Die neue Debatte um das Betreuungsgeld wird mit klassistischen Tönen geführt
Ein Jahr nach Einführung des Betreuungsgeldes [1] gibt es neuen Streit. Dabei bleiben die Frontlinien gleich [2]. Die CSU und Teile der CDU kämpften dafür, Eltern diese finanziellen Anreize zu geben, wenn sie ihre Kinder zu Hause erziehen. Sie erhalten 100 Euro monatlich, wenn sie ihre Kinder vom 15. Lebensmonat bis zum dritten Lebensjahr daheim erziehen und nicht in eine Kinderkrippe oder ähnliche Institutionen geben.
Eine ganz große Koalition von Grüne, SPD, Linkspartei und Gewerkschaften waren dagegen, sprachen verächtlich von einer „Herdprämie“. Vor allem die CSU machte die Einführung des Betreuungsgeldes zu einer Grundvoraussetzung für die große Koalition und konnte sich schließlich durchsetzen, weil eben auch Teile der CDU der Meinung waren, dass die Partei auch das Klientel bedienen muss, die am klassischen Familienmodell hängen. Zudem wurde die Debatte um das Betreuungsgeld von den Befürwortern mit dem recht modernen Argument geführt, es gehe um die Wahlfreiheit auch für die Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen.
Wird das Betreuungsgeld gar nicht oder von den „Falschen“ angenommen?
Auch nach der Einführung ging die Debatte weiter. Schon wenige Monate später forderten die Kritiker, die Entscheidung rückgängig zu machen, weil das Betreuungsgeld kaum nachgefragt würde. „Kein Bock auf Herdprämie“ , polemisierte [3] die Taz. Doch schon wenige Wochen später kam der Spiegel zu einer entgegengesetzten Ansicht [4]:
Nun kommt auch eine noch nicht veröffentlichte Studie des Deutschen Jugendinstituts [5] und der Universität Dortmund ebenfalls zu dem Schluss, dass das Betreuungsgeld vermehrt nachgefragt wird. Doch auch jetzt fordern die Kritiker gerade deshalb vehement, die Rücknahme des Beschlusses. Denn es ist in ihren Augen nicht das richtige Klientel, das durch die 100 Euro einen Anreiz bekommt, ihre Kinder in jungen Jahren zu Hause zu erziehen.
Weit über 100.000 Elternpaare [6] mit Kindern unter drei Jahren sind befragt worden. Danach sei das Betreuungsgeld „besonders für sozial benachteiligte Familien ein Anreiz, kein staatliches Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen“, wird aus dem Abschlussbericht der Studie zitiert [7].
Die Überschrift „Anreiz zur frühkindlichen Bildungsferne“ macht allerdings bereits deutlich, dass hier Grundannahmen vorausgesetzt sind, die mehr als einen Unterton von Klassismus [8] beinhalten, wie eine Diskriminierung auf Grund der Klassenlage genannt wird. Hier wird nämlich davon ausgegangen, dass migrantische und einkommensschwache Familien die 100 Euro nicht im Sinne der Kinder verwenden.
Welches Interesse des Kindes?
Doch wie wird dieses Kindeswohl definiert, auf das sich die Gegner des Betreuungsgeldes hier beziehen? Sie gehen davon aus, dass die Zurichtung auf den kapitalistischen Arbeitsmarkt und die Zwänge einer Konkurrenzgesellschaft schon im Kleinkindalter beginnen muss. Lebenslanges Lernen, das möglichst schon im Bauch der Mutter beginnen soll, kann hier durchaus auch als Drohung aufgefasst werden.
Kein Gedanke wird daran verschwendet, dass migrantische Familien Kleinkinder gerne zunächst mit der ihnen bekannten Sprache vertraut machen wollen. Den Kindern schadet es sicher nicht. Das Problem sind aber die gesellschaftlichen Anforderungen, wonach perfektes Hochdeutsch zu einer gelungenen Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft gehört.
Man könnte doch die Tatsache, dass das Betreuungsgeld von einkommensschwachen Familien offensichtlich angenommen wird, als Zeichen dafür sehen, wie notwendig eine stärke soziale Unterstützung ist. Doch für die Kritiker besteht die einzige Sorge darin, dass die Anpassungsleistungen, die diese Gesellschaft fordert, nicht früh genug beginnen können.
Nun soll damit nicht gesagt werden, dass eine Erziehung zu Hause frei von Zwängen ist. Nur ist die reflexhafte Ablehnung auffällig, wenn gerade sozial schwache und migrantische Familie eine soziale Leistung nutzen Für welches Klientel ist sie denn gedacht gewesen?
Vermögende Menschen sind schließlich auf die 100 Euro nicht angewiesen und können schon von klein an, ihre Kinder so fördern, dass sie in die Gesellschaft passen. Nur ist das überhaupt im Interesse des Kindes?
Schließlich gibt es schon seit langem viel Kritik daran, dass die Prämisse der Förderung von Kindern immer früher beginnt. Warum sollen sie nicht einige Jahre spielen und sich entwickeln, ganz ohne den Hintergedanken der Einpassung, dem sie früh genug ausgesetzt sein werden? Diese Frage müsste in der Diskussion, ob das Betreuungsgeld im Interesse der Kinder ist oder nicht, gestellt werden. Sonst drängt sich der Verdacht auf, dass es auch bei den Kritikern des Betreuungsgeldes weniger um die Interessen der Kinder und der Eltern geht.
Auch eine Entlastung der Mütter, die auch heute noch immer die Hauptlast bei der Erziehung der Kinder tragen, stehen nicht im Mittelpunkt. Schließlich sollen sie ihre Arbeitskraft auf dem freien Markt verkaufen, statt sich um die Kinder zu kümmern. Auch das soll durch das Betreuungsgeld nicht beeinträchtigt werden.
Weil sich die Politiker der großen Koalition nicht einigen können, wird jetzt wieder einmal auf die Justiz verwiesen. Das Bundesverfassungsgericht soll darüber entscheiden. Gerade deshalb wäre es wünschenswert, wenn die Debatte nicht nur auf den Schutz der klassischen Familie versus „Kita so früh wie möglich“ eingeengt würde.
http://www.heise.de/tp/news/Koennen-die-Unterklassen-ihre-Kinder-nicht-selbst-erziehen-2269363.html
Peter Nowak
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