Ein Recht auf Meinung

Äußerung zu Militanz gegen rechts endet für Antifaschisten mit Freispruch

Für den Antifaschisten Bernd Langer war es ein gänzlich unerwartetes Weihnachtsgeschenk. Wenige Tage vor dem Fest erreichte ihn ein Schreiben der Berliner Justiz, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass der Senat des Berliner Kammergerichts ein Urteil des Landgerichts vom April 2017 aufgehoben und Langer freigesprochen hat. Sämtliche Kosten des Verfahrens werden von der Landeskasse übernommen. „Diese Entscheidung freut mich besonders, weil selbst mein Rechtsanwalt nicht mehr mit einem Freispruch gerechnet hat“, so Langer gegenüber der taz. Der langjährige Chronist der linken Szene war in zwei Instanzen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er eine Straftat gebilligt und damit den öffentlichen Frieden gestört haben soll.

Angriff auf rechte Zeitung

Das Corpus Delicti war ein Interview, dass Langer der Tageszeitung Neues Deutschland über die Geschichte der autonomen Antifabewegung gegeben hatte. Dabei ging es um unterschiedliche Aktionsformen im antifaschistischen Kampf. Militanz gegen rechte Strukturen wurde dort ebenso erwähnt wie die Beteiligung an Bündnisdemonstrationen. In diesem Zusammenhang fiel auch der inkriminierte Satz, der Lange ein fast dreijähriges Gerichtsverfahren einbrachte. „Es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994. Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktion gewesen.“

Zwei Instanzen sahen diese Äußerung nicht durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt und verurteilten Langer zu Geldstrafen. Sein damaliger Anwalt sah keine Chancen mehr für einen Freispruch. Doch Langer suchte sich einen neuen juristischen Beistand und klagte weiter. Eine Schlappe ist sein Freispruch für den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Der hatte die Anklage gegen Langer ins Rollen gebracht.

aus Taz vom 28.12.2017

Peter Nowak

Stören Meinungsäußerungen den Frieden?

WIDERSTAND Prozess um Antifa-Aktivisten, der Anschlag auf rechte Zeitung lobte, wird neu aufgerollt
BERLIN taz | Darf man einen längst verjährten Anschlag auf die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit loben? Diese Frage wird das Gericht noch länger beschäftigen. Am Dienstag beschloss das Berliner Landgericht, ein diesbezügliches Verfahren noch einmal neu aufzurollen.
Im September 2015 war Bernd Langer, Antifa-Aktivist und Chronist der linken Bewegung, wegen Billigung einer Straftat und Störung des öffentlichen Friedens zu einer Geldstrafe von 500 Euro verurteilt worden (taz berichtete). Er hatte 2014 in einem Interview mit der Tageszeitung Neues Deutschland, das sich um die Geschichte der autonomen Antifabewegung in der BRD drehte, auch einige Bemerkungen zu einen Anschlag auf die Druckere der rechte Wochenzeitung Junge Freiheit aus dem Jahr 1994 gemacht. „Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktion gewesen“, so Langer in dem Interview. Das Verfahren hatte der ehemalige Generalbundesanwalt und langjährige Junge-Freiheit-Autor Alexander von Stahl ins
Rollen gebracht. Auch die sächsische AfD hatte in einer Pressemitteilung das Interview als Beispiel für die Billigung linker Gewalt angeführt. Zunächst sollte Langer eine Strafe von 3.000 Euro zahlen, die das Berliner Amtsgericht im September 2015 auf 500 Euro reduzierte. Dagegen legte Langer Berufung ein. Doch am 12. September wollte das Berliner Landgericht nicht über den Fall urteilen,
weil ihr Informationen zu der Aktion gegen die Junge Freiheit fehlen. Daher beschloss das Gericht, beim nächsten Termin LKA-BeamtInnen aus Thüringen zu laden, die 1994 nach dem Anschlag auf die Junge Freiheit in Weimar ermittelten. Langers Anwalt Sven Richwin hätte sich eine Einstellung des Verfahrens gewünscht, sieht aber die Hinzuziehung von ZeugInnen positiv. „Das Gericht wird sich mit unserer Argumention beschäftigen, dass mein Mandat mit dem Interview den öffentlichen Frieden schon deshalb nicht gestört haben kann, weil schon den meisten LeserInnen des Neuen Deutschland der Anschlag auf die Junge Freiheit nicht bekannt war“, erklärte der
Anwalt gegenüber der taz. Langer fordert weiterhin einen Freispruch. „Es muss nach mehr als zwanzig Jahren möglich sein, ohne Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen über die Aktion zu diskutieren“, betonte er.
aus Taz vom 13.4.2016
Peter Nowak

„Eine Superaktion“

JUSTIZ Antifa-Chronist muss für sein Lob eines Anschlags auf Rechtspostille „Junge Freiheit“ blechen

BERLIN taz | 500 Euro Geldstrafe lautet das Urteil des Berliner Amtsgerichts am Dienstag für den Antifa-Aktivisten Bernd Langer. Dieser, so der Richter, habe in einem Interview mit der Tageszeitung Neues Deutschland im letzten Jahr einen Anschlag auf die Druckerei der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit vor 21 Jahren gebilligt  und damit den öffentlichen Frieden gestört. In dem Interview, das vor Gericht verlesen wurde, diskutierte Langer mit einem Alt-Autonomen über die Politik der Antifa-Bewegung der 80er Jahre. Dabei ging es um unterschiedliche Aktionsformen: Militanz gegen rechte Strukturen, aber auch die Beteiligung an Bündnisdemonstrationen. In diesem Kontext wollte Langer den Eindruck entgegentreten, die konspirative Phase der Autonomen Antifa sei Ende der 80er Jahre zu Ende gewesen. „Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994“, erklärte er im Interview.  Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen–, war das eine Superaktion gewesen.“ Vor allem die letzten Bemerkungen hätten für die Verurteilung den Ausschlag gegeben, sagte der Richter. Das Verfahren hatte der ehemalige Generalbundesanwalt und langjährige Junge Freiheit-Autor Alexander von Stahl ins Rollen gebracht. Langers Anwalt Sven Richwin plädierte dagegen auf einen Freispruch: Die Formulierung zu dem Anschlag sei so allgemein gehalten, dass von der Billigung einer Straftat nicht die Rede sein könne. Zudem sei die Tat bereits verjährt. Es müsse nach mehr als zwei Jahrzehnten möglich sein, ohne Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen über die Aktion zu diskutieren. Zumal sich Langer mit verschiedenen Büchern als Chronist der autonomen Bewegung einen Namen gemacht habe. „Wieder einmal springt die deutsche Justiz der politischen Rechten hilfreich zur Seite“, erklärte Langer in einer Prozesserklärung und verwies auf den Anzeigensteller Alexander von Stahl. Dass der ursprüngliche Strafbefehl von 3.000 Euro nun stark reduziert wurde, hat für Langer keine Bedeutung. Er will nun Berufung einlegen – und notfalls durch alle Instanzen für einen Freispruch kämpfen. „Es geht mir nicht um das Geld, sondern ich wehre mich gegen einen politischen Prozess“, begründete dies Langer gegenüber der taz.
aus  TAZ vom MITTWOCH, 23. SEPTEMBER 2015
Peter  Nowak

3000 Euro Strafe für ein Interview

Gegen das frühere Mitglied der Göttinger Antifa (M), Bernd Langer, hat ein Berliner Amtsgericht Strafbefehl erlassen. Er soll in einem Interview eine Straftat gebilligt und den »öffentlichen Frieden« gestört haben. Doch Langer will das nicht akzeptieren.

»Der vergessene Terror« lautete die Überschrift ­einer Kolumne in der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) am 4. Dezember 2014, in der Chefredakteur Dieter Stein natürlich nicht an Angriffe gegen Geflüchtete oder die Morde des »Nationalsozialistischen Untergrundes« erinnerte. Am 4. Dezember 1994 hatte ein Feuer in der damaligen JF-Druckerei in Weimar zahlreiche Maschinen zerstört und das Erscheinen des Blattes für einige Wochen verhindert. 20 Jahre später nutzte der langjährige JF-Geschäftsführer und Ex-Republikaner das Jubiläum, um sich als Opfer von Linken und Liberalen zu gerieren: »Der Brandanschlag auf die JF-Druckerei hätte damals zu ­einem Aufschrei führen, die Gefahren linksextremer Gewalt schlagartig im Fokus der Medien und Politik stehen müssen. Doch das Schweigen der Öffentlichkeit war entlarvend. Klammheim­liche Freude spiegelte sich bei linken Medien wie der Taz, die großflächig das Bekennerschreiben der Linksterroristen publizierte«, echauffierte sich Stein in seiner Kolumne. Auch der AfD-Landesverband Sachsen nutzte das Jubiläum für eine Pressemitteilung »zum Brandanschlag auf die Pressefreiheit vor 20 Jahren«. In dem kurzen Text der sächsischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Frauke Petry geht es vor allem um die Gegenwart: »Das geistige Klima, in dem Gewalt gegen politisch Andersdenkende oder deren Existenzgrundlagen in Deutschland wachsen konnte, herrscht noch immer vor.« Die inzwischen nach dem gewonnenen Flügelstreit mit Parteigründer Bernd Lucke zur Bundesvorsitzenden aufgestiegene Petry empörte sich besonders über die Äußerungen von zwei Zeitzeugen der Geschichte der ­Autonomen Antifa: »Nun veröffentlichte das Blatt Neues Deutschland ein Interview mit zwei ehe­maligen ›autonomen Antifaschisten‹, die das Attentat im Nachhinein als ›Superaktion‹ feierten, die ›reingehauen‹ habe.«

Auch Alexander von Stahl ließ das Treiben der antifaschistischen Veteranen, die sich über eine längst verjährte Straftat äußerten, nicht ruhen. Der ehemalige Generalbundesanwalt bezeichnete sich in einem Interview der JF als einen jener Nationalliberalen, die »den klassischen Liberalismus à la Adam Smith und August von Hayek mit einem gesunden Schuss Patriotismus kombinieren, also nicht gleich fünf Zentimeter kleiner werden, wenn der Begriff Deutschland fällt oder die bei diesem Wort politisch korrekt nur an ewige Schuld und Sühne denken können«. Stahl nun alarmierte die Justiz. Am 18. Juni 2015 schließlich stellte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten Bernd Langer einen Strafbefehl über 60 Tagessätze à 50 Euro zu. 3 000 Euro soll er zahlen, weil er öffentlich eine Straftat »in einer Weise« gebilligt habe, die geeignet sei, den »öffentlichen Frieden zu stören«.

In dem ND-Interview ging es um die Geschichte der Autonomen Antifa der letzten 40 Jahre. Dabei spielte das Verhältnis von Militanz und Bündnispolitik eine wichtige Rolle. Bernd Langer trat in dem Gespräch dem Eindruck entgegen, seit den neunziger Jahren hätten Autonome Antifaschisten nur noch Bündnisse gegen rechts geschmiedet. »Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994. Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktion gewesen«, erinnerte sich Langer. »Es gab auch weitere Interventionen. Nicht mehr so viele, klar, weil es diese Art Antifa-Organisierung und die Leute nicht mehr gab. Ich finde aber nicht, dass der Antifa-Kampf nach den 1980er Jahren nicht mehr militant geführt wurde. Da würde ich den Genossinnen und Genossen, die bis heute viel riskieren, doch Unrecht tun«, resümierte Langer in dem Interview. Dass ihm in dem Gespräch wichtig war, die Vielfalt der Aktionsformen der Autonomen Antifa zu betonen, hat Gründe, die vielen jüngeren Antifaschisten heute kaum noch bekannt sein dürften.

Langer, der bereits in den achtziger Jahren in der Norddeutschen Antifa-Koordination, der bundesweit ersten autonomen Antifastruktur, aktiv war, wurde das bekannteste Gesicht der Göttinger Autonomen Antifa (M). Die hatte für viele junge Antifaschisten wegen der von ihr organisierten autonomen schwarzen Blöcke in den frühen neunziger Jahren eine große Attraktivität. Jahrelang führten dunkelgekleidete, vermummte Menschen in Göttingen die Demonstrationen an. In den hinteren Reihen liefen auch örtliche Politiker der SPD und der Grünen mit. Was bundesweit viele jungen Antifaschisten mobilisierte, sorgte innerhalb der Autonomen Antifabewegung in den neunziger Jahren für Kritik. Unabhängige autonome Antifaschisten warfen damals der Antifa (M) vor, ihre Blöcke seien eher Theater als militante Politik. Langer wollte dagegen in dem inkriminierten ND-Interview klarstellen, dass für die Antifa (M) und die von ihr wesentlich mitinitiierte Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) eine Bündnispolitik bis weit ins linksliberale Milieu und eine militante Praxis gegen rechte Strukturen kein Widerspruch waren.

In den vergangenen Jahren hat Langer als Autor zahlreicher Bücher über die außerparlamentarische Linke und als Initiator des Projekt Kunst und Kampf (KuK) eine wichtige Rolle bei der Darstellung linker Geschichte gespielt. In dem Strafbefehl, den er nicht akzeptiert, sieht er auch eine Kriminalisierung dieser Arbeit. »Es geht mir nicht um die Höhe der Strafe, sondern ums Prinzip«, begründete er im Gespräch mit der Jungle World, warum er sich politisch wehren wird. Er erinnert an das Vorgehen der Justiz gegen den Verfasser und die Verbreiter des Mescalero-Aufrufs im Deutschen Herbst 1977. Damals wurden unter dem Vorwurf, »klammheimliche Freude« (wie es in dem Aufruf hieß) an dem Attentat der RAF auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback verspürt zu haben, bundesweit unabhängige linke Gruppen kriminalisiert, Buchläden und Druckereien durchsucht. »NS-Täter trafen sich noch nach Jahrzehnten in Traditionsverbänden, wo sie ihre Verbrechen feierten und von Politikern mit Grußadressen bedacht wurden. Die wurden nie wegen Billigung von Straftaten belangt«, betont Langer. So will er auch argumentieren, wenn am 22. September ab 10.30 Uhr vor dem Berliner Amtsgericht über seinen Strafbefehl verhandelt wird.

http://jungle-world.com/artikel/2015/36/52599.html

Peter Nowak