Verkehrte Welt

A 100 Der Bund will die versprochene Entschädigung für Mieter, die der Autobahn weichen mussten, nicht zahlen und klagt nun

Geht es nach dem Bundesministerium für Verkehr, sollen sechs Mietparteien der Beermannstraße 20 und 22 in Treptow doch keine Entschädigung für den Verlust ihrer Wohnungen bekommen. Die beiden Häuser müssen der Verlängerung der Stadtautobahn A 100 weichen. Die sechs Mietparteien hatten sich als Letzte und sehr beharrlich geweigert, ihre Wohnungen zu räumen, unterstützt wurden sie von der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel und der Umweltorganisation Robin Wood. Als die MieterInnen Ende Februar schließlich doch nachgaben, bekamen sie eine weitreichende Entschädigung zugesichert: Die zuständige Enteignungsbehörde vereinbarte mit ihnen Ausgleichzahlungen in Höhe der Differenz zwischen ihren (günstigen) Mieten in der Beermannstraße und den Mietkosten in neuen Wohnungen –für die Dauer von bis zu 191 Monaten, bezahlt aus Bundesmitteln.  Auch die Kaution für die Ersatzwohnungen und die Anwaltskosten der Mieter sollten übernommen werden, ebenfalls aus Bundesmitteln. Doch das zuständige Bundesministerium will die Entschädigung nicht zahlen. Es hat Klage gegen das Land Berlin eingereicht. Begründung: Zum Zeitpunkt der Vereinbarung habe kein Mietverhältnis mehr bestanden. „Alle angegriffenen Regelungen beruhen auf der von cem Beklagten ungeprüften Annahme, dass ein Mietverhältnis weiterhin besteht“, heißt es in dem Klagebegründung des Bundes, die der taz vorliegt. Die Enteignungsbehörde des Landes Berlin wiederum fordert die Rückweisung der Klage; sie spricht dem Bund die Befugnis für die Anfechtung ab. „Es fehlt der Bundesrepublik Deutschland mithin die Befugnis, Rechte in diesen Eilverfahren selbstständig wahrzunehmen“, heißt es in der Begründung
der Enteignungsbehörde, die der taz ebenfalls vorliegt. Auch inhaltlich findet die Enteignungsbehörde klare  Worte für den Versuch des Bundes, die Vereinbarung mit den MieterIn nen für ungültig zu erklären. „Der Kern des vorliegenden Rechtsstreits ist die Frage, ob die Rechtslage es erlaubt, einem Mieter seine Wohnung zu entziehen, ohne ihm die gleichzeitige Möglichkeit  der Anmietung einer Ersatzwohnung zu gewähren. Es ist traurig, dies sagen zu müssen, aber die Klägerin scheint dies zu glauben.“ Die Enteignungsbehörde ist anderer Auffassung; sie hält eine Klage, die darauf abzielt, dass „einem mittellosen Mieter seine Wohnung entzogen werden kann, ohne dass gleichzeitig eine für den Neubezug einer anderen Wohnung notwendigen Kompensationsregelung in Kraft tritt, für von unserer Rechtsordnung nicht gedeckt“. Benjamin S., einer der betroffenen Mieter, sieht sich in seinem Widerstand bestätigt. „Jahrelang wurden wir auch von der Senatsverwaltung wie Illegale behandelt. Jetzt wird bestätigt, dass wir MieterInnen waren, die um ihre Rechte kämpfen“, sagt er. Von der vereinbarten Entschädigung haben die MieterInnen bisher nichts gesehen – und es könnte auch noch eine Weile dauern. „Es liegen keine Erkenntnisse dazu vor, wann mit einer mündlichen Verhandlung in den Verwaltungsstreitsachen, gar mit Entscheidungen gerechnet werden kann. Da es sich um keine Eilverfahren handelt, ist von einer mehrjährigen Prozessdauer auszugehen“, erklärt die stellvertretende Sprecherin  der Umweltverwaltung, Petra Rohland.

aus Taz: 1.8.2015

Peter Nowak

Senat setzt Mieter unter Druck

STADTAUTOBAHN Die letzten Mieter der Beermannstraße 22 wurden vom Senat aufgefordert, ihre Wohnungen bis morgen zu verlassen. Das Haus soll dem Bau der A 100 weichen

Jonas Steinert (Name geändert) ist nervös. Der Unternehmer hat eine Mail von einer Mitarbeiterin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt bekommen. Darin wurde ihm am 17. Oktober mitgeteilt, dass er seine Wohnung in der Beermannstraße 22 in Berlin-Treptow verlassen soll – bis zum 31. Oktober.

Das geräumige Gebäude mit Vorder- und Hinterhaus soll der Stadtautobahn A 100 weichen, es ist im Besitz des Bundes und wird von der Senatsbehörde verwaltet. Jahrelang haben sich die MieterInnen gegen den Abriss gewehrt und stießen dabei durchaus auf Sympathie in der Öffentlichkeit. Selbst in der SPD war der Autobahnbau äußerst umstritten. Nachdem sich auf Druck von Klaus Wowereit eine Mehrheit für die A 100 aussprach und das Projekt alle juristischen Hürden genommen hatten, fügten sich viele der HausbewohnerInnen in das scheinbar Unvermeidliche und zogen aus.

Doch zehn Mietparteien denken nicht ans Packen. Steinert gehört zu ihnen. Ihm wurde bereits vor einem Jahr gekündigt. „Aber ich habe Widerspruch eingelegt“, empört sich Steinert. Doch gab es darauf keine Reaktion von den Eigentümern und auch keinen Gerichtstermin. Stattdessen kam nun die Aufforderung, die Wohnung bis Monatsende zu räumen, ohne dass dafür ein Rechtstitel genannt wurde. Steinert hält das Schreiben für einen Versuch, die letzten MieterInnen in der Beermannstraße 22 unter Druck zu setzen.

„Wir sind doch für die Senatsverwaltung nur eine lästige Verwaltungsakte“, moniert auch Steinerts Nachbar Klaus Pfeiffer (Name geändert). Der Endfünfziger wohnt im Vorderhaus und schließt einen Umzug generell nicht aus. „Wir sind an Lösungen interessiert, aber wenn solche Töne aus der Senatsverwaltung kommen, lassen wir das nicht mit uns machen“, sagt Pfeiffer.

Grund für seinen Zorn ist ein weiteres Schreiben aus der Behörde des künftigen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller an die letzten MieterInnen des Hauses. „Ich teile Ihnen mit, dass ich zur Wahrung unserer Interessen in Kürze bei der zuständigen Behörde die vorzeitigen Besitzeinweisung und die Enteignung des Mietrechts beantragen werde“, heißt es dort. Laut Paragraf 116 Baugesetzbuch können Mietern einer Wohnung, ihre Rechte genommen werden, wenn „die sofortige Ausführung der beabsichtigten Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten“ ist. Damit der Beschluss gilt, ist eine mündliche Verhandlung aber zwingend vorgeschrieben.

Die letzten MieterInnen bekommen nun Unterstützung von Umwelt- und Stadtteilinitiativen. Ende September organisierten sie gemeinsam mit Robin Wood und der Treptower Stadtteilinitiative Carla Pappel ein Hoffest.

Stadtentwicklungssenator Michael Müller hatte am 14. Oktober im Berliner Abgeordnetenhaus den MieterInnen der Beermannstraße 22 Unterstützung zugesagt, „bei denen die Wohnungssuche aus privaten Gründen schwierig wird“. Mieter Steinert sagt, dass ihm bereits Wohnungen angeboten wurden. Allerdings seine diese 70 bis 120 Prozent teurer gewesen. Das könne er sich nicht leisten.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F10%2F30%2Fa0198&cHash=912d07986bcbca40ba819476c6815de1

Peter Nowak

Hausbesuch bei Müller

A100 Der angehende Regierende Bürgermeister bekam Besuch umwelt- und stadtpolitischer Gruppen

Stadtentwicklungssenator Michael Müller ist nach seiner Wahl zum Wowereit-Nachfolger ein gefragter Mann. Doch die kleine Gruppe, die ihm in seinem Amtssitz am Fehrbelliner Platz am Montag einen unangekündigten Besuch abstattete, wollten ihm keine Glückwünsche überbringen. Zwölf Mitglieder aus umwelt- und stadtpolitischen Gruppen übergaben einen Forderungskatalog zu der heftig umstrittenen A100.

Müllers persönliche Referentin Katharina Jentsch und der Senatsmitarbeiter Robert Drawnicki nahmen anstelle des verhinderten Senators den Brief entgegen. Zu den Forderungen gehörte die Rücknahme der Strafanträgen gegen fünf Baumbesetzer des „Aktionsbündnisses A100 stoppen“. Sie hatten im Winter 2014 mehrere Bäume besetzt, die der Autobahntrasse zum Opfer fallen sollten. Nach der Räumung am 3. Februar erstattete die für das Bauvorhaben zuständige Behörde Anzeige gegen sie wegen Hausfriedensbruch. Die Aktivisten erhielten Strafbefehle in Höhe von bis zu 900 Euro, gegen die sie Widerspruch einlegten.

„Mit der Rücknahme der Anzeige können Sie deutlich machen, dass AutobahngegnerInnen keine Kriminellen sind“, erklärte Sven Lindner den Senatsmitarbeitern. Die blieben im Ton freundlich, in der Sache aber unverbindlich – man werde die Forderung weiterleiten.

Auch was weitere Anliegen angeht, blieb es beim Austausch von gegensätzlichen Standpunkten. Die Treptower Stadtaktivistin Karin Schuster warf der Senatsbehörde vor, Treptower Mieter und Kleingärtner enteignen zu wollen, um den Bau der umstrittenen Autobahn voranzutreiben.

Zehn Mieter in den Häusern Beermannstraße 20-22 hatten Briefe erhalten, in denen eine vorzeitige Besitzeinweisung ankündigt wurden. Mit dieser im Baurecht bei Projekten „des besonderen öffentlichen Interesses“ zulässigen Maßnahme verlieren die Mieter zahlreiche Rechte. Bisher sei eine vorzeitige Besitzeinweisung im Zusammenhang mit dem Bau der A100 gegen mehrere Gewerbetreibende erlassen worden. Nun seien erstmals Mieter davon betroffen.

Bevor die Aktivisten die Behörde verließen, kündigten sie an, dass der angehende Regierende Bürgermeister Müller – der sich SPD-intern stets für den Bau der A100 starkgemacht hatte – auch künftig mit Protesten vor Ort rechnen müsse. „Wenn er dachte, der Bau der A100 wäre kein Protestthema mehr“, erklärte Schuster zum Abschied, „hat er sich getäuscht.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F10%2F21%2Fa0118&cHash=665ec2b37b0fb

Peter Nowak