden sich blutbesudelte Gestalten aus der Ära vor Chavez wieder zu Wort und wittern Morgenluft. Darunter sind Politiker, die für das Caracaszo[7] genannte Blutbad verantwortlich, bei dem während eines Aufstands der Armen in Caracas tausende Menschen im Jahr 1989 ermordet[8] wurden. Im Widerstand gegen dieses Massaker liegen auch die Wurzeln vieler linker Organisationen, die später die bolivarianische Revolution getragen haben.

Nun melden sich die Mumien aus der Vergangenheit wieder zurück, die für das Massaker verantwortlich waren und wollen wieder ihren in den letzten Jahren verlorenen Einfluss zurückgewinnen. Die LINKE sollte es daher als Auszeichnung verstehen, wenn ihr bescheinigt wird, dass sie in dieser Demokratie noch nicht angekommen ist und hoffentlich nie ankommt.

https://www.heise.de/tp/features/Darf-man-noch-mit-der-bolivarianischen-Revolution-solidarisch-sein-3793652.html

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3793652

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.marxist.com/heinz-dieterich-constitutional-referendum221107.htm
[2] https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteitag/hannoverscher-parteitag-2017/beschluesse-und-resolutionen/news/solidaritaet-mit-venezuela/
[3] http://www.azzellini.net/buchbeitraege/kommunale-raete-venezuela
[4] http://www.azzellini.net
[5] http://www.azzellini.net/akademische-veroeffentlichungen/venezuela-die-konstituierende-macht-bewegung
[6] http://www.taz.de/Kommentar-Linkspartei-und-Venezuela/!5432305/
[7] http://www.venelogia.com/archivos/9563/
[8] http://www.ipsnews.net/2009/02/venezuela-wound-still-gaping-20-years-after-lsquocaracazorsquo