Wenn der Betriebsarzt mobbt und schweigt

Streit um Betriebsarztgutachten

Auseinandersetzung einer Pflegehelferin mit ihrem Arbeitgeber geht in die nächste Runde

Angelika Konietzko kritisierte die Arbeitsbedingungen bei einem Pflegedienst in Mitte – und verlor ihren Job. Jetzt streitet sie vor Gericht um ein Gutachten, das sie als »destruktive Person« beschreiben soll.

Darf Angelika Konietzko erfahren, ob ein Betriebsarzt ein Gutachten selber verfasst hat, in dem ihr Realitätsverlust, Schwarz-Weiß-Denken und destruktives Verhalten vorgeworfen wird? Diese Frage hatte das Amtsgericht Neukölln am Donnerstagmorgen zu klären. Eine Entscheidung wurde nicht gefällt. Zunächst will die Richterin klären lassen, ob nicht vielleicht das Landgericht zuständig ist.

Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Dort hatten Aktivisten von Erwerbslosengruppen und sozialen Initiativen Platz genommen. Der Fall sorgt dort seit Jahren für Aufmerksamkeit. Konietzko hatte als Pflegekraft in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke gearbeitet. Als sie sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter und unzumutbare Zustände für die Pflegebedürftigen wehrte, kam es zum Zerwürfnis mit dem Pflegedienst Mitte. Seitdem sehen sich beide Seiten nur noch vor Gericht (»nd« berichtete).

Der Arbeitgeber behauptet, Konietzko habe die Betriebsabläufe gestört. Die Betroffene sieht sich als Opfer von Mobbing, weil sie sich für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt hat. Dabei spielt die Stellungnahme des Betriebsarztes eine wichtige Rolle. »Dadurch wurde ich als destruktive Person stigmatisiert, obwohl mich der Arzt seit Jahren nicht gesehen hat«, beklagt Konietzko gegenüber »nd«.

Der Verdacht, dass die Stellungnahme nicht von ihm verfasst wurde, gründet sich auf mehrere Indizien. So ist die Unterschrift unleserlich und weicht beträchtlich von anderen Unterschriften des Arztes ab. Zudem soll das Schreiben in der gleichen Diktion verfasst worden sein, wie andere Schriftsätze des Pflegedienstes Mitte. Besonders misstrauisch wurde Konietzko aber, als der Arzt ihr die Antwort auf die Frage, ob er den Text geschrieben hat, mit Verweis auf seine Schweigepflicht gegenüber der Betriebskrankenkasse verweigerte. Auch ein Antrag, bei dem Landesbeauftragen für Datenschutz bracht für die Frau keinen Erfolg. Der Arzt richtete auch an diese Behörde ein Schreiben, dass Frau Konietzko ausdrücklich nicht lesen durfte. Die Datenschutzbehörde hat mittlerweile gegenüber der Betroffenen erklärt, sie werde das Schreiben nach dem Willen des Arztes geheim halten. Sie könne die Behörde verklagen.

Mittlerweile hat Konietzkos Anwalt die Klage um diesen Punkt erweitert. Er sieht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, wenn Fragen über Autoren medizinischer Stellungnahmen über die eigene Person geheim gehalten werden.

Auch bei vielen Prozessbesuchern stieß diese Praxis auf Unverständnis. »Es ist schließlich ein Unterschied, ob ein Arzt oder eine Privatperson erklärt, jemand sei eine destruktive Persönlichkeit. Als Stellungnahme eines Mediziners kann eine solche Aussage gravierende Auswirkungen auf die beurteilte Person haben«, meine Anne Allex, die seit Jahren in der Erwerbslosenberatung tätig ist.

Peter Nowak

Pflegehelferin scheitert mit Klage wegen Mobbing

PROZESS Klägerin will vor europäisches Gericht ziehen. Sie hatte Arbeitsbedingungen kritisiert

Eine Pflegehelferin ist mit ihrer Klage gegen den Pflegedienst Mitte wegen Mobbing gescheitert. Angelika-Maria Konietzko hatte in einer Demenz-Wohngemeinschaft des Pflegedienstes gearbeitet, bis es zum Zerwürfnis kam. Über die Gründe gab es vor dem Landesarbeitsgericht unterschiedliche Auffassungen. Der Anwalt des Pflegedienstes, Georg Hartmann, sagte, sie habe den Betriebsablauf gestört. „Ich machte auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die unzumutbaren Bedingungen für die Pflegebedürftigen aufmerksam, wurde gemobbt und bin dadurch krank geworden“, sagte dagegen Konietzko vor Gericht.

Der Anwalt habe sie zudem abends an ihrer Arbeitsstelle aufgesucht und zur Kündigung gedrängt, was sie abgelehnt hatte. Hartmann betonte, das Vorgehen sei mit seinen Mandanten abgestimmt gewesen, Druck habe er nicht ausgeübt. Konietzkos Verteidiger Reinhold Niemerg hingegen übt Kollegenschelte: Ein solches Vorgehen gehöre nicht zum Aufgabenbereich eines Anwalts und sei ihm völlig unverständlich: „Hier geht es um betriebliche Belange und die Rechte von Beschäftigten im Pflegebereich.“

Das Arbeitsgericht wies Konietzkos Klage am Dienstag zurück, sie muss nun die Kosten tragen. Schon jetzt droht der 46-Jährigen Erzwingungshaft – aufgrund der Weigerung, bisher entstandene Verfahrenskosten in Höhe von 1.000 Euro zu begleichen. Angelika-Maria Konietzko will nun weiterklagen und hofft auf die europäischen Gerichte. Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch hatte 2005 Missstände bei Vivantes aufgedeckt. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritt sie im vergangenen Jahr einen Sieg – in Deutschland hatte sie zuvor in allen Instanzen verloren.

Homepage der Solidaritätsgruppe Angelika-Maria Konietzko:
http://konietzko.blogsport.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F11%2F28%2Fa0152&cHash=661006f4e2feab11a38711d30aa70faa

Peter Nowak