Strafanzeige gegen Czaja und Allert

Nazisprüche, Prügel, Hunger, Kälte – seit Monaten herrschen an der zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge in Berlin untragbare Zustände. Nun wurden die Verantwortlichen angezeigt. Auch Betroffene wehren sich.

Die Zustände, die die Grünen-Politikerin Claudia Roth bei einem Besuch des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) vor anderthalb Wochen vorfand, waren schockierend. Es seien »Hunderte, vielleicht auch Tausende Menschen, die sich ohne jede Information durch Behördenmitarbeiter verzweifelt und nun auch unter widrigsten Witterungsbedingungen auf dem Gelände bewegen und umherirren, auf der Suche nach einer Möglichkeit, Gehör für ihr Anliegen zu finden«, schilderte die Bundestagsvizepräsidentin die Lage vor der im Ortsteil Moabit gelegenen zentralen Registrierungsstelle für Geflüchtete. »Frauen, Männer und (Klein-)Kinder, Schwangere, Verletzte, Alte, Kranke und Behinderte, die völlig entkräftet und verzweifelt ihre Papiere den Mitarbeitern der Security zeigen, in der Hoffnung, Einlass in das Behördengebäude zu erlangen«, so beschrieb Roth die Situation. Menschen harrten stunden- oder gar tagelang in Warteschlangen aus, zum Teil in Schlamm, Regen und Sturm, oder dicht gedrängt in abgesperrten Bereichen in Zelten oder in den Behördengebäuden, berichtete die frühere Parteivorsitzende. Oftmals gebe es für die Wartenden am Ende nur barsche Worte oder ein rüdes Anschreien durch die Sicherheitskräfte, verbunden mit dem Hinweis, dass sie es am nächsten Tag wieder versuchen müssen.

Dabei machen schon seit Monaten Freiwilligengruppen wie der Berliner Flüchtlingsrat immer wieder auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam. Christiane Beckmann, eine Sprecherin der Initiative »Moabit hilft«, sagte: »Wenn wir nicht wären, hätte es hier schon Tote gegeben.« Geändert hat sich freilich wenig. Lediglich der Sicherheitsdienst wird nun ausgetauscht, nachdem ein Wachmann im Nazijargon gegen Geflüchtete gehetzt hatte. Schon in den Vorwochen hatte es immer wieder Meldungen über Beschimpfungen und auch Schläge durch Wachleute gegeben.

Für die tagtägliche Demütigung und Erniedrigung der Geflüchteten, die Roth anprangerte, sind aber vor allem Berliner Politiker verantwortlich. Ob die vom Senat angekündigte Einrichtung eines eigenständigen Flüchtlingsamtes die Situation verbessern wird, ist unklar. Nach Auskunft des Berliner Sozialsenators Mario Czaja (CDU) sollen Aufgaben wie Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aus dem Lageso herausgelöst und der neuen Behörde übertragen werden. »Mit diesem neuen Amt stellen wir uns den enormen Herausforderungen und den damit gewachsenen Aufgaben, die der anhaltend hohe Zugang von Flüchtlingen mit sich bringt«, sagte Czaja. Doch zunächst wird eine Arbeitsgruppe eingerichtet, denn konkrete Pläne für die neue Behörde gibt es noch nicht. Ihr Aufbau dürfte Monate dauern.

Czaja steht unter Druck, denn der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), hat seinem Sozialsenator wiederholt Passivität vorgeworfen und ihm indirekt den Rücktritt nahegelegt. Am Montag reichten mehr als 40 Rechts­anwältinnen und Rechtsanwälte Strafanzeige wegen Körperverletzung und Nötigung im Amt gegen Czaja und Franz Allert, den Präsidenten des Lageso, sowie weitere Verantwortliche ein, wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) mitteilte. »Sozialsenator Czaja nimmt schwere Verletzungen und Erkrankungen von Geflüchteten bewusst in Kauf«, sagte RAV-Vorstandsmitglied Ulrich von Klinggräff. Es sei unvorstellbar, so der Rechtsanwalt, »was geschehen würde, wenn es das einzigartige Engagement der Initiative ›Moabit hilft‹ nicht gäbe«.

Und auch Geflüchtete selbst beginnen, sich gegen die Zustände am Lageso zu wehren. So haben kürzlich 56 Flüchtlinge, die dort seit Wochen auf ihre Aufnahme warten, vor Gericht Eilanträge eingereicht, um ihre sofortige Erfassung und Versorgung zu erwirken. Andere Betroffene wehren sich gegen die Verweigerung von Leistungen und wollen durchsetzen, dass sie als Härtefälle anerkannt werden. Anfang November organisierten afghanische Flüchtlinge Protestkundgebungen.

http://jungle-world.com/artikel/2015/50/53145.html

Peter Nowak

„Vages Versprechen“

Die Berliner Senatorin für Integration, Dilek Kolat (SPD), hat behauptet, eine Einigung mit den Flüchtlingen erzielt zu haben, die am Oranienplatz und in einer Schule in Kreuzberg um ihr Bleiberecht kämpfen. Martina Mauer ist Sprecherin des Berliner Flüchtlingsrats und widerspricht dieser Darstellung. Das Gespräch wurde am 20. März geführt.

Small Talk von Peter Nowak


Warum sprechen Sie von einer Scheineinigung?

Weil anders als vom Senat dargestellt nur ein Teil der Flüchtlinge dem Papier zustimmt. Das derzeit vorliegende Angebot des Berliner Senats lässt viele Frage offen. Daher ist auch nicht für alle beteiligten Flüchtlingsgruppen erkennbar, ob das Angebot auch für sie eine Lösung ist.

Welche unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen sind betroffen?

Fünf Gruppen waren in der Verhandlungsdelegation mit Kolat vertreten. Die Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland noch nicht registriert sind, sollen nach dem Angebot Duldungsbescheinigungen erhalten, wobei deren Geltungsdauer noch unklar ist. Doch das ist nur eine Minderheit der Flüchtlinge. Für alle Flüchtlinge, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt und eine Wohnsitzauflage für andere Bundesländer haben, ist das Angebot nur ein vages Versprechen. Das gilt auch für die Flüchtlinge mit Duldungsstatus und Wohnsitzauflage in anderen Bundesländern und für Geflüchtete, die wegen der Dublin-Verordnung Abschiebeverfügungen in andere EU-Länder haben.

Ist es nicht problematisch, wenn die Gruppe der Geflüchteten so aufgespalten wird?

Ihre ursprüngliche Forderung war ein generelles Bleiberecht für alle. Das war politisch nicht durchsetzbar. Deshalb ging es darum, zumindest für jede Gruppe eine akzeptable Lösung zu finden. Das leistet das vorliegende Angebot jedoch nicht.

Was soll mit der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule geschehen?

Die Senatsverwaltung fordert jetzt neben der Räumung des Oranienplatzes de facto auch die Räumung der Gerhard-Hauptmann-Schule, obwohl die Delegation es ausdrücklich abgelehnt hat, die Verhandlungen auf die Zukunft der besetzten Schule auszuweiten.

Wie kann es zu einer Lösung kommen?

Die Gespräche zwischen den Flüchtlingen und dem Senat müssen fortgesetzt werden. Die jetzt vom Senat präsentierte Scheineinigung ist in dieser Hinsicht kontraproduktiv, weil sie die Flüchtlinge spaltet und dazu dienen könnte, medial und in der Öffentlichkeit eine polizeiliche Räumung vorzubereiten.

http://jungle-world.com/artikel/2014/13/49577.html

Interview: Peter Nowak

Willkommensgruß für Flüchtlinge und Polizeischutz

Links

[1]

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=647

[2]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154634

[3]

https://www.facebook.com/pages/B%C3%BCrgerinitiative-Marzahn-Hellersdorf/470302906396050

[4]

http://www.scoop.it/t/fluchtlingshilfe-in-marzahn-hellersdorf-mahe

[5]

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/

[6]

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=648

[7]

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=641

[8]

http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article119187384/Fluechtlinge-ziehen-unter-Polizeischutz-in-ihr-neues-Heim.html

[9]

http://www.pro-deutschland-online.de/index.php?option=com_content&view=article&id=691:kundgebung-gegen-asylantenheim&catid=1