Die Schonfrist ist vorbei

Die neue Partei hat eine ausgewachsene Abgrenzungsdebatte am Hals. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die eigenen Positionen zu klären

Eben waren die Piraten noch die Trendsetter der Saison. Niemand schien ihren Erfolgskurs aufhalten zu können. Doch seit einigen Tagen weht den politischen Newcomern scharfer Gegenwind entgegen. Wie hält es die neue Partei mit Meinungen, die in der Gesellschaft als rassistisch, antisemitisch oder sexistisch geächtet sind, lautet die große Frage.

Ausgelöst hat die Debatte ein Urteil des Parteischiedsgerichts, das letzte Woche feststellte, dass das Piratenmitglied Bodo Thiesen nicht ausgeschlossen werde, obwohl er öfter Geschichtsauffassungen vertritt, die sonst nur am ganz rechten Rand überhaupt ernsthaft diskutiert werden. So zeigte Thiesen Verständnis für den Angriff des NS-Regimes auf Polen und stellte das Ausmaß der Shoah in Zweifel.

Weil aber Thiesen deswegen in der Vergangenheit schon gerügt worden sei, könne er nicht ein zweites Mal wegen dieser Äußerungen bestraft werden, befand das Gericht. Damit blieb inhaltlich offen, wie die junge Partei es nun mit ihren Rechten hält.

Rasanter Aufstieg

Schnell wurde klar, dass der Fall Thiesen keine Ausnahme ist. „Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf“, heißt es in einen Offenen Brief von Piratenmitgliedern, die sich für eine stärke Abgrenzung nach Rechts stark machten. Er war schon geschrieben worden, bevor der Fall Thiesen wieder Schlagzeilen machte.

Das Anliegen der vor allem jungen Piraten stieß aber nicht überall bei der Partei auf Zustimmung. Vor allem der erst vor wenigen Wochen gewählte Berliner Piratenvorsitzende Semken bekundete, er halte von der Abgrenzung nach Rechts gar nichts. Obwohl er sich für seine verbalen Angriffe auf Antifaschisten entschuldigte, hat nicht nur die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten seinen Rücktritt gefordert. Auch parteiintern gibt es weiterhin Stimmen, die Semken zum Amtsverzicht auffordern. Der will aber einstweilen im Amt bleiben.

Vielleicht kommt ihm zur Hilfe, dass mittlerweile andere bekannte Piratenmitglieder ebenfalls in die Kritik geraten sind. Der Berliner Geschäftsführer der Piratenpartei, Martin Delius, verglich den rasanten Aufstieg seiner Formation mit den Wahlerfolgen der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik. Nun fragen sich viele Beobachter staunend, warum die Partei in jede Falle stolpert, die ausgelegt wird.

Vom Erfolgsmodell zum Handicap

Was vor wenigen Wochen noch als Erfolgsmodell der neuen Partei hochgelobt wurde, ihr Hang zur Unprofessionalität, und ihre nicht nur gespielte Naivität, wird nun, wo es um eine sehr konkrete politische Frage geht, zum Handicap. Denn in der Frage, wie hältst Du es mit rechten Positionen reicht es eben nicht, zu sagen, dazu hat unsere Mitgliedschaft noch keine Meinung und ist am Diskutieren.

Eine rege Debatte gibt es in vielen Ortsgruppen tatsächlich. Da die Piraten alle Beiträge ins Netz stellen, kann man von Ausschlussforderungen gegen ein Bielefelder Piratenmitglied lesen wegen der Äußerung, dass viele Juden die gesamte Welt für ihre Interessen opfern würden. Der Betroffene allerdings will seine Worte keineswegs als antisemitisch verstanden wissen. In Schleswig-Holstein wiederum ist ein Direktkandidat für die Landtagswahl mit der Forderungen aufgefallen, die finanzielle Unterstützung für den Zentralrat der Juden zu reduzieren.

Solche Äußerungen fände man wahrscheinlich auch bei vielen anderen Parteien, wenn sie ihre internen Debatten so offen ins Netz stellen würden. Allerdings stellt sich die neue Partei gerne außerhalb von Zeit und Geschichte. Das wurde schon bei der Bundespräsidentenwahl deutlich, als die Vertreter der Piraten in der Bundesversammlung lediglich mit Verweis auf das Alter der beiden Kandidaten begründeten, warum sie weder Gauck noch Klarsfeld mitwählen könnten.

Wider die Korrektheit

Diese als Naivität getarnte historische Amnesie lockt Menschen aus dem rechten Lager an. Zumal der auch im Freitag als Vordenker der Piraten interviewte Wätzold Plaum, die politische Korrektness als eine der drei Säulen bezeichnete, auf der das von den Piraten bekämpfte gegenwärtige politische System beruht. Auf den Kampf gegen die politische Correctness aber berufen sich unterschiedliche rechte Strömungen. Dazu gehören die auch im Umfeld der Piraten aktiven Männerrechtler, die in der Partei gegen die von ihnen halluzinierte feministische Diktatur agitieren. Ihre Ausfälle wurden allerdings bisher in der Öffentlichkeit bisher erstaunlich gleichmütig hingenommen.

Diese Schonfrist ist für die Piraten nun vorbei. Für die junge Partei ist die Debatte eine große Chance, ihre Positionen zu klären. Schließlich hatten auch die Grünen in ihrer Anfangsphase Mitglieder aus verschiedenen Strömungen unter ihrem Dach, die später marginalisiert oder zum Austritt gedrängt wurden. Gelingt es den Piraten allerdings nicht, sich vom rechten Rand zu trennen, könnten sie tatsächlich zu einer Partei werden, wie sie die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit schon lange sucht. Die hat sich in ihrem Kommentar auch demonstrativ gegen jede Abgrenzung nach Rechts ausgesprochen.
http://www.freitag.de/politik/1216-die-schonfrist-ist-vorbei
Peter Nowak