Streit unter deutschen Patrioten

Wenn Rechte die Einheitsfeier in Dresden stören, darf nicht vergessen werden, dass ihre Wurzeln in den Herbst 1989 reichen

Der Grünenpolitiker Matthias Oomen[1] hat mit einem Scherz nicht nur die rechte Szene, sondern alle deutschen Patrioten aufgebracht. Dabei hat er den Fund einer Fliegerbombe mit den Worten kommentiert: „DD Fliegerbombe. Das lässt ja hoffen Do! It! Again!“

Damit erinnerte er an den Slogan „Bomber Harris do it again“, mit dem in den 1990er Jahren antideutsche Antifas gegen die deutschen Verhältnisse anstänkern wollten. Damals gehörte der Publizist Jürgen Elsässer zu den Unterstützern der Parole. Dafür muss er bei seinen jetzigen politischen Gesinnungsgenossen wohl noch Abbitte leisten, schließlich greift[2] er in seinem Querfrontmagazin Compact jetzt Oomen besonders heftig dafür an, dass er noch an eine Zeit erinnert, wo die Kritik an Deutschland noch zu den Medienereignissen gehörte. Das hat sich mittlerweile geändert. Im Jahr 2016 gab es auch in Dresden vom Bündnis „Nationalismus ist keine Alternative“[3] organisierte Proteste gegen die Einheitsfeier und ihre rechten Kritiker.

Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen vom fehlenden Anstand statt von Rassismus sprechen

Doch medial wurden die Pöbeleien einiger hundert Rechter aus dem Umfeld der zerstrittenen Pegida-Bewegung wahrgenommen, die Merkel, Gauck und andere geladenen Gäste als Volksverräter beschimpften und mit Trillerpfeifen auspfiffen. Während selbst das zivilgesellschaftliche Bündnis Atticus[4], statt von Rassismus und rechten Populisten zu sprechen, nur monierte, dass Respekt und Anstand immer weniger Geltung besitzen würden, erwähnte[5] die Zeit immerhin, wer auch am 3. Oktober die eigentlichen Opfer deutscher Patrioten waren: „Ein dunkelhäutiger Mann, der zum Gottesdienst wollte, wurde mit „Abschieben“-Rufen empfangen.“ Schon im Vorfeld der turnusmäßig rotierenden Einheitsfeierlichkeiten wurde diskutiert[6], ob es klug ist, diese in Dresden, der Stadt von Pegida, zu begehen oder abzusagen. Besonders nach den Anschlägen gegen eine Moschee und ein Kongresszentrum, die zunächst linken Gruppen untergeschoben werden sollten, wurde die Kritik am Austragungsort Dresden lauter.

Einheitsfeier selber ist das Problem und nicht nur der Ort

Doch selbst die Gegner dieses Ortes stellten nicht die Einheitsfeierlichkeiten in Frage, sondern beeilten sich zu betonen, dass man eigentlich niemand das Feiern vermiesen soll. Genau darin liegt das Problem.

Am 3.Oktober wird nämlich genau jene „Wir sind ein Volk-Bewegung“ gefeiert, die im Herbst 1989 mit schwarzrotgoldenen Fahnen und Deutschland-Deutschland-Rufen von Sachsen ausgehend die Straßen und Plätze der ehemaligen DDR überrollten. Schon damals waren die wenigen Menschen, die nicht ins deutsche Reinheitsgebot passten, beispielsweise Vertragsarbeiter aus Vietnam, Angola oder Mozambique, zur Zielscheibe der deutschen Patrioten geworden.

Opfer dieser deutschen Patrioten wurden auch schnell die Kräfte in der DDR-Opposition[7], die gegen die autoritäre SED-Herrschaft auf die Straße gingen und für eine demokratische DDR, aber nicht für eine Wiedervereinigung kämpften. Das Wort von den Wandlitzkindern machte schnell die Runde, weil manche dieser Oppositionellen aus Familien kamen, die nach dem 2. Weltkrieg in der DDR eine neue Republik aufbauen wollten.

Die Patrioten wurden im Herbst 1989 nicht nur mit Fahnen und Infomaterial aus der BRD gesponsert. Daran beteiligten sich auch rechte Parteien wie die Republikaner, die durchaus als AfD-Vorläufer gelten können. Aber auch die Unionsparteien hatten ein großes Interesse, in Ostdeutschland eine nationalistische Bewegung aufzubauen, die statt einer erneuerten DDR den schnellen Anschluss an die BRD favorisieren.

Seit Ende Oktober 1989 wird dafür systematisch Stimmung gemacht. Dafür gehen die Unionsparteien das Bündnis mit der ultrarechten Deutschen Sozialen Union[8] ein, von deren Kadern der ersten Stunde sich viele in weiteren rechten Kleinstgruppen und heute in der AfD wiederfinden.

Wenn am 3. Oktober die deutsche Einheit gefeiert wird, dann wird auch der Sieg über die DDR-Opposition gefeiert, die genau diese Einheit abgelehnt hatte. Der Runde Tisch der DDR hatte unter maßgeblicher Federführung dieser Gruppen den BRD-Parteien verboten, sich in den Wahlkampf für die Volkskammer im März 1990 einzumischen. Von allen BRD-Parteien wurde dieser Beschluss ignoriert.

Wenn heute oft behauptet wird, die Einheitsfeiern wären eine Sache der DDR-Opposition, wird nur deutlich, wie gründlich die deutschen Patrioten gesiegt haben. Sie haben die Geschichte der DDR-Opposition der ersten Stunde und ihrer Ziele weitgehend verdrängt. Allerdings muss auch erwähnt werden, dass sich manche von ihnen dem Sog zur Einheit nicht versagten konnten oder wollten und stillschweigend ihre ursprünglichen Ziele revidierten. Doch es gibt noch immer kleine Gruppen der DDR-Opposition, die an den Ursprungszielen festhalten[9]. Für sie ist der 3. Oktober kein Feiertag, sondern der Endpunkt einer Niederlage.

Nährboden für neuen Rechtsterrorismus lag auch im Vereinigungspathos

Der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn[10] hat in einem Gastbeitrag[11] für die Zeitschrift Kontext die Entwicklungen der Rechten in den frühen 1990er Jahren mit der aktuellen Situation verglichen und kommt zu einem alarmierenden Befund:

Analysiert man die historische Konstellation, dann drängen sich Parallelen zu den frühen 1990er-Jahren und einer innenpolitischen Entwicklung auf, in der der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) entstand und mindestens zehn Morde und eine Reihe weiterer Straftaten begangen hat. Dieser Blick zurück zeigt: Die Situation heute ist in mancherlei Hinsicht noch bedrohlicher – und die Entstehung neuer rechtsterroristischer Netzwerke mehr als wahrscheinlich.Samuel Salzborn

Samuel Salzborn

Dabei geht Salzborn auch auf die Verantwortung des „Vereinigungspathos“ für das damalige rechte Klima ein und bezieht sich dabei auf die Arbeiten[12] des Sozialwissenschaftlers Wolfgang Kreutzberger.

Geprägt von einem, so Kreutzberger, „Vereinigungspathos“, zeigten sich die Maßnahmen gegen Rechtsextremismus nicht nur pädagogisch weitgehend hilflos, sondern die Justiz operierte auch strafrechtlich mit vergleichsweise milden Urteilen gegen rassistische Gewalttäter, obgleich es auch zu neuen Vereinigungsverboten kam. Wesentliche Rahmenbedingungen waren hierbei auch, dass im Kontext der deutschen Einheit die Toleranz für rassistische Gewalttaten in der Bevölkerung zunahm und überdies mit den Stimmen fast aller Parteien das Asylrecht drastisch eingeschränkt wurde.Samuel Salzborn

Samuel Salzborn

Es ist also völlig verfehlt, die „unpolitische Einheitsfeier“ und ihre rechten Pöbler als Gegensätze zu sehen. Nur im Unterschied von vor 26 Jahren organisieren sich die Rechten heute nicht mehr unter dem großen Dach der Allianz für Deutschland[13] mit ihrem ultrarechten Flügel, der DSU, sondern haben längst eigenständige Ziele und Strukturen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49594/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

http://www.bild.bundesarchiv.de

[1]

http://gruene.berlin/personen/matthias-oomen

[2]

http://www.compact-online.de/do-it-again-gruener-politiker-will-dresden-erneut-ausrotten/

[3]

http://nationalismusistkeinealternative.net/

[4]

http://atticus-dresden.de/

[5]

http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2016-10/dresden-pegida-proteste-attacke-politiker

[6]

http://www.taz.de/!5340395/

[7]

http://www.ddr89.de/ddr89/vl/inhalt_vl.html

[8]

http://www.dsu-deutschland.de/

[9]

http://phase-zwei.org/hefte/artikel/vom-kommunismus-soll-schweigen-wer-von-stalinismus-nicht-reden-will-268/

[10]

http://www.salzborn.de/

[11]

http://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/287/gefaehrliche-toleranz-3904.html

[12]

http://sowiport.gesis.org/search/id/gesis-solis-00179251

[13]

http://www.chronikderwende.de/lexikon/glossar/glossar_jsp/key=allianz.html

Das Fehlen einer linken Opposition


Ohne irgendwo zu regieren, bewirkt die AfD einen gesellschaftlichen Rechtsruck

Die Menschen haben die Bilder noch vor Augen, wie ein Zug von Tausenden von illegalen Migranten, angeführt von einem Polizeifahrzeug, über die Wiesen ins Land reingehen. Das sind die Bilder, die in den Köpfen sind.

Es war kein Politiker der AfD, der am Tag nach der Berlinwahl dieses Statement abgegeben hat. Nein, der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl[1] hat im Deutschlandfunk-Interview[2] Bilder heraufbeschworen, die im Umfeld von Pegida verbreitet wurden und zum Aufstieg der AfD beigetragen hatten.

Unter dem Schlagwort „Das entgrenzte Deutschland muss beendet werden“, versuchte Uhl den Grundsatz seines politischen Ziehvaters Franz Joseph Strauß umzusetzen, wonach man rechts von der Union keine Partei aufkommen lässt, indem man deren Positionen mit übernimmt. Uhl konnte bei dem Interview gleich dokumentieren, wie gut das klappt. So erklärte er: „Die Menschen müssen wieder Vertrauen haben, dass wir eine Grenze ziehen

Hätte ein AfD-Politiker ähnliches von sich gegeben, wäre er sicher gefragt worden, ob er im Ernstfall auf Geflüchtete schießen lassen würde, um die Grenze zu sichern. Uhl wurde die Frage nicht gestellt.

Aufwind für rechte Positionen

Gönnerhaft erklärte Uhl, dass Merkel das Reizwort Obergrenze nicht aussprechen muss. Dafür muss sie aber „die Begrenzung, die Grenzkontrolle, die Zurückweisung an der Grenze, sie muss alles, was Schutz an den deutschen Grenzen bedeutet und auch natürlich an den europäischen Außengrenzen, an den Binnengrenzen in der Europäischen Union, all diese Grenzkontrollen muss sie wollen“.

Wenn Uhl erklärt, man müsse sich mit dem Wähler versöhnen, dann meint er, dass man den Rechtspopulisten die Wähler abspenstig machen will, indem man deren Programm übernimmt. Wenn er dann, an die Moderation gewandt, erklärt: „Denn am konservativsten, Frau Heuer, ist immer das Volk und das Volk will Schutz und Sicherheit und das Volk hat derzeit nicht das Vertrauen in die regierenden Parteien, dass sie Schutz und Sicherheit gewähren“, dann könnte man genau jene Rehabilitation des Völkischen raus hören, für die AfD-Vorsitzende Frauke Petry kürzlich scharf kritisiert wurde.

Und wenn Uhl auf die Frage, was passiert, wenn Merkel unter solchen Prämissen gar nicht mehr zur Wahl antritt, erklärt: „Das ist ihre ganz höchst persönliche Entscheidung. Das kann ihr niemand abnehmen. Nur das Desaster muss ein Ende haben, dass die CDU von Wahl zu Wahl verliert“, dann liest sich das wie eine direkte Aufforderung an Merkel zurückzutreten.

Nicht einmal die kleinste Floskel, dass der CSU-Politiker trotz aller Differenzen weiter hinter Merkel stehe, wurde eingefügt. Hier wird deutlich, dass der AfD-Erfolg wie zuletzt in Berlin auch den Rechten in der Union Auftrieb gibt. Die Unzufriedenheit mit Merkel verleiht in und außerhalb des Parlaments jenen rechten Kreisen Aufwind, die Merkel Verrat an alten konservativen Werten vorwerfen und eine stärker nach rechts orientierte Agenda fordern.

Mit jeder neuen Wahlniederlage werden die Angriffe von dieser Seite stärker. Teile der SPD und auch die FDP, die sich laut Diktion ihres Vorsitzenden Lindner wieder in den Bundestag schleicht, wollen von der Stimmung gegen Merkel profitieren.

Merkel rückt symbolisch nach rechts

Die Kanzlerin hat schon darauf reagiert und versucht sich in den letzten Tagen mit deutschnationalen Sprüchen in der Art von „Deutschland wird Deutschland bleiben“ – sowie mit einer halben Distanzierung von ihrer „Wir schaffen das“- Rhetorik, um bei ihrer eigenen Basis und der CSU-Führung für Entspannung zu sorgen.

Die CSU reagierte darauf mit hämischem Lob, das Merkel signalisiert: „Na, es geht doch. Langsam übernimmt sie unsere Linie.“

Diese Auseinandersetzung spielt sich auf einer symbolischen Ebene ab. Dort ist es oft besonders schwierig, sich davon zu verabschieden. Schließlich bekam Merkel gerade wegen dem „Wir schaffen das“-Spruch Unterstützung im liberalen und linken Lager. Doch inhaltlich sind die Positionen längst nicht so weit entfernt.

Schließlich wurden in den letzten Monaten mehrmals die Flüchtlingsgesetze verschärft. Die Zahl der angeblich sicheren Drittstaaten hat zugenommen und vor allem Roma aus Ostereuropa wurden in den letzten Monaten vermehrt abgeschoben. Ein Protest der Betroffenen am Denkmal für die im NS verfolgten und ermordeten Roma wurde von der Polizei schnell beendet. Könnte doch ein solcher Protest am geschichtlichen Ort manche Kontinuitäten aufzeigen, von denen das wieder erstarkte Deutschland nichts wissen will.

In der praktischen Politik der Flüchtlingsabwehr sind sich Merkels Anhänger und Kritiker also weitgehend einig. Es geht bei dem Streit um die Frage, wie man die Politik nach außen präsentiert. Will man eher ein tolerantes und weltoffenes Deutschland suggerieren, wie es Merkel und ein Großteil der exportorientierten Industrie vertritt oder soll sich das Land nicht vielmehr die Flüchtlingsabwehr zum Markenkern machen? Das sind im Wesentlichen die Fragen, über die seit letztem Herbst in der Union gestritten wurde.

Der Rechtsruck drückt sich auch an der Debattenkultur in Deutschland aus

„Besorgte Bürger“ heißt die Überschrift einer Kolumne in der Sächsischen Zeitung[3], bei der sich der als Pegida-Erklärer bekannt gewordene[4] Dresdner Politologe Werner Patzelt mit einen anderen Kommentator abwechselt Der zivilgesellschaftliche Blog Atticus warf ihm vor[5], in einem Kommentar Goebbels-Zitate und Nazivergleiche verwendet zu haben.

In der vergangenen Freitagsausgabe (16.09.) der Sächsischen Zeitung stellte Herr Prof. Dr. Patzelt von der TU Dresden in der Kolumne „Besorgte Bürger“ bedenkliche Vergleiche der Weltkriegsjahre ab 1914 und 1939 und unserer heutigen Zeit an. Damals wie heute würden Andersdenkende ausgegrenzt. Darin sieht Herr Patzelt eine Parallele zwischen den Gegnern des Nationalsozialismus und den heutigen Rechtspopulisten und betont im Umgang mit beiden gar eine Art „kulturelle Kontinuität“.Blog Atticus

Blog Atticus

Patzelt reagierte mit einer ausführlichen Antwort[6]. Es zeigt sich auf vielen Ebenen, dass die AfD-Erfolge den politischen Diskurs nach rechts verschieben, ohne dass sie irgendwo mitregiert. Allein die Tatsache, dass sie als die eigentliche Opposition wahrgenommen wird, die eine andere Republik will, sorgt dafür, dass sich Politiker, Medien und Öffentlichkeit mit den Thesen der AfD befassen.

Rechtsaußen in der Union wie Uhl bekommen durch einen AfD-Erfolg mehr Freiraum für ihre Thesen, natürlich noch mit der Erklärung, es gelte die AfD überflüssig zu machen. Sollte das in absehbarer Zeit nicht gelingen, wird in der Union eine Diskussion um die Kooperation mit der AfD beginnen. Einige Politiker aus der zweiten Reihe haben schon erste Testballons aufsteigen lassen (Wann wird es erste Bündnisse zwischen AfD und Union geben?[7]).

Einbeziehung der Parlamentslinken in die Regierung

Der AfD-Erfolg hat auch bei der parlamentarischen Linken einen Effekt, der einen Rechtsruck darstellt, auch wenn er als Linksruck gehandelt wird. Seit der Wahl in Berlin ist ein Projekt wieder im Aufwind, um das sich seit fast zwei Jahrzehnten Sozialdemokraten in den unterschiedlichen Parteien bemühen: eine Regierung links von der Union.

Nun ist zumindest Sahra Wagenknecht aufgefallen, dass rein rechnerisch eine solche parlamentarische Mehrheit im aktuellen Bundestag bestünde. Sie forderte[8] den SPD-Vorsitzenden Gabriel auf, noch vor der nächsten Bundestagswahl die rechnerische zu einer realen Mehrheit werden zu lassen.

Es gebe dafür sogar schon einen Fahrplan. Im nächsten Jahr stehen Wahlen im wichtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen an. Sollten dort die drei Parteien der Reformlinken passabel abschneiden und die Union viele Stimmen an die AfD verlieren, könnte Gabriel einen der vielen Streitpunkte in der großen Koalition zum Anlass nehmen, aus der Regierung auszuscheiden und sich dann im Parlament zum Kanzler wählen zu lassen.

Dieser Paukenschlag würde, so die Hoffnung nicht nur von Wagenknecht, genügend Rückenwind für eine Mehrheit der Reformlinken im nächsten Bundestag geben. Der Fahrplan hört sich nicht schlecht an. Tatsächlich würde durch einen vorzeitigen Regierungswechsel der Eindruck erweckt, dass es bei den Wahlen tatsächlich um eine Richtungsentscheidung ginge.

Doch um welche Alternativen ginge es tatsächlich, in einem Land, in dem sich die Politik schon längst zugunsten der Wirtschaft selbst entmachtet hat? Welches Reformprogramm hofft Wagenknecht mit einem Kanzler Gabriel und einer neoliberalen Grünen Partei umzusetzen, die sich vielleicht lieber mit Kretschmann auf den Weg zu Schwarz-Grün machen will?

Erst zu Wochenbeginn hat Gabriel bei der Durchsetzung der CETA-Verträge in der eigenen Partei gezeigt, dass er ganz in der Tradition der SPD seit spätestens 1914 steht, die nie etwas beschließen wird, dass die Märkte und das Kapital verärgern könnte. Und wie hofft Wagenknecht neue Akzente in der Sozialpolitik zu setzen, wo aktuell die Bundesarbeitsministerin Nahles sich für angeblich sozialdemokratischen Akzente feiern lässt, bei der viele Erwerbslose und Migranten schlechter gestellt werden?

Ganz ausgeblendet wird zudem der gesamte Komplex der Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei müsste die Linkspartei als Preis für eine Teilhabe an der Regierung auch offiziell ihren Frieden mit Marktwirtschaft und Nato schließen. Was bleibt dann noch übrig, von dem Mantra aller Linksparteipolitiker, dass die Linke die Friedenspartei bleibt? Tatsächlich würde eine solche Regierungsbeteiligung die letzten oppositionellen Elemente der Linkspartei tilgen.

Unterschiede zu Spanien und Griechenland

Dass wäre umso fataler, als es in Deutschland anders als in Spanien und Griechenland keine starke außerparlamentarische linke Opposition gab und gibt. Wie Nikolas Huke in seinen informativen Buch über die Krisenproteste in Spanien[9] darlegt, war dort der Aufstieg von linken Protestparteien eine Folge der Erschöpfung der außerparlamentarischen Bewegung.

Die Aktivisten brachten aber einen konfrontativen Politikstil auch in die neuen Parteien. Doch schon nach kurzer Zeit passten sich die Parteien den parlamentarischen Gepflogenheiten an.

Huke spricht trotzdem von „einem erfolgreichen Scheitern“, das die spanische Gesellschaft veränderte. Er meint damit, dass die Protestbewegung Menschen in ihren Alltagskämpfen am Arbeitsplatz und im Kampf gegen Zwangsräumungen ermutige. In Deutschland gibt es bisher nur wenig Ansätze solcher emanzipatorischer Selbstermächtigung.

Wie werden aus individualisierten Niedriglöhnern selbstbewusste Lohnabhängige?

Dem Co-Vorsitzenden der Linken Bernd Rixinger ist zuzustimmen, wenn er in einem Beitrag für die Wochenzeitung Kontext über die Gründe des gegenwärtigen Rechtsrucks schreibt[10]:

Die Ursache dafür, dass es überhaupt ein gesellschaftliches Klima geben konnte, in dem man den Höckes und Petrys plötzlich zuhört, ist das Ergebnis einer Politik, die aus selbstbewussten Kumpels erpressbare Lohnarbeiter gemacht hat, die Niedriglöhner gegen Erwerbslose ausspielt, die soziale Spaltung befeuert und statt die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, Menschen zu hoch flexibilisierten Individualisten trimmt, die allein verantwortlich für ihr Schicksal und ihr Scheitern sein sollenBernd Rixinger

Bernd Rixinger

Der Linken-Vorsitzende hätte nur noch fragen müssen, wo seine Partei mehr dazu tun kann, dass aus flexibilisierten Lohnabhängigen wieder selbstbewusste kämpferische Lohnabhängige werden, die aus der Tradition der Arbeiterbewegung lernen können, ohne deren Pathos der Arbeit zu übernehmen.

Solange eine Linke innerhalb und außerhalb des Parlaments dazu nicht in der Lage ist, können AfD oder andere Rechte Erfolge verbuchen. Daher könnte ein neuer linksreformistischer Block, zu den ein Taz-Kommentator sogar die neue FDP zählt[11], in zweierlei Hinsicht einen Rechtsruck bedeuten. Zunächst werden die letzten transformatorischen Ansätze bei der Reformlinken über Bord geworfen und AfD und Co. können sich als die einzige Kraft gerieren, die die Gesellschaft noch verändern will.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49483/2.html

Anhang

Links

[1]

https://www.uhl-csu.de/

[2]

http://www.deutschlandfunk.de/csu-politiker-uhl-im-verhaeltnis-der-waehler-zu-den.694.de.html?dram:article_id=366278

[3]

http://www.sz-online.de/sachsen/besorgte-buerger-t67.html

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Patzelt-Pegida-Erklaerer-oder-versteher-2542334.html

[5]

https://www.facebook.com/atticusdresden/posts/1227743873965416:0

[6]

http://wjpatzelt.de/?p=965

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49339/

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/rot-rot-gruen-wagenknecht-ermuntert-gabriel-zu-machtwechsel.447.de.html?drn:news_id=658126

[9]

https://www.edition-assemblage.de/krisenproteste-in-spanien/

[10]

http://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/285/kein-herz-fuer-reiche-und-rechte-3867.html

[11]

http://www.taz.de/!5337177