Für eine ganz andere Bildung

Bei der Aktionswoche des Bildungsprotestes soll es nicht nur um Geld gehen
Studierende machen wieder mobil – eine Woche Protest ist angekündigt. Doch es geht ihnen um mehr als bei den Streiks im letzten Jahr.
Transparente, Infostände und sogar Zeltstädte dürften in den nächsten Tagen an vielen Hochschulen der Republik zum Alltag gehören. Sie sind Teil einer Bildungsprotestwoche, zu der Studierende, Schüler und Auszubildende vom 7. bis 12. Juni aufrufen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin haben die Aktivisten dezentrale Proteste angekündigt. Am Mittwoch sind in vielen Städten Demonstrationen für eine andere Bildung geplant. Die Organisatoren hoffen, dass sich neben Schülern und Studierenden auch Auszubildende beteiligen. Schließlich rufen auch einige Gewerkschafter zu den Protesten auf.

Mit der Aktionswoche werden die Bildungsproteste fortgesetzt, die im Sommer und Herbst 2009 Tausende Studierende und Schüler mobilisiert hatten. Allerdings handelt es sich keinesfalls um eine Wiederholung der Bildungsproteste der letzten beiden Semester, betonen die Organisatoren. So soll im Rahmen der Aktionswoche über ein anderes Bildungssystem diskutiert werden. An manchen Schulen und Hochschulen werden Plenen stattfinden, an anderen Bildungseinrichtungen wie der Aachener Hochschule wird ein Protestcamp mit Zelten aufgebaut.

Dabei geht es den Aktivisten nicht nur um eine bessere finanzielle Ausstattung und die völlige Abschaffung von Studiengebühren. Sie stellen die Strukturen an den Bildungseinrichtungen infrage. »Um wirkliche Verbesserungen zu erreichen, brauchen wir eine radikale Demokratisierung des Bildungssystems«, betont die Berliner Studentin Saskia Benisch.

»Obwohl Politiker und Medien ein gewisses Wohlwollen für die Proteste der letzten Semester äußerten, wurde auf unsere zentralen Forderungen gar nicht eingegangen«, moniert die Studentin Tanja Bausch und vertritt damit die Meinung vieler Aktivisten.

Im Zeichen der Krise werden offen massive Kürzungen auch im Bildungsbereich von Politikern der Union und der FDP diskutiert. Auch ein Treffen zwischen studentischen Aktivisten und Bundesbildungsministerin Schavan Mitte Mai hat bei vielen Protestierenden eher zu Enttäuschungen geführt. Allerdings wurden dabei auch unterschiedliche Proteststrategien sichtbar. Während ein Teil der Aktivisten das Treffen unter Protest vorzeitig verließ, blieben andere, obwohl sie die Kritik teilten. Danach sprachen wohlmeinende Protestberater wie der emeritierte Berliner Politologe Peter Grottian davon, dass die Bewegung eine bessere theoretische Fundierung brauche und warnten vor der Gefahr der Schrumpfung.

Jörg Rostek von der Pressegruppe des Bildungsstreikbündnisses bestätigt gegenüber ND, dass sich bei manchen Aktivisten mittlerweile Ernüchterung eingestellt hat. Zugleich hätten sich Menschen beteiligt, die bisher noch nicht aktiv gewesen seien. Rostek will sich daher auch nicht an Spekulationen beteiligen, ob sich mehr oder weniger Aktive an den Bildungsprotesten beteiligen. Die Aktivisten vernetzten sich sowohl im In- wie im Ausland. So tauschten sich studentische Aktivisten aus aller Welt an der Bochumer Universität bei einem Internationalen Bildungskongress aus. Innerhalb Deutschland arbeiten die Bildungsaktivisten mit anderen Protestbündnissen zusammen. Sie beteiligen sich mit einem Bildungsblock an den Krisendemonstrationen am 12. Juni in Berlin und Stuttgart.

(www.bildungsstreik.net/)

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/172482.fuer-eine-ganz-andere-bildung.html

Peter Nowak

Universitäten besetzen?

Stefanie Graf über die Perspektiven der Uni-Proteste / Graf ist Geschäftsführerin des Studierendenverbandes »Die Linke.SDS«
 

ND: Der Studierendenverband der Linkspartei beteiligte sich kurz vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen (NRW) in Düsseldorf an einer Demonstration gegen Studiengebühren. Ist das der Auftakt für die bundesweiten Bildungsproteste in diesem Semester?
Graf: Für diese Demonstration wurde vor allem in NRW mobilisiert. Damit sollte vor der Landtagswahl ein deutliches Zeichen für die Abschaffung von Studiengebühren gesetzt werden. Ein Wegfall der Studiengebühren in einem großen Land wie NRW hätte natürlich auch bundesweite Bedeutung und könnte einen Dominoeffekt in anderen Ländern auslösen. Zudem würde die Protestbewegung durch einen solchen Erfolg gestärkt.

Ihr Studentenverband hat für dieses Semester u.a. die Idee eines sogenannten Besetzungsstreiks entwickelt. Was würde sich dadurch gegenüber den bisherigen Protesten ändern?
Wir haben die Bildungsproteste der letzten Semester analysiert und die Stärken und Schwächen besprochen. Daraus haben wir den Schluss gezogen, dass der Druck verstärkt, die Bewegung verbreitert und die Proteste radikalisiert werden müssen. Daraus haben wir unseren Vorschlag eines Besetzungsstreiks entwickelt. Die Hochschulen würden während des Streiks besetzt und es würden keine Vorlesungen und Seminare stattfinden. Das hätte den Vorteil, dass die Studierenden, die die Forderungen des Bildungsstreiks unterstützen, sich aber am Streik wegen der Anforderungen des Studiums nicht beteiligen konnten, sich aktiv in die Proteste einbringen könnten. Im letzten Semester beteiligten sich viele Studierende an den Vollversammlungen des Bildungsstreiks und gingen danach wieder in ihre Vorlesungen.

Warum wären deren Probleme durch einen Besetzungsstreik behoben?
Bei solchen Streiks konnte in der Vergangenheit mit den Professoren und der Universitätsleitung eine Lösung gefunden werden, damit die beteiligten Studierenden keine Nachteile erleiden mussten. Das funktioniert allerdings nur bei einer großen Beteiligung.

Aber gerade daran haben Kritiker wie der langjährige Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren, Klemens Himperle, Zweifel. Er fordert inhaltliche Auseinandersetzungen statt Aktionismus und warnt vor dem Abbröckeln der Proteste.
Ich würde inhaltliche Arbeit und Aktionen nicht gegeneinander diskutieren. Wir haben unsere Vorschläge im Januar zur Diskussion gestellt und seitdem gibt es darüber eine Auseinandersetzung. Mittlerweile haben sich an verschiedenen Universitäten Bildungsstreikbündnisse wiedergegründet, die die Proteste fortsetzen wollen.

Gibt es konkrete Planungen?

Am 17. Mai findet die durch die Proteste durchgesetzte Bolognakonferenz mit Bundesbildungsministerin Schavan und Studierenden statt, die in die Hörsäle verschiedener Universitäten live übertragen werden soll. Anfang Juni ist eine dezentrale Aktionswoche der Bildungsproteste geplant, die am 9. Juni mit einem Aktionstag enden soll.

Der Besetzungsstreik ist wohl erst einmal verschoben?
Wir können und wollen ihn nicht alleine machen. Aber mit unserem Vorschlag haben wir eine mittelfristige Perspektive für den Bildungsstreik formuliert. Wir sehen darin eine Möglichkeit, den Prostest zu verbreitern und gleichzeitig zu radikalisieren. Das ist nötig, um den Druck zu erhöhen und eine wirkliche Verbesserung im Bildungssystem zu erreichen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/170889.universitaeten-besetzen.html

Gespräch: Peter Nowak

Mehr als nur ein Strohfeuer?

Florian Wilde (32), Bundesgeschäftsführer des Studierendenverbandes »Die Linke.SDS«, über die Perspektiven der Studentenproteste
 

ND: Vergangenes Wochenende traf sich der Studierendenverband »Die Linke.SDS« in Bochum zu seinem mittlerweile fünften Bundeskongress. Wie wurden die aktuellen Bildungsproteste bewertet?
Wilde: Wir sehen in ihnen aus mehreren Gründen einen großen Erfolg. Es ist gelungen, das Thema Bildung wieder in einer größeren Öffentlichkeit zu verankern. Die Zusammenarbeit zwischen Schülern und Studierenden stellt einen großen Fortschritt dar. An den Hochschulen war es der erste Aufstand einer Generation, die unter den völlig veränderten Bedingungen des Bachelor-Master-Systems studiert. Zudem war die zweite Protestwelle die erste soziale Bewegung unter der konservativ-liberalen Bundesregierung.

Wo sehen Sie Schwächen der Bewegung?
Sie hat noch nicht die Stärke erreicht, um substanzielle Reformen im Bildungsbereich durchzusetzen. Schließlich sind Studiengebühren und Bachelor- und Masterstudiengänge noch nicht abschafft.

Bekommt Ihr Verband nicht auch die Furcht vieler studentischer Aktivisten vor linker Vereinnahmung zu spüren?
Wir sind ein sozialistischer Verband, der in den Protesten eigene Akzente setzen will. Dabei geht es nicht um Vereinnahmung, sondern um solidarische Diskussion auf Augenhöhe im Bildungsstreikbündnis über die richtige Proteststrategie. Wir haben bei den Protesten die Erfahrung gemacht, dass Studierende durchaus auf Themen ansprechbar sind, die nicht nur das Bildungsthema betreffen. So gab es eine große Unterstützung für den Streik des Reinigungspersonals und der Mensamitarbeiter an den Hochschulen Das grundlegende Problem besteht jedoch darin, dass durch die Umstellung auf die Bachelor- und Masterstudiengänge der linke Aktivismus an den Unis insgesamt in eine Krise geraten ist, weil die Studierenden kaum noch Zeit für politische Aktivitäten haben. Wir müssen darauf Antworten finden, um wieder handlungsfähig zu werden. Der Aufbau eines bundesweiten Verbandes, der den Aktiven vor Ort die Arbeit erleichtert, gehört dazu.

Wie soll es mit den Bildungsprotesten weitergehen?
Wir haben den Vorschlag eines Besetzungsstreiks in die Diskussion gebracht. Im Unterschied zu den bisherigen Protesten würde damit der Unibetrieb komplett lahmgelegt. Die Studierenden müssen sich dann nicht wie bisher individuell zwischen der Beteiligung an Aktionen oder der Teilnahme an Vorlesungen entscheiden. Damit würde ein Freiraum geschaffen, um Alternativen zur bisherigen Bildungspolitik zu entwickeln und den Protest von der Uni in die Gesellschaft zu tragen. Allerdings muss eine solche Aktion gut vorbereitet werden und unter den Studierenden verankert sein. Ein Besetzungsstreik könnte 2011 oder 2012 aktuell werden, wenn die doppelten Abiturjahrgänge an die Unis drängen.

Warum soll dadurch die Protestbereitschaft steigen?
Schon jetzt sind die Studienbedingungen oft sehr schlecht. Durch die doppelten Jahrgänge wird sich die Situation noch verschärfen. Da schon bisher gerade die Erstsemester stark an den Protesten beteiligt sind, bestehen hier große Chancen, dass dann der Widerstand wächst.

Wie soll es aber in den nächsten Monaten kurzfristig mit den Bildungsprotesten weitergehen?
Wir wollen die Landtagswahl in NRW zu einer Abstimmung über die Abschaffung der Studiengebühren machen. Konkret schlagen wir eine bundesweite Demonstration in NRW Anfang Mai vor, um die Parteien außerparlamentarisch unter Druck zu setzen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/162970.mehr-als-nur-ein-strohfeuer.html

Interview: Peter Nowak