Am Mittwochabend trafen sich in Berlin die GegnerInnen des Internetkonzerns zur Kampagnenvorbereitung

Amazon ist kein guter Nachbar

Die Berliner Amazon-KritikerInnen wollen sich New York zum Vorbild nehmen, wo StadtteilaktivistInnen die Ansiedlung eines Amazon-Standortes verhinderten. „Der Konzern will schlechte Nachrichten vermeiden und hat sich dann für einen Standort in einer anderen Stadt entschieden“, berichtete der Vertreter von Make Amazon Pay, der die Proteste in den USA begleitete.

Ein 38stöckiges Hochhaus steht in unmittelbarer Nähe des S-Bahnhofs Warschauer Brücke. Bisher handelt es sich noch um eine Simulation. Doch in wenigen Jahren könnte noch ein weiteres Gebäude für Menschen mit viel Einkommen Wirklichkeit werden. Unter dem Namen Edge East Side wird es schon in Immobilienkreisen beworben. Der Investor……

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Protest für Rekommunalisierung

Alte Kreuzberger Schule

AnwohnerInnen kämpfen für die Rekommunalisierung eines alten Schulgebäudes am Görlitzer Park. Der Eigentümer will 20 Millionen Euro.

„Was wünscht Ihr Euch für die G51?“ So lautete die Frage auf einem Transparent, das vor dem Eingang der Görlitzer Straße 51 ausgebreitet ist. Zahlreiche PassantInnen schreiben Vorschläge dazu: „Eine Kita“, Räume für Jugendliche“. Nachbarschaftsini­tiativen hatten am Dienstagnachmittag zu einer Kundgebung vor dem Haus in Kreuzberg eingeladen. Die 1890 erbaute einstige Schule solle ein Haus der solidarischen Nachbarschaft werden, lautet ihre Forderung. Bis 2005 befand sich in dem Gebäude direkt am Görlitzer Park….

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Eigenbedarf bis nach dem Tod

Vor dem Landgericht Berlin wurde post mortem der Fall Jürgen Rostock verhandelt

»Der Härtefall ist durch den Tod des Mieters beseitigt worden«, ruft der Mieteraktivist Kurt Jotter spontan in den gut gefüllten Raum des Berliner Landgerichts. An diesem Dienstag hatte zuvor die Richterin eine Eigenbedarfskündigung einer Wohnungseigentümerin mit der Begründung für rechtmäßig erklärt, dass wegen des Todes des Mieters kein Grund für einen Härtefall mehr gegeben sei.

Betroffen von der Kündigung war der Begründer und langjährige Leiter des Dokumentationszentrums Prora, Jürgen Rostock. Bereits am 25. März dieses Jahres ist er im Alter von 81 Jahren verstorben. In den letzten Monaten seines Lebens musste er um seine Wohnung in der Torstraße in Mitte kämpfen, in der er mehr als 27 Jahren gelebt hatte. Er wollte dort inmitten seiner umfangreichen Bibliothek seinen Lebensabend verbringen.

Eine Autorin und Werberin hatte die Wohnung im Jahr 2013 erworben. Zwei Jahre später kündigte sie dem Senior wegen Eigenbedarf. »Seitdem plagte meinen Vater die Angst vor dem Verlust seiner Wohnung«, erklärt Katharina Rostock, die Tochter des Verstorbenen. Sie führte am Dienstag als Erbin vor dem Berliner Landgericht den letzen juristischen Kampf. Den Prozess um die Eigenbedarfskündigung hatte ihr Vater bereits 2017 in der ersten Instanz verloren. Daraufhin beantragte er eine Fristverlängerung für den Auszug, um mehr Zeit für die Wohnungssuche zu haben. Das lehnte die Klägerin ab.

Danach habe sich der Gesundheitszustand ihres Vaters rapide verschlechtert, berichtet Katharina Rostock. »Ich kann nicht behaupten zu wissen, dass sein plötzlicher Tod im März die Folge der Belastung durch den Rechtsstreit war. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass der Rechtsstreit eine Belastung für ihn war, und das ist für einen herzkranken Menschen sehr ungünstig«, erklärte die in Sachsen lebende Heilpraktikerin nach dem Ende des Verfahrens. Trotz ihrer juristischen Niederlage bezeichnete sie es als positiv, dass die Richterin erklärt habe, hätte ihr Vater noch gelebt, hätte sie den Sachverhalt noch einmal geprüft und unter Umständen einen Härtefall anerkannt.
Die Mieter-Initiative Bizim Kiez hatte erfolgreich zu dem Verfahren mobilisiert, um auf die mitunter tödlichen Folgen einer Eigenbedarfskündigung aufmerksam zu machen. Die Zahl der Interessierten war so groß, dass eine zusätzliche Sitzbank in den Verhandlungssaal gebracht werden musste.

Der Anwalt für Mietrecht, Christoph Müller, weist als juristischer Vertreter von Katharina Rostock vor Gericht eindringlich auf die Belastungen hin, die Eigenbedarfskündigungen für die Mieter bedeuten. Nach etwa 15 Minuten beendet die Richterin den Disput mit der Bemerkung, ethische Diskussionen sollten vor dem Gerichtssaal weitergeführt werden. Dort spricht Christoph Müller auch die Verantwortung der Politik an. »In Frankreich verhindere seit 2016 ein Gesetz, dass Mieter über 65 Jahre durch Eigenbedarfskündigungen ihre Wohnung verlieren. In Deutschland gibt es bisher keine solche Initiative, weil sich keine Partei mit der Immobilienwirtschaft anlegen will.«

Das »neue deutschland« hat selbstverständlich auch die Wohnungsbesitzerin um eine Stellungnahme gebeten. In ihrem Auftrag antwortet stattdessen ein Medienrechtsanwalt. Er teilt mit, dass »unsere Mandantin überhaupt keine Stellungnahme abgeben wird. Sie wird auch keine Fragen beantworten«. Zudem weist der Anwalt darauf hin, dass sich seine Mandantin juristische Schritte vorbehalte, wenn ihre Anonymität nicht gewahrt werde.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1094624.wohnungsstreit-in-berlin-eigenbedarf-bis-nach-dem-tod.html

Peter Nowak

Kiezspaziergang gegen Google und Co.

„Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Google enteignen sowieso“, diese Parole wurde am Samstag in Kreuzberg häufig skandiert. Um 15 Uhr startete bei kaltem Winterwetter der erste Kiezspaziergang gegen den im ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße geplanten Google-Campus am Schlesischen Tor. Anfangs war es nur eine kleine Gruppe, die sich dort versammelt hatte. Doch beim Zug durch Kreuzberg schlossen sich weitere AnwohnerInnen dem Spaziergang an, der schließlich auf ca. 150 Menschen angewachsen ist. Darunter waren auch Menschen aus Spanien und der USA, die erst kürzlich nach Berlin gezogen waren und aus ihren Heimatstädten bereits Erfahrungen mit der Gentrifizierung von Stadtteilen durch Technologieunternehmen machten.

RednerInnen verschiedener linker Gruppen machten deutlich, dass es ihnen um mehr als um Google geht, was sich im Motto „Kiezspaziergang gegen Google und Co. ausdrückte. An der ehemaligen Cuvrybrache gab es eine kurze Zwischenkundgebung. Dort will im nächsten Jahr der boomende Online-Versandhandel Zalando eine neue Zentrale eröffnen. Bereits vor einigen Wochen wurde der Rohbau gefeiert. Beim ehemaligen Postgebäude zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof wurde in einen Redebeitrag verdeutlicht, dass nicht nur MieterInnen mit geringen Einkommen durch Google und Co. verdrängt werden. So soll der Privatclub schließen, weil sich MitarbeiterInnen der in den Gebäude befindlichen Start-Up-Unternehmen über den Lärm beschwert haben, der mit Konzerten und Partys verbunden ist. Gekauft wurde das ehemalige Postgebäude von den Internet-Unternehmern Marc und Oliver Samwer. Sie gründeten 2007 das Unternehmen Rocket Internet, das sich als weltweit agierende Start Up-Fabrik versteht. „Die Samwers sind binnen kurzer Zeit Globalplayer geworden, ihre Start Ups erobern alle Kontinente. In vielen Teilen der Welt ist Rocket das neue Synonym für Internet made in Germany“, schreibt das Handelsblatt bereits vor 5 Jahren. In Kreuzberg sind die Samwer-Brüder zum Synonym für Verdrängung und Vertreibung geworden.


Solidarisch mit dem Kampf der Beschäftigten von Amazon

Die Gruppe Theorie Organisation Praxis (TOP) stellte in einen Redebeitrag klar, dass ihr Protest sich nicht die Digitalisierung richtet, sondern dagegen, dass davon im Kapitalismus nur wenige profitieren. TOP ist auch Teil eines linken Bündnisses, das die Forderungen der Amazon-Beschäftigten nach mehr Lohn und einen Tarifvertrag unterstützt. Ein Transparent mit der Parole „Make Amazon pay“ wurde in der Demonstration getragen. Der Spaziergang endete vor dem ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße, wo voraussichtlich im August 2018 der Google-Campus eröffnet werden soll. „Es war der erste Kiezspaziergang gegen Google und Co. und da waren wir mit der Resonanz zufrieden“, zog eine Mitorganisatorin gegenüber MieterEcho Online ein positives Fazit. Doch sie stelle auch klar, dass in den nächsten Wochen die Proteste größer werden, müssen, wenn das Ziel erreicht werden soll. Der Kiezspaziergang zog auch durch die Wrangelstraße, wo im Sommer 2015 AnwohnerInnen monatelang einmal in der Woche auf die Straße gegangen sind, um die Schließung eines Gemüseladens zu verhindern. Viele der PassantInnen, die am Samstag am Rande standen, als der Kiezspaziergang vorbeizog, hatten sich vor drei Jahren an den Protesten der Initiative Bizim-Kiez beteiligt. Es wird sich zeigen, ob sie für den Protest gegen Google zu gewinnen sind. Eine Mitorganisatorin des Kiezspaziergangs betont aber auch, dass es der Kampagne „Google Campus verhindern“ nicht darum geht, allein Kreuzberg gegen den Angriff der Internetkonzerne zu schützen. Ihnen gehe es um eine grundsätzliche Kritik an diesen Konzernen. „Daher sagen wir nicht, Google solle doch nach Adlershof und nicht Kreuzberg hinziehen. Nein wir sagen, Google und Co. soll nirgend willkommen sein.“

aus: MieterEcho online

https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/google-kiezspaziergang.html

Peter Nowak

Weil zu wenige profitieren

Erster Kiezspaziergang gegen den geplanten Google-Campus am Samstag in Kreuzberg

„Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Google enteignen so- wieso“, diese Parole wurde am Samstag in Kreuzberg skandiert. Um 15 Uhr startete bei kaltem Winterwetter der erste Kiezspaziergang gegen den im ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße geplanten Google-Campus. RednerInnen verschiedener linker Gruppen machten deutlich, dass es ihnen um mehr als um Google geht. An der ehemaligen Cuvrybrache gab es eine kurze Zwischenkundgebung. Dort will im nächsten Jahr der Online-Versandhandel Zalando eine Zentrale eröffnen. Bereits vor einigen Wochen wurde der Rohbau gefeiert. Beim ehemaligen Postgebäude zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof wurde in einen Redebeitrag moniert, dass die angesagte Location Privatclub schließen soll. MitarbeiterInnen der in dem Gebäude befindlichen Start- up-Unternehmen hatten sich über den Lärm beschwert, der mit Konzerten und Partys ver- bunden ist. Die Gruppe Theorie Organisation Praxis (TOP) betontein ihrem Redebeitrag, dass ihr Protest sich nicht gegen die Digitalisierung richtet, sondern dagegen, dass davon im Kapitalismus nur wenige profitieren. TOP war auch Teil eines linken Bündnisses, das die Forderungen der Amazon-Beschäftigten nach mehr Lohn und einem Tarifvertrag unterstützt. Ein Transparent mit der Parole „Make Amazon pay“ wurde getragen. Anfangs war die TeilnehmerInnenzahl des Spaziergangs recht bescheiden. Doch auf der Strecke schlossen sich weitere AnwohnerInnen an, die Zahl der Personen wuchs schließlich auf knapp 150. Cornelia Möller, die den Protest mit vorbereitet hat, zeigte sich mit der Resonanz zufrieden: „Doch in den nächsten Wochen müssen die Proteste bei hoffentlich besserem Wetter weitergehen und wachsen“, betonte Möller gegenüber der taz. Dass da noch Potenzial nach oben ist, zeigte sich beim Gang durch die Wrangelstraße. Viele der PassantInnen, die am Samstag am Rande standen, hat- ten im Sommer 2015 als Teil der Bizim-Initiative wochenlang gegen die Kündigung eines Gemüseladens in der Nachbarschaft protestiert.

aus: montag, 5. märz 2018 taz

Peter Nowak

Zu viel Ärger – zu wenig Wut

Eine Ausstellung von MieterEcho-Mitarbeiter Matthias Coers dokumentiert den MieterInnenprotest der letzten Jahre in Berlin

„Wohnungen für Alle“, diese Parole findet sich auf vielen Häuserwänden in Berlin, sogar an einer etwas abgelegenen Stelle am Potsdamer Platz. Der Berliner Fotograf und Mieteraktivist Matthias Coers hat sie dort entdeckt. Sein Foto ist in einer Ausstellung zu sehen, die bis zum 1. Oktober im Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung in der Sebastianstraße 21 in Berlin-Kreuzberg zu sehen ist. Der Titel der Exposition „Wohnen Stadt Solidarität“ benennt präzise den roten Faden der Exposition. Es geht um den Kampf um den knappen Wohnraum in Berlin und den unterschiedlichen Umgang der Betroffenen damit. Auf einer Tafel hat Coers eine Reportage über die Wohnungssuche in Berlin hochkopiert, die im MieterEcho veröffentlicht wurde. Dort ist zu lesen, dass sich auf eine Anzeige über hundert Menschen zur Besichtigung einer Wohnung in Neukölln eingefunden haben, darunter auch Angehörige der Mittelschicht. Coers hat eine gutverdienende Frau porträtiert, die nach Berlin gezogen war und die Wohnungssuche nebenher erledigen wollte. Sie musste schließlich neun Monate suchen, bis sie schließlich eine Parterre-Wohnung  in Weissensee gefunden hat. In der Ausstellung finden sich zahlreiche solche Beispiele. Den BetrachterInnen wird deutlich: Wenn schon Menschen mit guten Einkommen Probleme haben, eine für sie bezahlbare Wohnung zu finden, wie sollen dann erst Menschen mit geringen Einkommen eine Chance haben?

MieterInnenwiderstand nicht nur in Kreuzberg

Doch Coers dokumentiert in seiner Ausstellung auch sehr unterschiedliche Beispiele von MieterInnensolidarität. Da wurden Ferienwohnungen kurzzeitig besetzt, um gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum zu protestieren. Zwangsräumungen wurden durch Proteste behindert und Kundgebungen gegen die Verdrängung von MieterInnen und kleinen Läden organisiert. Coers hat sich nicht nur in Kreuzberg und Neukölln umgesehen, wo die stadtpolitischen Proteste von Initiativen wie Bizim-Kiez in den letzten Monaten verhinderten, dass langjährige Läden in Kreuzberg schließen mussten. Diese Aktivitäten fanden auch ein großes Medienecho. Coers hat auch Initiativen von MieterInnen dokumentiert, die diese Publicity nicht erreichten. So hat er die Siedlung am Steinberg am Berliner Stadtrand besucht, wo sich langjährige BewohnerInnen, oft schon hochbetagt, gegen ihre Verdrängung durch die energetische Sanierung wehren. Sie haben erste Erfolge erzielt. Coers hat auch die Rentnerinnen vom Hansaufer 5 in Berlin-Moabit bei ihren Protesten gegen ihre drohende Verdrängung mit der Kamera begleitet und war dabei, als von energetischer Modernisierung betroffene MieterInnen mit einer Performance vor dem Reichstag auf sich aufmerksam machten. „Wacht auf, Verdämmte dieser Erde“, lautete ihr Motto. Ein Rundgang durch die Ausstellung macht noch einmal deutlich, wie vielfältig die Berliner MieterInnenbewegung ist und wie wenig davon in der Öffentlichkeit bekannt ist. Doch  angesichts der Angriffe auf die Rechte der MieterInnen ist der Protest noch viel zu leise. Da passt eine Parole gut, die gleich zweimal in völlig unterschiedlicher Umgebung auf Fotos in der Ausstellung zu sehen ist:  „Zu viel Ärger, zu wenig Wut“. Auf einen Bild ist sie in großen mehrfarbigen Lettern auf einem weißen Lacken vor der Kulisse der älteren Häuser der Siedlung am Steinberg zu sehen, aus der die BewohnerInnen vertrieben werden sollen. Auf einem anderen Foto ist die gleiche Parole  gesprüht auf einen Fronttransparent während einer MieterInnendemonstration durch Kreuzberg zu sehen. 

Peter Nowak

aus: MieterEcho online 06.09.2017
https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/mathias-coers-ausstellung.html

Die Ausstellung „Wohnen, Stadt, Solidarität“ im Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung in der Sebastianstraße 21 ist bis zum 1.Oktober von Di bis Do von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Die Termine der Begleitveranstaltungen finden sich hier:

http://calendar.boell.de/de/event/wohnen-stadt-solidaritaet-fotografien-von-matthias-coers

Ortsnah Exil gefunden

SZENELADEN: Mietvertrag unterschrieben, bereit für den Umzug: Hans-Georg Lindenau bleibt mit dem M99-Laden in Kreuzberg

HG/M99.Exil“ steht auf einem selbstgemalten Schild in einem Fenster der Ladenräume in der Falckensteinstraße 46. Mitten im Kreuzberger Eventgebiet in unmittelbarer Nähe zur Oberbaumbrücke erhält der „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf “ sein neues Domizil. Am Mittwoch wurde der Mietvertrag abgeschlossen. Mehr als 30 Jahre hat der nach einem Sturz auf einen Rollstuhl angewiesene Hans-Georg Lin-
denau seinen Szeneladen mit dem Sortiment aus Büchern, Aufklebern und politisch korrekten Kleidungsstücken in der Manteuffelstraße 99 betrieben. Lindenau, der seine KundInnen auch schon mal zur Assistenz beim Ladendienst aufforderte, ist in der linken Szene über Deutschland hinaus bekannt. Für AnarchistInnen und junge Antifas aus ganz Europa gehörte ein Besuch des M99 zum festen Bestandteil eines Berlin-Trips. Auch von Berliner AktivistInnen wurde der Laden geschätzt, weil er die Spaltungstendenzen in der radikalen Linken ignorierte. So hatte Lindenau lange die prononciert israelsolidarische Zeitschrift Bahamas genauso wie die radikal-ntizioniische Publikation Intifada im Sortiment. Lindenau vertraute auf die mündigen KundInnen,
die keine Bevormundung brauchen. So argumentierte er auch gegen den politischen Staatsschutz, der bei mehr als 50 Razzien im Laden immer wieder Schriften aus der autonomen Szene beschlagnahmte. Doch in den letzten Jahren war es zunehmend die Gentrifizierung, die Lindenau Probleme bereitete. Dass das Haus mit dem M99-Laden gleich sieben Mal den Besitzer wechselte, hat wohl auch mit den unkonventionellen Mitteln zu tun, mit denen Lindenau gegen eine drohende Vertreibung kämpfte. So trennte sich bereits in den 1990er Jahren ein Arzt wieder von der Kreuzberger Immobilie, nachdem Lindenau mit UnterstützerInnen vor dessen Praxis in einer Brandenburger Kleinstadt auftauchte. Hat Lindenau mit dem Um-
zug nun doch gegen die Gentrizifizierung verloren, fragen sich manche in der Berliner Szene. Für Lindenaus Anwälte Burkhardt Dräger, Benjamin Raabe und Christoph Müller hingegen hat mit dem Ortswechsel ein langjähriger MieterInnenkampf, der bereits mehrere Gerichte beschäftigte, ein positives Ende gefunden. Sie sehen es als
besonderen Erfolg, dass Lindenau in Kreuzberg bleiben kann. Möglich wurde das, weil die Stiftung Umverteilen mit Lindenau den Mietvertrag abschloss. Magnus Hengge von der Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez verweist auf den großen öffentlichen Druck, mit dem im August 2016 eine Zwangsräumung vom in seinem Laden lebenden Lindenau verhindert werden konnte. Dem auf Assistenz angewiesenen Lindenau sei es nun auch in seinem neuen Domizil möglich, „sein einzigartiges Lebenskonzept des durch Kunden betreuten Wohnladens“ fortzusetzen. Laut Hengge hat Bizim Kiez Lindenau nicht nur beim Kampf gegen die Räumung unterstützt. Die Initiative organisierte auch Nachbarschaftshilfe bei der rollstuhlgerechten Einrichtung der
neuen Ladenwohnung. Bis spätestens zum 30. Juni soll der Umzug abgeschlossen sein.

aus: DIE TAGESZEITUNG FREITAG, 26. MAI 2017

Peter Nowak

Holm, der Investorenschreck

Hunderte protestieren gegen die Entlassung des Ex-Staatssekretärs und den Mietwahnsinn

»Andrej Holm – das war ein Knüller, weg mit McKinsey Müller«. Diese Parole wurde am Samstag auf einer Demonstration von Studierenden und stadtpolitischen Gruppen am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte angestimmt, um gegen die Entlassung Andrej Holms von der Humboldt-Universität (HU) und als Wohn-Staatssekretär zu protestieren. Nach Angaben der Veranstalter kamen bis zu 1500 Menschen. Zu der Demonstration mit dem Motto »Nuriye, Holm, Kalle – wir bleiben alle! Für Uni von unten und Recht auf Stadt!« hatten Bürger-, Studenten- und Mieterinitiativen aufgerufen. Sie beziehen sich auf Nuriye Cengiz und den Kölner Kalle Gerigk, die sich gegen ihre Zwangsräumungen gewehrt haben.

Im Streit um den Umgang mit seiner Stasi-Vergangenheit war Andrej Holm als Wohn-Staatssekretär zurückgetreten. Die Präsidentin der HU, Sabine Kunst, hatte Holm anschließend zum 30. Juni gekündigt. Holm hatte 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Personalfragebogen verneint, hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi gewesen zu sein. Die Hochschule sieht sich dadurch nun arglistig getäuscht und kündigte das Arbeitsverhältnis. Holm bestreitet, bewusst falsche Angaben gemacht zu haben.

»Diese Entlassung brachte für uns das Fass zum Überlaufen«, sagt die Studentin Martina Steinert. Sie gehört zu den Studierenden, die nach Holms Entlassung das Sozialwissenschaftliche Institut besetzen. Von dort ging auch die Initiative zu der Demonstration aus, an der sich jetzt zahlreiche stadtpolitische Gruppen und Mieterinitiativen beteiligten.

Die offizielle Begründung für die Doppelentlassung fand bei den Demonstrierenden kein Verständnis. »Holm war der Schrecken der Investoren«, meint ein Vertreter der linksradikalen Interventionistischen Linken (IL). »Er wäre als Staatssekretär die richtige Person gewesen«, ist Magnus Hengge von der Kreuzberger Stadtteilinitiative »Bizim Kiez« überzeugt. Sara Walther vom »Bündnis Zwangsräumung verhindern!« äußert allerdings Zweifel, ob Andrej Holm als Staatssekretär seine Vorstellungen hätte durchsetzen können. Sie erinnerte daran, dass bereits kurz nach seiner Ernennung Politiker von CDU und FDP monierten, der neue Staatssekretär stünde Mieterinitiativen und linken Hausbesetzern näher als der Immobilienwirtschaft.

Während verschiedene Redner auf einer Zwischenkundgebung vor dem Roten Rathaus den rot-rot-grünen Senat aufforderten, die versprochene Politikwende für Mieterinteressen umzusetzen, stand auf der Abschlusskundgebung vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität der Erhalt und die Ausweitung der kritischen Wissenschaft im Zentrum. So sollen im besetzten Institut für Sozialwissenschaften auch in der nächsten Woche zahlreiche Veranstaltungen stattfinden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1040143.holm-der-investorenschreck.html

Peter Nowak

Kundgebung für revolutionären Gemischtladen

Betreiber kämpft, um Räumung zu verhindern / Stadtteilinitiative organisiert Lichterumzug gegen Verdrängung

Nicht nur in Köln meldeten sich am 11. 11. um 11.11 Uhr die Jecken zu Wort. Auch in der der Kreuzberger Manteuffelstraße 99 hatte der Betreiber des dortigen »Gemischtwarenladens mit Revolutionsbedarf« zu einer Kundgebung mit närrischen Karnevalsreden eingeladen. Seit über einem Jahr kämpft Hans Georg Lindenau unterstützt von Stadtteilinitiativen gegen seine Räumung.

Thematisiert werden sollte am Freitagvormittag die nach Ansicht von Hans Georg Lindenau »verrückte Rechtssprechung«, mit der in der letzten Zeit Räumungen von Mietern legitimiert werden. So hätten die Richter des Berliner Landgerichts in ihrem Räumungsurteil bestritten, das Lindenau in seiner Ladenwohnung im Parterre des Hauses lebt. »Dabei bekomme ich seit Jahren regelmäßig die Post und auch die Wahlbenachrichtigungen an diese Adresse«, erklärt Lindenau.

Als weiteres Beispiel für eine »verrückte« Rechtssprechung führt der querschnittgelähmte Mann auf, dass das Gericht in dem Urteil bestritten hat, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Bisher ist die Räumung seines Geschäfts ausgesetzt, zumindest bis mit einem psychiatrischen Gutachten die Folgen eines Verlustes seiner Ladenwohnung für seine psychische Gesundheit geklärt wurde. Lindenau machte auf der Kundgebung noch einmal deutlich, dass er bei einer Räumung sein Lebens- und Arbeitsumfeld verlieren würde.

Neben den Gerichtsbeschlüssen thematisierte Lindenau weitere »verrückte« Tatsachen. So habe der Hauseigentümer in der Manteuffelstraße mehrere Ferienwohnungen eingerichtet, obwohl doch eine Verordnung diese Umwandlung von Mietwohnungen verhindern soll.

Doch der Kreuzberger Aktivist kämpft nicht nur gegen seine drohende Vertreibung. In Beiträgen wurde an den Nachbarschaftsladen in der Neuköllner Friedelstraße 54 erinnert, der bis März 2017 einen Räumungsaufschub bekommen hat. Bei einer Performance, bei der Lindenau einen Polizeihelm trug und jeden Satz mit einem Helau beendete, war die Teilnehmerzahl allerdings wohl wegen des winterlichen Wetters begrenzt. Die Mobilisierung gegen Lindenaus drohende Zwangsräumung sollte am Freitagabend weiter besprochen werden. Nach Redaktionsschluss dieser Seite hatte die Kreuzberger Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez zum Lichterumzug gegen Baufilz aufgerufen. Neben dem Verdrängungsdruck sollte dort auch die Bebauungspläne der Curvrybrache am Spreeufer thematisiert werden. Mietwohnungen zu bezahlbaren Preisen sind dort nicht vorgesehen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1031880.kundgebung-fuer-revolutionaeren-gemischtladen.html

Mieter präsentieren Forderungen

ROT-ROT-GRÜN III Miet-Initiativen wollen sich stärker vernetzen

Insgesamt 25 MieterInnengruppen haben sich am Mittwochabend im Nachbarschaftshaus Centrum in der Kreuzberger Cuvrystraße 13 zum stadtpolitischen Hearing getroffen. Ihr Ziel: der wahrscheinlichen rotrot-grünen Koalition ihre  Forderungen vorzutragen. Das Spektrum der anwesenden Gruppen reichte von den Kreuzberger Stadtteilinitiativen Bizim Kiez,
Kotti & Co und Wem gehört Kreuzberg? über die Moabiter MieterInnengruppe Hansa-Ufer5, den Mieterprotest Koloniestraße
aus dem Wedding bis zur Initiative „Deutsche Wohnen Steglitz-Zehlendorf“. Moderiert vom Stadtsoziologen und  stadtpolitischen Aktivisten Andrej Holm trugen die Initiativen in knappen Statements ihre Probleme vor, woraus sich oft sehr konkrete Forderungen ergaben. Für bezahlbares generationsübergreifendes Wohnen machte sich etwa Eva Willig vom Verbund Berliner Wohnprojekte zur Miete stark. Bizim Kiez wiederum regte eine Berliner Bundesratsinitiative zur Eingliederung der
Mietenbremse in das Wirtschaftsstrafgesetz an. Wäre das erfolgreich, müssten Mietpreisüberhöhungen als Ordnungswidrigkeit
von Amts wegen geahndet werden.

Keine BittstellerInnen

Alle RednerInnen betonten, dass sie keine BittstellerInnen seien. Magnus Hengge von Bizim Kiez gab zu Beginn des Hearings
den selbstbewussten Ton vor. „Es gab in den letzten Jahrzehnten leider sehr viel amtierende Dummheit“, erklärte er unter Applaus. Hengge betonte, dass die SPD ein wichtiger Teil davon gewesen sei. Die Partei habe trotz Einladung keine VertreterInnen geschickt, kritisierte Hengge. Lediglich die beiden Zuhörer mit den Masken von Michael Müller und Andreas Geisel auf der Bühne schüttelten gelegentlich den Kopf. Katrin Schmidberger (Grüne), Katrin Lompscher und Katalin Gennburg (beide Linke), die in der ersten Reihe saßen, schrieben die Forderungen der MieterInnen hingegen eifrig mit.

Weiteres Treffen geplant

Kurt Jotter vom „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“, der zu den Organisatoren des Abends gehörte, stellte am Ende einen
Dreistufenplan der Berliner MieterInnenvernetzung vor. Die müssen sich „zusammenreißen, zusammentun und zusammenschließen“. Am 5. Dezember will sich das MieterInnenbündnis erneut treffen. Dann soll auch über Aktionen geredet werden, wenn der neue rot-rot-grüne Senat ihre Forderungen ignorieren oder auf die lange Bank schieben sollte.

aus Taz Berlin, 4.11.2016

Peter Nowak

Hearing fordert Wende in Berliner Wohnungspolitik

„Miete essen Seele auf“  stand auf den Plakaten, die am Mittwochabend am Eingang des Nachbarschaftshauses  Centrum in der  Cuvrystraße 13 hingen. Viele der mehr als 150  BesucherInnen haben den Kampf gegen hohe Mieten, gegen energetische Sanierung, Verdrängung und Vertreibung aufgenommen. Sie haben sich in Stadtteil- und Mieterinitiativen organisiert. Am 2. November haben sie sich zum stadtpolitischen Hearing versammelt, um den  PolitikerInnen der vorbereiteten  rot-rot-grünen Koalition ihre Forderungen zu übermitteln. Gekommen waren Katrin Schmidberger (Grüne), Katrin Lompscher und  Katalin Gennburg von den Linken. Von der SPD war trotz Einladung niemand gekommen. Der regierende Bürgermeister Michael Müller und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel wurden von Aktivisten gedoubelt und verfolgten die kurzen Statements der 25 Mieterinitiativen, die in knapp zwei Stunden ihre Forderungen vortrugen mit Belustigung, Kopfschütteln und nur gelegentlich mit Zustimmung. Vertreten waren unter Anderem die Stadtteilinitiativen Bizim Kiez, Wrangel21, Hansa Ufer 5, Deutsche Wohnung Steglitz-Zehlendorf, Otto-Suhr-Siedlung  und das Kiezbündnis am Kreuzberg/Kreuzberger Horn. So wurde deutlich, wie flächendeckend in Berlin die MieterInnen mittlerweile organisiert sind und wie dringlich sie schnelle Maßnahmen von der Politik einfordern. So forderte Bizim Kiez  von der künftigen Berliner Regierung eine  Bundesratsinitiative zur Einführung einer Mietenbremse in das Wirtschaftsstrafgesetz. Zahlreiche solcher sehr konkreten Forderungen waren an diesem Abend zu hören. Hoch war auch der Anteil an SeniorInnen, die ihre Anliegen vortrugen. Dazu gehörten die MieterInnen vom Hansa Ufer 5 in Moabit, aber auch die Initiative  „Verbund Berliner Wohnprojekte zur Miete“, die sich für bezahlbares generationsübergreifendes Wohnen einsetzt.

Wie die Forderungen  durchsetzen?

Eine Frage blieb an dem Abend offen.  Was tun, wenn der neue Senat, was absehbar ist, die alte Politik vielleicht etwas modifiziert fortsetzt und die Forderungen der MieterInnen ignoriert? In vielen Beiträgen klang die Befürchtung durch, von der Politik wie so oft über den Tisch gezogen werden. „Glauben sie nicht, dass wir es auf einen Kuschelkurs anlegt haben. Wir haben nicht vergessen, dass gerade die SPD Jahrzehntelang schon in Regierungsverantwortung war, und dass die jetzige Situation auch das Ergebnis der SPD-Politik ist“, betonte Magnus Hengge von der Initiative Bizim Kiez gleich zu Beginn des Hearings. Allerdings erwähnte er nicht, dass auch die beiden anderen Parteien des künftigen Senats bereits mehr oder weniger lang in Berlin mitregiert hatten.  „Wir können unsere Forderungen nur durchsetzen, wenn wir berlinweit der Vereinzelung entkommen, beschwor Kurt Jotter vom Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ die MieterInnen zur weiteren Kooperation. Am 5. Dezember wollen sie sich am Nachbarschaftshaus Wrangelkiez in der Cuvrystraße 13 erneut treffen, um die Möglichkeiten einer mietenpolitischen Vernetzung zu erörtern.

MieterEcho online 03.11.2016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/wohnungspolitisches-hearing.html

Peter Nowak

MietaktivistInnen wollen politisches Gehör finden

EINFLUSS Ein Hearing soll der künftigen Koalition Mieterforderungen näherbringen

„Neues Regieren braucht ein gutes Hearing!“, lautet das Motto eines Anfang November geplanten Workshops von Berliner Stadtteil- und MietaktivistInnen. Dort wollen sie PolitikerInnen der anvisierten Berliner Koalition aus SPD, Grünen und Linken ihre Forderungen vorlegen. Ein Rederecht haben sie dort allerdings nicht. Wohnungspolitische Initiativen haben maximal drei Minuten Zeit, ihre wichtigsten Probleme zu benennen und ihre Forderungen vorzutragen. Angestoßen wurde die Initiative von Thilo Trinks vom Bündnis Pankower Mietenprotest und Kurt Jotter, der in den 1980er Jahren in Westberlin die außerparlamentarische Politikkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ mitbegründet hat. Der ironische Ton ist auch im Aufruf zum Hearing zu erkennen. Man biete den PolitikerInnen ein „unwiderstehliches Hearing als öffentliche Bestandsaufnahme von Fehlern und Chancen berlinweit – hoch besinnlich wie zur Vorweihnachtszeit und inspirierend, wie es
nach einer Wahl sein muss“. An den Vorbereitungstreffen haben unter anderem VertreterInnen der Stadtteilinitiativen Kotti & Co. und Bizim Kiez teilgenommen. Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ war beobachtend dabei. „Wir setzen auf außerparlamentarischen Druck und halten Abstand zu allen Parteien, würden uns aber freuen, wenn unsere Forderungen vom Senat aufgegriffen werden“, betont Bündnismitglied David Schuster gegenüber der taz. Manche MieterInnenorganisation verfolgen die Hearing-Bemühen skeptisch. „Die Initiative zeigt, wie prekär die Situation für viele MieterInnen in Berlin zurzeit ist und wie sehr sie auf eine Änderung der Politik hoffen. Ob die Forderungen dieser Menschen mit diesem Hearing umgesetzt
werden, muss ich aber außerordentlich bezweifeln“, meint Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft gegenüber der taz. Auch der Regisseur des Film „Mietrebellen“ und stadtpolitische Aktivist Matthias Coers, der die Hearing-Initiative begrüßt, betont im Gespräch mit der taz, sie könne nur erfolgreich sein, wenn der außerparlamentarische Druck einer starken
MieterInnenbewegung aufrecht erhalten werde. Am 31. Oktober findet um 19 Uhr im Nachbarschaftshaus in der Cuvrystaße 13 das nächste Vorbereitungstreffen des Hearings statt. Dann werden auch endgültig Termin und Ort bekannt gegeben.

Taz vom 26.1o.2016

Peter Nowak

Nicht freiwillig

Die Räumung des Szeneladens M99 in Kreuzberg ist verschoben

Der »M99 – Laden für Revolutionsbedarf« sollte diese Woche geräumt werden. Nach einer Vereinbarung mit dem Vermieter wurde der Räumungstitel nicht vollzogen. Es gibt eine Gnadenfrist bis Mitte September.

Für Dienstag war in Berlin-Kreuzberg die Zwangsräumung der Ladenwohnung des auf den Rollstuhl angewiesenen Hans-Georg »HG« Lindenau angekündigt, doch die Räumung fand nicht statt. Wochenlang hatten das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« und die Stadtteiliniaitive »Bizim Kiez« zu einer Blockade mobilisiert, um die Räumung des weit über Berlin hinaus bekannten Ladens »für Revolutionsbedarf« zu verhindern. Das M99 ist nicht nur Einkommensquelle, sondern auch Unterkunft seines Betreibers. Mittlerweile ist es selbst in Reiseführern aufgeführt. Der Laden und sein Betreiber stehen wie kaum etwas anderes für das rebellische Kreuzberg der achtziger Jahre. Unterstützung bekam Lindenau aber auch von jüngeren Nachbarn. In Kreuzberg ist die Furcht vor der Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen groß. »Wenn selbst ein so bekannter Laden wie das M99 nicht bleiben kann, droht uns allen die Verdrängung«, sagt eine Nachbarin der Jungle World. Umgekehrt zeige erfolgreicher Widerstand gegen eine geplante Räumung, dass diese Entwicklung verhindert werden kann.

Will bleiben: Hans-Georg »HG« Lindenau in seinem Laden, der ihm auch als Wohnung dient

Will bleiben: Hans-Georg »HG« Lindenau in seinem Laden, der ihm auch als Wohnung dient (Foto: Pa / dpa / Wolfram Kastl)

Nun wurde die für Dienstag anberaumte Räumung kurzfristig ausgesetzt, doch von einem Erfolg kann noch nicht die Rede sein. Nach dem Willen des Hauseigentümers, der den Räumungstitel aufrechterhält, soll Lindenau bis zum 20. September freiwillig ausziehen. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, heißt es denn auch in einer Erklärung, die die Stadtteilinitiative »Bizim Kiez« in Zusammenarbeit mit Lindenau verfasst hat. In dem Text wird betont, wie schwer der Druck gewesen sei, der auf Lindenau durch die drohende Räumung lastete. »Er hat seinen Anwalt den Deal in kürzester Zeit aushandeln lassen, mit dem Motiv, die Zwangsräumung über den 9. August hinaus zu verschieben«, heißt es in der Erklärung. Jede weitere Verzögerung der Räumung eröffne neue Möglichkeiten, sie zu verhindern. »So sehen auch wir das, weil wir sechs Wochen mehr Zeit haben, um weiter zu mobilisieren« – für Aktionen und für weitere Verhandlungen.

Doch bei einem Teil von Lindenaus Unterstützern sorgten die Umstände der Einigung in letzter Minute für Irritationen und Kritik. Schon wenige Stunden nach der Bekanntgabe wurde ihm auf dem Internetportal Indymedia vorgeworfen, einen schlechten Deal mit dem Eigentümer gemacht zu haben. Manche erklärten, sie seien von Lindenau enttäuscht, und drohten, die Solidaritätsarbeit einzustellen.

Für Davis Schuster ist das unverständlich. »Wir finden, dass Betroffene immer selbst über ihre Räumungsangelegenheiten entscheiden sollten«, sagte das Mitglied des Berliner Bündnisses »Zwangsräumung verhindern« der Jungle World. Schuster betonte, dass weiter die Räumung drohe und Lindenau daher auch in Zukunft Solidarität brauche. Die Aussetzung der Räumung sei auch eine Folge des Drucks von stadtpolitischen Initiativen. Tatsächlich ist es in letzter Zeit nicht nur im Fall von M99 gelungen, in großen Mieterauseinandersetzungen wenigstens Teilerfolge zu erzielen. So war die Wiener Immobiliengesellschaft Citec bereit, mit den Mietern des Haues Friedelstraße 54 in Berlin-Neukölln über einen Verkauf des Gebäudes zu verhandeln, nachdem die Mieter ihren Protest sogar in die österreichische Hauptstadt getragen und das Kaufangebot persönlich überbracht hatten. Doch nach mehrwöchigen Verhandlungen wurden die Hausbewohner per E-Mail darüber informiert, dass nicht sie, sondern eine andere Immobilienfirma den Zuschlag bekommen hätten. Beim ehemals besetzten Haus Rigaer Straße 94 brachte eine Gerichtsentscheidung, die die mit einem großen Polizeiaufgebot durchgesetzte Teilräumung für rechtswidrig erklärte, zumindest kurzfristig Entspannung. Da aber neben den Mieterprotesten weitere starke soziale Bewegungen fehlen, sind bisher immer nur temporäre Erfolge erreicht worden.

Lindenau sieht für seinen Laden M99 zwei mögliche Szenarien, wie er der Jungle World sagte. »Entweder jemand ermöglicht mir, dass ich in einem anderen Laden den Verkauf fortsetzen kann. Dann würde ich das M99 verlassen.« Doch das sei unwahrscheinlich. Wenn er keinen gleichwertigen Ersatz in Kreuzberg finde, werde er den Laden »am 20. September nicht freiwillig verlassen«. Dann könnte der Räumungscountdown von Neuem beginnen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/32/54634.html

Peter Nowak