Crowdfunding fürs Gedenken

Dem Bildungswerk Stanislaw Hantz ist es gelungen, das Kommandanturgebäude des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec vor der Versteigerung zu retten.

Es geschah spät, aber dennoch rechtzeitig. In der vergangenen Woche sagte die Polnische Bahn (PKP) die Versteigerung der Kommandantur im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec ab. »Die PKP hat erklärt, dass das Gebäude nur in Anerkennung seiner historischen Bedeutung genutzt werden soll und nicht mehr als Bauland verkauft wird«, sagt Andreas Kahrs, Mitarbeiter des Bildungswerks Stanislaw Hantz e. V., der Jungle World. Der in Kassel ansässige Verein ist nach dem polnischen Auschwitz-Überlebenden Stanislaw Hantz benannt, der bis zu seinem Tod im Jahr 2008 die Erinnerung an die deutsche Mordmaschinerie wachgehalten hat. Bis ins hohe Alter führte der Mitbegründer der Zgorzelecer Verei­nigung ehemaliger KZ-Häftlinge Teilnehmer von Bildungsreisen durch die Stätten des NS-Terrors.

Dort lernten ihn einige der jungen Menschen kennen, die später das nach ihm benannte Bildungswerk gründeten und seine Erinnerungs­arbeit fortsetzten. Ihnen ist auch zu verdanken, dass mit der ehemaligen Kommandantur das letzte authentisch erhaltene Gebäude des Vernichtungslagers Belzec vor dem Abriss gerettet werden kann. Zu den weiteren Plänen des Bildungswerks gehörten die Einbeziehung des sanierten Gebäudes in die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte und die Einrichtung einer Ausstellungs­fläche. Mehrere Wochen sammelte das Bildungswerk über Crowdfunding im Internet fast 10 000 Euro für das Projekt »Erhalt der Kommandantur des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec«. Zu Beginn der Spendenkampagne war die nun abgesagte Versteigerung noch für den 22. Juni angesetzt. Die Spenden sollen nun für die geplante Sanierung verwendet werden.

Das Bildungswerk erwartet auch von staatlichen Stellen in Deutschland Unterstützung. Diese haben bisher jedoch nichts dafür getan, das his­torische Gebäude zu erhalten. Dabei gehört Belzec zu den zentralen Stätten der Vernichtung der ­jüdischen Bevölkerung Polens. Dort wurden zwischen März und Dezember 1942 mindestens 450 000 Menschen ermordet. Im Rahmen der sogenannten Aktion Reinhard, der planmäßigen Vernichtung der polnischen Juden, wurden die Bewohner der Ghettos von Lublin, Lviv und Krakau nach Belzec deportiert. 1942 wurden zusätzlich mehr als 50 000 jüdische Menschen aus dem Reichsgebiet und den »eingegliederten Gebieten« in die Region zwischen Lublin und Zamość deportiert. Viele von ihnen wurden ebenfalls in Belzec ermordet. Die SS beseitigte im Frühjahr 1943 die Spuren des Mordens. Sie riss fast alle Gebäude ab und errichtete auf dem Gelände einen Bauernhof.

Für die Planer im Reichssicherheitshauptamt besaß Belzec »eine besondere Rolle als eine Art Versuchseinrichtung für die möglichst effiziente und rasche Ermordung von Juden im Generalgouvernement«, wie der Historiker Ingo Loose im Vorwort des Buchs »Das Vernichtungslager Belzec« schreibt. Es wurde von dem polnischen Historiker und wissenschaftlichen Mitarbeiter des Staatlichen Museums Lublin, Robert Kuwalek, 2005 veröffentlicht. 2013 ist es in deutscher Übersetzung im Berliner Metropol-Verlag erschienen. Es handelt sich um die erste deutschsprachige Publikation zum Vernichtungslager Belzec.

»Ein halbes Jahrhundert des Vergessens« ist ein Kapitel überschrieben. Der Titel trifft auch auf den deutschen Umgang mit dem Vernichtungslager zu. Dass nur das Engagement des Bildungswerks Stanislaw Hantz das letzte erhaltene Gebäude von Belzec retten konnte, ist ein deutlicher Beweis dafür. Der Vorgang sagt auch einiges über die »Gedenkkultur« eines Landes aus, das sich an einschlägigen Gedenktagen als Erinnerungsweltmeister feiert, während die ehemaligen Orte der Vernichtung zu Ruinen zerfallen. Belzec ist kein Einzelfall. Seit Januar 2015 gibt es im polnischen Słońsk einen Gedenkort für das deutsche Konzentrationslager Sonnenburg, in dem ab 1933 NS-Gegner gequält und ermordet wurden (Jungle World 6/15). Dies ist allerdings keinesfalls der Bundesregierung zu verdanken, sondern einer Ini­tiative der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten.

http://jungle-world.com/artikel/2015/25/52152.html

Peter Nowak

Verkauf von SS-Kommandantur gestoppt

Bildungswerk will im einstigen nationalsozialistischen Vernichtungslager Belzec einen Täter- zum Gedenkort machen

Ein verfallendes Gebäude, mehr ist nicht übrig von den Originalbauten des Vernichtungslagers im polnischen Belzec. Nun konnte die Versteigerung der einstigen SS-Komandantur gestoppt werden.

Einen großen Erfolg kann ein antifaschistisches Bildungswerk vermelden, das sich für den Erhalt der Kommandantur des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec einsetzt. Kurzfristig sagte die Polnische Bahn, der das Grundstück mit dem historischen Gebäude gehört, eine für den 22. Juni geplante Versteigerung ab. »Die Bahn hat erklärt, dass das Gebäude nur in Anerkennung seiner historischen Bedeutung genutzt werden soll und nicht mehr als Bauland verkauft wird«, erklärte Andreas Kahrs vom Bildungswerk Stanislaw Hantz gegenüber »nd«. Genau das hatten sie gefordert.

Das Bildungswerk hatte bereits mehr als 8000 Euro über das Internet gesammelt, um das Grundstück zu erwerben. Insgesamt hätten sie voraussichtlich 40 000 Euro dafür auf den Tisch legen müssen.
Die Geschichte von Belzec ist weitgehend unbekannt. Dabei wurden in dem Vernichtungslager zwischen März und Dezember 1942 mindestens 450 000 Menschen ermordet. Im Rahmen der sogenannten Aktion Reinhart, der planmäßigen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Polens, wurden die Bewohner der Ghettos von Lublin, Lviv und Krakau nach Belzec verschleppt. 1942 wurden zusätzlich mehr als 50 000 jüdische Menschen aus dem Reichsgebiet und den »eingegliederten Gebieten« in die Region zwischen Lublin und Zamość deportiert. Viele von ihnen wurden in Belzec ermordet.

Doch die SS beseitigte im Frühjahr 1943 die Spuren ihrer Mordaktion. Fast alle Gebäude wurden abgerissen, auf dem Gelände wurde ein Bauernhof errichtet. Lange Zeit war der Ort frei zugänglich. 1963 wurde ein erstes Denkmal mit der Inschrift »Zur Erinnerung an die Opfer des Hitlerterrors« auf dem Gelände errichtet. Die jüdischen Opfer wurden dort nicht erwähnt. Das änderte sich 2004, als eine große Erinnerungsstätte eingeweiht wurde, an der internationale Gedenkveranstaltungen stattfinden. »Doch bisher fehlen in Belzec Räume für Seminare und Veranstaltungen«, sagt Kahrs vom Bildungswerk, das nach dem polnischen Auschwitz-Überlebenden Stanislaw Hantz benannt ist, der 2008 verstarb.

Hantz hatte sich aktiv am Aufbau des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau beteiligt und war Mitbegründer der Zgorzelecer Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge. Bis ins hohe Alter führte er Interessierte durch die Stätten des NS-Terrors. So kam er auch in Kontakt mit jungen Menschen, die später das nach ihm benannte Bildungswerk gründeten.

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Organisation von Bildungsreisen zu Stätten der NS-Vernichtung. Vom 17. bis 24. Oktober ist die nächste Fahrt nach Belzec, Sobibor und Treblinka geplant. Dabei sollen den Besuchern auch Einblicke in die unterschiedlichen Aspekte der NS-Vernichtungspolitik in Ostpolen und der Ukraine vermittelt werden.

Nach den Vorstellungen des Bildungswerks könnte eine solche Arbeit in dem sanierten Gebäude der ehemaligen Kommandantur geleistet werden. Zu den weiteren Plänen des Bildungswerks gehört die Einbeziehung der Kommandantur in Führungen und die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte sowie die Einrichtung einer Ausstellungsfläche.

Nachdem nun die Polnische Bahn den Weg freigemacht hat, geht es für das Bildungswerk um die konkrete Umsetzung ihrer Pläne. »Die bisherigen Spenden möchten wir also nicht mehr nur für den Kauf, sondern bereits in die Instandsetzung investieren«, so Kahrs. Dafür erwartet er auch von staatlichen Stellen in Deutschland finanzielle Unterstützung. Schließlich gehören der Erhalt der Täterorte des ehemaligen NS-Terror.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/974583.verkauf-von-ss-kommandantur-gestoppt.html

Peter Nowak