Manfred Liebel / Philip Meade 2023: Adultismus. Die Macht der Erwachsenen über die Kinder. Eine kritische Einführung. Bertz + Fischer, Berlin. ISBN: ISBN 978-3-86505-768-6. 440 Seiten. 19,00 Euro.

Elternmacht

„In Deutschland hatte der kommunistische Pädagoge Edwin Hörnle in den 1920er Jahren ein Konzept entwickelt, das auf der politisch verstandenen Selbstorganisation proletarischer Kindergruppen aufbaut. Ähnliche Ideen, die vor allem auf den Pädagogen und sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Kurt Löwenstein zurückgehen, wurden im Arbeiterverein ‚Die Kinderfreunde‘ unter dem Namen Rote Kinderrepubliken bis zur Machtergreifung der Nazis praktiziert.“ . Leider wurde auf diese Konzepte im Buch nicht weiter eingegangen. Auch das mittlerweile nur noch antiquarisch erhältliche Buch „Betrogene Kinder: Eine Sozialgeschichte der Kindheit“ fehlt im umfangreichen Literaturverzeichnis.

Der Spielfilm „Das Lehrerzimmer“ hat im Frühjahr 2023 gleich mehrere Filmpreise erhalten. Eher selten wird bei den Lobreden erwähnt, dass der Film zeigt, wie sich die Schüler*innen gegen die autoritäre Herrschaft und Gängelung an einer scheinbar liberalen Schule auflehnen und dabei von den Lehrkräften immer wieder ausgebremst werden. Dabei werden unterschiedliche Herrschaftsmethoden angewandt. Während ein konservativer Lehrer Law and Order auch mit Polizei und Staatsgewalt an der Schule durchsetzen will, hofft ein Teil seiner Kolleg*innen, die autoritäre Agenda mit permanentem Druck gegenüber den Schüler*innen auch ohne Hilfe der repressiven Staatsapparate durchsetzen zu können. Beide Fraktionen sind sich darin einig, dass gegen die Jugendlichen eine Zero-Tolerance-Politik durchgesetzt werden muss. So ist der Film ein gutes Dokument des in der Gesellschaft ganz selbstverständlich herrschenden Adultismus, ein Begriff, der …

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Warum es fatal ist, wenn jetzt dem Verfassungsschutz applaudiert wird, wenn er sich gegen Teile der AfD wendet und die Partei insgesamt staatstragend machen will

Auch wenn der „Flügel“ aufgelöst wird, bleibt seine Politik Teil der AfD

Haben nicht viele linke Kritiker viele Jahre mit guten Gründen die Auflösung des Verfassungsschutzes gefordert? Haben sie nicht mit ebenso guten Argumenten darauf hingewiesen, dass es den VS nicht braucht, um die AfD als rechte Partei zu erkennen?

Der Corona-Notstand müsste eigentlich eine Hochzeit für Rechte aller Couleur sein. Schließlich werden jetzt in Windeseile Maßnahmen durchgesetzt, die sie seit Jahren gefordert haben. Grenzen auch innerhalb der EU werden geschlossen. Migranten, die dagegen protestieren, dass sie ihre beengten Heime nicht mehr verlassen können, werden, wie in Suhl geschehen, mit einem polizeilichen Großeinsatz zur Räson gerufen. Prepper feiern sich jetzt als die, die schon immer vorgesorgt haben. Insgesamt sind Notstandszeiten, in denen von der Bevölkerung Unterordnung unter Anweisungen von Staatsapparaten gefordert wird, gut für die Rechte. Doch dabei gibt es ein Problem für die AfD. Es sind nicht sie, sondern…

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Plädoyer für einen differenzierten Blick und eine Perspektive für Partizipation der Bevölkerung statt den Fokus auf die Wahlen zu richten

Können die Linksregierungen in Lateinamerika noch ein Bezugspunkt sein?

Müsste es nicht analog zu den Unteilbar-Demonstrationen gegen die Rechte in Deutschland globale Unteilbar-Aktivitäten auch einen Morales und einen Maduro als Bündnispartner gegen die Rechte willkommen heißen?

In den frühen 1920er Jahren sorgten einige Bücher von Russlandreisenden für Aufmerksamkeit und oft für viel Abwehr. Verfasst hatten sie Linke, die oft mit großer Begeisterung in das nachrevolutionäre Russland bzw. die Sowjetunion gegangen sind und dann durch die politische Entwicklung enttäuscht wurden.

Sie wollten irgendwann nicht mehr schweigen und wurden so zu leidenschaftlichen Kritikern des Staates, dem sie so viel Hoffnung entgegengebracht hatten. Als Beispiele seien nur die Schriften von Emma Goldmann und Alexander Berkman genannt. Wie nah bei ihm Hoffnung und abgrundtiefe Enttäuschung zusammenhingen, hat Bini Adamczak in ihren Büchlein „Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman“beschrieben. Das war der Tag, an dem der US-Anarchist die Sowjetunion betrat. Für ihn blieb es auch dann noch der schönste Tag, als er längst die politische Entwicklung in der SU heftig kritisierte. In diese Tradition kann man das aktuelle Buch von Matthias Schindler stellen, das den Titel „Vom Triumph der Sandinisten zum demokratischen Aufstand“trägt und in dem Verlag „Die Buchmacherei“ herausgegeben wurde. Er ist eine gute Adresse für dissidente Linke. In dem Buch rechnet der langjährige Unterstützer …..

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Decio Machado / Raúl Zibechi: Die Macht ergreifen, um die Welt zu ändern? Eine Bilanz der lateinamerikanischen Linksregierungen. Realität der Utopie 4. Übersetzt von Raul Zelik, Bertz + Fischer, Berlin 2019, 220 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-86505-755-6

Linke Alternativen?

Der Stellenwert der Basisbewegungen im bolivarischen Venezuela bleibt in dem Buch von Machado/Zibechi offen. Sie erwähnen die Arbeiten von Dario Azzellini, der in verschiedenen Büchern und Filmen eine starke Rolle dieser linken Basisbewegungen festgestellt hat. Da wäre eine genauere Analyse ebenso angebracht.

Es ist kaum ein Jahrzehnt her, da machten sich nicht wenige Menschen hierzulande Hoffnungen auf einen neuen weltweiten linken Aufbruch, der von Lateinamerika ausgeht. Schließlich hatten sich dort Ende der 1990er Jahre Entwicklungen abgespielt, die unterschiedlichen Spektren der Linken Hoffnung machten. In Brasilien wurden die Sozialdemokrat*innen stärkste Partei und mit Lula wurde ein Metallarbeitergewerkschaftler, der gegen die Militärherrschaft aktiv war, Präsident. Auch in Uruguay und Ecuador gab es scheinbar nach Massendemonstrationen progressive Regierungsbündnisse.In Venezuela schien die Regierung von Hugo Chávez sogar ….

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ne kritische Bilanz der lateinamerikanischen Linksregierungen. Von Peter Nowak

Von Macht ergriffen

Decio Machado/Raúl Zibechi: Die Macht ergreifen, um die Welt zu ändern? Eine Bilanz der lateinamerikanischen Linksregierungen. Übersetzung von Raul Zelik. Bertz + Fischer, 220 S., brosch., 12 €.

Nachdem Hugo Chavez 1998 seine erste Wahl gewonnen hatte, geriet der Neoliberalismus in Lateinamerika in die Defensive. Wie Dominosteine fiel eine rechte Regierung nach der anderen. In den beiden größten Ländern des Subkontinents wurden diese durch mehr oder minder sozialdemokratische Regierungen ersetzt, während in Venezuela, Ecuador oder Bolivien Kräfte an die Macht kamen, die sich noch weiter links verorteten. Inzwischen aber läuft der Roll-Back. Argentinien und Brasilien sind gekippt – und nicht nur in Venezuela stehen jene Linksregierungen unter Druck. Sicher spielt dabei eine massive äußere Einflussnahme eine wichtige Rolle. Doch sollte das nicht den Blick auf die Praxis dieser Regierungen in den vergangenen anderthalb Dekaden verstellen. In Buchform haben nun Raúl Zibechi und Decio Machado eine solche Bilanz vorgelegt – und zwar aus einer….

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Es bleibt alles im rechten Bereich

Ein Aufruf gegen Hass und Gewalt kopiert linksliberale Aktionsideen. Ein Großteil der Unterzeichner kann als rechtsoffen bezeichnet werden

Gegen Hass und Gewalt wird ja ständig von Liberalen und zunehmend auch sich links verstehenden Kreisen aufgerufen, wenn sie von Rassismus, Antisemitismus und Nazismus nicht mehr reden wollen. Dann wird eben alles unpolitisch zu Hass und Gewalt. Nun kommt ein weiter Aufruf dazu, der

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„Wohnen ist die neue soziale Frage“

Eine Erklärung von 250 Wissenschaftlern unterstützt Forderungen von Mieterinitiativen

„Die Versorgung mit Wohnraum ist eine wesentliche Aufgabe des Wohlfahrtsstaats. Wird das Wohnen für einen wachsenden Teil der Bevölkerung unbezahlbar, fördert dies gesellschaftliche und sozialräumliche Spaltung und bedroht letztlich auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ – Dieser Satz steht in der Präambel einer Stellungnahme [1] von 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fakultäten, die in der Fachzeitschrift Suburban [2] veröffentlicht wird.

Damit reagieren die Akademiker auf ein Gutachten [3] des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Dort wird mehr Markt in der Wohnungspolitik gefordert und selbst die völlig zahnlose Mietpreisbremse schon als Verstoß gegen den heiligen Markt verworfen.

Die Wissenschaftler wollen mit ihrem Text wenige Tage vor dem Wohnungsgipfel [4] der Bundesregierung im Bundeskanzleramt und dem Alternativgipfel von Mieterverbänden und sozialen Initiativen andere Akzente setzen. Dabei docken sie auch an die aktuellen Debatten über die Spaltung der Gesellschaft an und stellen sie in neue Zusammenhänge.

Die gegenwärtigen Entwicklungen am Wohnungsmarkt resultieren in sozialer Spaltung und Polarisierung am Wohnungsmarkt. An dessen Ausmaß manifestiert sich auch die Polarisierung unserer Gesellschaft. Wohnen ist in manchen Regionen und Städten Deutschlands zum Armutsrisiko geworden (Holm/Lebuhn/Neitzel/Junker 2017). Die Gefahr aus dem eigenen Umfeld verdrängt zu werden empfinden viele Menschen als Ausdruck einer „Abstiegsgesellschaft“ (Nachtwey 2016). Wachsende Verteilungskämpfe um soziale Zuwendungen sind die Folge. Bisweilen schlagen diese in Hass und Wut auf Migrantinnen und Migraten um und befördern rechte Tendenzen.

Aus der Erklärung „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“ [5]

Man kann darüber streiten, ob der Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der neuen Rechten und der Wohnungspolitik nicht etwas zu simpel ist. Schließlich hat die AfD gar keine Ambitionen, sich als Mieterpartei zu profilieren.

Doch gut beschrieben ist die Angst vieler Menschen, sich überhaupt noch eine Wohnung leisten zu können oder die eigene Wohnung zu verlieren. „Miete essen Seele auf“ [6], lautet der bezeichnende Titel eines Films über rebellische Mieter in Berlin-Kreuzberg.

Ist es Marktversagen, wenn sich viele Menschen die Wohnung nicht mehr leisten können?

Bezweifeln kann man auch die Diagnose der Wissenschaftler, dass wir es mit einem Marktversagen zu tun haben, wenn für viele Menschen keine bezahlbaren Wohnungen mehr zur Verfügung stehen. Damit deckt sich der Befund der Wissenschaftler mit dem Aufruf des Bündnisses Zusammen gegen Mietenwahnsinn [7].

Auch dort heißt es: „Markt und Staat versagen. Mindestens 1 Million preiswerte Neubauwohnungen fehlen. Trotz des großen Bedarfs schafft der Markt keinen preiswerten Wohnungsneubau.“

Damit wird aber unterstellt, der kapitalistische Markt hätte die Aufgabe, preiswerte Wohnungen für alle bereitzustellen und würde darin versagen. Aber da werden dem Markt Zwecke zugeschoben, die er nicht hat. So könnte man auch sagen, der Markt funktioniert sehr gut, wenn mit Grundstücken und Wohnungen enorme Profite gemacht werden.

Der Mieter als „neuer Hartz IV-Empfänger“

Diesen Zusammenhang hat der Inlands-Redakteur der Taz, Martin Reeh, in einem Kommentar [8] gut auf den Punkt gebracht:

Krisenzeiten bieten stets Chancen, die Gesellschaft zu verändern. Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.

Martin Reeh, Taz

Lassen wir mal die Frage beiseite, wie „egalitär“ Kapitalismus überhaupt sein kann; angesprochen wird, dass es sich bei der aktuellen Wohnungspolitik „um Klassenkampf von oben handelt“.

Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb diese Woche, in den Szenekiezen Berlins liege der Mieteranteil jenseits der 95 Prozent. „Armselig“ nannte Poschardt das.

Martin Reeh, Taz

Dagegen müsste sich der Protest und der Widerstand einer außerparlamentarischen Mieterbewegung richten, die es in Berlin seit mehreren Jahren gibt, wie der Film Mietrebellen [9] von Matthias Coers [10] dokumentiert hat.

„Die Anzahl der kleinen und großen Initiativen ist nicht mehr zu überblicken: Es gibt kaum einen Kiez, in dem keine existieren. Zuletzt riefen im April 2018 rund 250 Organisationen, Vereine und Initiativen zu einer Mieterdemonstration auf, an der bis zu 25.000 Menschen teilnahmen. Hier wurde die Vielfalt und Breite sichtbar, die die neuen Mieterproteste angenommen haben“, schreibt Philipp Mattern von der Berliner Mietergemeinschaft [11] in einem kürzlich im Verlag Bertz & Fischer erschienenen Buch mit dem Titel Mieterkämpfe vom Kaiserreich bis heute – am Beispiel Berlin [12].

Mittlerweile gibt es in vielen anderen Städten ebenfalls parteiunabhängige Mieterbewegungen. Für sie sind die konkreten Forderungen der Wissenschaftler, die für eine neue soziale Wohnungspolitik eintreten, eine wichtige Unterstützung.

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-4168004
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Links in diesem Artikel:
[1] http://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/411/585
[2] http://zeitschrift-suburban.de
[3] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachten-wissenschaftlicher-beirat-soziale-wohnungspolitik.pdf?__blob=publicationFile&v=4
[4] https://mietenwahnsinn-stoppen.de/
[5] http://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/411/585
[6] https://www.weltfilm.com/de/filme/in-produktion/miete-essen-seele-auf
[7] https://mietenwahnsinn-stoppen.de/aufruf/
[8] http://www.taz.de/!5527891/
[9] http://mietrebellen.de/
[10] http://zweischritte.berlin/
[11] https://www.bmgev.de/
[12] http://www.bertz-fischer.de/mieterkaempfe.html

Hartz-IV heißt in Italien jetzt Grundeinkommen

Mit dem „Dekret der Würde“ wird der Verarmung in Italien ein schöneres Etikett aufgeklebt

In den letzten Wochen hat Italiens Rechtsregierung vor allem durch flüchtlingsfeindliche Maßnahmen und Sprüche der Lega-Nord-Politiker Schlagzeilen gemacht. Vor allem Innenminister Salvini sorgt so immer wieder für Schlagzeilen und präsentiert sich erfolgreich als rechter Scharfmacher.

Dabei gerät in Vergessenheit, dass die Lega Nord eigentlich der kleinere Koalitionspartner ist. Die größere Regierungspartei ist die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle – M5S), die sich brüstet, weder links noch rechts zu sein; sie gibt sich als Interessenvertreterin von prekär Beschäftigten aus, die in schnell bezahlten Arbeitsplätzen ohne Unterstützung großer Gewerkschaften leben.

Da die Pläne der Fünf-Sterne-Bewegung auch die Rücknahme einiger wirtschaftsliberaler Reformen der letzten Jahre beinhalteten, sahen EU-Gremien eine neue Krise heraufziehen. Der Regierungsantritt verzögerte sich um einige Tage, weil sich der italienische Staatspräsident als Interessenvertreter der Märkte gerierte und einen Minister wegen einiger eurokritischer Äußerungen ablehnte.

Einige Tage lang gab es den Versuch, einen EU-konformen Technokraten als italienischen Ministerpräsidenten zu installieren. Der Versuch scheiterte, weil der Kandidat das Vertrauen der EU-Gremien, aber keine Mehrheit im italienischen Parlament hatte. Zudem sahen die Eurokraten, dass ein solcher Coup sicher nicht das Vertrauen in die EU-Gremien stärken würde.

Zudem war die Lega Nord als durch und durch kapitalfreundliche Partei in dieser Frage auch ein objektiver Verbündeter der EU. Dass dann die Politiker dieser Partei in den ersten Wochen der neuen Regierung die Schlagzeilen bestimmten, sorgte für Empörung der flüchtlingsfreundlichen Milieus in ganz Europa, nicht aber auf EU-Ebene.

Schließlich ist es ein probates Mittel, soziale Forderungen zu neutralisieren, indem die Menschen mit Rassismus und Nationalismus davon überzeugt werden, dass sie nicht die Kapitalverhältnisse verändern sollen, sondern sich gegen die Menschen wenden, denen es noch schlechter geht. Ein solches Konzept funktioniert natürlich nur, wenn bei den Betroffenen schon die ideologische Disposition dafür vorhanden ist.

Versuche der Organisierung der Prekären von links

Das ist beim prekären Milieu zweifellos so. Von den großen Gewerkschaften nicht oder unzureichend vertreten, ist die Distanz zu den Traditionen der alten Arbeiterbewegung vorhanden. Vor ca. 20 Jahren versuchten Aktivisten der außerparlamentarischen Linken die Prekären in kapitalismuskritischem Sinne zu organisieren. Stichworte sind die Euromayday-Bewegung[1], die in Italien ihren Ausgang nahm[2] oder Aktivitäten wie San Prekaria[3].

Die Hoffnung der Linken bestand darin, dass hier Lohnabhängige, gerade weil sie nicht von den großen Gewerkschaften organisiert und damit auch in das repräsentative System eingehegt werden, offener für linke Vorstellungen der Selbstorganisierung sind. Es gab da durchaus Erfolge, solange die linke Bewegung in Italien und auch in den Nachbarländern im Aufschwung war.

Doch mit der massiven staatlichen Repression nach den G7-Protesten von Genua stieß die Bewegung an ihre Grenzen. Bald gab es einen massiven Rückgang der Aktivitäten. Neben der Repression waren auch die Mechanismen von außerparlamentarischen Bewegungen für diesen Niedergang verantwortlich. Nach einer Zeit des Aufschwungs setzt die Bewegungsflaute ein.

Dann werden oft wieder parteiförmige Formationen gesucht, die die Forderungen der außerparlamentarischen Bewegungen in die Institutionen einspeisen sollen. In Griechenland wurde die damals linkssozialistische Syriza-Partei für kurze Zeit zum Hoffnungsträger, der Menschen, die jahrelang auf der Straße gegen die Austeritätspolitik protestiert hatten.

Der Publizist Raul Zelik beschreibt in dem kürzlich bei Bertz + Fischer erschienenen Buch „Spanien – eine politische Geschichte der Gegenwart“[4], wie in Spanien Podemos zeitweilig zum Hoffnungsträger einer starken außerparlamentarischen Bewegung wurde, die an ihre Grenzen gestoßen ist.

In Italien übernahm die Fünf-Sterne-Bewegung zeitweise die Rolle, die Forderungen der Prekären parlamentarisch aufzugreifen. Zeitweise wurde die Partei, die sich immer von der Linken abgrenzte, von Personen mit einer langen linken Geschichte wie Dario Fo unterstützt. Das lag auch ihren Erfahrungen mit einer traditionellen Linken und deren Anpassung an den Neoliberalismus.

Da legte man in die neue Partei die Hoffnung, tatsächlich einen dritten Weg zwischen links und rechts zu finden. Doch ihre Anpassung an rechte Ideologeme begann nicht erst mit dem Bündnis mit der Lega Nord. In den letzten Jahren positionierten sich führende Parteipolitiker gegen Migranten und waren daher im EU-Parlament auch Teil der nationalkonservativen Fraktion im EU-Parlament.

Der schillernde Begriff der Würde

So war es auch nicht verwunderlich, dass es nur vereinzelten Widerspruch gegen die migrationsfeindliche Politik der Lega Nord bei der Fünf-Sterne-Bewegung gab. Das eigene sozialpolitische Programm gegen die prekäre Arbeit wurde nun doch noch beschlossen.

Kernpunkt ist die Korrektur des Job-Acts. Der wurde von der sozialdemokratischen italienischen Vorgängerregierung gegen den heftigen Widerstand von Gewerkschaften und der außerparlamentarischen Bewegung mit großer Zustimmung der EU-Gremien durchgesetzt. Der Job-Act bedeutete eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts, die von den Urhebern natürlich damit begründet wurde, dass die italienische Wirtschaft nur so im EU-Rahmen konkurrenzfähig bleibe.

Das Gegen-Projekt „decreto dignità“ der neuen Regierung ist allerdings so verwässert, dass die Kapitalfraktionen und auch die EU-Gremien nicht mehr wirklich beunruhigt sind. Die Italienkorrespondentin der Wochenzeitung Jungle World Catrin Dingler fasst Propaganda und Realität dieses Sozialgesetzes so zusammen[5]:

Di Maio hatte in seiner Funktion als Arbeits- und Sozialminister mit seinem „decreto dignità“ (Dekret der Würde), das vorige Woche von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, kämpferisch ein „Waterloo für die Prekarisierung“ angekündigt und mit großer Emphase die Rettung der „Würde“ aller prekär Beschäftigen versprochen.

Tatsächlich werden die bestehenden Möglichkeiten zur befristeten Beschäftigung nur unwesentlich eingeschränkt, auf Druck der Lega für die Bereiche Tourismus und Landwirtschaft sogar ausgeweitet. Auch auf die im Wahlkampf versprochene Wiedereinführung des Kündigungsschutzes hat der M5S im Interesse des Koalitionspartners verzichtet, Unternehmen sollen zukünftig für ungerechtfertigte Entlassungen nur eine unwesentlich erhöhte Abfindung bezahlen.

Catrin Dingler, Jungle World

Schon der Begriff „Dekret der Würde“ zeigt an, dass es bei dem Gesetzentwurf eher um Ideologie als um reale Verbesserungen geht. Der Begriff der Würde hat mittlerweile in vielen Bewegungen Konjunktur und ist oft ein reines Surrogat.

Denn die Beschäftigten brauchen mehr Lohn, sichere Arbeitsverhältnisse, längere Arbeitsverträge. Das sind handfeste notfalls einklagbare Verbesserungen. Die Würde aber ist eben nicht einklagbar und kann eben auch heißen, dass die Verbesserungen ausbleiben und man dann eben stolz ist, dass die Regierung diejenigen, die noch weniger haben, weiter entrechtet.

Wenn Hartz IV-Grundeinkommen heißt

Auch die Einführung eines auch in Deutschland in sozialen Bewegungen heftig diskutierten Grundeinkommens gehört zu den Forderungen der Fünf-Sterne-Bewegung. Die erste Rechtsregierung, die ein temporäres begrenztes Grundeinkommen einführte, war die finnische.

Nun ist ja schon lange bekannt, dass es ganz unterschiedliche Konzepte unter dem Label Grundeinkommen gibt. Auch in Deutschland favorisieren besonders wirtschaftsliberale Ökonomen[6] bestimmte Grundeinkommensmodelle. An dem italienischen Modell könnten sie besonderen Gefallen finden, handelt es sich doch um eine besondere Form des Framing.

Man nimmt einen eher positiv besetzen Begriff für eine unpopuläre Maßnahme und schon ist die mediale Reaktion positiv.

Der Kölner Stadtanzeiger hat hinter die Verpackung geguckt[7]:

„Eines der besonders kritisierten Vorhaben der mal links-, mal rechtspopulistisch genannten Fünf-Sterne-Bewegung ist das so genannte Bürgergeld: Jeder Italiener erhält 780 Euro. Ein genauerer Blick jedoch zeigt: Hier handelt es sich nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern lediglich um ein schlechteres Hartz IV, mit dessen Einführung die Regierung zudem einer Forderung der EU nachkäme.“

Kölner Stadtanzeiger

Die 780 Euro erhält ein Single, der kein weiteres Einkommen hat. Für eine vierköpfige Familie ohne Einkommen gibt es maximal 1.950 Euro, rechnet der Korrespondent des Stadtanzeigers vor. Verdient der Single-Haushalt ein wenig, dann stockt der Staat das Einkommen bis auf 780 Euro auf.

Ziel des Bürgereinkommens ist es also nur, dass die Menschen nicht zu tief unter die offizielle Armutsschwelle fallen (vgl. Bürgereinkommen in Italien – eine repressive Armenfürsorge[8]).

Dazu muss der Betroffene dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aktiv und nachweislich nach Arbeit suchen und auf Anweisung gemeinnützige Arbeiten ausführen, sich weiterbilden. Wer drei Jobangebote ablehnt, der verliert seinen Anspruch auf ein Einkommen knapp unterhalb der Armutsgrenze.

Da werden die Spindoktoren der Schröder-Fischer-Regierung sich ärgern, dass sie nicht auf die Idee kamen, das Verarmungsprogramm Agenda 2010 „Grundeinkommen“ zu nennen. Es wird sich zeigen, ob es der rechten italienischen Regierung gelingt, mit solchen Verpackungen die Menschen ruhig zu halten.

Es läge auch an Basisgewerkschaften und linken Bewegungen, die sich für die Lebensbedingungen aller Menschen, egal wo her sie kommen interessieren, eine Alternative zu finden, die die kapitalistischen Verhältnisse tatsächlich infrage stellt.

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-4134045
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.tacticalmediafiles.net/campaigns/6410/EuroMayDay;jsessionid=1C8A4F64F806E9DED6EF792AD9C52ED5
[2] https://zero.eu/eventi/73179-mayday-2017-orgoglio-della-classe-precaria,milano/
[3] http://www.precaria.org/
[4] http://www.bertz-fischer.de/spanien.html%22
[5] https://jungle.world/index.php/artikel/2018/32/rassistische-eskalation
[6] https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-02/thomas-straubhaar-buch-bedingungsloses-grundeinkommen-auszug
[7] https://www.ksta.de/politik/buergergeld-italien-will-grundeinkommen-einfuehren—-aehnlichkeiten-zu-hartz-iv-30518494#
[8] https://www.heise.de/tp/features/Buergereinkommen-in-Italien-eine-repressive-Armenfuersorge-4075308.html

Der Trumpismus, seine Claqueure und Gegner

Anmerkungen zu einer neuen Politikform und der deutschen Querfront
Eins hat der künftige Präsident der USA schon geschafft. Obwohl er noch gar nicht im Amt war, wurde bereits eine Politikform nach ihm benannt. Der Begriff des Trumpismus wurde in vielen Medien[1] seziert. Dabei wusste niemand so genau, was dieser Trumpismus eigentlich sein soll.

„Ist es fair, Donald Trump aus der Ferne zu analysieren?“, fragte[2] denn auch Die Zeit. Damit wird das Problem des Trump-Diskurses der letzten Wochen auf den Punkt gebracht. Da Trump als rechter Populist immer das sagt, was das jeweilige Publikum seiner Zielgruppen von ihm hören will, kann es auch keine Definition des Trumpismus geben. Auch da kann jeder etwas Anderes rein interpretieren.

Querfront für Trump

Das erklärt, warum autoritäre Linke wie Rainer Rupp[3] durchaus Hoffnung in Trump setzen. Ausgerechnet vor einem Bild von Karl Marx[4], der die Globalisierung zu den Positiva der historischem Rolle des Kapitalismus zählte, lobt Rupp den angeglichen Globalisierungsgegner Trump. Besonders erfreut ist der Putin-Freund Rupp darüber, dass Trump mit Russland gut kooperieren will.

Nun könnte man dem ehemaligen Nato-Spion Rupp viel Spaß bei seiner Reise zum „Magazin für Souveränität“, Compact, wünschen. Doch es gibt im Lager der autoritären Traditionslinken durchaus mehr Sympathie für Trump, die aber bisher eher leise geäußert wird, weil viele noch unsicher sind, ob Trump seine Ankündigen überhaupt ernst meint. Doch sollte er sich mit Putin verständigen, könnte sich die Querfront zwischen Trumpisten und Teilen der autoritären Linken noch deutlicher manifestieren. Da wird wieder ein Lagerdenken bedient.

Auch die erklärten Trump-Gegner in Deutschland und in anderen Ländern bereiten sich schon ideologisch darauf vor, indem sie den USA unter Trump eine von Deutschland angeführte westliche Welt entgegensetzen. „Nur Merkel kann die Implosion des Westens verhindern“, schrieb[5] Alan Posener bereits Mitte November.

Diese These wird seitdem auch von deutschen Politikern wiederholt. Hier zeichnet sich schon eine Entwicklung ab, die unter Reagan und Bush ihre Anfänge genommen hat. Eine von Deutschland geführte EU will sich im Kampf mit den USA als letzte Verteidigerin der westlichen Werte gerieren. Dieser deutschen Triumph, 72 Jahre nach der totalen Niederlage, wird nur von Traditions-Rechten wie Björn Höcke noch immer nicht begriffen, der in seiner berüchtigten Dresdner Rede auch von einer „gegenderten Bundeswehr“, die Befehlsempfängerin der US-Politik sei, schwadroniert.
Schon Streit über Anti-Trump-Proteste

Während ein Lager der Grünen wie auch Sozialdemokraten und Teile der Konservativen zum Kampf der westlichen Werte gegen Russland aufrufen, als stünden wir erneut vor dem 1. Weltkrieg, haben manche Traditionslinke keine andere Antwort als eine Apologie Putins und ihre Hoffnung auf eine Achse Putin-Trump. In dieser Gemengelage gibt es auch über die ersten Proteste gegen Trump schon Zoff.

In den USA mobilisiert eine Koalition gegen Trump[6]. Diese Idee wurde von einen globalen Bündnis aufgerufen[7], das Trump als Vorreiter eines sich weltweit auf dem Vormarsch befindlichen Rechtspopulismus versteht. Daher soll heute in Berlin im Rahmen dieses Bündnisses[8] auch vor der Berliner AfD-Zentrale demonstriert werden.

Ausdrücklich distanziert von diesen Protesten hat sich die DKP[9], die sich von Trumps rassistischer Innenpolitik distanziert, ihn aber in der Außenpolitik noch als unentschieden bezeichnet. In der Neuen Rheinischen Zeitung, einem weiteren Querfront-Projekt von Traditionslinken, werden die Anti-Trump-Proteste als „Teil der anti-russischen Massenhysterie, die in den USA seitens der Wahlverlierer geschürt wird und die ihr Echo in den untertänigen NATO-Ländern findet“, bezeichnet[10].

In der NRZ macht man sich gar nicht mehr die Mühe, sich von Trumps Rassismus zu distanzieren, dafür wird völlig willkürlich noch ein Seitenhieb gegen George Soros ausgegeben. Die Klientel versteht, die reiche Juden sind auch gegen Trump.

„Wait and see!“

Dass die Positionierung vieler Jüdinnen und Juden in den USA gegenüber Trump vor allem davon abhängt, was sie von der Nahost-Politik seines Vorgängers Obama halten, zeigt ein Beitrag[11] von Michael Wolfssohn in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. Er warnt vor Horrorvisionen einer Ära Trump, spart sich aber auch jegliche Vorschlusslorbeeren. Sein abgeklärter Schluss lautet:

Man muss kein Trump-Fan sein, um festzustellen: Horror-Vorhersagen gehören zum menschheitsgeschichtlich üblichen und längst bekannten Getöse. Sie stammen von schlechten Verlierern und besonders von den jeweils entmachteten Gegeneliten und ihren Anhängern. Unter „Eliten“ sind Positions- und Meinungseliten zu verstehen. Gleiches gilt für unkritisch übernommene Horror-Überlieferungen. Sie stammen von den zuvor entmachteten und dann an die Macht zurückgekehrten Positionseliten. Und Trump? Wait and see!
Michael Wolfssohn[12]

Diesen Grundsatz hätten auch die meisten Autorinnen und Autoren beherzigen sollen, die in den wenigen Wochen zwischen der Wahl und der Amtseinführung von Trump bereits ihre Bücher auf dem Markt geworfen haben. Eine der wenigen Ausnahmen ist das kleine Büchlein des Kulturkritikers Georg Seeßlen (siehe: Donald Trump: Populismus als Politik[13], das im Verlag Bertz + Fischer[14] veröffentlicht wird.

Dort wird Trump überzeugend als Produkt der Kulturindustrie dargestellt. Dabei wird auch deutlich, wie stark sowohl Bewunderer als viele Gegner von Trump auf Inszenierungen hereinfallen. Das zeigt Seeßlen besonders deutlich im Kapitel „Spiel im Thronsaal – Eine Bildbetrachtung“, wo Trump, seine Frau und sein jüngster Sohn in einem spätfeudalistischen Ambiente zu sehen sind.

Danach gab es in den Medien viel Häme über den schlechten Geschmack der Trump-Familie. Seeßlen beschreibt das Bild detailreich auf 20 Seiten und beendet das Kapitel mit folgender Auflösung: „Die Bildunterschrift bei Getty Images besagt: ‚Melanie, Donald and Barron Trump at Home Shoot (this Image is been retouched). Donald Trump is wearing a suit tie by Brioni, Melanie Trump is wearing a dress by Halston, shoes by Manolo Blahnik, makeup by Mykel Renner for Kett Cosmetics and hair by Mordechia for Yarohair.com. Barron Trump is wearing a jackts and pants by Papo d’Anjo, shirt by Leon and shoes by Todds‘.“

Georg Seeßlen kommentiert diese Inszenierung: „Wir haben vielleicht zu viel gesehen. Es war alles bloß Reklame. Diesen Donald, diese Melanie und diesen Barron Trump gibt es gar nicht. Sie sind Erfindungen der Design-Industrie. Das erklärt manches.“ Dieser Kommentar könnte auch auf den Wahlkampf und auf fast alles, was bisher zu Trump und seinem Umfeld öffentlich wurde, ausgedehnt werden.

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3604037
https://www.heise.de/tp/features/Der-Trumpismus-seine-Claqueure-und-Gegner-3604037.html

Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/amerika/das-geheimnis-von-donald-trumps-erfolg-13730711.html
[2] http://www.zeit.de/2016/36/psychologie-donald-trump-ferndiagnose/seite-2
[3] https://deutsch.rt.com/meinung/43036-rainer-rupp-us-prasident-trump/
[4] https://deutsch.rt.com/meinung/43036-rainer-rupp-us-prasident-trump
[5] https://www.welt.de/politik/deutschland/article159602280/Nur-Merkel-kann-die-Implosion-des-Westens-verhindern.html
[6] https://www.democraticcoalition.org/the-coalition
[7] http://berlin.carpediem.cd/events/2212416-inauguration-day-protest-no-to-global-trumpism-at-brandenburger-tor/
[8] http://www.no-to-nato.org/2017/01/nein-zum-globalen-trumpismus-zeit-zu-handeln
[9] http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/01/erklaerung-der-dkp-berlin-zur-demonstration-am-20-1-nein-zum-globalen-trumpismus/
[10] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23464
[11] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27456
[12] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27456
[13] https://www.heise.de/tp/features/Donald-Trump-Populismus-als-Politik-3600997.html
[14] http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?products_id=506

Aufstand der Mitte?

Nicht der soziale Frieden, sondern Minderheiten sind die Opfer der enthemmten Mitte und der Austeritätspolitik

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit fand am 4.Juni im Harz das Kyffhäusertreffen[1] des rechten Flügels der AfD statt.  Dort stimmte Björn Höcke seine treue Zuhörerschaft unter dem Motto „Die Geduld unseres Volkes ist zu Ende“ auf den Furor Teutonicus ein, auf ein Deutschland, das wieder Denkmäler statt Gedenkorte baut. Höcke hofft auf einen schnellen Kollaps der „entarteten“ Altparteien, die verschwinden könnten wie Anfang 1990er Jahre die italienische Christdemokratie.

Wer das Video[2] ansieht, fühlt sich an die Frühzeiten der völkischen Bewegung am Beginn der Weimarer Republik erinnert, die damals schon die Zerstörung der Weimarer Republik plante.  Vor einiger Zeit noch hätte man solche Versammlungen als Treffen der Ewiggestrigen abgetan. Doch Höcke und Co. treten als eine Kraft auf, die ganz unverhohlen die Machtfrage stellt und ihre Gegner zu Boden zwingen will.

Dass die völkische Rechte mit so viel Selbstbewusstsein  auftritt, hat etwas mit jener „Enthemmten Mitte“ zu tun, wie sie eine Studie beschriebt, die von der Rosa Luxemburg Stiftung, der Heinrich Böll Stiftung und der Otto Brenner Stiftung am Mittwoch gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellt wurde (Gewaltbereitschaft in rechten Gruppen steigt[3]). Die repräsentative Erhebung ist der neueste Teil eines Langzeitforschungsprojekts, das seit 2002 politische Einstellungen in Deutschland untersucht.

Das Problem ist die Mitte

Nun ist der Mitte-Begriff immer problematisch, weil er suggeriert, das wäre der Ort der Vernunft und Stabilität und die rechten und linken Ränder wären das eigentliche Problem. Doch die Studie räumt ja gerade mit dieser Vorstellung auf.

Es ist die ominöse Mitte der Gesellschaft, die sich völkisch radikalisiert und genau das ist der Grund, warum Höcke und Co. so penetrant optimistisch sind. Oliver Decker, einer der Mitverfasser der Studie bracht das bei der Vorstellung gut auf den Punkt:

Bei Nazis und Rechtsextremen denkt man an die Ränder der Gesellschaft. Das trifft es aber nicht, die Ideologie des völkischen Denkens ist sehr verbreitet.

Dabei hat sich die Zahl der Personen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild gegenüber den Vorjahren nicht verändert. Was sich gegenüber den Vorjahren verändert hat, wird  im Fazit der Studie benannt. Dort ist die Rede:

(…) von einem teilweise deutlichen Anstieg der Abwertung bestimmter Gruppen: Islamfeindschaft, Antiziganismus und die Abwertung von Asylantragstellern. Gleichzeitig wachsen die Befürwortung einer antidemokratischen, autoritären Politik und die Akzeptanz von Gewalt bzw. die Bereitschaft, selbst Gewalt einzusetzen, etwa um den eigenen Interessen Nachdruck zu verleihen oder sich «gegen Fremde durchzusetzen.

Der Befund ist keineswegs überraschend. Erst kürzlich legte die Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro einen Bericht[4] über antiziganistische Einstellungen in Berlin[5] vor. Dabei wurde auch deutlich, dass der Antiziganismus bis in die Amtsstuben hinein verbreitet ist und sich auf große Teile der Bevölkerung stützt. Es ist das Gefühl, solche Ressentiments,  nicht mehr nur im kleinen Kreis, sondern in aller Öffentlichkeit zu äußern können, ohne dass es zumindest gesellschaftlich sanktioniert wird. Das mobilisiert wiederum andere Menschen. Genau das ist das eigentlich Neue, das die Studie formuliert.

Kritik von Vertretern der enthemmten Mitte

Der Berliner Politologe Klaus Schröder[6] bezeichnete die Studie im Deutschlandfunk als belanglos[7] und sah die deutsche Mitte – zu der er sich selber zählt – verunglimpft. Ihm passte die ganze Richtung nicht, er verwies darauf, dass auch noch die der Linkspartei nahestehende Rosa Luxemburg-Stiftung an der Studie mitgearbeitet habe.

Für Schröder, der sich seit Jahren als wissenschaftlicher Anhänger der Totalitarismustheorie einen Namen gemacht hat, ist so etwas ein Unding. Zudem sieht er in einer Aussage, nach der „Deutschland endlich die Macht und Geltung bekommen soll, die ihm zusteht“, nicht etwa Ausdruck einer extrem rechten Gesinnung. Schließlich würden ihr viele zustimmen. Dass er mit dieser Aussage eigentlich den Befund der Studie nur bestätigt und selber das beste Beispiel für die enthemmte Mitte ist, wird ihm dabei gar nicht bewusst.

Das gilt auch für seine Kritik an einer Frage der Studie, die die Einstellung zu  Geflüchteten erkunden soll.

Und bei der Ausländerfeindlichkeit sehen wir eine Frage, die ist typisch für die Suggestion, die hier gestellt wird, nämlich: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ Nun weiß ja kein Mensch, warum die hier herkommen. Also würde jeder sagen, ja wahrscheinlich gibt es welche, die wollen den Sozialstaat ausnutzen, andere wiederum nicht. Wenn aber die Befragten gezwungen werden, auf eine pauschale, generalisierte Frage zu antworten, dann haben sie nicht viele Möglichkeiten.

Derart gibt sich Schröder hier als Versteher und Erklärer der enthemmten Mitte. Auch sein Dresdner Kollege Werner Patzelt[8] hat am gleichen Tag, als die Mitte-Studie  erschienen ist, wieder einmal den Pegida-Versteher[9] gegeben.

Bei einer neuen Buchvorstellung über Pegida hat er erneut an die Politik appelliert[10], deren Anliegen ernst zu nehmen und sie bloß nicht auszugrenzen. Das Buch trägt den programmatischen Titel Pegida. Warnsignale aus Dresden[11]. Sowohl der Herausgeber als auch sein Forschungsobjekt sind gute Beispiele für die „Enthemmte Mitte“.

Aufstand der Mitte und das semantische Terrain

Doch auch das politische Spektrum, das sich positiv auf die Studie bezieht und sofort die altbekannten Phrasen ablässt, ist Teil des Problems. So fällt den sozialdemokratischen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz nur ein Aufstand der Mitte[12] ein, der auch noch ein Aufstand der Anständigen sein soll.

Dass er sich damit auf dem semantischen Terrain der enthemmten Mitte befindet, ist die eine Sache. Dass er dann noch nachschiebt, es dürfe nicht zugelassen werden, dass „Populisten und Extremisten den sozialen Frieden in Europa gefährden“,  ist politisch besonders grotesk.

Damit liefert Schulz gleich die Rechtfertigung für Repression gegen Gewerkschaften und soziale Initiativen[13],  wie sie die Parteifreunde von Schulz in Frankreich (Frankreich: Orgie der Polizeigewalt[14] erproben.

Die enthemmte Mitte hingegen gefährdet den sozialen Frieden gerade nicht. Menschen mit solchem autoritären Gedankengut beteiligen sich in der Regel nicht an Arbeitskämpfen und mobben eher kämpferische Kolleginnen und Kollegen, spielen so eher die Rolle einer Art Pegida am Arbeitsplatz.

Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Apicella hat in ihrer kürzlich in der Rosa Luxemburg-Stiftung veröffentlichten Studie[15] „Amazon in Leipzig. Von den Gründen, (nicht) zu streiken“ diese Mechanismen gut beschrieben. Nicht der soziale Frieden, sondern politische und gesellschaftliche Minderheiten sind die Opfer der enthemmten Mitte und der Austeritätspolitik, die Schulz und seine Parteifreunde seit Jahren führend mit vorantreiben.

„Ressentiments – etwa gegenüber Flüchtlingen, Roma,  Schwulen… – sind vor diesem Hintergrund nicht nur Ausweis mangelnder Bildung oder fehlenden ethnischen Bewusstseins. Sie sind vielmehr die konsequente Fortsetzung innergesellschaftlicher und/zwischenstaatlicher Konkurrenz – und zwar noch im Sozialprotektionismus als dessen Negation:  Die genannten Gruppen sind ‚die anderen‘, mit denen ‚die Anständigen‘ und ‚die Fleißigen‘ konkurrieren müssen und/oder die unberechtigterweise an den ‚eigenen nationalen‘ Konkurrenzerfolgen teilhaben wollen und/oder die diese Konkurrenzerfahrungen gefährden“, stellt der Gewerkschafter und Publizist Patrick Schreiner[16] den Zusammenhang zwischen der Austeritätspolitik und der „enthemmten Mitte“ her.

Bisher gibt es noch zu wenige Bücher, die weniger soziologisch diese Zusammenhänge erklären. Das kürzlich vom Markus Metz und Georg Seeßlen im Verlag  Bertz + Fischer erschienene Buch Hass und Hoffnung, Deutschland, Europa und die Flüchtlinge[17] gehört zu den wenigen Texten, die nicht mit moralisierenden Appellen auf die „enthemmte Mitte“ reagieren.

Wer den Neoliberalismus bekämpft, ohne seine andere Seite, den Neofaschismus zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, den Faschismus bekämpfen zu können, ohne die organisierte Dummheit zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, die Dummheit bekämpfen zu können, ohne jene Kräfte zu bekämpfen, die von ihr profitieren, hat ebenfalls verloren.

Die Stärke dieses Buches liegt darin, dass hier die Mechanismen der Kulturindustrie und der IT-Technologie bei der Herausbildung der autoritären Subjekte der enthemmten Mitte gut beschrieben werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48549/1.html

Peter Nowak 16.06.2016

Anhang

Links

[1]

http://www.derfluegel.de

[2]

https://youtu.be/oRSOaacPsqA

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48535/

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Antiziganismus-im-System-3227242.html

[5]

http://amaroforo.de/dokumentation-von-antiziganismus-berlin

[6]

http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/apt/mitarbeiter/schroederk

[7]

http://www.deutschlandfunk.de/studie-die-enthemmte-mitte-politologe-haelt-mitte-studie.694.de.html?dram:article_id=357314

[8]

http://wjpatzelt.de

[9]

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Patzelt-Pegida-Erklaerer-oder-versteher-2542334.html

[10]

http://www.welt.de/politik/deutschland/article156226402/Wissensluecken-machen-Pegida-Anhaenger-so-radikal.html

[11]

https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/news/pegida-warnsignale-aus-dresden-das-neue-buch

[12]

http://www.zeit.de/news/2016-06/16/deutschland-eu-parlamentspraesident-schulz-fordert-aufstand-der-anstaendigen-16085612

[13]

https://www.facebook.com/Against-police-violence-and-for-demonstration-rights-in-france-2016-1051796708224609/?fref=nf

[14]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48536/

[15]

http://www.rosalux.de/publication/42258/amazon-in-leipzig.html

[16]

https://www.kritisch-lesen.de/autor_in/patrick-schreiner

[17]

http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?products_id=478