Kampf um das Nord-Stream-2-Projekt

Wo rhetorisch die europäische Solidarität eingefordert wird, geht es vor allem um Interessen und Freundschaften

Wird das Projekt Nord Stream 2[1], mit dem Erdgas von Russland nach Westeuropa transportiert werden soll, realisiert oder doch noch abgeblasen? Um diese Frage wird dieser Tage in Deutschland heftig gerungen. Ein Beitrag in der FAZ hat der Debatte weiter Auftrieb gegeben. In einem Gastbeitrag[2] der konservativen Zeitung schreiben 7 Europaabgeordnete aus Deutschland, dass ein Aufgeben des Projekts eine Frage der europäischen Solidarität sei.

„Der Plan, eine zweite russische Gaspipeline durch die Ostsee nach Deutschland zu bauen, spaltet die EU politisch und stellt unsere Solidarität mit Polen, unseren baltischen Nachbarn, der Slowakei und der Ukraine, aber auch mit Dänemark und Schweden in Frage“, schreiben die EU-Politiker von Union, FDP und Grünen.

Unterzeichnet haben den Beitrag die Europapolitiker Manfred Weber (CSU), Reinhard Bütikofer (Grüne), Nadja Hirsch (FDP) sowie die Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen (CDU), Oliver Krischer (Grüne), Michael Link (FDP) und der einflussreiche Unions-Abgeordnete im EU-Parlament Elmar Brock. Direkt angesprochen wird in dem Beitrag die SPD: Ihr werfen die Verfasser vor, „rhetorisch Europa gar nicht genug hochleben zu lassen“, aber „an dieser Stelle, wo es konkret wird“, Solidarität vermissen zu lassen.

Was an den Beitrag auffällt, ist die Verwendung unklarer Begrifflichkeiten. Denn ein unbefangener Leser wird doch erst einmal fragen, warum es eine „Entsolidarisierung von Europa“ sein soll, wenn Erdgas aus Russland, das schließlich auch Teil Europas ist, in einen anderen Teil des Kontinent geliefert wird. Da ist es schon wesentlich verständlicher, wenn der US-Außenminister Tillerson gegen die Pipeline mobil macht[3].

Schließlich liegt es nicht unbedingt im geopolitischen Interesse der USA, wenn sich innerhalb Europas eine neue Energiekooperation ohne sie herausbildet. Aber auch Tillerson verwendet die Europa-Rhetorik, wenn er vor einer Gefahr für die Energiesicherheit Europas warnt. Tillerson äußerte sich bei einem Polenbesuch und es war leicht zu erklären, dass der Widerstand der beiden Länder gegen die Pipeline von gemeinsamen strategischen Interessen getragen wird (siehe dazu auch Hinter dem Rücken der Öffentlichkeit sponsert die EU eine eigene Gasinfrastruktur[4]).

Zwei unterschiedliche Russlandkonzepte in der deutschen Außenpolitik

Dabei fällt es eher in den Bereich der Ideologie, wenn hervorgehoben wird, dass Russland seit der Krim-Annexion von Ländern wie Polen und dem Baltikum als größte Bedrohung betrachtet wird. Der Widerstand gegen Nord Stream 2 hat doch viel ökonomischere Gründe.

Polen deckt zwei Drittel seiner Nachfrage noch immer durch russisches Gas ab und verdient wie die Ukraine an der Weiterleitung des Brennstoffes Richtung Westeuropa, also auch nach Deutschland. Nord Stream 2 würde Polen und die Ukraine umgehen und Polen würden so die Transitkosten entgehen.

Zudem schloss Polen im November 2017 eine langfristige Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten zur Lieferung von Flüssiggas (LNG) und hat in ein LNG-Terminal an der Ostseeküste investiert. Wie soll nun die Politik Deutschlands auf diese unterschiedlichen Interessen reagieren?

Dahinter stehen unterschiedliche Europakonzepte, die der früh verstorbene Historiker Reinhard Opitz[5] gründlich untersucht hat[6].

Große Teile der SPD setzten eher auf einer Art friedlichen Koexistenz mit Russland. Dabei greifen sie auf Konzepte zurück, wie sie schon lange vor der Oktoberrevolution in Teilen der deutschen Politik diskutiert wurden. Dagegen stehen die Konzepte, die in scharfer Frontstellung zu Russland stehen und ebenfalls schon lange vor 1917 entwickelt wurden.

Die osteuropäischen Staaten und die russische Karte

Aktuell setzen sie auf einen Gürtel von Nationalstaaten im Osten Europas, die vor allem aus innenpolitischen Gründen die antirussische Karte ziehen. Nur sind diese Staaten weder ein monolithischer Block, wie die häufigen binationalen Streitereien zwischen Polen und der Ukraine deutlich machen, noch ist das Verhältnis zu Russland in erster Linie eine Folge von russisch-sowjetischer Unterdrückung.

Es geht dabei vielmehr neben ökonomischen auch immer um innenpolitische Interessen. So hat die ungarische Rechtsregierung ein recht entspanntes Verhältnis zu Russland unter Putin und auch die Tschechische Republik hat erneut einen Präsidenten gewählt, der Wert auf gute Beziehungen zu Russland legt.

Mit beiden Ländern verbinden sich politische Ereignisse, die als ungarischer Aufstand 1953 und als Prager Frühling 1968 bezeichnet wurden und eher eine Distanz zu Russland vermuten lassen würden, wenn man davon ausgeht, dass das Verhältnis zu Russland von der Erfahrungen mit sowjetisch-russischer Machtpolitik abhängig ist.

Polen hingegen hätte von seiner geschichtlichen Erfahrungen der Besatzung nach 1939 genügend Grund, eine Dominanz Deutschlands zu fürchten. Eine besondere Rolle nimmt die Ukraine als Protegé Deutschland vor und nach 1945 ein. Schließlich mussten deutsche und ukrainische Nationalisten die gemeinsame Erfahrung machen, dass ihre Macht durch die Rote Armee einst massiv eingeschränkt wurde.

Deutschland hat bei der Etablierung des aktuellen ukrainischen Regimes an eine alte deutsch-ukrainische Kooperation angeknüpft. Wenn nun die 7 deutschen Politiker für ihre Argumente gegen das Projekt Nord Stream 2 auch auf die Interessen dieser Ukraine rekurrieren, legen sie eine Geschichtsvergessenheit an den Tag, die seit den Maidan-Ereignissen in Deutschland zu beobachten ist.

Von Grünen wie Rebecca Harms[7] bis zum damaligen Außenminister Westerwelle gab es wenig Skrupel, mit den alten rechten Bundesgenossen, die am Maidan mit Fahnen und Parolen aufgefahren waren, zu kooperieren. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in dem Gastbeitrag ein Bündnis von Politikern der Union, der FDP und der Grünen zusammengefunden hat.

Das macht nur deutlich, dass eine gemeinsame Regierung dieser Parteien nicht an außenpolitischen Fragen geplatzt ist. Vielmehr zeigt das gemeinsame Statement, dass ein solches Bündnis durchaus noch eine Zukunft hat.

Es geht um unterschiedliche geo- und wirtschaftspolitische Interessen. Die Rhetorik um den Zusammenhalt Europas ist da nur eine ideologische Nebelkerze. Da wird die Krimaktion Russlands bemüht, bloß um nicht von Geopolitik und Ökonomie reden zu müssen.

Wie Außenpolitik funktioniert – Politische Aufklärung über ein Video

Das ist in den USA ganz anders, wie die Videokünstlerin Dani Gal[8] in dem Film Hegemon[9] zeigt, der zurzeit in der Berlinischen Galerie[10] zu sehen ist.

Wenige Wochen bevor Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt wurde, reiste Gal nach Washington D.C., um Expertinnen und Experten zur US-amerikanischen Außenpolitik zu interviewen. Diese vertreten ein breites politisches Spektrum und sind ehemalige oder aktuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Think Tanks, Militärbüros oder der CIA.

Wer wissen will, nach welchen Kriterien die US-Außenpolitik funktioniert, wird hier mehr erfahren als durch die Lektüre vieler deutscher Kommentatoren der US-Politik. Ihr großes Manko besteht schon darin, dass sie politische Vorgänge personifizieren. Diese Tendenz hat sich noch verstärkt, seit Trump im Amt ist. Da wird oft so getan, als würden außenpolitische Grundlinien allein von ihm in seinem Schlafzimmer getroffen und als hinge die Frage von Krieg und Frieden von seiner psychischen Befindlichkeit ab.

Dagegen sprechen in dem Interview, die Männer und Frauen aus der zweiten und dritten Reihe, sie kennen sich mit der Materie aus. Bis auf zwei Kritiker sehen sich alle als Vertreter von US-Interessen. Und sie reden auch unbefangen darüber, und das macht den großen Unterschied zur Debatte in Deutschland aus. In den Interviews geht es wenig um Personen und Moral, dafür aber viel um ökonomische und geopolitische Interessen.

Ein solcher Film über die Interessen Deutschlands und der von dem Land dominierten EU nach dem Vorbild von Dani Gals „Hegemon“ steht noch aus. Dabei wäre die Diskussion um das Projekt Nordstream 2 ein guter Aufhänger dafür.

https://www.heise.de/tp/features/Kampf-um-das-Nord-Stream-2-Projekt-3976329.html

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[1] https://www.nord-stream2.com/de/
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/die-nord-stream-2-gaspipeline-entzweit-die-eu-15457609.html
[3] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/amerikas-aussenminister-tillerson-lehnt-nord-stream-2-pipeline-ab-15420196.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Hinter-dem-Ruecken-der-Oeffentlichkeit-sponsert-die-EU-eine-eigene-Gasinfrastruktur-3975705.html
[5] https://search.socialhistory.org/Record/ARCH02887
[6] https://www.rebuy.de/i,2137451/buecher/europastrategien-des-deutschen-kapitals-1900-1945-reinhard-opitz
[7] https://twitter.com/RebHarms/status/951812014636240899
[8] http://thelostmoment.blogspot.de/2007/06/dani-gal.html
[9] https://www.spikeartmagazine.com/en/articles/berlin-premiere-hegemon-documentary-dani-gal
[10] https://www.berlinischegalerie.de/fileadmin/content/bilder/ausstellungen/12×12/Handouts/2018/Handout_Gal-final.pdf