Arbeitskämpfe ohne Gewerkschaftsapparat

INNSE, Emmely, Bellinzona: Aufsatzband beschreibt positive Beispiele von Arbeiterselbstorganisation
Zum Streik rufen die Gewerkschaften auf – oder auch nicht, wenn sie einen Kampf für aussichtslos halten. Dann kann es passieren, dass Arbeiterinnen und Arbeiter ihr Geschick selbst in die Hand nehmen, streiken, ihre Fabrik besetzen. Ein Sammelband beschreibt Beispiele von Selbstermächtigung.

Die Klage über den Machtverlust der Lohnabhängigen wird oft angestimmt. Doch der Kölner Publizist und Aktivist Christian Frings möchte in dieses Lamento nicht einstimmen. »Der Neoliberalismus hat den unmittelbaren Produzentinnen weniger ihre realen Machtmöglichkeiten beraubt als das Bewusstsein ihrer Macht«, schreibt er in seinem Aufsatz in dem im österreichischen ProMedia-Verlag erschienenen Buch mit dem Titel »Arbeitskämpfe im Zeichen der Selbstermächtigung«. In insgesamt fünf Aufsätzen werden darin autonome Arbeitskämpfe der letzten Jahre aus Deutschland, Österreich, Serbien, Frankreich und der Schweiz vorgestellt.

Christian Frings widerlegt in seinem Beitrag die These, dass es in Deutschland keinen Widerstand gegen die Krisenfolgen gäbe. Er sieht im Jahr 2004 den Wendepunkt. Nach dem Versagen des DGB, das mit dem Abbruch des Kampfes um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland offenkundig geworden sei, hätten Streiks ohne den DGB-Apparat an Bedeutung gewonnen. Vom wilden Streik bei Opel im Sommer 2004 über den monatelangen Lohnkampf bei Gate Gourmet bis zur Auseinandersetzung bei der Reinigungsfirma Klüh werden exemplarisch einige dieser Arbeitskämpfe dargestellt, über die ohne großen Gewerkschaftsapparat im Rücken oft nur auf die hinteren Seiten der Lokalmedien berichtet wurde.

Für die an den Auseinandersetzungen Beteiligten waren es wichtige Schritte der Selbstermächtigung. Sie sind aus der Ohnmachtshaltung ausgebrochen, dass man doch nichts an den Betriebsschließungen, Kündigungen und Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse ändern kann. Oft entstanden diese selbstbestimmten Auseinandersetzungen aus gewerkschaftlichen Kämpfen, die vom Apparat verloren gegeben wurden. Ein bundesweit bekannt gewordenes Beispiel, dass auch Frings in seinem Aufsatz erwähnt, ist die Kampagne für die Kassiererin »Emmely«, die nach ihrer aktiven Rolle beim ver.di-Streik im Einzelhandel mit der Beschuldigung gekündigt wurde, Pfandbons unterschlagen zu haben. Nicht ihre Gewerkschaft, sondern eine Gruppe von solidarischen Aktivisten haben die am Ende erfolgreiche Kampagne für die Wiedereinstellung der Kassiererin initiiert.

Besonders erfreulich ist, dass in Buch auch die Arbeitskämpfe in drei Ländern in den Fokus gerückt werden, die in der Regel nicht mit kämpferischen Belegschaften verbunden werden. So wird im letzten Kapitel gezeigt, dass das Modell der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung bei allen Mängeln im Alltag Bezug von Belegschaften ist, die sich gegen die Privatisierungspolitik der serbischen Regierung wehren.

Der Schweizer Basisgewerkschafter Rainer Thomann geht auf die Lohnkämpfe in einem Land ein, das hierzulande immer nur als Eldorado für Steuermillionäre wahrgenommen wird. Der erfolgreiche Arbeitskampf im Bahnreparaturwerk Bellinzona im Jahr 2008 hat in der Gewerkschaftslinken hierzulande Interesse geweckt. Thomas schildert die Hintergründe des Erfolgs und die Auswirkungen bis zum Streik bei der Maschinenfabrik INNSE in Mailand. Er macht auch deutlich, dass neben den Beschäftigten auch deren Familien Teil der Auseinandersetzung waren. Das ist ein Unterschied zur Situation beim von Thomas geschilderten Arbeitskampf 1974 in einer Schweizer Klavierfabrik, wo die Streikaktivisten ihre Frauen ausdrücklich aus den Konflikt heraushalten wollen.

Insgesamt ist es ein lesenswertes Werk. Das Buch macht Mut und schärft den Blick für Lohnkämpfe, die es nicht in die Schlagzeilen schaffen wie ein eintägiger Generalstreik, aber mehr Eigenaktivität der Basis erfordern.

Leder, Anna (Hg.) – ARBEITSKÄMPFE IM ZEICHEN DER SELBSTERMÄCHTIGUNG – Kollektive Gegenwehr in Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Österreich und Serbien, Promedia-Verlag, 2011, Wien, ISBN 978-3-85371-333-4, 224 Seiten, 17,90 Euro
Peter Nowak

http://www.neues-deutschland.de/
artikel/234368.arbeitskaempfe-ohne-gewerkschaftsapparat.html

Und keiner geht hin

Was bringt der politische Streik? Darüber diskutierten Gewerkschafter aus verschiedenen europäischen Ländern am Wochenende in Berlin.

Jahrelang seien die Gewerkschaftsfunktionäre nicht hinter ihren Schreibtischen hervorgekommen. Doch der Generalstreik habe alles verändert. Michael Pieber von der österreichischen Gewerkschaft der Privatangestellten berichtete fast schwärmerisch über den Generalstreik gegen die Rentenreform im Jahr 2003. Schließlich handelte es sich damals um den ersten landesweiten Streik seit 50 Jahren. Zum Vergleich: In Portugal gab es in den vergangenen 30 Jahren acht Generalstreiks. In Griechenland wurde in den vergangenen drei Jahren sogar ein Dutzend Mal der Generalstreik ausgerufen.

Am vergangenen Samstag kamen Gewerkschafter aus verschiedenen europäischen Ländern auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin zu einer Konferenz mit dem Titel »Politische Streiks im Europa der Krise« zusammen. Einen Grund für den Meinungsaustausch deutete Florian Wilde an, der Referent für Gewerkschaftspolitik bei der Stiftung: »Die massive Zunahme politischer Generalstreiks führte bisher leider nicht zu durchgreifenden Erfolgen der Gewerkschaften.«

Olga Karyoti lieferte eine Erklärungen dafür. Sie gehört der griechischen Übersetzergewerkschaft an, einer kleinen Gewerkschaft prekär Beschäftigter, die sich in den vergangenen Jahren jenseits der traditionskommunistisch und sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaftsverbände gegründet hat. Karyoti beschrieb den Generalstreik als ein Gewerkschaftsritual, das von den Vorständen oft ohne Basisbeteiligung beschlossen werde. Die jüngsten beiden Streiks seien zudem erst einen Tag vor Beginn bekannt gemacht worden. Entsprechend schwach sei die Beteiligung gewesen. Auch Deolinda Martin von der portugiesischen Lehrergewerkschaft hatte wenig Ermutigendes über die jüngsten Generalstreiks in ihrem Land zu berichten. Die Beteiligung sei sehr gering gewesen, die Streiks hätten die Gewerkschaften geschwächt. Nun wollen diese enger mit den sozialen Bewegungen kooperieren.

Aus Deutschland konnten keine Erfahrungen beigesteuert werden, weil Generalstreiks hierzulande rechtswidrig sind. Eine Organisation hessischer Gewerkschafter, die sich für das Recht auf einen politischen Streik einsetzt, war mit einem Informationsstand vertreten. Der Verdi-Bezirk Stuttgart plant zudem für nächstes Jahr eine weitere Konferenz, in der es auch um die Bedeutung politischer Streiks in Krisenzeiten gehen soll. Für eine ergiebige Debatte wäre es allerdings wohl sinnvoll, wenn auch Personen zu Wort kämen, die nicht dem DGB angehören.

Anna Leder wäre eine geeignete Referentin. »Selbstermächtigte Arbeitskämpfe tragen Elemente rätedemokratischer und syndikalistischer Konzepte in sich, indem sie Stellvertreterpolitik ablehnen und zum Mittel der direkten Aktion greifen«, schreibt sie im Vorwort des von ihr herausgegebenen Buches »Arbeitskämpfe im Zeichen der Selbstermächtigung«, das vor kurzem im Promedia-Verlag erschienen ist. Darin werden Arbeitskämpfe betrachtet, an denen die großen Gewerkschaften gar nicht oder nur am Rande beteiligt waren.

Der Kölner Autor Christian Frings diagnostiziert in seinem Beitrag eine deutliche Zunahme solcher Arbeitskämpfe in Deutschland. »Das Auftreten neuer, autonomer Formen des Arbeiterwiderstands muss auch als Reaktion auf den völligen Ausfall einer gewerkschaftlichen Abwehrpolitik in den Jahren zuvor verstanden werden«, lautet seine Einschätzung. Frings’ Skepsis bezüglich der Rolle des DGB ist gut begründet, allerdings bewertet er die selbstorganisierten Basiskämpfe doch etwas sehr optimistisch.

Dass man sich auf der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf den DGB konzentriert und andere Gewerkschaften ausgespart hat, ist ein Merkmal der Gewerkschaftspolitik der Linkspartei, der die Stiftung nahesteht. Der Parteivorsitzende und ehemalige Gewerkschafter Klaus Ernst verhielt sich denn auch ganz wie ein Funktionär. Nachdem er seinen Eröffnungsbeitrag gehalten hatte, eilte er zu anderen Terminen.

http://jungle-world.com/artikel/2012/19/45415.html
Peter Nowak