Mit einer etwas ungewöhnlichen Bitte wandte sich die Onlineplattform Nachdenkseiten (NDS) kürzlich an ihre Leser*innen. Diese wurden gebeten, möglichst erst im neuen Jahr für die Plattform zu spenden. Der Hintergrund der Bitte: Am 24. Oktober war dem Trägerverein der NDS vom zuständigen Finanzamt Landau mitgeteilt worden, dass zum Jahresende die Gemeinnützigkeit endet und, dass die am 31. Dezember 2022 noch vorhandenen Mittel nach den Vorstellungen des Finanzamtes nicht mehr für die NDS verwandt werden dürften, sondern nur für andere gemeinnützige Zwecke. Der Gründer und Herausgeber der NDS, der Ökonom Albrecht Müller, spricht gegenüber »nd« von einer …
„Nachdenkseiten verlieren Gemeinnützigkeit“ weiterlesenSchlagwort: Albrecht Müller
NachDenkSeiten: Zu kritisch für die Gemeinnützigkeit?
Kritische Medien, die nicht durch Anzeigen großer Konzerne finanziert werden, machen in der Regel zum Jahresende Inventur und checken ihre Finanzlage. Die ist meistens schlecht und so werden die Leserinnen und Leser um Spenden gebeten. Dass die Online-Plattform NachDenkSeiten sich dieses Mal besonders früh mit der Bitte um Unterstützung an ihre Leser wendet, diese aber bittet, erst zum Jahresanfang 2023 zu spenden, hat einen besonderen Grund: …
„NachDenkSeiten: Zu kritisch für die Gemeinnützigkeit?“ weiterlesenRadikale Kritik in Zeiten von Pegida
Der Rückzug eines Mitbegründers der kritischen Webseite NachDenkseiten wirft die Frage auf, wie radikal Kritik in Zeiten von Pegida sein kann und darf
Ein längerer Streit bei der kritischen Webseite NachDenkSeiten [1] hat nun zu personellen Konsequenzen geführt. Der Mitbegründer Wolfgang Lieb erklärte seinen Rückzug [2]. Als Grund gab er ein Zerwürfnis mit seinem Mitstreiter Albrecht Müller an.
„Seit nahezu 12 Jahren habe ich viel Kraft und Leidenschaft in die NachDenkSeiten gesteckt. Es war nicht immer einfach, aber über gut 10 Jahre konnten Albrecht Müller und ich als Herausgeber fruchtbar zusammenarbeiten. Seit geraumer Zeit haben sich die NachDenkSeiten mit einem zunehmenden Anteil von Beiträgen meines Mitherausgebers nach und nach verändert und verengt: thematisch, in der Methode der Kritik und in der Art der Auseinandersetzung mit Menschen anderer Meinung“, begründet Lieb seinen Rückzug. Die politischen Differenzen werden von Lieb so benannt:
Hier wird eindeutig ein Bezug zu Bewegungen wie den Montagsmahnwachen oder gar Pegida gezogen, die fundamentale Kritik an den Medien üben, was Lieb in den folgenden Absatz noch konkretisiert.
„NachDenkSeiten auch in Zukunft verlässliche Informationsquelle“
In einer Stellungnahme [3] zu Liebs Rückzug schreiben die verbliebenen Redakteure der NachDenkSeiten und Mitglieder des Fördervereins [4] zur „Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung e.V.“ Albrecht Müller, Jens Berger und Lars Bauer: „Die NachDenkseiten werden auch künftig eine zuverlässige Informationsquelle sein.“ Mit Verweis auf den Gründungskonsens der NachDenkseiten weisen sie Liebs Vorwurf der Zielveränderung zurück:
Der neoliberale Angriff auf das Gesundheitssystem [5] oder die Rüster-Rürup-Täuschung [6], so lauten zwei der Themen, wegen derer die NachDenkSeiten von vielen Lesern geschätzt werden. Gegründet wurden sie 2003 vom langjährigen Sozialdemokraten Albrecht Müller und Wolfgang Lieb. Sie wollten damit gegen ein wirtschaftsliberales Dogma vorgehen, nach dem die Politik der Privatisierungen und der Schuldenbremse als scheinbares Naturgesetz medial dargestellt wird, das man genau so wenig kritisieren oder gar ändern kann wie ein Gewitter oder eine Sturmflut.
Das Gründungsdatum fiel in eine Zeit, als die letzten Illusionen über die rot-grüne Regierung verflogen waren. Spätestens der Abgang des Finanzministers Oskar Lafontaine und seiner Berater machte deutlich, dass das Kabinett Schröder/Fischer nicht nur Deutschland in den ersten Krieg nach dem 2. Weltkrieg führte, sondern auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik einen Kurs einschlug, der, was die Unterwürfigkeit gegenüber Konzerninteressen angeht, die Unionsparteien noch überbot. Die Agenda 2010 wurde vorbereitet, und ein Teil der Sozialdemokraten der Brandt-Ära erkannten ihre eigene Partei nicht mehr wieder.
Die Gründung der NachDenkSeiten war auch die erste organisatorische Manifestation der Entfremdung gestandener Sozialdemokraten von ihrer eigenen Partei, die sich mit der Agenda-Politik rasant verschärfte. Dass sich dann unter maßgeblicher Beteiligung von Lafontaine die Linkspartei gründete, kann durchaus als Nebeneffekt der beharrlichen Arbeit der NachDenkSeiten aufgefasst werden. Dabei haben sich die Gründer immer direkter parteipolitischer Aktivitäten enthalten und das neoliberale Dogma in allen Parteien und Medien heftig angegriffen.
2009 erklärte Albrecht Müller in einem Gespräch mit der FAZ, warum er sich noch einmal politisch und publizistisch engagiert:
Die beharrliche Widerlegung der wirtschaftsliberalen Ideologie rief natürlich viele Kritiker [7] auf den Plan.
Von „Don’t believe the hype“ zur „Lügenpresse“
Schon in der Diktion, in der die NachDenkSeiten als „prorussischer Watchblog“ bezeichnet werden, wird klar, dass es weniger um eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten der NachDenkSeiten, sondern um Diffamierung geht. Die politischen Koordinaten haben sich in den letzten Jahren verändert.
Anders als noch vor 10 Jahren profitiert von einer Kritik am wirtschaftsliberalen Dogma nicht nur die alte Sozialdemokratie, die teilweise in der Linkspartei Zuspruch gefunden hat. Mit der Mahnwachenbewegung und Pegida wurde erstmals offen eine rechte Bewegung zu einem gesellschaftlichen Faktor, die auch Elemente der Kritik übernommen hat, wie sie von Teilen der Linken formuliert wurden.
Das machen sich auch gesellschaftliche Eliten zunutze, die nun jegliche fundamentalere Kritik an den herrschenden Verhältnissen in die Nähe der rechten Bewegungen rücken. Das bringt emanzipative Bewegungen in ein Dilemma. Sollen sie sich nur in sogenannter konstruktiver Kritik üben, nur um nicht in die Nähe rechter Bewegungen zu geraten? Oder sollen sie nicht vielmehr ihre Kritik zuspitzen, um zu verhindern, dass sich rechte und regressive Bewegungen als Monopol auf die Kritik durchsetzen?
Ein gutes Beispiel ist die Kritik an den Medien, die in der linken Bewegung immer eine große Rolle spielte. „Don’t believe the hype“ war ein beliebtes Motto linker Bewegungen. Über die Anti-Springer-Kampagne bis zu „Taz lügt“ reichen die linke Kritik und Skepsis gegenüber der Presse. All das scheint vergessen, seit die Mahnwachen und Pegida mit ihrer Lügenpresse-Kampagne den Anschein erweckten, es gäbe nur eine rechte Medienkritik.
So erweist sich für die etablierten Medien und Thinkthanks Pegida als Geschenk und mittelbarer Unterstützer. Schließlich muss sich jetzt jeder, der eine radikale Kritik äußert, in die Nähe der Rechten rücken lassen, auch wenn klar erkennbar ist, dass die Kritik aus ganz anderen Beweggründen geleistet wird. So soll die linke Kritik zu einer zahnlosen konstruktiven Mitmachrhetorik werden, damit sich die Rechte umso mehr etablieren kann.
Mit der aber, das zeigte sich in der Geschichte immer wieder, können sich die etablierten Gewalten schon arrangieren. Denn die Rechte an der Macht war aller Rhetorik zum Trotz für den Kapitalismus nie eine Gefahr. Auch aktuell kommt es schon einer kollektiven Amnesie gleich zu vergessen, dass die AfD als eine Partei gegründet wurde, die mit ihren Wirtschaftsliberalismus die FDP übertrumpfen wollte.
Die NachDenkSeiten wollen allerdings auch in Zeiten von Pegida nicht den Part des konstruktiven Kritikers übernehmen. Gegenüber Telepolis erklärte Albrecht Müller, dass sich die Kritik seit der Gründung wenig verändert hat. Nur die politische Situation habe sich angesichts eines Krieges um die Ukraine und der weltweit eskalierenden Konflikten dramatisch verschärft.
Mit dieser Dramatik sei auch der härtere Ton in manchen seiner Beiträge zu erklären, so Müller. Die NachDenkSeiten würden auch weiterhin keine Kampagnen betreiben, sondern sich der Kritik an den bestehenden Verhältnissen widmen.Von ihm werde jeder kritische Beitrag in den Medien, sei es zur Wirtschaftspolitik oder zur Griechenlandfrage, besonders gewürdigt.
http://www.heise.de/tp/news/Radikale-Kritik-in-Zeiten-von-Pegida-2857971.html
Peter Nowak
Links:
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Das Märchen von der segensreichen Wirkung der Privatisierung
Ein Film spricht die Themen an, die in Deutschland auch im Vorwahlkampf kaum diskutiert werden
Wenige Wochen vor der Bundeswahl wird das Sommerloch mit Meldungen über die NSA-Abhöraffäre gefüllt. SPD und Grüne hoffen mit dem Thema doch noch in die Offensive zu kommen, in dem sie die nationale Karte spielen und die Bundesregierung als zu nachgiebig gegenüber den USA darstellen wollen.
Über die alltägliche Überwachung, der beispielsweise alle Hartz IV-Bezieher ausgesetzt ist, für die es kein Bankgeheimnis gibt, die ihre Reisepläne offenlegen müssen und im Verdachtsfall von Sozialdetektiven ausgeforscht werden können, hingegen ist nicht die Rede. Dabei hat diese Art der Überwachung sicherlich für die Betroffenen viel konkretere Auswirkungen als alle Ausspähversuche des Datenstaubsaugers NSA.
Das Verschweigen dieser alltäglichen Überwachung in Deutschland ist nur ein Beispiel dafür, dass zumindest zwischen den größeren Parteien – aller Rhetorik um Mindestlöhne und soziale Kälte zum Trotz – weitgehend Einigkeit darin besteht, dass alles, was der Wirtschaft nützt, gut für den Standort Deutschland ist und oberste Priorität hat.
Wie mit diesem Dogma seit mehr als einem Jahrzehnt der Sozialstaat demontiert wird, zeigt der Regisseur Rolf T. Niemeyer in seinem seit kurzem vollständig im Netz verfügbaren Film „Das Märchen der Deutschen“ [1] mit zahlreichen Interviews in 70 Minuten. Dass es der Film in keinen Fernsehsender geschafft hat, liegt sicher nicht nur an manchen handwerklichen Mängeln, die vor allem dem schmalen Budget geschuldet sein dürften.
Da der Film die wirtschaftsliberalen Mythen gnadenlos zerstört, die in fast allen Parteien trotz des häufigen Krisengeredes weiterhin hegemonial sind, findet eine solche Auseinandersetzung auch in öffentlich-rechtlichen Sendern keinen Platz. Dabei werden in dem Film die Themen behandelt, über die eigentlich in der Republik nicht nur im Vorwahlkampf gestritten werden müsste. Doch die Frage, warum auch die grüne und sozialdemokratische Opposition daran kein Interesse zeigt, beantwortet der Film gleich mit.
Diese Parteien haben die wesentlichen Weichenstellungen für die Deregulierung und Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen mit veranlasst. Die Rolle des gegenwärtigen SPD-Kanzlerkandidaten als Minister der großen Koalition kommt dort ebenso zur Sprache, wie der Umbau des Sozialstaats unter Rot-Grün. Da fällt dem SPD-Politiker Walter Steinmeier nicht viel mehr ein, als vor einer Legendenbildung zu warnen, die er schon in den kritischen Fragen des Regisseurs erkennen will.
Anschlag auf die Rentenversicherung
Wenn Niemeyer dann mit der kürzlich geschassten [2] Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann [3], mit Erwerbslosen aus Höxter und Berlin spricht, dann wird ein Ausschnitt der sozialen Realität in diesem Lande deutlich, der im Märchen vom boomenden Wirtschaftswunderland Deutschland nicht vorkommt.
Vieles, was Niemeyer in dem Film behandelt, hat man in den letzten Jahren so oder ähnlich auf den NachDenkSeiten [4] gelesen, in dem die letzten Verteidiger des rheinischen Kapitalismus eine verzweifelte Abwehrschlacht gegen den Wirtschaftsliberalismus führen. Die Interviews, die Niemeyer im Film mit dem Mitbegründer der NachDenkSeiten Albrecht Müller [5] und den ehemaligen christdemokratischen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm [6] führte, gehören zweifellos zu den Höhepunkten.
Sie äußern sich zu einem zentralen Thema des Films, der Zerschlagung eines weitgehend solidarischen Rentensystems zugunsten der privaten Rentenversicherung. Müller geht auf die publizistische Vorarbeit ein, die nicht nur von Medien des Springerkonzerns mit den Schlagworten des demographischen Faktors geleistet wurde, um das bisherige Rentensystem als überholt und unbezahlbar zu diskreditieren. Über die gestiegene Produktivität wurde dabei nicht geredet. Erst auf dieser Basis konnte dann eine Politik relativ geräuschlos vollzogen werden, die Norbert Blüm als Anschlag auf die Rentenversicherung bezeichnet. Die einst als Zusatz angepriesenen privaten Rentenversicherungen wurden zur zentralen Säule des neuen System.
Abschied vom Ruhestand
Die Folgen sind bekannt: Altersarmut und Lohnarbeit bis fast ans Lebensende. Hier wäre ein Blick über den deutschen Tellerrand sinnvoll gelesen. So hat der Jenaer Soziologe Stephan Lessenich [7] in einem Beitrag [8] für Le Monde Diplomatique aufgezeigt, wie das Recht auf Rente erkämpft wurde und wie es mit dem Siegeszug des Wirtschaftsliberalismus europaweit wieder zur Disposition gestellt wurde:
„Sollte sich diese Tendenz zur materiellen Entsicherung der Lebensverhältnisse und zur neuerlichen ‚Eingemeindung‘ der Rentner in die normativen Strukturen der Erwerbsgesellschaft fortsetzen, so wäre die Geschichte des Ruhestands eine ausgesprochen kurzlebige Epoche gewesen. In einer künftigen Sozialgeschichtsschreibung der europäischen Gesellschaften würde man die regulative Idee, die politische Semantik und die soziale Praxis des Ruhestands rückblickend als wohlfahrtsstaatliches Intermezzo deuten müssen – sozusagen als kurzen Sommer der Anarchie im Umgang der Arbeitsgesellschaft mit dem Alter.“
Eine solche theoretische Grundierung würde man sich auch im Film manchmal wünschen. Zudem vertritt Niemeyer wohl die These, dass der Wirtschaftsliberalismus vor allem das Produkt einer bestimmten Politik war. Die ökonomischen Bedingungen, die ihn hervorbrachten, kommen kaum zur Sprache. So wird auch nicht die Frage gestellt, ob ein Anknüpfen an den rheinischen Kapitalismus heute überhaupt noch möglich und sinnvoll ist.
Trotz dieser Einwände ist der Film sehenswert. Schließlich entmystifiziert er manches deutsche Wirtschaftsmärchen und das ist die Grundlage, damit weitere Fragen überhaupt gestellt werden können. Dass in dem Film Demonstrationen gegen die dort beschriebene Entwicklung kaum vorkommen, ist den deutschen Verhältnissen geschuldet, wo auch die Rente mit 67 fast kampflos hingenommen wurde, während in Frankreich dagegen gestreikt wurde, wie in einem sehr [http//:www.grandpuits-lefilm.fr] zu sehen ist.
Links
[1]
http://norbertwiersbin.de/on-tour-das-marchen-der-deutschen-ralph-t-niemeyer/
[2]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154446
[3]
http://www.ingehannemann.de/
[4]
http://www.nachdenkseiten.de/
[5]
http://www.nachdenkseiten.de/?author=2
[6]
http://www.nachdenkseiten.de/?p=3232
[7]
http://www.stephan-lessenich.de/
[8]
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/06/14.mondeText.artikel,a0006.idx,1
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/blogs/6/print/154647