Warum nicht das Fahrverbot selber machen

Warum wurden am Wochenende keine Straßenkreuzungen blockiert? Stattdessen starrt die Umweltbewegung wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Entscheidung der Justiz

Seit Wochen ist das Thema Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in den Medien. Eigentlich sollte das Bundesverwaltungsgericht schon letzten Donnerstag einen Beschluss fassen. Das Gericht hat sich auf kommenden Dienstag vertagt, wohl auch um der Bundesregierung Zeit für mögliche Vorbereitungen für eventuelle Fahrverbote zu geben. Auffällig ist, dass kurz nach der Vertagung bekannt wurde, dass die Bundesregierung Vorbereitungen dafür trifft.

Doch wo bleibt die außerparlamentarische Umwelt-Bewegung?

Was man aber vermisst, war das Zeichen für die Existenz einer außerparlamentarischen Umweltbewegung. Schließlich war gerade sie über Jahrzehnte, wenn es um AKWs ging, und seit einigen Jahren auch in der Bewegung für die Abschaltung der Kohlekraftwerke als eigener Faktor präsent. „Alles muss man selber machen“, lautete die richtige Erkenntnis.

Nur beim Kampf gegen die jahrzehntelange Vergiftung von Mensch und Umwelt durch den Individualverkehr scheint dieses Motto nicht zu gelten. Dabei wäre hier die vielbeschworene Kreativität und Spontanität der Umweltbewegung leicht umzusetzen. Schließlich bräuchte man keine langen Fahrten zu Standorten von AKWs und Kohlekraftwerken auf sich zu nehmen. Denn das Neckartor ist überall.

So wie die hoch mit Autogift kontaminierte Straße in Stuttgart hat jede Stadt ihre besonders umweltschädlichen Ecken. Warum gab es keinen Aufruf, die Zeit bis zur gerichtlichen Entscheidung zu nutzen, um schon mal in Eigenregie ein Fahrverbot umzusetzen? Man hätte nur am Samstagsmittag zum Flashmob auf diesen Straßen aufrufen sollen.

Wären in vielen Städten an diesen vielbefahrenen Straßen Menschen auf die Fahrbahn getreten und hätten sie nicht wieder verlassen oder hätten sie das Bedürfnis verspürt, in großen Gruppen die Straße immer wieder zu überqueren, dann wäre der Autoverkehr zum Stehen gekommen. Dann wäre genau das eingetreten, was fast regelmäßig auf Autobahnen passiert. Nur hätte dieser Stau ein politisches Ziel, das über die Debatte um Diesel und Fahrverbote hinausgehen muss.

„Massenexperiment an Menschen“

Der Arbeitsmediziner und Autor des Buches „Kranke Arbeitswelt“ Wolfgang Hien brachte in einem Interview auf den Punkt, um was es bei der Diskussion um die Vergiftung der Umwelt eigentlich geht:

Der eigentliche Skandal liegt erstens darin, dass Hundertausende Menschen am Arbeitsplatz über Jahrzehnte einer tatsächlich schädigenden Konzentration ausgesetzt waren, obwohl es seit Jahrzehnten Kritik an der alten Grenzwertsetzung gab. Zweitens ist es ein Skandal, dass Millionen Menschen, vor allem Kinder, chronisch Kranke und Alte, an stark befahrenen Straßen nicht nur acht Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche, sondern rund um die Uhr mit erheblichen Konzentrationen belastet sind, was statistisch gesehen mit Sicherheit Schäden verursacht. Der eigentliche Skandal ist, dass hier seit Jahrzenten ein Massenexperiment an Menschen vorgenommen wird. All das haben kritische Wissenschaftler seit langem thematisiert.

Wolfgang Hien

Wäre es da nicht an der Zeit, dass sich die Umweltbewegung auf den Grundsatz „Umweltschutz ist Handarbeit“ erinnern würde und jenseits von Politik und Justiz damit anfangen würde, Fahrverbote umzusetzen? Doch von solchen Aktionen konnte man nichts lesen.

Stattdessen wird wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gestarrt. Dabei müsste doch zumindest bei lange in der ökologischen Bewegung aktiven Menschen die Erkenntnis noch nicht gänzlich verschüttet sein, dass die Justiz ein Teil des Staatapparats ist und bei seiner Entscheidung die staatlichen Gesamtinteressen im Fokus hat.

Das heißt nicht, dass die Gerichtsentscheidungen immer nur nach dem Gusto des Kapitals ausfallen. Es ist ja gerade die Aufgabe der Justiz im bürgerlichen Staat ein Gesamtinteresse zu konstruieren, was weder im Interesse noch in der Möglichkeit der einzelnen Kapitalfraktionen ist. Die Vorstellung aber, dass ein Gericht sich schon um die Umweltinteressen kümmern wird, ist absurd und zeugt von einen mangelnden Verständnis von Staat und Justiz.

Wenn überhaupt Umweltinteressen in gerichtliche Entscheidungen einfließen, dann wenn sich starke Bevölkerungsgruppen aktiv unabhängig vom Staat und seinen Apparaten dafür einsetzen. Die Anti-AKW-Bewegung ist dafür ein gutes Beispiel Daher ist ein Ausdruck der Regression einer ehemals außerparlamentarischen Bewegung, wenn sie nicht mehr in der Lage eigene Akzente jenseits von Parteien und Justiz zu setzen.

Nahverkehr gratis für Alle

Dieses Manko zeigt sich auch bei der Alternative für den gesundheitsschädlichen Individualverkehrs. Seit Jahrzehnten kämpfen Menschen für einen günstigen besser noch einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Er würde das Recht auf Mobilität auf Alle Realität werden lassen.

Die Kämpfe der Rote-Punkt-Aktion Ende der 1960er Jahre gehören ebenso dazu, wie viele lokale Bewegungen in unterschiedlichen Städten. „Berlin fährt frei“ lautete das gut begründete Motto einer Kampagne für kostenlosen Nahverkehr in Berlin, die wesentlich vom mittlerweile nicht mehr existierenden Berliner Sozialforum ausgegangen ist.

Das Bündnis wie auch die dazu gehörige Homepage sind mittlerweile Geschichte, die Forderung ist aber aktueller denn je. Das wurde deutlich, als die Bundesregierung kostenlosen Nahverkehr in einigen ausgewählten Städten in einem Brief aufführte, den sie an die EU-Kommission schrieb.

Der Kommission in Brüssel gegenüber soll sie Vorschläge benennen, wie sie die weiterhin selbst nach EU-Normen zu hohen Abgaswerte in vielen deutschen Städten senken will. Doch was machte die Linke?

Sie hätte daran erinnern können, dass nun ihre langjährigen immer als unrealistisch verlachten Forderungen sogar in einen Brief der Regierung auftauchen. Sie hätte kritisieren könne, dass da nur einige Städte als Experimentierfeld für den kostenlosen Nahverkehr benannt wurden und Metropolen wie Berlin und Hamburg ausgespart wurden.

Und sie hätte das Motto „Kostenloser Nahverkehr machen wir selbst“ dazu aufrufen sollen, jetzt bundesweit schon mal mit dem Fahren ohne Fahrschein zu beginnen. Wenn das viele machen, können die Kontrolleure nichts mehr machen. Stattdessen las man in vielen linken Medien, das ganze sei nur ein Ablenkungsmanöver der Regierung, sei gar nicht zu bezahlen und völlig unrealistisch.

Genau die Ausflüchte der Regierung benannte jetzt die Linke, um sich nicht um die Durchsetzung ihrer eigenen Forderungen kümmern zu müssen. Nur wenige wie der linke Verkehrsexperte Winfried Wolf verteidigten die Forderung eines kostenlosen Nahverkehrs.

Bei einer so angepassten Umweltbewegung brauchen sich die staatlichen Apparate wirklich nicht zu sorgen.

https://www.heise.de/tp/features/Warum-nicht-das-Fahrverbot-selber-machen-3977962.html

Peter Nowak
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[1] https://www.heise.de/tp/features/Fahrverbote-Verkehrsministerium-bereitet-Rechtsgrundlage-vor-3977757.html
[2] https://jungle.world/artikel/2018/06/oftmals-heuchlerisch
[3] https://www.youtube.com/watch?v=Pa0p5abNKgA
[4] http://klima.blogsport.de/images/DiskussionspapierBerlinfaehrtfrei.pdf
[5] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1079903.kostenloser-oepnv-weniger-verkehrstote-durch-umsonstfahren.html

Mobil und ökologisch

Umweltverbände diskutierten mit linken Gruppen über sozial gerechtes Verkehrssystem

Für das Recht auf Mobilität«, lautete das Motto einer Diskussionsveranstaltung, zu der Vertreter mehrerer Umweltverbände in den Berliner Stadtteilladen Zielona Gora eingeladen waren.  Dabei ging es um eine innerhalb der ökologischen Bewegung durchaus kontrovers diskutierte Forderung. Denn einige Umweltverbände fordern aus ökologischen Gründen die Einschränkung der Mobilität.

Uwe Hiksch von den Naturfreunden.  Ein zentrales Ziel, der eng mit der Arbeiterbewegung verbunden Organisationwar,  war der Kampf um Mobilität für Menschen mit niedrigen Einkommen. Das von den Naturfreunden geforderte Recht auf Mobilität schloss die Möglichkeit ein, dass Arbeiter  sich bessere Jobs suchen,  aber auch  Urlaub  machen konnten.

Auch heute ist für  Hiksch die Forderung nach Mobilität weiterhin aktuell. Ein  zentrales Kampffeld der Naturfreunde ist aktuell die Verhinderung des verschobenen aber nicht beerdigten Börsengangs der Deutschen Bundesbahn. „Eine börsennotierte Bahn, die ausschließlich nach Gewinnerwägungen handelt, wird unrentable Strecken stilllegen und die Preise erhöhen und damit die Mobilität von Menschen mit geringen Einkommen einschränken“, begründete Hiksch diese Dringlichkeit dieses Engagements.

  Lokaler Klimaaktivismus

 Michelle Schneidervertrat auf der Diskussionsveranstaltung eine jungen, aber wachsenden ökologische Bewegung. Die Gruppe Gegenstrom gründete sich im Kampf gegen das Kohlekraftwerk Moorburg bei Hamburg und beteiligte sich an der Mobilisierung zum Weltklimagipfel im Dezember 2009 nach Kopenhagen. „Aus dem Scheitern des Gipfels haben wir die Konsequenz gezogen, uns verstärkt auf lokaler Ebene für Klimagerechtigkeit einzusetzen“, betonte Schneider. Dazu gehört für sie ein besonderes Augenmerk auf den globalen Süden, deren Bewohner am wenigsten  zur Klimakrise beigetragen haben und am meisten mit den Folgen konfrontiert sind. Zur  Klimagerechtigkeit gehört  für Schneider aber auch, dagegen zu kämpfen, dass in Deutschland die Menschen mit niedrigen Einkommen verstärkt für die Rettung der Umwelt zur Kasse gebeten werden. Deshalb gehört Gegenstrom zu den Unterstützern der vom Berliner Sozialforum initiierten Kampagne „Berlin fährt frei“, die eine unentgeltliche Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs in Berlin fordert. „Damit sollen ökologische und soziale Interessen verbunden werden“, erklärte Lisa Monthey von der die Kampagne unterstützenden Gruppe „Für eine linke Strömung“ (felS).Auch in Bremen, München und Tübingen wurden lokale Initiativen für einen kostenlosen Nahverkehr gestartet.  Die Kampagne kann sich auf gute Argumente stützen. Schon vor mehr als einem  Jahrzehnt hat der Verkehrsexperte Winfried Wolf in einer Studie durchgerechnet, dass die Stadt Berlin für  einen kostenloser Nahverkehr weniger Geld ausgeben müsste, als heute für  den Individualverkehr mit all seinen Folgekosten. „Jetzt geht es darum, die Menschen für die Forderung zu begeistern“, meinte Monthey.   Deshalb will die  Kampagne „Berlin fährt frei am kommenden Dienstag, dem globalen Aktionstag für Klimagerechtigkeit,  den kostenlosen Nahverkehr schon mal ausprobieren. Treffpunkt ist um 17 Uhr an der Weltzeituhr am Alexanderplatz.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/181567.mobil-und-oekologisch.html

Peter Nowak

Umsonst durch die Stadt

Sozialer Ausgleich und Umweltschutz dank Freifahrt im Nahverkehr
Viele Großstädte ersticken buchstäblich im Verkehr. Eine stärkere Nutzung von Bus, Tram, U- und S-Bahn könnte da Wunder wirken. Doch die sind so manchem zu teuer. In Paris, Berlin und anderswo wollen linke und Umweltgruppen deshalb die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel durchsetzen.
Jeder kennt das, kaum sitzt man in der Bahn, heißt es von mehreren Türen her: Die Fahrausweise bitte! Das Bündnis »Berlin fährt frei«, in dem das Berliner Sozialforum, die Gruppe »Für eine linke Strömung« (FELS) und Klimaaktivisten mitarbeiten, will dem ein Ende machen. In der vergangenen Woche hat das Bündnis seine Kampagne vorgestellt. Das Argument der leeren Kassen lassen die Freifahrtaktivisten nicht gelten. Natürlich fahren Bus und Bahn nicht umsonst, doch zur Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) könne man die faktische Subventionierung des PKW-Verkehrs verringern. Auf der Homepage www.berlin-faehrt-frei.de wird vorgerechnet, dass das Land Berlin seit 1991 umgerechnet rund drei Milliarden Euro für Straßenbau, Straßenunterhaltung und Straßenbeleuchtung ausgegeben, aber nur umgerechnet 1,9 Milliarden Euro an Kraftfahrzeugsteuer eingenommen hat.

 Die Förderung von Bussen und Bahnen und die Zurückdrängung des Autoverkehrs ist auch umweltpolitisch von großer Bedeutung, betont die Sozialwissenschaftlerin Sigrid Graumann vom Berliner Sozialforum. Sie sieht in der Verknüpfung von umwelt- und sozialpolitischen Forderungen die besondere Qualität von »Berlin fährt frei«. »Mobilität ist ein soziales Recht, das allen einkommensunabhängig zustehen muss. Berlin kann zudem seinen versprochenen Beitrag zum Klimaschutz nur leisten, wenn viele Autofahrer auf den ÖPNV umsteigen«, meint Graumann. Tatsächlich zeigten Studien aus Städten mit praktiziertem Nulltarif im Nahverkehr, wie dem belgischen Hasselt und dem brandenburgischen Templin, dass dort die Zahl der Pkw-Nutzer zurückgeht.

Die Beteiligung von Aktivisten aus der Klimabewegung im Bündnis »Berlin fährt frei« ist auch eine Folge von Diskussionen, die schon vor dem Klimagipfel im Dezember 2010 in Kopenhagen begonnen hatten und danach intensiver geführt wurden. »Wir müssen die Mobilisierung zu Großevents mit den Alltagskämpfen verbinden«, formuliert ein Klimaaktivist den Diskussionsstand. Ein Redner führt noch einen besonderen Grund an, warum er das Engagement von Klimaaktivisten für einen unentgeltlichen Nahverkehr für wichtig hält. »Oft seien Forderungen der Klimabewegung mit Einschränkung und Verzicht für Menschen mit niedrigen Einkommen verbunden«, meint er mit Bezug auf die Debatte um die Billigflüge. Durch die Nulltarifkampagne werde deutlich, dass sich klimapolitische und soziale Forderungen verbinden ließen. Zu den möglichen Bündnispartnern für die Nulltarifkampagne, zu denen Kontakt aufgenommen werden soll, könnte auch die LINKE gehören. Schließlich fordert sie in ihrem aktuellen Programmentwurf einen unentgeltlichen Öffentlichen Nahverkehr.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/173494.umsonst-durch-die-stadt.html

Peter Nowak

Bündnis macht mobil: Fahrtickets zum Nulltarif

 »Berlin soll die erste Großstadt werden, in der alle Bürger S-Bahn, U-Bahn, Busse und Tram ohne Fahrschein nutzen können« – das ist das Ziel eines Bündnisses aus Berliner Sozialforum und umwelt- und sozialpolitischen Initiativen. Am Mittwochabend stellte es seine Kampagne »Berlin fährt frei« öffentlich vor. Die Aktivisten wollen damit sozial- und umweltpolitische Forderungen verbinden.

 »Mobilität ist ein soziales Recht, das allen einkommensunabhängig zustehen muss«, erklärt ein Mitglied des Berliner Sozialforums. Dass die Fahrpreise Menschen mit geringen Einkommen an der Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) hindern, zeigte sich, als nach der Einführung der Sozialkarte die Zahl der Fahrgäste sprunghaft anstieg.

Ein Umstieg vom Pkw in den Bus oder die Bahn könne ein zentraler Baustein für eine neue Umweltpolitik sein, so ein umweltpolitischer Aktivist. Nachdem in Städten wie Templin oder auch im belgischen Hasselt ein kostenloser ÖPNV mit Erfolg eingeführt wurde, könnte Berlin als erste Großstadt hier Zeichen setzen.

Zunächst sollen weitere Bündnispartner gewonnen werden. Außerparlamentarische Initiativen gehören ebenso dazu wie Gewerkschaften. Auch zur Linkspartei sollen Kontakte geknüpft werden. Schließlich werde im aktuellen Programmentwurf ein unentgeltlicher Öffentlicher Nahverkehr Verkehr gefordert.

www.berlin-faehrt-frei.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/173317.buendnis-macht-mobil-fahrtickets-zum-nulltarif.html

Peter Nowak

Eine Kampagne fordert Schwarzfahren für alle

VERKEHR „Berlin fährt frei“ will Umsonstfahren in Bus und Bahn für alle durchsetzen
Berlin soll die erste Großstadt werden, in der alle Bürgerinnen und Bürger S-Bahn, U-Bahn, Busse und Tram ohne Fahrschein nutzen können. Dieses Ziel hat sich ein Bündnis aus Berliner Sozialforum, Umwelt- und sozialpolitischen Initiativen mit der Kampagne „Berlin fährt frei“ gesetzt. Die Forderungen scheinen angesichts der regelmäßigen Preiserhöhungen beim öffentlichen Nahverkehr in Berlin utopisch. Dabei kann man in diversen Städten schon lange ohne Ticket den Nahverkehr nutzen, Hasselt in Belgien gehört dazu wie Templin in Brandenburg.

Sigrid Graumann hält ein solches Modell auch in einer Metropole wie Berlin für realisierbar. Die Sozialwissenschaftlerin und Aktivistin des Berliner Sozialforums sieht den besonderen Stellenwert der Nulltarifkampagne in der Verknüpfung von umwelt- und sozialpolitischen Forderungen. „Mobilität ist ein soziales Recht, das allen einkommensunabhängig zustehen muss. Berlin kann zudem seinen versprochenen Beitrag zum Klimaschutz nur leisten, wenn viele Autofahrer auf den ÖPNV umsteigen“, betont Graumann. Studien aus Städten mit praktiziertem Nulltarif im Nahverkehr zeigten, dass dort die Zahl der AutofahrerInnen zugunsten der ÖPNV-NutzerInnen zurückgehe. Auch in Berlin sei nach der Einführung des Sozialtickets die Nutzung des Nahverkehrs sprunghaft angestiegen. Daraus werde deutlich, dass die hohen Preise eine große Hürde bei der Nutzung von Bussen und Bahnen sind.

Auch das Argument der leeren Kassen halten die Freifahrt-AktivistInnen für nicht stichhaltig. Natürlich müsse der ticketfreie Nahverkehr gegenfinanziert werden. Doch ein Umstieg auf eine umweltfreundliche und ressourcensparende Verkehrspolitik werde auf längere Sicht zu Kosteneinsparungen führen, heißt es auf der Homepage der Initiative. Dort wird vorgerechnet, dass das Land Berlin seit 1991 umgerechnet rund 3 Milliarden Euro für Straßenbau, Straßenunterhaltung und Straßenbeleuchtung ausgegeben, aber nur umgerechnet 1,9 Milliarden Euro an Kraftfahrzeugsteuer eingenommen hat.

Infoveranstaltung: 16. Juni, 19.30 Uhr, Kinzigstraße 9

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F06%2F15%2Fa0075&cHash=48f446e2f3

Peter Nowak