Das Problem der Linken: Sie muss einen Alleingang von Wagenknecht fürchten - mehr als ihr Verbleiben und ewigen Streit innerhalb der Partei

Die Linkspartei und die Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde

Dass sich in ihrem knapp 250 Seiten dicken Buch "Die Selbstgerechten" auch einige zutreffende Passagen finden, ist nicht verwunderlich. So ist ihre Verteidigung des Säkularismus und ihre Kritik an zu viel Toleranz gegen islamistische Bestrebungen nicht falsch, wurde allerdings schon seit Jahren von außerparlamentarischen Linken vertreten. Dass Wagenknecht auch in der Tendenz richtige Sachverhalte auf Stammtischniveau runterbricht, zeigt sich beispielsweise da, wo sie behauptet, dass der politische Islam schon deshalb nicht zu Deutschland gehören kann, weil er gar nicht zu dem Land gehören will.

„Ein Angstwahlkampf ergreift alle Parteien“, so der plakative Titel der Vorwahlbetrachtungen des Publizisten Albrecht von Lucke am Montag im Deutschlandfunk. Die Quintessenz seiner Betrachtungen knapp 5 Monate vor den Bundestagswahlen sind nicht überraschend. Die Grünen werden nun stärker in die Kritik geraten, ihre momentane Erfolgswelle in Umfragen kann trügerisch sein. In der Union werden die Stimmen bis zu den Wahlen nicht verstummen, die daran zweifeln, ob mit Laschet Wahlen zu gewinnen sind, was wiederum nicht unbedingt Stimmen bringt. Die SPD ist die große Unbekannte. Angesichts ihrer Umfragewerte unter 18 Prozent kann es für sie schon ein Erfolg sein, wenn sie an die 20 Prozent kommt. FDP und auch AfD könnten besser abschneiden, als ihnen aktuell zugetraut wird, so Lucke. Nur über eine Partei …

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Kommentar: Die Ausrufung von Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten ist eher symbolisch. Er ist bereit, die Niederlage zu verantworten. Der Streitpegel in der SPD-Führung dürfte wieder steigen

Alles „truly Sozialdemokraten“

Nach der Kanzlerkandidatur von Scholz müsste allerdings noch ein Aspekt der Kritik hinzukommen. Er war als Regierender Bürgermeister von Hamburg für die massive Polizeigewalt anlässlich der Proteste gegen das G20-Treffen im Jahr 2017 verantwortlich und leugnet bis heute jegliche Polizeigewalt.

Nach Martin Schulz wurde mit Olaf Scholz erneut ein Anhänger der Schröder-SPD einstimmig zum Kanzlerkandidaten gewählt. Dabei versucht die SPD seit Jahren den Eindruck zu erwecken, sie wolle das Erbe der Schröder-SPD endlich hinter sich lassen. Darauf sprangen verschiedene Medien an und warfen meist mit kritischen Untertönen der SPD vor, den erfolgreichen Schröder-Kurs zu verlassen. Erfolgreich war die Agenda-2010-Politik für den Wirtschaftsstandort Deutschland, und der ist der SPD natürlich noch immer ein besonderes Anliegen. Daher wurde die Diskussion auch immer unter falschen Prämissen geführt. In Wahrheit will sich niemand in der SPD …..

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Der SPD-Rechte wird genau für das kritisiert, was ihn bisher zum besonders geeigneten Kanzlerkandidat gemacht hat: Er erfüllt der deutschen Wirtschaft ihre Wünsche möglichst schon, bevor sie sie formuliert

Wirecard, Olaf Scholz und die große Heuchelei

Zur Mafia wird ein kapitalistisches Unternehmen dann, wenn es bei der Durchsetzung seiner kapitalistischen Methoden öffentlichen Unmut erzeugt. Wären die Wirecard-Verantwortlichen Bürger der USA hätte man vielleicht die Heuschrecken-Metapher wieder aus dem Inventar einer regressiven Kapitalismuskritik geholt, wie es Franz Müntefering, ein vor 15 Jahren bekannter SPD-Politiker, praktiziert hat.

Nach dem von Protesten begleiteten G20-Treffen in Hamburg galt Olaf Scholz 2017 als angeschlagener Bürgermeister. Das hinderte ihn nicht, in der SPD Karriere zu machen. Dass er bis heute beharrlich die vielfach dokumentierte Polizeigewalt gegen die Gipfelgegner leugnet, war für Scholz natürlich keine Karrierebremse in einer Partei, die den selbsternannten Bluthund gegen die eigene Basis, Gustav Noske, nicht einmal posthum ausgeschlossen hat. Als Scholz dann im SPD-internen Streit um den Parteivorsitz unterlag, wurde er Ende letzten Jahres in den Medien erneut als angeschlagen bezeichnet. Nur wenige Monate später wurde der gleiche Politiker zum ….

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Nach Merz: Viel Lärm um nichts bei CDU und SPD

Hoffnungen, die mit dem Kandidaten Friedrich Merz verbunden wurden, übersehen wesentliche Probleme beider Parteien

Der Bedeutungsverlust der politischen Parteien kann von niemandem mehr bestritten werden. Doch je deutlicher das wird, desto mehr versuchen die Parteien mit Showelementen die Aufmerksamkeit der verdrossenen Bevölkerung auf sich zu lenken. Die USA haben es schon lange vorgemacht, wie man mit einer Show, die sich Vorwahlen nennt, Gelder und Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die CDU hat nun eine Art Vorwahlen hinter sich und heraus kam AKK. Schon in dem Kürzel wird die Beliebigkeit deutlich, die hinter einer Charaktermaske steckt, die für alles und nichts steht. Es soll hier auch nicht weiter verwendet werden, weil damit einer Banalisierung von Herrschaftsverhältnissen Vorschub geleistet wird. Genau wie der erste grüne Außenminister Joseph Fischer bleibt, heißt die neue CDU-Vorsitzende hier Kramp-Karrenbauer. In ihrer Beliebigkeit ähneln sich die alte und die neue CDU-Vorsitzende. Mit ihrer Beliebigkeit und ihrem Opportunismus sind sie die idealen Verwalter des aktuellen Spätkapitalismus.

Kein Zurück in die 1980er Jahren

Da mögen in der Union sich manche Altkonservative noch mal Inspiration vom Kandidaten Friedrich Merz versprochen haben. Sie erhoffen sich von ihm ein Zurück in das Westdeutschland der 1980er Jahre, als die Union noch Wahlergebnisse über 40 % einheimste. Doch Merz hätte damit nur scheitern können, weil sich weder der Stand des Kapitalismus noch die Gesellschaft zurückdrehen lassen.

Da entschied sich die knappe Mehrheit der Union dann doch für die unverbindliche Kramp-Karrrenbauer, weil sie wegen ihrer Biegsamkeit nicht so hart scheitern kann wie ein Friedrich Merz. Hatten sich bis vor der Wahl alle Kandidaten selbst übertroffen in Eigenlob, welch gute Show sie in den letzen Wochen in der Partei geboten haben, so wurden aus Partnern wieder Konkurrenten, kaum waren die Stimmen ausgezählt.

Vor allem die Ostverbände der Union mosern, weil sie sich von Friedrich Merz mehr Rückenwind bei den Wahlen versprochen hätten. Dann sind sie auch noch bei der Wahl des Generalsekretärs leer ausgegangen. Aber das ganze Gejammer der rechten CDUler aus dem Osten, viele sind selbst Westimporte, wurde von der Mehrheit der Delegierten überhört, weil Umfragen zeigen, dass in den Großstädten Kramp-Karrenbauer beliebter als Merz war.

Und warum im Osten ausgerechnet der westdeutsche Ultrakapitalist Merz der Union Stimmen gebracht hatte, bleibt das Geheimnis seiner Fans. Auf diesen Widerspruch wies der linksliberale Publizist Albrecht von Lucke in einer Diskussionsrunde [1] im Deutschlandfunk hin unter der Fragestellung „Wohin steuert Annegret-Kramp-Karrenbauer die CDU?“. Doch er problematisiert nicht, was die Merz-Fans im Osten eigentlich umtreibt.

Sie träumen von einer Union, die die Oberhoheit über den rechten Stammtischen hat. Sie trauern Zeiten nach, als im Wendeherbst 1989 rechte Demonstranten gegen Linke und Nichtdeutsche hetzten und gleichzeitig Helmut Kohl hochleben ließen [2]. Dass auch Exponenten des Wendeherbstes 1989, die sich gegen die Ultrarechten heute positionieren, den Anteil der Rechten vor 19 Jahren kleinreden wollen, zeigt ein Interview [3] des DDR-Oppositionellen Martin Böttger in der taz.

Frage: Sie haben die Friedliche Revolution 1989 mitgestaltet. Es gibt Stimmen, die sagen, dass damals schon Rechtsextreme Anteil am Sturz der SED-Herrschaft hatten. Zu Recht?
Dafür hätte ich gerne Belege. Ich kenne auch keine solchen Akteure. Die, die ich kenne, kamen aus dem linken Milieu.

Martin Böttger, Interview mit der taz

Als ihm der Verfasser die vermissten Belege mit Quellen zusandte, kam keine Reaktion. Daraus kann eigentlich nur der Schluss gezogen werden, dass er sich bloßgestellt fühlt, weil er schon vorher wusste, dass seine Aussagen nicht stimmen. Es wäre zu wünschen, dass eine Initiative junger Menschen aus dem Umfeld der Linkspartei, die sich eine Aufarbeitung der Wendezeit vorgenommen haben, sich auch mit der Frage befasst, welche Rolle die Rechte im Herbst 1989 hatte und wieweit sie auch von Westparteien unterstützt wurde.

Allerdings wird sich erst zeigen, ob ihr merkwürdiger Name Aufschwung Ost [4] und ihre Forderung nach einer „Ossi-Quote“ nicht doch Satire sind. Sollte sich darin ihre Politik erschöpfen, ist ihr Emanzipationsgehalt eher gering. Dabei wäre eine kritische Aufarbeitung der Wendeereignisse ein wichtiges linkes Politfeld.

SPD hoffte vergeblich auf Merz

Auf die SPD wird man darauf, wie bei allen linken Themen, keine Hoffnungen zu setzen brauchen. Sicher wird es zum Wendejubiläum auch aus der SPD die eine oder andere Mäkelei geben. Doch eine grundsätzliche Kritik an der Übernahme der DDR nach dem Modell Kohl, wie sie die SPD 1989 äußerte, wird sie schon deshalb nicht wiederholen, weil sie vom damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine kam.

Der ist noch immer Sozialdemokrat, aber bekanntlich nicht mehr in der SPD. Mit ihm haben fast alle, die noch klassisch sozialdemokratische Politik machen, das heißt, den Kapitalismus nationalstaatlich einhegen wollen, die Partei verlassen. Einige Nachzügler verließen die Partei erst kürzlich, darunter der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow [5] und die sozialdemokratische Gewerkschaftlerin Susanne Neumann [6], die dadurch bekannt wurde, dass sie sich als prekär Beschäftigte noch die Mühe machte, der SPD ihre Politik um die Ohren zu hauen.

Beide wären sicher Bündnispartner der Linken. Dass sie erstmal auf Distanz bleiben, ist deren internen Konflikten geschuldet. Sowohl Bülow als auch Neumann sind in der linksparteiintern umstrittenen Bewegung „Aufstehen“ aktiv. Sollten sich die Wege zwischen der Linken und „Aufstehen“ endgültig trennen, woran in beiden Lagern einige hinarbeiten, könnten beide noch eine Rolle in neuen Formationen spielen.

Die hausgemachte Krise der SPD

Doch die SPD kann weder von dem internen Zwist in der Linken noch von der auch nach dem Parteitag ungeklärten Lage in der CDU profitieren. Ihre Krise ist hausgemacht. Nicht nur immer mehr Wähler fragen sich, wozu die SPD noch gebraucht wird. Auch viele Mitglieder können es nicht wirklich erklären. So begründet [7] die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland, warum es sich lohnt, in der SPD so bleiben, wie folgt:

Die SPD vereinigt Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Anschauungen. Ihnen gemeinsam ist die Identifikation mit den sozialdemokratischen Grundwerten „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“, welche wichtige Referenzpunkte für linke Politik sind.

Annika Klose, Neues Deutschland

Hundert Jahre nachdem die SPD-Führung in Berlin und anderen Städten auf Menschen, die für Freiheit, Gleichheit und Solidarität auf die Straße gingen, schießen ließ, hätte man sich von einer SPD-Linken ein kritischeres Bild von der eigenen Partei erwartet.

Doch die Jusos von heute sind die Führungsfiguren der Partei in den nächsten Jahren. Daher haben die Jusos von heute gar keine Zeit mehr, sich in jugendlicher Opposition zu üben. Schon wird Kevin Kühnert als möglicher SPD-Vorsitzender gehandelt, wenn vielleicht nach einem desaströsen Ausgang der Europawahlen Nahles gehen muss. Das bringt der SPD genau so wenig eine neue Perspektive, wie für sie die Wahl von Merz auf dem CDU-Vorsitz eine Rettung gewesen wäre.

Nach Außen hätte die SPD etwas Klassenkampf zelebriert. Wie das Verhältnis wirklich steht, hat der DGB-Vorsitzende mit SPD-Parteibuch, Reiner Hoffmann, der Neuen Ruhr Zeitung verraten [8]:

Frage: Ist Merz der Arbeitnehmerschreck, als der er oft dargestellt wird? Er wollte vor 15 Jahren den Kündigungsschutz extrem lockern und die 42-Stunden-Woche einführen.
Ich bin kein schreckhafter Mensch und treffe Friedrich Merz regelmäßig in der „Atlantikbrücke“. Merz hat dazugelernt und weiß, dass die neoliberalen Zeiten der CDU vorbei sind. Wenn er Nachhilfe braucht bei der Mitbestimmung oder bei der Tarifautonomie, dann stehe ich gern zur Verfügung.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, NRZ

Noch einige Streitpunkte

Nun kann die SPD-Führung hoffen, dass die Union bei der Frage um die Strafbarkeit der Werbung für Abtreibung einige Profilierungsmöglichkeiten [9] lässt. Kramp-Karrenbauer hat sich bereits gegen eine Reform des Paragrafen 219a [10] ausgesprochen.

Es wird sich zeigen, ob die SPD zumindest in dieser Frage den Druck einer starken außerparlamentarischen Bewegung [11] nachkommt.

Der UN-Migrationspakt und die Linke des Kapitals

Natürlich sind die SPD wie auch ein Großteil der Linkspartei treue Verteidiger des kürzlich abgenickten UN-Migrationspakts. An diesem Fall zeigt sich das Elend einer Linken, die nur das Wort Migration hört und schon alle, die die diesen Pakt kritisieren, in die rechte Ecke stellen. Damit geht sie den Interessen des Kapitals ebenso auf dem Leim wie der Kampagne der AfD und anderer rechter Kräfte.

Dabei hat der UN-Migrationspakt nichts mit Geflüchteten zu tun. Er soll die Migration im Interesse des Kapitals regulieren. Merkel sagte deutlich, dass damit „illegale Migration“ bekämpft werden soll. Es geht um Migration unter Kontrolle des Staates und im Interesse des Kapitals. Wenn Merkel dann noch erklärt, nicht Schleuser und Schlepper, sondern der Staat müsse entscheiden, wer einwandern darf, hätte es die AfD auch nicht anders ausdrücken könne. Für solch einen Pakt treten Linke in vielen Ländern ein. Der Journalist Pepe Egger hat in der Wochenzeitung Freitag gut begründet, was ihn bei der Debatte um den Migrationspakt nervt [12]:

Ich glaube, ich weiß jetzt, woher mein Puls rührt: Weil wir so etwas wie den UN-Migrationspakt noch bis vor wenigen Jahren kritisiert hätten. Aber von links. Wir hätten die Abschottungspolitik angeprangert, die Militarisierung der Grenzen, die erzwungenen Rückführungen und die Abschiebungen. Wir hätten Allianzen gebildet, nicht die einen gegen die anderen ausgespielt.

Pepe Egger, Wochenzeitung Freitag

Von der SPD erwartet jeder, dass sie im Interesse von Staat und Kapital handelt. Aber gibt es auch außerhalb dieser Partei fast nur noch Linke des Kapitals?

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4247105
https://www.heise.de/tp/features/Nach-Merz-Viel-Laerm-um-nichts-bei-CDU-und-SPD-4247105.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.deutschlandfunk.de/nach-merkel-wohin-steuert-annegret-kramp-karrenbauer-die-cdu.1784.de.html?dram:article_id=435306
[2] https://www.heise.de/tp/features/Der-blinde-Fleck-in-der-Debatte-4180355.html
[3] http://www.taz.de/!5542009/
[4] https://www.facebook.com/pages/category/Political-Organization/Aufbruch-Ost-3291890190836053/
[5] https://www.marco-buelow.de/
[6] https://www.tagesspiegel.de/politik/schlagfertige-gewerkschafterin-fruehere-putzfrau-susanne-neumann-verlaesst-die-spd/23720420.html
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1107021.linke-in-der-spd-es-lohnt-sich-zu-kaempfen.html
[8] https://www.nrz.de/politik/dgb-chef-hoffmann-lehnt-gruenen-plaene-fuer-hartz-iv-ab-id215815093.html
[9] https://www.tagesschau.de/inland/abtreibungen-werbeverbot-koalition-101.html
[10] https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html
[11] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/
[12] https://www.freitag.de/autoren/pep/grosse-aufregung

Die kapitalistischen Verwertungszwänge sind die „Mutter aller Probleme“, nicht die Migration

Warum die Aufstehen-Bewegung trotz vieler berechtigter Kritik eine positive Rolle haben kann

Horst Seehofer hat es wieder getan. Indem er die Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklärte, lieferte er nicht nur eine weitere Kampfansage an Merkel, wie der Publizist Albrecht von Lucke in seinem engagierten Deutschlandfunk-Interview erklärte [1].

Das eigentliche Problem besteht darin, dass er diese Kampfansage auf dem Terrain und mit den Themen der AfD führt. Es sind Bewegungen wie Pegida und Parteien wie die AfD, die alle politischen Erscheinungen auf die Migration zurückführen. Es ist daher eine Bestätigung dieser Bewegungen, wenn nun Seehofer deren Welterklärungsmodelle übernimmt. Er bedient die rechte Klientel, in dem er auf deren ideologischem Terrain bleibt und mit dafür sorgt, dass weiterhin die Migration das zentrale Thema bleibt. Davon profitieren rechte Grupperungen.

Dabei geht es nicht darum, dass nun die Politiker unter Umständen auch harsche Worte über die AfD finden. Das hat der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki [2] ebenso getan, wie der sächsische Ministerpräsident Kretschmar. Doch beide haben auch zentrale Erklärungsmuster der AfD übernommen, Kubicki, wenn er die Ursache für die rechten Aufmärsche in Chemnitz und anderswo in der angeblichen Grenzöffnung von Merkel 2015 sieht. Dabei übernimmt er schon rechte Denkmuster dadurch, dass er von einer Grenzöffnung fabuliert, die gar nicht stattgefunden hat.

Tatsächlich geht es den Kritikern darum, dass 2015 die in der EU offenen Grenzen nicht mit Panzer und Wasserwerfer gegen die Migranten verteidigt wurde. Zudem gab Kubicki so den rechtslastigen, häufig als akademischen Pegida-Versteher [3] apostrophierten Werner Patzelt die Gelegenheit, Kubicki und selbst Seehofer noch einmal von rechts zu überholen. „Wenn er damit gemeint hat, dass die Flüchtlingspolitik die Wurzel für dieses Übel ist, dann hat er Recht“, erklärte Patzelt. Hat Seehofer die Migration als Mutter aller Probleme bezeichnet, unternahm Patzelt die semantische Verschärfung, in dem er von der Mutter aller Übel sprach.

Jagdszenen oder Hetzjagd auf Chemnitzs Straßen?

Auch der sächsische Ministerpräsident bestätigt mit seiner Erklärung, dass es keine Hetzjagden und Pogrome in Chemnitz gegeben hat, die Rechten. Dabei muss man allerdings hinzufügen, dass durch manche alarmistischen Beiträge des liberal-weltoffenen Lagers die Rechten auch eher bestärkt wurden.

Es waren, worauf Albrecht von Lucke in seinem Deutschlandfunk-Interview hinwies, gut organisierte rechte Aufmärsche. Da wurde auch dafür gesorgt, dass die beim Trauermarsch anwesenden Neonazis den rechten Arm unten lassen mussten. Sie wurden vorher von ihren Führungsleuten entsprechend instruiert: „Heute sind wir Volk, nicht Gesinnung“, lautete das Motto. Also Nazis dürfen schon dabei sein, sie sollen sich nur nicht als solche zeigen.

Nun wird in den Medien diskutiert, ob in Chemnitz Jagdszenen [4] oder eine Hetzjagd [5] stattgefunden hat. Tatsächlich ist die Semantik gerade bei einer Thematik wichtig, bei der den Rechten vorgeworfen wird, mit der Sprache hetzen und spalten zu wollen. Doch all diese Beiträge bleiben auf dem Terrain der Rechten – und sie können davon profitieren, selbst wenn die sich kritisch zur AfD und ihrem Umfeld äußern.

Warum Initiativen wie Aufstehen gerade jetzt wichtig sein könnten

Dabei ginge es darum, das Diskursfeld der Rechten zu verlassen und andere Themen in die Debatte zu werfen, die durch das rechte Themensetting erfolgreich verdrängt werden. Hier könnte die kürzlich gegründete Initiative Aufstehen [6] eine positive Rolle spielen. Denn dort ist eben nicht die Migration, sondern die soziale Spaltung das zentrale Problem.

Das ist natürlich eine derart beliebige Aussage, dass sie von Teilen der CDU ebenso unterschrieben werden kann wie von einem großen Teil der Reformlinken. Dass nun vor allem von den Grünen und der SPD Politiker dabei sind, die in ihrer Partei nichts oder nichts mehr zu sagen haben, könnte auch darauf hindeuten, dass es sich um eine von vielen Initiativen handelt, die nach ihrer Gründung bald wieder vergessen sind. Oder wer redet noch über die mit viel publizistischem Aufwand vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yaroufakis initiierte DIEM-Bewegung?

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Aufstehen wie in den frühen 1990er Jahren die Komitees für Gerechtigkeit am Ende damit enden, dass auf den Listen der Linken einige Parteilose kandidieren. Aber das ist nicht das Entscheidende. Aufstehen wird keine Revolution anführen und das ist auch gar nicht das Ziel.

Aber es gibt auch einen positiven Moment der Gründung, nämlich dass die politische Diskursebene gewechselt wurde. Es handelt sich hier nicht um eine linke Debatte, sondern um eine, in der Linke mitdiskutieren und Akzente setzen können, ganz im Gegensatz zur Migrationsdebatte, in der sogar gegenüber den Rechten kritische Beiträge auf deren Terrain verbleiben. Bei der Aufstehen-Debatte könnte man auch den Gedanken einbringen, dass es nicht um die Erörterung einer sozialen Frage gehen kann, sondern um die Frage, ob sich die Mehrheit der Menschen den Kapitalismus noch leisten kann und will.

Dann wären wir auf einer Diskursebene, die sowohl Liberale als auch Rechte aller Couleur meiden wie der Teufel das Weihwasser. Denn dann müssten sie sich ja die Frage gefallen lassen, warum sie in Deutschland eine staatlich geförderte Verarmungspolitik vorantreiben, die Stefan Dietl in dem kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buch „Prekäre Arbeitswelten“ [7] knapp und prägnant beschreibt.

Wie sehr auch die AfD ein solches Thema vermeidet, wurde auf einer Konferenz zur Zukunft der Rente im brandenburgischen Neuenhagen deutlich. Aktuell streiten in der AfD Marktradikale und völkische Nationalisten, wie hoch der Anteil des Sozialstaats dabei sein soll. Der dort als Parteiunabhängiger eingeladene Jürgen Elsässer warnte davor, dass sich die AfD an der Rentenfrage zerstreite, und wusste Rat. Die Partei solle weniger auf das Materielle schauen, sondern die Debatte auf die Sicherheit lenken. Viele Senioren würden unter den Veränderungen der modernen Gesellschaft leiden. Und wenn eine Partei dann die gute alte Zeit vor 50 oder auch 80 Jahren beschwört, sind sie schon zufrieden auch mit wenig Rente.

Hier zeigte Elsässer deutlich, welche Rolle die Diskurse über Law and Order, Kriminalität und Einwanderung haben. Niemand redet dann mehr davon, warum in einer Gesellschaft, in der die Produktivkräfte so weit entwickelt sind, dass ein schönes Leben für alle keine Utopie mehr sein müsste, Menschen allen Alters Flaschen sammeln müssen. Die Rechten aller Parteien reden dann von angeblichen Geldern, die Migranten bekommen. Aber nicht die Migranten, sondern die Politiker aller Couleur haben die gesetzlichen Grundlagen für die Altersarmut geschaffen, unter anderen durch die Schaffung eines Niedriglohnsektors, der natürlich auch Minirenten erzeugt.

Wie das Kapital in der Mietenpolitik den Klassenkampf von oben führt

Oder gehen wir auf das Feld der Mietenpolitik. Es ist noch keine zwei Wochen her, da bekamen wir einen sehr plastischen Anschauungsunterricht im Klassenkampf von oben auf dem Feld der Mieten- und Wohnungspolitik. Der Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums empfahl Marktwirtschaft pur und forderte ein Ende der sowieso wirkungslosen Mietpreisbremse. Freie Fahrt für die Investoren hieß die Devise. Der Taz-Kommentator Martin Reeh fand die passenden Worte [8]:

Krisenzeiten bieten stets Chancen, die Gesellschaft zu verändern. Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.

Martin Reeh

Er benennt auch, wie der weitere Umbau der Gesellschaft im Sinne der Kapitalbesitzer vorangetrieben wird und wer darunter leidet:

Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb diese Woche, in den Szenekiezen Berlins liege der Mieteranteil jenseits der 95 Prozent. „Armselig“ nannte Poschardt das. Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht zu einer Eigentumswohnung gebracht hat. Dabei könnten gerade Liberale Mietverhältnisse als Ausdruck von Freiheit verstehen – als Möglichkeit, sich relativ schnell nach eigenen Wünschen zu verändern. Das Berlin, das Poschardt so liebt, wäre ohne einen großen Anteil an günstigen Mietwohnungen nicht denkbar. Auch bundesweit hat die Wirtschaft von günstigen Mieten profitiert. Der Umzug für einen neuen Job fiel dadurch wesentlich leichter.

Martin Reeh

Nun könnte man fragen, wo bleiben die Demonstrationen vor dem Bundeswirtschaftsministerium, aus dessen Hause ja die Empfehlungen kamen? Warum gehen aus Protest [9] gegen den am 21.9. geplanten Wohnungsgipfel von Heimatminister Seehofer nicht Zehntausende auf die Straße? Ein Grund liegt daran, dass die Rechten mit dem Diskursfeld Migration diese Themen in den Hintergrund gedrängt haben.

Wo über Zuwanderung, über die, die dazu gehören und die angeblich nicht mal das Existenzminimum verdient haben sollen, geredet wird, geraten die Kapitalverbände und ihre Hand- und Kopflanger aus dem Blick, die beim Umbau zum marktgerechten Staat dann freie Hand haben. Wenn nun Seehofer die Migration zum zentralen Problem erklärt, trägt er ganz bewusst dazu bei, dass über die Zumutungen des Kapitalismus nicht mehr geredet wird.

Wenn nur noch über Diskriminierung und nicht mehr über Ausbeutung geredet wird

Aber auch ein Teil des sich selbst als weltoffen bezeichnenden Lagers hat kein Interesse daran. Das wird auch an Reaktionen dieses Lagers auf die Aufstehen-Initiative deutlich.

So erklärte der Jusovorsitzende Kevin Kühnert der Deutschen Presse-Agentur, der Aufruf umschiffe politische Fragen, etwa einen Konflikt zwischen Verteilungspolitik und Identitätspolitik, bei der es um gesellschaftliche Bedürfnisse bestimmter Gruppen gehe. Haltungsfragen auszuklammern und erstmal in einem Online-Forum zu diskutieren ist aber nicht basisdemokratisch, sondern beliebig, so seine Kritik.

Kühnert gehört wie viele im Umfeld von SPD und Grünen zu denen, die nur noch über Diskriminierung, nicht mehr aber über Ausbeutung reden wollen. Damit argumentieren sie im Einklang mit Kapitalverbänden, für die Diversity und Vielfalt Standortvorteile sind, höhere Löhne und Senkung der Arbeitsstunden hingegen nicht. In den USA hat man schon wesentlich länger Erfahrungen, wie man mit dem Diskurs über kapitalkonforme Antidiskriminierungsmaßnahmen von kapitalistischer Ausbeutung schweigen kann. Der Journalist Bernhard Pirkl führt [10] in der Jungle World in die US-Debatte ein:


Kritik an affirmative action kommt aber auch von der amerikanischen Linken. Das Geschwisterpaar Barbara [11] und Karen Fields [12] etwa argumentiert [13], dass Antidiskriminierungsmaßnahmen dazu führten, dass mit ihrer Art der Thematisierung sozialer Disproportionalität die ökonomische Ungleichheit als Faktor aus dem Blick geriete. Auf das Bildungssystem bezogen lautet ihr Argument: Die Änderung der Zusammensetzung der Studentenschaft in den Hochschulen lässt die Grundstruktur der Ungleichheit im Bildungssystem nicht nur intakt, mehr noch, der Diskurs um diversity lässt diese Ungleichheit als selbstverständliche erscheinen. Die Frage, warum überhaupt Knappheit an Studienplätzen und Jobs besteht, werde erst gar nicht gestellt, wenn nur über deren Verteilung gestritten werde, was eine gewisse Folgerichtigkeit habe, denn anders als race sei class, das Reden über Klassen, in der amerikanischen Gesellschaft stark tabuisiert.

Bernhard Pirkl

Die Kritik an einer kapitalgenehmen Antidiskriminierungspolitik bedeutet nicht, dass eine Politik der Stärkung (empowering) von Minderheiten falsch ist, sondern dass sie nicht mehr nach der Melodie des Kapitals spielen soll. Zudem soll neben Diskriminierung wieder über Ausbeutung geredet werden, wobei eben wichtig zu betonen ist, dass kapitalistische Ausbeutung nicht einfach an andere Unterdrückungsformen aneinandergereiht werden kann:


Der amerikanische Literaturwissenschaftler Walter Benn Michaels hat auf einen grundlegenden Fehler dieser methodischen, additiven Symmetrierung hingewiesen, der darin besteht, dass dabei kaschiert wird, dass die Analysekategorie class einer anderen Logik gehorcht als Identitätskategorien wie race und gender beziehungsweise sexuelle Orientierung: Erkennt man die normierenden Disziplinartechniken, die zur Demütigung von beispielsweise Homosexuellen beitragen, als illegitim oder beseitigt sie sogar, dann bedeutet dies auch das Ende des Stigmas und damit perspektivisch auch der Unterdrückung. Behandelte man nun Klasse – wie es in der Theorie des „Klassismus“ auch tatsächlich geschieht – analog dazu als ein Problem der Diskriminierung einer Identität, so muss man feststellen, dass arme Menschen auch ohne das Stigma Armut unterdrückt bleiben.

Bernhard Pirkl

Wenn jetzt Teile des weltoffenen liberalen Lagers die Aufstehen-Bewegung mit dem gar nicht überprüfbaren Argument diskreditieren wollen, die wäre bei der zivilgesellschaftlichen Bewegung in und um Chemnitz nicht dabei gewesen, könnte man zurückfragen. Wann habt ihr einen Streik unterstützt oder Erwerbslose auf das Amt begleitet?

Wenn es Aufstehen gelingt, einen neuen Diskurs über Ungleichheit ohne Ethnisierung zu etablieren, hätte sie ihre Aufgabe erfüllt. Den Satz, die Mutter aller Probleme in Deutschland wie in der Welt ist die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft, kann man von Seehofer nicht erwarten. Aber es liegt an denen, die sich an der Debatte beteiligen, auch an denen, die wie der Autor, bestimmt nicht Teil dieser Sammlungsbewegung werden wollen, ob sich ein solches Motto gegen die Seehofers, Gaulands etc. durchsetzen kann.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.deutschlandfunk.de/von-lucke-ueber-seehofer-das-ist-die-kampfansage-an-die.1939.de.html?drn:news_id=922038
[2] https://www.focus.de/politik/deutschland/wegen-satz-wir-schaffen-das-kubicki-gibt-merkel-mitschuld-fuer-chemnitz-krawalle-politik-experte-gibt-ihm-recht_id_9525637.html
[3] https://www.heise.de/tp/news/Ist-Patzelt-Pegida-Erklaerer-oder-versteher-2542334.html
[4] https://www.freiepresse.de/chemnitz/chemnitz-darum-sprechen-wir-nicht-von-hetzjagd-artikel10299149
[5] https://www.deutschlandfunk.de/von-lucke-ueber-seehofer-das-ist-die-kampfansage-an-die.1939.de.html?drn:news_id=922038
[6] https://www.aufstehen.de/
[7] https://www.unrast-verlag.de/component/content/article/79-pressestimmen/3106-neues-deutschland-ueber-prekaere-arbeitswelten
[8] http://www.taz.de/!5527891/
[9] http://berlin.zwangsraeumungverhindern.org/
[10] https://jungle.world/artikel/2018/34/race-class-confusion
[11] https://www.pbs.org/race/000_About/002_04-background-02-02.htm
[12] https://www.versobooks.com/authors/1740-karen-e-fields
[13] https://www.versobooks.com/books/1645-racecraft

SPD: Am TTIP-Vertrag Widerstand simulieren

Es geht um eine marktkonforme Politik, daran wird sich bei der SPD nichts ändern

Ein Bonmot, das sich Sigmar Gabriel in sein Redemanuskript hat schreiben lassen, könnte schneller Realität werden, als er denkt. In seiner Rede lässt Gabriel seine kleine Tochter fragen, wie lange er noch zu Angela Merkel gehen muss. Die Antwort lautet: noch bis 2017.

Zu diesem Zeitpunkt hat er sich längst von der SPD-Spitze zurückgezogen. Entweder, weil die Partei mit ihm als Kanzlerkandidat noch mal Stimmen verloren hat. Viel wahrscheinlicher aber ist nach dem Parteitag, dass es gar keinen Kanzlerkandidaten Gabriel geben wird. Er selber hat sich in dieser Frage bedeckt gehalten und auf die Zukunft verwiesen. Dazu dürfte auch das in der Öffentlichkeit allgemein als historisch schlechtestes betitelte Ergebnis von 74,7 % beigetragen haben.

Steinmeier versus Gabriel

Sollten in den nächsten Monaten für die SPD einige Wahlen verloren gehen und die Partei beispielsweise in Rheinland-Pfalz gar die Regierungsmacht verlieren, könnte es Gabriel wie einst Kurt Beck gehen: Er würde parteiintern entmachtet. Dass er diesem Schicksal bisher entgangen ist, liegt vor allem daran, dass die Bundestags-Wahlen 2017 parteiintern schon verloren gegeben werden. Schließlich gab es schon vor einigen Wochen Stimmen dafür, gar nicht erst einen Kanzlerkandidaten aufzustellen.

Dass nun ausgerechnet der Steinmeier noch einmal als Kanzlerkandidat recycelt werden soll, zeigt mehr als alles andere die hoffnungslose Situation der SPD an. Da werden zwei Männer, deren ganzes Programm darin besteht, deutsche Mitte sein und mitregieren zu wollen und das auch immer wieder postulieren, gegeneinander in Stellung gebracht.

Aber dieses Personal repräsentiert die SPD gut. Es geht eben nur um das Treten in der Mitte, dort, wo fast alle schon sind. Es geht darum, auch keinen Zweifel an der Regierungsfähigkeit aufkommen zu lassen. Die Frage ist nur, wann in der Geschichte der letzten 50 Jahre die SPD woanders als in der deutschen Mitte gewesen wäre und wann sie mal nicht regierungsfähig sein wollte?

Dass diese Banalitäten zu einer „Politik der klaren Kante“ aufgeblasen werden und die Parteibasis mehrheitlich dazu applaudiert, zeigt, wie es um diese SPD steht. Wenn Gabriel dann noch ausdrücklich eine Erhöhung der Unternehmenssteuer ablehnt und stattdessen auf Wirtschaftswachstum setzt, dann könnte man meinen, die SPD wolle im Wahlkampf die bessere FDP geben.

Da haben in den letzten Jahren sozialdemokratische Ökonomen und Gewerkschafter immer wieder argumentiert, dass eine Steuererhöhung bei den Unternehmen Geld für den sozialen Wohnungsbau und andere gesellschaftliche Aufgaben in die Kasse spülen würde. Doch die SPD bleibt ihrer Linie treu. Schließlich hat ja die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder die Unternehmenssteuer gesenkt.

Allein eine Rückkehr zu einem Unternehmersteuersatz der Kohl-Ära würde eine Menge Geld bringen. Doch das ist mit Gabriel genau sowenig zu machen wie mit Steinmeier oder anderen Kandidatinnen und Kandidaten, die in der SPD Karriere machen wollen. Was Gabriel von Politikern hält, die wirklich eine sozialdemokratische Politik umsetzen wollten, machte er deutlich, als er die Syriza-Regierung, bevor sie sich dem Austeritätsdiktat der EU unterwarf, als in Teilen kommunistisch bezeichnete, die es nicht wert sei, dass deutsche Steuergelder dafür ausgeben werden.

Natürlich spielte diese rechtspopulistische Volte Gabriels auf dem Parteitag genauso wenig eine Rolle wie sein zeitweiliges Verständnis für die Sorgen der Pegida-Teilnehmer. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Viertel der Delegierten, die Gabriel die Stimme verweigerten, daran gedacht hatte. Auch die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Syrien, die auch in der SPD als Beitrag im Kampf gegen den Islamismus bezeichnet wurde, spielte auf dem Parteitag keine Rolle.

Symbolpolitik TTIP

Nur über das Freihandelsabkommen TTIP wurde tatsächlich auf dem Parteitag ernsthaft gestritten. Erwartungsgemäß setzte sich Gabriel durch. Es war schließlich auch von der Parteitagsregie so eingefädelt worden, dass da nichts schief geht. Schließlich brachte der erklärte SPD-Linke Stegner den Antrag ein. In der typischen Diktion jedes SPD-Linken verteidigte er die Parteilinie als das kleinere Übel, weil ja sonst alles nur noch schlimmer werde.

„Wenn wir die Verhandlungen jetzt abbrechen, wird nichts besser“, warnte Stegner. Dann würden Staaten wie China und Bangladesch die Standards für Arbeit und Umwelt vorgeben. Auch Gabriel warnte, die SPD setze ihre Regierungsfähigkeit aufs Spiel, wenn sie jetzt aus den Verhandlungen aussteige.

Wenn Gabriel dazu erklärt, dass die SPD vor der endgültigen Verabschiedung des Vertrags noch mal gefragt wird, weiß jeder, dass es sich hier um Kosmetik handelt. An der SPD wird ein ausverhandelter TTIP-Vertrag bestimmt nicht scheitern.

Dass das Thema überhaupt eine solche Rolle auf dem Parteitag spielte, macht die Symbolpolitik deutlich, die sowohl auf dem Parteitag als auch in den sozialen Bewegungen dominierend ist. Am TTIP-Vertrag wird ein Widerstand simuliert, der von einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik nichts wissen will. Eine Partei, die nicht mal die Steuersätze deutscher Unternehmer auf die Höhe der Kohl-Ära setzen will, kann sich prächtig über den ungebremsten Kapitalismus in den USA echauffieren. Bereits Müntefering, der alle sozialen Grausamkeiten der Schröder-Ära unterstützte, konnte sich über die Heuschrecken aus den USA aufregen.

Alles nichts Neues bei der SPD. Die Partei bleibt sich treu, steht fest in der Mitte, die immer weiter nach rechts geht, und will regierungsfähig bleiben. Von der Linie werden auch alle möglichen Gabriel-Nachfolger nicht abgehen, wie immer sie heißen.

Trotzdem gibt es immer wieder Publizisten und Intellektuelle, die die angeblich wahre SPD vor der realexistierenden Partei verteidigen wollen. Aktuell ist es Albrecht von Lucke, Redakteur der Blätter für deutsche und Internationale Politik [1], der mit seinen Buch Die Schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken [2] für publizistisches Aufsehen sorgte. Für Lucke ist die deutsche Linke mit der SPD identisch.

Die historische Spaltung der Arbeiterbewegung seit 1914 kommt bei ihm gar nicht vor. Die Ursünde sieht er in der Transformation der PDS in die Linkspartei, die angeblich die Linke gespaltet habe. Von Lucke erklärte auf einer Veranstaltung, er habe das Buch geschrieben, weil er die linke Sozialdemokratie stärken will. Wenn man liest, wie vehement er Willy Brandt verteidigt, weil der 1989 als Patriot gehandelt habe, als er für eine schnelle Wiedervereinigung eintrat und Lafontaine, der für einen allmählichen Übergang eintrat, dafür aburteilt, fragt man sich, was daran links ist.

Doch solche und ähnliche Debatten, die sich vor allem vor Wahlen häufen, sind reine Kopfgeburten. Es geht nicht um die Schwarze Republik versus die „deutsche Linke“. Es geht um eine marktkonforme Politik und da wird sich bei der SPD nichts ändern, auch wenn Gabriel schon längst Geschichte sein wird.

http://www.heise.de/tp/news/SPD-Am-TTIP-Vertrag-Widerstand-simulieren-3042917.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://www.blaetter.de/archiv/autoren/albrecht-von-lucke

[2]

http://www.droemer-knaur.de/buch/8571829/die-schwarze-republik-und-das-versagen-der-deutschen-linken

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