Wie eine Polemik des Tübinger Oberbürgermeisters zu einer Rassismusdebatte ausartet

Das Diversity Management der Deutschen Bahn ist kein Antirassismusprojekt - Ein Kommentar

„Der Shitstorm wird nicht vermeidbar sein“, ahnte der gelernte Populist. Gerade deshalb stelle er rhetorisch unter eine Werbung der Deutschen Bahn, auf der Personen zu sehen sind, die nicht so aussehen, wie sich ein Boris Palmer deutsche Staatsbürger vorstellt, die Frage: „Ich finde es nicht nachvollziehbar,…

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Droht Trump die Absetzung?

Es geht in Wirklichkeit um die nächsten Präsidentenwahlen und um falsche Freunde gegen Trump

Was wäre Trump ohne seine Kritiker, die nicht nur an seinen Lippen hängen, sondern jeden Twittereintrag von ihm ausgiebig analysieren und natürlich in Ferndiagnose auch den Gemütszustand des US-Präsidenten kennen? So wissen sie natürlich auch, dass er nach dem Schuldspruch seines Anwalts in Schockstarre verfallen sei. Tatsächlich gab sich Trump schon wenige Stunden später auf einer Rede in Virginia gewohnt angriffslustig. Es ist auch nicht anzunehmen, dass ihn die Urteile überrascht haben.

Auf einmal ist das I-Wort wieder in der Diskussion

Wenn das I-Wort für Impeachment nur von den Medien und Politikern, die Trump nie im Weißen Haus sehen wollten und eigentlich auch sicher waren, dass er nie Präsident wird, wieder in die Diskussion gebracht wird, ist das nun nicht verwunderlich. Sie reden von seiner Absetzung, seit er Präsident ist. Dabei wurden die unterschiedlichen Varianten durchgespielt.

So gab es selbst die Diskussion, ob Trump wegen geistiger Unfähigkeit, das Amt zu führen, abgesetzt werden könne. Dass nun Trump selber das I-Wort in den Mund nimmt und vor dem Zusammenbruch der Märkte warnt, wenn er abgesetzt werde, macht deutlich, dass auch das Lager des Präsidenten die Angelegenheit jetzt ernster nimmt. Aber nicht etwa deshalb, weil ein Impeachment oder auch nur die Einleitung unmittelbar bevor stehen könnte. Es geht vielmehr um die Positionierung für die nächsten Wahlen.

Trump und sein Lager haben bereits deutlich gemacht, dass er noch einmal für eine zweite Amtszeit antreten will. Die entsprechenden Banner dazu würden angeblich schon im Niedriglohnland China fabriziert. Nun hat da, auch wenn es Trump nicht gefällt, auch die Republikanische Partei ein Wörtchen mitzureden. Eigentlich lässt sie Präsidenten, die noch mal kandidieren wollen, nicht fallen, wenn sie zumindest die Chance haben zu gewinnen. Das ist im Fall von Trump bisher nicht entschieden.

Denn mögen auch die Trump-Gegner zumindest von Europa aus gesehen immer zahlreicher werden, was dann zu Schlagzeilen wie „Es wird einsam um Trump“[1] führt, so ist entscheidend bei den Wahlen, ob seine Basis, die im Regelfall nicht im Blickfeld der liberalkapitalistischen US-Medien ist, die das Europabild der USA wesentlich prägen, weiterhin zu Trump hält. Sonst könnte sich bei den nächsten Wahlen das Szenario von 2016 wiederholen.

Alle gingen davon aus, dass Trump eine krachende Niederlage erleidet. Schließlich war ja die liberalkapitalistische Szene aus New York und Washington ebenso gegen ihn wie die die meisten Künstler und Intellektuellen. Dabei wurde vergessen, dass auch Stahlarbeiter und Farmer aus den US-Staaten, die in Deutschland kaum jemand aussprechen kann, das Wahlrecht haben. Und dass es in den USA ein Wahlsystem gibt, das sie sogar bevorzugt, so dass eben Trump weniger Wahlstimmen als Clinton hatte, aber mehr Wahlmänner -und frauen, auf die es ankam. Die wenigen Journalisten, wie die Taz-Publizistin Bettina Gaus, die für ein Reportagebuch[2] durch diese vergessenen Bundessstaaten reiste, hielt bereits im Sommer 2016 einen Trump-Wahlsieg für wahrscheinlich und wurde damals von vielen für verrückt erklärt.

Einen zweiten Trump-Sieg kann man am besten verhindern, wenn man dafür sorgt, dass er gar nicht erst antritt. Darum geht es, auch bei der aktuellen Debatte. Die erste Etappe sind die Zwischen- oder Midtermwahlen in den nächsten Monaten. Wenn dort die Demokraten stark zulegen, könnten sie auch ein Impeachment einleiten. Ob dann allerdings eine Zweidrittelmehrheit für eine Absetzung von Trump zustande käme, ist unwahrscheinlich, aber auch nicht wichtig. Schließlich würde sich das Prozedere bis zu den nächsten Wahlen hinziehen. Doch einem Präsident mit einem Impeachment-Verfahren am Hals, der zudem für Wahlverluste seiner Partei gesorgt hat, könnte die Republikanische Partei eher deutlich machen, dass er kein zweites Mal kandidieren kann. Dann könnte er immer noch als Unabhängiger antreten, aber mit sehr ungewissen Aussichten.

Um also eine zweite Kandidatur von Trump möglichst zu verhindern, wird nun die Debatte um seine Absetzung geführt. Daran beteiligen sich allerdings nicht alle Demokraten, weil sie nicht wissen, ob ihnen eine Impeachment-Debatte überhaupt nützt oder ob sie nicht das Trump-Lager eher eint.

Erinnerungen an die Clinton-Lewinsky -Affäre

Es gibt schließlich ein Beispiel, das ihnen sehr präsent sein dürfte. 1998 betrieben die damals oppositionellen Republikaner ein Absetzungsverfahren gegen den demokratischen Präsident Clinton. Es beschäftigte die Medien wochenlang. Doch Clinton blieb im Amt, obwohl ihm ein Meineid vorgeworfen wurde. Eine Zweidrittenmehrheit für eine Absetzung kam nicht zustande und am Ende wendete sich die Stimmung gegen die Republikaner, die auf die Absetzung insistierten.

Das Verfahren hatte eines mit der aktuellen Debatte um Trump gemeinsam. Es ging um außerehelich Beziehungen von Präsidenten, ein Thema, für das sich eigentlich nur die eigene Familie und eine sehr fromme Wählerschaft interessieren dürfte. Auch Trump werden jetzt solche außerehelichen Affären vorgeworfen, die eigentlich in einem säkularen Staat des 21. Jahrhunderts eine Privatangelegenheit sein müssten und kein Politikum.

Es war von Trump seit Langem bekannt, dass er kein praktizierender Evangelist ist. Es ist daher schon zu fragen, warum Trump den Frauen überhaupt Schweigegeld bezahlt hat. Schließlich kamen in der letzten Runde der Präsidentenwahlen noch klar sexistische Äußerungen an die Öffentlichkeit, die Trump in einer Männerrunde geäußert hat. Für die Liberalen war das ein Grund mehr, ihn nun endgültig für erledigt zu erklären. Doch ein Großteil der konservativen und auch religiösen Wählerbasis sah das anders. Und die hätte ihn zwei oder auch mehr weitere außerehelich Affären nicht verziehen? Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Wo also lag da die Wahlbeeinflussung?

In der aktuellen Diskussion wird fast schon suggeriert, hier wären Gelder geflossen, um irgendwelche Russland-Kontakte zum Trumplager unter Verschluss zu halten. Doch aktuell geht es um angebliche Schweigegelder wegen außerehelichen Affären.

Wo bleiben die Anwaltsrechte?

Nun wird argumentiert, die Aufdeckung der Russland-Kontakte könne noch folgen. Da müssen nur weitere Personen aus Trumps Umfeld gehörig unter Druck gesetzt und mit hohen Strafen wegen Delikten, die mit der Russland-Connection gar nichts zu tun haben, bedroht sein, damit sie sich dann gegen Straferlass auf eine Aussage einlassen.

Nur fällt vielen gar nicht auf, wie rechtsstaatlich fragwürdig diese Methoden sind. Da könnte man auch von Nötigung und Erpressung reden, auf jeden Fall von totalitären Methoden. Wieso wird denn fast selbstverständlich angenommen, dass die unter Druck stehenden Personen dann die Wahrheit sagen und nicht irgendwelche Behauptungen erfinden, um von den Straferleichterungen zu profitieren?

Eine besondere Note bekommt die Sache, dass nun Trumps Privatanwalt die Schlüsselfigur in dieser Angelegenheit ist (Donald Trump in Bedrängnis[3]). Wie steht es da mit den Schutzrechten zwischen Anwalt und Mandanten? Ist es nicht ein in Deutschland hochgehaltenes Recht, dass die Korrespondenz und auch das gesprochene Wort zwischen Anwalt und Mandant geheim bleiben sollen? Die Methode, eine Anwalt mit hohen Strafen in einem Strafverfahren zu Kooperation und Aussagen zu erpressen, um damit Material in einem anderen Fall in die Hand zu bekommen, erinnert doch eher an Rechtsstaatsmethoden, wie sie der Türkei unter Erdogan oder Russland unter Putin immer vorgehalten werden. Trump wird beschuldigt, solche Methoden auch in den USA etablieren zu wollen.

Falsche Freunde gegen Trump

Die Justiz und die Sondermittler werden dagegen als Bollwerk gegen das Abrutschen in einen illiberalen Staat immer wieder verteidigt. Dabei wird dann wohl weggesehen, wenn jetzt nicht Trump, sondern genau diese Institutionen selber Methoden anwenden, die einen illiberalen Staat auszeichnen. Hier bestätigt sich nur einmal mehr, was seit Trumps Antritt von vielen seiner Kritikern praktiziert wird. Justiz und Sondermittler werden mit einen liberalen Nimbus umgeben, der ihnen weder historisch noch aktuell zusteht.

Der US-Politikprofessor Michael J. Glennon[4] hat in einen informativen Artikel[5], der in der Le Monde Diplomatique erschienen ist, diese falschen Freunde gegen Trump prägnant benannt. Über das Agieren von Sondermittlern schreibt Glennon:

Wenn solche nicht gewählten Bürokraten rechtmäßige politische Initiativen von gewählten Amtsträgern blockieren, wird damit ein wichtiges Prinzip geopfert: die Verantwortlichkeit demokratischer Repräsentanten. Und dieses Opfer kommt einem Selbstmord gleich, wenn dieses Blockieren an der Spitze der Sicherheitsbürokratie von Leuten abgesegnet wird, die sich keineswegs immer als verlässliche Wächter der Bürger- und Freiheitsrechte erwiesen haben.

Michael J. Glennon

Er kritisiert auch die Verteidigung der Geheimdienste durch die Trump-Kritiker in den USA und diese Kritik gilt natürlich auch für diejenigen in Deutschland, die sich oft auch am liberalen White-Washing der US-Geheimdienste beteiligen:

Eine solche Haltung gegenüber der Sicherheitsbürokratie ist auf tragische Weise kurzsichtig. Die Verfassung sieht Institutionen vor, die Schutz vor unklugen politischen Entscheidungen gewählter Amtsträger bieten sollen – die Geheimdienste gehören nicht zu ihnen: Sie sind vertrauenswürdig aufgrund ihrer Expertise, aber vor allem deswegen, weil sie gewählten Funktionsträgern unterstellt und ihnen gegenüber verantwortlich sind. Löst sich diese Verbindung zu gewählten Politikern auf, erlischt auch ihre von der Verfassung verliehene Legitimität.

Michael J. Glennon

Er erinnert diese liberalkapitalistischen Trump-Gegnern daran, dass die Geheimdienste und Sicherheitsagenturen, die in den vergangenen Jahrzehnten ihre Macht wiederholt schwer missbraucht haben, keine Garanten für Demokratie sind. Er wies auf historisches Material[6] über die illiberale Geschichte der heute so hochgelobten repressiven Staatsapparate hin.

Eine solche historisch Aufklärung ist wichtiger denn je. Denn je mehr Trump zum Feindbild aufgebaut wird, ohne das kapitalistische System, das ihn hervorgebracht wird, auch nur zu erwähnen, um so mehr werden diese Staatsapparate legitimiert, die seit Jahrzehnten an der Unterdrückung einer grundsätzlichen Opposition in den USA ebenso beteiligt sind, wie an der Fabrizierung von Kriegsgründen. Es steht zu befürchten, dass diese Kräfte in einer Zeit nach Trump, ob nach den nächsten oder übernächsten Wahlen, noch stärker werden.

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4145808

https://www.heise.de/tp/features/Droht-Trump-die-Absetzung-4145808.html

Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.sz-online.de/nachrichten/es-wird-einsam-um-trump-4001283.html
[2] https://www.buecher.de/shop/fachbuecher/auf-der-suche-nach-amerika/gaus-bettina/products_products/detail/prod_id/23826627/
[3] https://www.heise.de/tp/features/Donald-Trump-in-Bedraengnis-4143301.html
[4] http://www.oxfordscholarship.com/view/10.1093/acprof:oso/9780190206444.001.0001/acprof-9780190206444
[5] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5518791
[6] https://www.intelligence.senate.gov/sites/default/files/94755_II.pd

Konfrontation zwischen Russland und Großbritannien ohne endgültige Beweise

Die jüngste Eskalation zwischen beiden Ländern zeigt nur, wie schnell man Ressentiments schüren und aus Indizien Beweise macht

Nun hat auch Russland mit der Ausweisung von 23 britischen Diplomanten seinen Teil zur Eskalation im Verhältnis zwischen Großbritannien beigetragen. Doch die Eskalation geht von Großbritannien aus, das die Sanktionsmaschine gegen Russland in Gang setzte, ohne dass es Beweise dafür hat, dass die russische Regierung oder ihr unterstehende Instanzen für den Giftanschlag auf einen Ex-Agenten und seine Tochter verantwortlich ist (Fall Skripal: Westliche Regierungen machen sich kollektiv lächerlich). Vereinzelt wird daran noch in manchen Zeitungen erinnert.

Indizien sind keine Beweise

So erinnerte Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung daran, dass es einen Unterschied zwischen starken Indizien und Beweise gibt.

Der Rechtsstaat verlangt nach einer klaren Zuordnung von Opfer und Täter. Großbritannien verfügt über Indizien, starke Indizien – aber nicht über den letzten Beweis.

Stefan Kornelius, Süddeutsche Zeitung

Verwunderlich ist aber, dass Kornelius zu der Einschätzung kommt, dass Großbritannien auf den Giftgasanschlag verhalten reagiert, weil der endgültige Beweis fehlt. Ist es nicht vielmehr so, dass Großbritannien mit den Sanktionen reagiert, als hätte die Regierung den Beweis und als würde für sie der Unterschied zwischen Indizien, auch starken Indizien und Beweisen keine Rolle mehr spielen? Wenn Kornelius die Reaktion aus Großbritannien verhalten nennt, was würde er dann als Überreaktion bezeichnen? Die Kriegserklärung Londons an Russland, die Bombardierung des Kremls? Auch für die Taz-Kommentatorin Bettina Gaus gibt es starke Indizien dafür, dass die Spur des Giftanschlags nach Russland führt. Doch auch sie stellt klar:

Im Ernst: Es gibt starke Indizien, die darauf hinweisen, dass tatsächlich die russische Regierung oder, mindestens ebenso alarmierend, der russische Geheimdienst ohne Wissen der Regierung hinter dem Mordanschlag steckt. Aber Indizien sind eben nicht dasselbe wie unwiderlegbare Beweise.

Bettina Gaus, Taz

Russland hat Zusammenarbeit bei der Aufklärung angeboten

Bettina Gaus hat auch eine weitere Behauptung widerlegt, die die britische Regierung als Begründung für ihre Sanktionspolitik angeführt hat und die ohne nähere Prüfung von vielen Medien übernommen wurde. Die russische Regierung hätte sich geweigert, mit der britischen Regierung bei der Aufklärung der Giftattacke zu kooperieren. Demgegenüber stellt Gaus klar:

Moskau hat öffentlich jede Beteiligung an dem Giftgasangriff bestritten, Zugang zu den Ermittlungen gefordert und sich bereit erklärt, mit internationalen Organisationen zu kooperieren. Das alles ist nicht unbillig, sondern vernünftig. Wie hätte die russische Regierung denn sonst reagieren sollen? „Sorry, Theresa, ja, wir waren es. Tut uns echt leid.“ Die Reaktion darauf hätte man sehen sollen.

Bettina Gaus, Taz

Gaus geht auch kritisch mit einer anderen Frage um, die in den letzten Tagen viele Medien allzu schnell beantwortet haben. Wer hat Interesse bzw. wem nützt der Giftanschlag? Da ist es doch etwas dünn, wenn unisono auf die heutigen Präsidentenwahlen in Russland hingewiesen wird, wo sich Putin nun besser als Opfer des „Westens“ inszenieren kann.

Haben nicht schon seit Wochen die meisten Kommentatoren behauptet, die Wahlen seien längst für Putin entschieden? Warum sollte dann noch im Ausland eine solche Aktion inszeniert werden, nur um die russischen Wähler für Putin zu beeinflussen? Ist das nicht ein arg konstruiertes Motiv, das eine solche aufwendige Aktion nicht wirklich erklärt?

Unmittelbar nach dem Anschlag konnte man im Deutschlandfunk noch die Meinung eines Kommentators hören, der eine Beteiligung der russischen Regierung für sehr unwahrscheinlich hielt. Eine Verschlechterung der Beziehungen mit den westlichen Ländern sei nicht im Interesse der russischen Regierung, so die Begründung.


Nutzen ziehen viele aus dem Anschlag und der Reaktion darauf

Es wäre doch interessant zu fragen, ob diese Einschätzung auch jetzt noch seine Gültigkeit hat. Es bleiben da zumindest sehr viele offene Fragen. Warum sollte Russland Interesse haben, ausgerechnet Großbritannien, das kurz vor dem komplizierten Austritt aus der EU steht, gegen sich aufzubringen?

Wird da nicht sogar Großbritannien wieder näher an die EU gerückt? Ist das nicht eine Steilvorlage für die Kräfte in Großbritannien, die ein neues Referendum über den EU-Austritt fordern? Bisher fehlte dieser Kampagne die Schlagkraft, weil die Umfragen kein Ergebnis brachten, dass nun eine Mehrheit der Briten doch in der EU bleiben will. Unter solchen Umständen könnte ein zweites Referendum für die Remainer ein Eigentor sein.

Wenn erst einmal eine Stimmung erzeugt wird, die wirklich stabile Mehrheiten für ein Verbleiben in der EU sieht, könnte die Kampagne für ein zweites Referendum wieder an Fahrt gewinnen. Liegt das aber im Interesse Russlands? Ich weiß die Antwort nicht.

Aber solche Fragen sollte man sich stellen, bevor man sich einseitig und ohne überzeugende Plausibilität darauf festlegt, dass nur die russische Regierung ein Interesse an diesen Anschlag gehabt haben kann. Es könnten eine Fülle weiterer Fragen nach dem Interesse gestellt werden.

Das wäre die Aufgabe einer öffentlichen Diskussion, die sich eben nicht vorschnell auf einen Verantwortlichen festlegt und die Indizien eben nicht für Beweise hält. Und die auch den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ nicht für völlig weltfremd bei Konflikten zwischen zwei Staaten hält.

https://www.heise.de/tp/features/Konfrontation-zwischen-Russland-und-Grossbritannien-ohne-endgueltige-Beweise-3997818.html

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-3997818

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Fall-Skripal-Westliche-Regierungen-machen-sich-kollektiv-laecherlich-3997443.html
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/giftanschlag-auf-ex-spion-skripal-laengst-mehr-als-ein-agententhriller-1.3905300
[3] https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5489206
[4] https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5489206

Die Sehnsucht nach dem „guten Ami“

Der von seiner eigenen Partei verhinderte Präsidentschaftskandidat der Demokraten Bernie Sanders war in Berlin und wurde wie ein Star gefeiert

Tosender Applaus und „Bernie, Bernie“- Rufe bevor der Mann auch nur ein Wort sagte, dem die Huldigungen galten. Am 31. Mai war der von seiner eigenen Partei verhinderte Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten Bernie Sanders zu Gast an der FU-Berlin. Er redete in einem Teil der FU, der nach den umstrittenen antisemitischen Henry Ford benannt ist.

Bisher scheiterten alle Versuche, das Gebäude nach einer Figur der demokratischen US-Geschichte umzubenennen. Wenn es nach dem überwiegend studentischen Publikums gegangen wäre, das Sanders zujubelte, wäre die Umbenennung schon längst vollzogen. Es sind die Menschen, die in Zeiten von Trump auf der Suche nach dem guten Ami sind und ihn in Sanders gefunden haben.

Dabei geht es weniger um Inhalte, sondern um Projektionen. Sanders, der sich selber demokratischer Sozialist nennt, vertritt einen gemäßigten Sozialdemokratismus, der an die New Deal-Politik eines Roosevelt erinnert. Eine Krankenversicherung für alle US-Bürger, moderate Steuererhöhungen für Reiche und, was das akademische Publikum in Berlin besonders begeisterte, der Wegfall der Studiengebühren sind zentrale Forderung von Sanders.


Die Demokratische Partei braucht Sanders

Dabei wird natürlich nicht erwähnt, dass viele der von Sanders beklagten politischen Zustände bis in die Clinton-Ära zurückreichen und auch unter Obama nicht bekämpft wurden. Mag Sanders auch kein Mitglied der Demokratischen Partei sein, so leistet er der Partei doch unschätzbare Dienste, indem er die Linken domestiziert. Solange Sanders nicht mit der Demokratischen Partei bricht, haben Abspaltungstendenzen keine Chancen.

Es wird immer einzelne Gruppen geben, die eigene Organisationen gründen, doch ohne charismatische Figuren wie Sanders haben diese Abspaltungen keine Chance, einflussreicher zu werden. Manche von Sanders Unterstützern hatten gehofft, dieser werde spätestens nach seiner von der Parteibürokratie vorangetriebenen Niederlage bei den Vorwahlen tatsächlich mithelfen, eine neue linke Organisation aufzubauen. Doch dafür gibt es keine Hinweise. Vielleicht hofft er auf die nächsten Wahlen.

Eine Kandidatur hat er jedenfalls nicht ausgeschlossen. In der FU-Berlin gab es nicht wenige, die sich genau das wünschen. Ein regelrechter Fankult wurde um Sanders betrieben. Manche schwenkten noch mal die alten Wahlschilder mit der Aufschrift „Bernie 2016“. „Stell Dir vor, Bernie wäre jetzt Präsident“, sagte eine Besucherin zu ihrer Freundin. Dabei scheint ihr gar nicht so klar zu sein, dass Sanders nur als Projektionsfläche einer pragmatischen Linken dienen kann, weil er eben nicht Präsident geworden ist.

Wäre er gewählt worden, hätte er schon so viele unpopuläre Maßnahmen abzeichnen müssen, dass zumindest ein Teil seiner Unterstützer ins Zweifeln kommen würden. Das liegt nicht daran, dass Sanders oder auch Obama ihre Grundsätze verraten haben. Doch der Präsident der kapitalistischen Großmacht USA kommt mit linksliberaler Moral nicht sehr weit. Das hat Obama schnell begriffen und wurde zu einem Spezialisten im Drohnenkrieg, was ihm bei seinen Auftritt auf dem Evangelischen Kirchentag einige Kritik einbrachte.

Auch Obama wurde vor seiner Präsidentschaft in Berlin wie ein Superstar begrüßt, im Amt flaute die Begeisterung schnell ab, weil sich schnell abzeichnete, wie wenig sich eigentlich verändert hat. Das würde bei einem Präsidenten Sanders nicht anders sein. Zumal er in seiner Berliner Rede schon einige beunruhigende Hinweise darauf gab.


Sanders warnte die Deutschen vor Putin

So kritisierte er heftig, dass sich Trump mit Autokraten wie Putin besonders gut versteht. Und dann verstieg er sich zu der Aussage: „Putin ist ein Mann, der sein eigenen Volk unterdrückt, sich in amerikanische Angelegenheiten einmischt und sich demnächst – passt auf – Deutschland vornehmen wird.“

Dass eine solche Aussage von Sanders nicht genau so kritisch kommentiert wird wie die vielen Verlautbarungen von Trump, ist nicht verwunderlich. Sie ist aber genau so „politischer Bullshit“, wie vieles was Trump so von sich gibt. Solche Aussagen schaffen eine Grundlage, die Konfrontation USA-Russland weiter voran zu treiben. Wenn auch Sanders auf die angebliche Einmischung Russlands in den USA rekurriert, wird natürlich nicht erwähnt, dass es wechselseitige Einmischungsversuche gibt.

Nur scheint Sanders die Einmischung nur zu stören, wenn sie von Russland kommt. Dass es vor allen hausgemachte Gründe waren, die zur Niederlage von Clinton im US-Präsidentenwahlkampf führten, dürfte Sanders sehr gut wissen. Doch über die hausgemachten Gründe wird erst gar nicht geredet, wenn man beständig das Bild von einer erfolgreichen russischen Einmischung bemüht.

Die Journalistin Bettina Gaus war nach einer Tour durch die USA jenseits der linksliberalen Hochburgen von einem Wahlsieg Trumps zu einer Zeit überzeugt, als fast alle dachten, der kommt nicht mal bei den Republikanern in die engere Wahl.

Sie hat sehr genau geschildert, welche innen- und wirtschaftspolitische Gemengelage dazu geführt hat. Putin gehört nicht dazu. Eine solche Verlagerung der Schuld nach Außen, wie sie hier auch Sanders vollführt, wird gerade nicht dazu führen, dass selbst eine gemäßigt reformistische Agenda in den USA eine Chance hat. Außenpolitisch kann damit der Baustein für eine interventionistische Politik gelegt werden.

Das sind alles Komponenten, die zur Frage führen, wie progressiv denn nun dieser Sanders dann wäre, wenn er Gelegenheit bekäme, seine Vorstellungen umzusetzen. Es war schon bezeichnend, dass ihn einige seiner Fans mit dem französischen Präsidenten Macron vergleichen und das durchaus positiv meinen.

Das macht noch mal deutlich, dass eine reine Trump-Ablehnung noch keine Garantie für eine progressive Politik ist. Eine angeblich progressive Bewegung, die keine Alternative mehr zu Sanders und Macron sehen kann, ist das eigentliche Problem. Die Konzentration auf einzelne charismatische Personen, vor 8 Jahren Obama heute Sanders, verhindert, dass sich die Menschen mit wirtschaftlichen und politischen Interessen und Strukturen auseinandersetzen und Alternativen von unten entwickeln.

Die wären auch in der Klimapolitik unbedingt nötig. So hatte es nach der Ausstiegsankündigung aus den Pariser Klimaverträgen den Anschein, als gäbe es nur Anhänger dieser Vereinbarung. Vergessen ist eine Kritik einer transnationalen Klimabewegung, die Vereinbarungen wie die von Paris als Placebo bezeichnete, die lediglich gut für das Gewissen einer umweltsensiblen Mittelschicht sind.
https://www.heise.de/tp/features/Die-Sehnsucht-nach-dem-guten-Ami-3733713.html

Peter Nowak

Das ungleiche Bündnis: Die kleinen Leute und der Erfolgreiche

Die Publizistin Bettina Gaus hat heute Morgen eine Wette gewonnen, die sie gerne verloren hätte. Sie war immer der Überzeugung, dass Trump die Wahlen in den USA gewinnen wird und hat doch immer gehofft, es möge noch irgendetwas passieren, das den Wahlsieg Trumps verhindert.

„Manchmal möchte ich nicht meiner Meinung sein. Wenn es um die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl geht, zum Beispiel. Ich bin überzeugt: Donald Trump wird diese Wahl gewinnen. Wenn kein Wunder geschieht, dann zieht er ins Weiße Haus ein“, schrieb Gaus bereits am 31.7.2016 in einer Taz-Kolumne[1]. Auch der Filmemacher Michel Moore gehört zu denen, die gegen ihre politische Überzeugung mit einem Sieg von Trump rechneten[2].

„An seine Freunde“ schrieb Moore einen Brief, in dem er fünf Gründe für die Wahl Trumps anführte. In einem Artikel vom 21.Juli 2016 präsentierte sie das US-Magazin Alternet: „Get out of your bubble, people!“[3]

Nun muss man sich fragen, ob Gaus und Moore Spezialwissen hatten, oder warum sie im Falle von Trump die richtige Prognose hatten. Die Antwort ist einfach. Beide haben die Städte und Ortschaften in den USA bereist, in denen eine Bevölkerung wohnt, die nicht die Washington Post oder die New York Times liest.

Sie haben mit Menschen gesprochen, die weniger die korrekte Bezeichnung oder die Frage, welche Toilette Transpersonen aufsuchen sollen, umtreibt, sondern vielmehr die Frage, wo sie das Geld am Monatsende für das Essen herbekommen, oder ob sie die Kredite weiter abbezahlen können. Sie haben sich umgehört unter dem wachsenden Heer von Menschen, die trotz Lohnarbeit arm sind. Wir können, wenn wir wollen, diese USA durchaus kennenlernen.

In den letzten Jahren sind einige Independent Filme auch in Deutschland in den Kinos angelaufen, die das Leben dieser Menschen dokumentieren. Genannt sei hier etwa Winter’s Bone[4], in dem eine Tochter ihren verschwundenen Vater sucht, weil sie eine Unterschrift für einen Antrag von ihm braucht. Auf dieser Suche bei Bekannten trifft sie aus Hass, Gewalt und Verachtung.

Sie wird schwer misshandelt und erfährt am Ende, dass ihr Vater längst ermordet wurde. Solidarität oder Anteilnahme findet sie nirgends. Der Film ist ein perfekter Seismograf für eine Gesellschaft, die reif für Trump war: Wo es nicht den Ansatz einer emanzipatorischen Überwindung der eigenen Marginalität gibt, wo jeder des Nächsten Feind zu sein scheint, wird der Erfolgreiche, der sich durchsetzt, rückhaltlos bewundert.

Das erklärte auch den langen Wahlerfolg von Berlusconi in Italien. Gewählt wurde er nämlich auch von den Marginalisierten, von denen, die eigentlich keinen Grund hatten, einen Großkapitalisten zu unterstützen. Doch sie bewunderten ihn dafür, weil er so skrupellos im Großen agierte wie sie im Kleinen.

Mochte Berlusconi auch im großen Stil Steuern hinterzogen und mit der Mafia agiert haben, so konnten die Armen sich damit trösten, dass dann ihr kleiner Sozialbetrug auch akzeptiert wird. So teilten sie auch den Hass auf die Justiz, die Berlusconi als von Linken durchsetzt imaginierte Berlusconi hatte allen Grund, eine kritische juristische Überprüfung seiner privaten und geschäftlichen Aktivitäten zu fürchten.

Aber auch die Menschen, die sich als „kleine Leute“ begriffen, haben keinen Grund gesehen, in der Justiz einen Bündnispartner im Kampf gegen ihre Entrechtung zu sehen. Sie wollten ihre kleinen Gesetzesbrüche, die ihnen das Überleben sicherten, vor der Justiz verheimlichen. So kam es zu dem ungleichen Bündnis zwischen dem skrupellosen Großkapitalisten und denen, die sich nicht mal in der Nähe seiner Villen aufhalten dürfen. So wie Berlusconi hat es auch Trump verstanden, dieses Bündnis zwischen Elite und Mob zu schmieden, das durchaus an den historischen Faschismus erinnert.

Eine Grundbedingung für dieses Bündnis ist nicht nur die völlige Abwesenheit einer Linken im Leben der Marginalisierten sondern auch die Abwesenheit von emanzipatorischem Handeln unter den Marginalisierten. Dafür ist der Film Winter’s Bone ein gutes Beispiel. Für eine emanzipatorische Bewegung ist die Wahl von Trump tatsächlich eine Herausforderung.

Denn das Fehlen von Emanzipation und Solidarität zeigt sich auch in vielen europäischen Ländern immer häufiger. Für viele der Marginalisierten sind linke Alternativen nicht einmal mehr reale Handlungsoptionen. Sie verwerfen sie nicht, weil sie darin keinen Erfolg sehen. Sie existieren für sie schlicht nicht.

Das ist eine enorme Herausforderung für eine Linke, die noch an den Gedanken der Gleichheit und Solidarität noch anknüpft. Nun werden wieder die Vorschläge kommen, die wir in der letzten Zeit öfter hören. Die Linke habe die Marginalisierten vernachlässigt, weil sie zu stark auf Minderheitenrechte setzte. Dabei wird hier ein Widerspruch konstruiert, der so gar nicht vorhanden ist.

Gerade in der Bewegung der Black American wird bereits seit Jahrzehnten über den Zusammenhang von Rassismus und Kapitalismus diskutiert. Feministinnen konnten überzeugend nachweisen, dass ein Denken in Haupt- und Nebenwidersprüchen kein Beitrag zur Emanzipation ist. Es wird sich zeigen, ob eine Herrschaft von Trump Bewegungen wie Black lives matter oder auch der antisexistischen Bewegung einen Schub gibt und hier auch die soziale Frage wieder eine Rolle spielt. Noch ist es zu früh, dazu Prognosen anzustellen.

Wir sollten uns allerdings nicht in der Illusion wiegen, dass dies vor allem ein Problem der USA darstellt. Auch braucht es gar nicht einen Wahlsiegs des FPÖ-Kandidaten Hofer in Österreich oder gar von Le Pen in Frankreich, damit in Europa die Verhältnisse sich verhärten. Wir brauchen nur zu hören, wie die sogenannten Politiker der Mitte als Konsequenz auf den Wahlsieg von Trump unisono fordern, dass Europa auf seine eigenen Kräfte vertrauen muss, sich notfalls auch selbst verteidigen muss.

Hier wird aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft deutlich gemacht, dass die Zeiten der Schönwetterdemokratie auch in Europa vorbei sein könnten. Die Gefahr kommt genau wie in den USA nicht von den Rändern. Trump war nie Minderheit, sondern ein im Mainstream anerkannter Milliardär. So war auch Berlusconi schon lange gesellschaftlich in Italien verankert, bevor er in die Politik ging.

Auch heute geht die Gefahr auch in Europa nicht in erster Linie von der äußersten Rechten aus. Viel größer ist die Gefahr, dass die Mitte die Wahl von Trump nutzt, um auch die Festung Europa nach Außen und Innen weiter auszubauen.

https://www.heise.de/tp/features/Das-ungleiche-Buendnis-Die-kleinen-Leute-und-der-Erfolgreiche-3462227.html

Peter Nowak


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http://www.heise.de/-3462227

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[1] http://www.taz.de/!5322422
[2] http://michaelmoore.com/trumpwillwin
[3] http://www.alternet.org/election-2016/michael-moores-5-reasons-why-trump-will-win
[4] http://www.moviepilot.de/movies/winters-bone

Trump – zu unkonventionell für das Partei-Establishment

Der größte Albtraum mancher Parteipolitiker der Republikaner: Ihr ungeliebter Kandidat könnte die Wahlen gewinnen

Eigentlich ist nach den Parteitagen der Republikaner und Demokraten in den USA die Ausgangslage für die Präsidentschaftswahlen in den USA klar. Clinton gegen Trump lautet das Personaltableau. Aber manche Trump-Gegner in der Republikanischen Partei scheinen sich noch immer nicht mit ihrer Niederlage auf dem Parteitag abgefunden zu haben. Es gibt Pressemeldungen über Notfallpläne.

So sollen bereits Ersatzkandidaten im Gespräch sein, falls Trump noch kurzfristig ausfällt. Nur auf welches Szenario wird in diesen Notfallplan rekurriert? Dass Trump selber nach seinen Sieg am Parteitag aufgibt, scheint ausgeschlossen. Dazu hätte er sicherlich im wechselvollen Vorwahlkampf genug Gelegenheit gehabt. Er sah dort ja keinesfalls immer als Sieger aus und viele Kommentatoren haben noch wenige Wochen vor dem Parteitag geschrieben, dass Trump nie Präsidentschaftskandidat wird.

Damals wurden auch noch realistische Szenarien diskutiert, einen Präsidentschaftskandidaten Trump zu verhindern. So sollte auf dem Parteitag eine offene Debatte über den Kandidaten beantragt und allen Delegierten die Wahl freigestellt werden. Dieses ungewöhnliche, aber satzungsgemäß mögliches Szenario, die Nominierung von Trump zu verhindern, wurde von ihm und seinen Anhängern als Programm zur Spaltung der Republikanischen Partei bezeichnet.

Die Parteiführung schreckte schließlich vor solchen Schritten zurück. Dass nun plötzlich satzungsgemäß nicht mehr gedeckte Pläne bekannt werden, zeigt abseits einer möglichen Realisierungschance, dass manche im Partei-Establishment in Trump eine so große Gefahr für ihre Interessen sehen, dass sie sogar offene Putschpläne zumindest nicht ausschließen. Denn,  selbst wenn im Wahlkampf noch ein ganz großer Skandal über Trump rauskommen sollte oder er durch ein Attentat schwer verletzt oder getötet würde, sehen die Regularien vor, dass der ebenfalls auf dem Parteitag gewählte Vizepräsident an seine Stelle tritt. Da der auch parteiintern als Konsenskandidat gilt, ist umso unverständlicher, dass nun solche Pläne zumindest diskutiert werden.

Dabei wird für diese Absatzbewegung die auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung angeboten, die Parteistrategen befürchten mit Trump einen solch massiven Einbruch bei den Wählern, dass solche außergewöhnliche Szenarien überlegt werden. Davon abgesehen, dass solche Pläne gemeinhin die Wahlchancen nicht vergrößern, ist die Erklärung auch nicht schlüssig.

Wenn die Gegner Trumps überzeugt von seiner Wahlniederlage sind, müssten sie ihn ja nur passiv in seinen Untergang begleiten. Je größer seine Niederlage, desto besser für seine Kritiker innerhalb der Partei, die dann ja nur auf ihre frühen Bedenken hinweisen könnten. Die Absatzbewegung ist auch mit Umfragewerten nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Nach dem Parteitag der Republikaner lag Trump in Umfragen vor Clinton, danach hat sie wieder etwas aufgeholt. Da es letztlich aber nicht um die Umfragen, sondern darum geht, welcher Kandidat in den entscheidenden Swing-Staaten bei den Wahlen die Nase vorn hat, ist für beide Seiten noch alles offen.

Bettina Gaus und Michael Moore sehen Trump als Gewinner der Präsidentschaftswahlen

Entscheidender dürfte sein, dass zwei völlig unterschiedliche Beobachter der US-Gesellschaft, die sich nicht auf Wahlprognosen und die Kommentatoren großer Tageszeitungen verlassen, sondern in die US-Gesellschaft hineingehorcht haben, davon überzeugt sind, dass Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnen kann .

So benennt der in der Bush-Ära weltweit bekannt gewordene Filmemacher und Satiriker Michael Moore fünf Gründe, warum Trump gewinnen wird[1].

Sein Wahlkampf werde sich auf die vier Bundesstaaten Ohio, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin stützen, wo er im mittlerweile abgehängten Industriegürtel bei den vom Kapitalismus für überflüssig erklärten Menschen auf Zustimmung stoßen könnte. Genau diese Bundesstaaten könnten als Swing-Staaten aber wahlentscheidend sein. Zudem werde Trump die Ressentiments des „wütenden weißen Mannes“ ausnützen und in diesen Kreisen neue Wählerschichten auftun.

Einen weiteren Grund für den Wahlsieg von Trump sieht Moore in der Person seiner Kontrahentin. Clinton stehe für alle vom Kapitalismus Abgehängten so sehr für das verhasste System, dass sie die schon Prinzip nicht wählen werden. Clinton könnte die Wahlverweigerer unter den Abgehängten dazu bringen, dieses Mal Trump zu wählen.

Dass eine vergleichbare Gegenreaktion aus dem Lager der Afroamerikaner und Latinos erfolgt, die Clinton wählen um Trump zu verhindern, glaubt auch die Taz-Publizistin Bettina Gaus nicht. Auch sie ist von einem Erfolg Trumps bei den Präsidentenwahlen überzeugt[2] und hat sich dafür auf eine Wette mit einem Kollegen eingelassen. Es sei eine Wette, die sie sehr gerne verlieren würde, erklärte Gaus auf einer Veranstaltung im Taz-Cafe, wo sie ihre neuesten Reportagen über ihre Reisen durch die USA vorstellte[3]. Dabei hat sich Gaus in den Städten und Dörfern umgesehen, in denen die Bevölkerung ihre politischen Überzeugungen nicht aus den Kommentaren der Trump-kritischen Medien bezieht.

Gaus hat einen wachsenden Überdruss großer Teile dieser Bevölkerung mit dem US-System festgestellt. Während Trump sich so gibt, als stehe er außerhalb dieses Systems, war Clinton seit Jahrzehnten Teil dieses Systems und tut im Wahlkampf alles, das noch mal zu betonen. Daher hat Gaus auch bedauert, dass Sanders gegen Clinton verloren hat, weil dieser auch nach allen Umfragen größere Chancen gehabt hätte, sich gegen Trump bei den Wahlen durchzusetzen.

Trump setzt sich über Ansichten vieler Rechter in den USA hinweg

Warum der immer als rechtspopulistisch etikettierte Trump auch bei der Wählerbasis des sozialdemokratischen Kandidaten Sanders Chancen hat, erstaunt nur auf den ersten Blick. Die aktuellen Diskussionen um Trump in den USA zeigen, dass er durchaus im Stande ist, manches Credo der Rechten in den USA infrage zu stellen.

Dazu gehört das Brimborium um sogenannte Heldeneltern, wie es Khizr und Ghazala Khan[4] sind. Im Irakkrieg wurde ihr Sohn getötet. Anders als die Tausende toten Iraker eines auf Lügen basierenden Krieges hat er einen Namen und Eltern, die sich dafür hergeben, den Tod ihres Sohnes mit nationalistischen Phrasen zu bemänteln. Auf dem Parteitag der Demokraten erzählte der Vater von den Opfern, die er mit dem Tod seines Sohnes auf sich genommen habe, und fragte, welche Opfer Trump gebracht hat.

Der so Angegriffene antwortete erst sehr rational, dass er Opfer mit seinem unternehmerischen Engagement gebracht hat. Das ist natürlich ebenso Ideologie wie sein Versuch, die Mutter des Toten als nicht emanzipierte Frau hinzustellen. Doch ist es noch größere Ideologie, wenn nun von einem Angriff Trumps auf die Heldeneltern schwadroniert wird. Was gibt es schließlich Obszöneres als Eltern, die den Tod eines Soldaten zum nationalen Heldenakt aufwerten und damit weitere Helden für die Nation produzieren wollen?

Vor allem ist die Gegenüberstellung der unternehmerischen Tätigkeit gegen das scheinbar selbstlose Opfer für die Nation ein Topos rechter Argumentation. Hier hat Trump in der Tat ein Credo nicht nur der Rechten und Nationalisten in den USA gebrochen. So etwas versuchen sonst antimilitaristische Streiter mit wesentlich weniger Erfolg.

Auch Trumps Einlassungen zum Krim-Konflikt sind ein Affront für die Rechte in den USA und die Falken, die sich hinter Clinton stellen, zeugen aber durchaus von einer realistischen Sichtweise auf das Weltgeschehen. Bezeichnend für die manipulative Berichterstattung über Trumps Positionen zur Krim ist ein Artikel[5] im Tagesspiegel, der schon mit der irreführenden Überschrift beginnt, dass Trump Verständnis für die russische Intervention auf der Krim zeigte.

Im Artikel heißt es dann richtig, dass Trump „im Falle eines Wahlerfolges die – vom Westen als illegal betrachtete – Annexion der Krim durch Russland anerkennen würde“. Das weist ihn nun keineswegs als Anhänger Putins aus, sondern als Vertreter einer Schule des außenpolitischen Rationalismus, der Fakten, die nicht rückgängig zu machen sind, zumindest solange anerkennt, solange sich das Kräfteverhältnis nicht geändert hat.

Nun kann niemand ernsthaft glauben, dass sich Russland in absehbarer Zeit von der Krim zurückzieht, zumal auch eine von der UN überwachte Abstimmung eine große Mehrheit einen Verbleib bei Russland ergeben würde. Auch hier hat Trump eine sehr realistische Sichtweise. Er ist bereit, diesen Fakt anzuerkennen, während seine Kontrahenten einen kalten Krieg gegen Russland entfachen wollen.

Realistisch ist zudem Trumps Position zur Ukraine, die auch in vielen Medien in Deutschland kritisiert wird. Wenn Trump feststellt, dass es keine regulären russischen Soldaten auf ukrainischem Territorium gebe, entspricht das dem aktuellen Informationsstand. Es gibt dafür zumindest keine belastbaren Beweise. Nachgewiesen ist aber, dass ehemalige russische Militärs auf ostukrainischem Gebiet gekämpft haben und dass es wohl auch zahlreiche Tote unter ihnen gegeben hat. Es ist auch sehr klar, dass ihre Anwesenheit nicht ohne Billigung staatlicher Behörden möglich wäre.

Doch ist es in der Außenpolitik ein eminenter Unterschied, ob man behauptet, dass russisches Militär auf ukrainischem Territorium kämpft, oder ob man feststellt, dass dort Einheiten sicher nicht ohne Zustimmung russischer Behörden aktiv sind. Schließlich waren auch in den 1980er Jahren in El Salvador und anderen mittelamerikanischen Staaten Militärberater der USA aktiv, aber es war kein regulärer Truppeneinsatz der US-Army. Das hätte eine ganz andere Eskalationsstufe bedeutet.

Trump: Kein kleineres Übel als Clinton

Auch hier erweist sich Trump als Anhänger der realistischen Schule in der US-Außenpolitik, der eher auf Entspannung als auf Konfrontation aus ist. Das zeigten auch seine despektierlichen Äußerungen zu den Clinton-Leaks, wo noch unbekannte Hacker Zugriff auf die Kommunikation der Demokratischen Partei hatten. Während dafür sofort ohne belastbare Beweise russische Hacker verantwortlich gemacht wurden, forderte Trump genau diese auf, doch weitere Daten der Kontrahenten zu hacken.

Auch hier hat Trump dem nationalen Credo nicht nur der US-Rechten zuwidergehandelt und sich, ob bewusst oder nicht, der transnationalen Logik einer Internetszene angenähert, die solche nationalen Narrative verachtet. Nun ist das alles aber nur die Performance eines flexiblen Geschäftsmanns, der keine politische Ideologie hat und als Präsident durchaus genauso militaristisch und reaktionär sein dürfte, wie seine Kontrahenten inner- und außerhalb seiner Partei.

Es ist also kein Grund, plötzlich gar an Trump irgendetwas zu finden, was ihn im emanzipatorischen Sinne akzeptabel macht, wie es Rainer Rupp behauptet („Im Vergleich zur korrupten Hillary ein ehrlicher Geschäftsmann“[6]), der den „ehrlichen Unternehmer Trump gegen die korrupte Clinton“ setzt und damit selber Ideologie verbreitet. Vor allem ignoriert er den manifesten Rassismus von Trump und wird so zum Vorreiter einer Querfront, die durchaus eine ernst zu nehmende Gefahr ist.

Die Entspannungssignale Trumps gegen Russland könnten mit der in rechten Kreisen anzutreffenden Putin-Bewunderung kompatibel sein. Daher ist die Befürchtung von Liberalen nicht unberechtigt, die in Trump eine Putin-Imitation sehen. Doch umgekehrt nun für Clinton und die militärischen Falken einzutreten, ist genauso fatal.

In einer Situation, in der zwei bürgerliche Kandidaten die Widersprüche des US-Kapitalismus  gut verdeutlichen, wäre es für emanzipatorische Kräfte die zentrale Aufgabe, eine Alternative zu etablieren, die sich nicht mehr der Logik des kleineren Übels beugt, das oft gar nicht so klein ist. Diese Alternative müsste in den Stadtteilen und an den Arbeitsplätzen entstehen und sich gegen die Zumutungen wappnen, die eine Präsidentin Clinton oder ein Präsident Trump noch der Mehrheit der Bevölkerung auferlegen wollen.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49041/1.html

Anhang

Links

[0]

https://www.flickr.com/photos/disneyabc/27854799503/in/album-72157668335568183/

[1]

http://michaelmoore.com/trumpwillwin/

[2]

http://www.taz.de/!5322422/

[3]

https://www.luebbe.de/bastei-entertainment/ebooks/politik-und-gesellschaft/auf-der-suche-nach-amerika/id_3135087

[4]

http://www.express.co.uk/news/world/695409/donald-trump-who-is-ghazala-khan-mother-dead-muslim-soldier-democratic-convention

[5]

http://www.tagesspiegel.de/politik/auf-einer-linie-mit-wladimir-putin-donald-trump-zeigt-verstaendnis-fuer-krim-annexion/13956732.html

[6]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48653/