Erst herrscht Ruhe im Land

Die Probleme bei Blockupy sind auch die Probleme der Krisenproteste auf europäischer Ebene

„Gemeinsam kämpfen gegen Rassismus und Soziabbau“ lautete das Motto eines Transparents, das zwei Aktivsten am 2. September an der Fassade des Berliner Hauptbahnhofs angebracht hatten. Sie wurden dafür kurzzeitig festgenommen[1].

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Berlin-Blockade, zweiter Versuch


Manche verfassen bereits Nachrufe auf das »Blockupy«-Bündnis. Dieses ruft indessen zu einem Aktionswochenende in Berlin auf.

Ende Juli machte eine merkwürdige Reisegruppe mit Koffern und Kartons kurzzeitig Halt vor dem Bundesarbeitsministerium. »Blockupy zieht nach Berlin« hieß das Motto der Veranstaltung, die bei einigen Linken jedoch für Spott sorgte. Schließlich war das »Blockupy«-Bündnis hauptsächlich für drei politische Großdemonstrationen und -blockaden in Frankfurt am Main bekannt, die die Polizei mit Großeinsätzen be­endete, und nicht für Polittheater. Die »Blockupy«-Aktion 2015 war mit einer in den vergangenen Jahren in Deutschland eher ungewöhnlichen linken Militanz verbunden. Deshalb waren manche überaus verwundert, dass die Organi­satoren des Bündnisses mit einem im Vergleich zu den Ereignissen des vergangenen Jahres harmlosen Auftritt ihren Einstand in Berlin gaben.

Ob »Blockupy« auch in Berlin für Protest mit so viel Herz sorgen wird wie hier in Frankfurt im März 2015?

Ob »Blockupy« auch in Berlin für Protest mit so viel Herz sorgen wird wie hier in Frankfurt im März 2015? (Foto: Action Press / NurPhoto / Rex / Markus Heine)

Für den 27. August hatten sich einige Unterstützer von »Blockupy« anlässlich des Tags der offenen Tür der Bundes­regierung erneut das Bundesarbeitsministerium für eine Protestaktion ausgesucht. Sie entrollten ein Transparent mit der Parole »Exit Fortress Europe, Austerity, Capitalism – Blockupy 2.9. Berlin«. Damit machten sie auf den bundesweiten Aktionstag am Freitag aufmerksam. Wie schon anlässlich der Demonstrationen und Blockaden in Frankfurt müssen die Teilnehmer auch in Berlin früh aufstehen. Bereits ab 7.30 Uhr wollen sie vom Potsdamer Platz und vom Gendarmenmarkt aus zur Blockade des Arbeitsministeriums aufbrechen.

Mit der Wahl dieses Ziels richtet das Bündnis seine Kritik unter anderem auf die Austeritätspolitik, die im Wesentlichen von Deutschland ausgeht. »Wir glauben, es ist dringend an der Zeit, das Lager der Solidarität im Zentrum des europäischen Kapitalismus sichtbar werden zu lassen und hier gemeinsam die vermeintliche Alternativlosigkeit der neoliberalen Mitte anzugreifen – bevor nationale ›Lösungen‹ in Gesetzen, in Parlamenten und auf der Straße überhand nehmen«, heißt es in dem zentralen Aufruf. In einem Text zur »Feministischen Intervention« wird an den Druck erinnert, der durch die in Deutschland vorangetriebenen Hartz-Reformen auch europaweit auf die ­Bereiche der sozialen Reproduktion ausgeübt wird. »Was im politischen Labo­ratorium Deutschland erfolgreich getestet wurde, soll nun als Exportschlager allen anderen europäischen Ländern aufgezwungen und in Deutschland weiter verschärft werden«, heißt es dort. Die Verfasserinnen und Verfasser erinnern daran, dass besonders alleiner­ziehende Frauen von Armut betroffen sind.

Die geplante Blockade ist dabei nur der Auftakt eines Aktionswochenendes. Am 3. September ruft ein Bündnis unter dem Motto »Aufstehen gegen rechts« zum Protest gegen den Aufstieg der AfD auf. Die Beteiligung von Grünen und SPD an dieser Demonstration ruft nicht nur Freude hervor. »Vom pragmatischen Antihumanismus von SPD, Grünen und CDU zur authentischen Menschenfeindlichkeit einer Frauke Petry und eines Björn Höcke ist es nur ein kleiner Schritt«, heißt es in einem Aufruf des Blocks »Nationalismus ist keine Alternative«, der vom kommunistischen Bündnis »Ums Ganze« getragen wird. Dort wird auch »Sahra Obergrenze Wagenknecht« als ein Beispiel dafür benannt, wie parlamentarische Linke den Rassismus entschuldigen oder sogar forcieren.

»Mit der geplanten Blockade des Bundesarbeitsministeriums wollen wir deutlich machen, dass die jüngsten Hartz-IV-Verschärfungen von den Intentionen her das umsetzen, was auch die AfD fordert«, sagt Klaus Steinle von der Berliner »Blockupy«-Plattform der Jungle World. »Denn mit den Arbeitsmigranten aus EU-Ländern und den Alleinerziehenden werden genau die Gruppen noch einmal schlechter gestellt, die auch im Visier der Rechtspopulisten stehen«, betont Steinle. Er erwartet eine dreistellige Teilnehmerzahl. Hannah Schuster, Pressesprecherin von »Blockupy«, sieht in dem Aktionswochenende mehr als ein Event. »Es geht um den Versuch, ein linkes Projekt, einen linken Pol zu bilden, der die soziale Frage und Antirassismus offensiv zusammenführt«, sagt sie. Darüber soll am 4. September auch auf einem bundesweiten Aktionstreffen in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Berliner Mehringplatz beraten werden.

Das »Blockupy«-Bündnis muss derzeit auch gegen seine mediale Dar­stellung ankämpfen. Denn stellenweise werden schon Nachrufe verfasst. So sieht der Taz-Redakteur Martin Kaul in dem Aktionswochenende den »Abschluss eines einst erfolgreichen Bündnisses«, das seinen Glanz verloren habe. Dass selbst die rechte Boulevardpresse vor der geplanten Ministeriumsblockade keine Schreckensmeldungen über drohende Gewalt verbreitet, zeigt, dass das Bündnis auf der Gegenseite nicht mehr ernst genommen wird. Niemand scheint zu erwarten, dass am kommenden Wochenende Berlin lahmgelegt wird wie Frankfurt die drei Jahre zuvor. Das liegt vor allem an der Rat­losigkeit der Krisenprotestbewegung auf europäischer Ebene. »Bisher gibt es keine wirksame emanzipatorische Antwort auf die europäische Krise«, heißt es im Aufruf von »Nationalismus ist keine Alternative«.

Der Politologe Nikolai Huke hat kürzlich im Verlag Edition Assemblage unter dem Titel »Krisenproteste in Spanien« ein Buch veröffentlicht, in dem er detailliert aufzeigt, wie die verschiedenen gewerkschaftlichen und sozialen Protestbewegungen in den vergangenen fünf Jahren an ihre Grenzen gestoßen sind. Dabei weist Huke auch nach, dass es nicht Parteien wie Podemos waren, die den sozialen Protestbewegungen ihre politische Kraft genommen haben. Vielmehr profitierten solche neuen Parteien von der Erschöpfung des außerparlamentarischen Protestzyklus. Podemos brauchte Huke zufolge gar nicht an die Regierung zu kommen, um zu verdeutlichen, dass der Anspruch einer ganz anderen Politik bereits gescheitert ist. Trotzdem kommt der Autor zu dem gar nicht so pessimistischen Schluss, dass es den unterschiedlichen Bewegungen, aber auch der neuen linken Partei in Spanien gelang, »in diesem Prozess kleine Erfolge zu erzielen, die durch ihr erfolgreiches Scheitern die spanische Gesellschaft grundlegend veränderten«. Huke hat diese These auch am Beispiel der Bewegung gegen die Zwangsräumungen und der jahrelangen Kämpfe im Bildungs- und Gesundheitsbereich gut belegt. In diesen Sektoren führten Beschäftigte teilweise lang anhaltende Arbeitskämpfe, aber meist ohne die bisher dominierenden Gewerkschaften.

Auch das »Blockupy«-Netzwerk hat in den vergangenen Monaten verstärkt das Augenmerk auf Arbeitskämpfe in Bereichen gerichtet, die bisher kaum gewerkschaftlich organisierbar waren. Anfang Oktober 2015 fand in Poznan unter dem Motto »Dem transnationalen Streik entgegen« eine europaweite Konferenz statt (Jungle World 42/15). Im Oktober wird es in Paris erneut eine Konferenz zum selben Thema geben, auf der auch die jüngsten Erfahrungen mit den Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen in Frankreich einfließen sollen. Am 1. März 2016 gab es erstmals in mehreren europäischen Ländern zugleich Aktionen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse (Jungle World 8/16). Wenn das Protestbündnis diese Orientierung weiterverfolgt, könnte der Begriff Krisenproteste eine neue Bedeutung bekommen: Es ginge dann nicht mehr um die Banken und die Börse, sondern um die alltägliche Krise der prekär Beschäftigten im Kapitalismus.

http://jungle-world.com/artikel/2016/35/54762.html

von Peter Nowak