Die Aktionstage Gefängnis lenken Aufmerksamkeit auf die Belange der Betroffenen

Knast, Kultur und Klischees

Die heutigen GG/BO-Strukturen sind Teil des breiten Bündnisses, das die Aktionstage Gefängnis vorbereitet. Es reicht von humanistischen Initiativen wie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Straffälligenhilfe, der Europäischen Konferenz für Gefängnisseelsorge, der Aidshilfe und der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Gefängnisseelsorge bis zu explizit linkspolitischen Gruppen wie dem Autorinnenkollektiv »Wege aus dem Knast«, dem Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte und eben der GG/BO.

»Gefängnis/Kultur/Gefängniskultur« – so lautet das Motto der diesjährigen Aktionstage Gefängnis. Manche werden sich fragen, was Gefängnisse mit Kultur zu tun haben. Doch dabei wird vergessen, dass es mittlerweile in vielen Haftanstalten unterschiedliche kulturelle Aktivitäten gibt, bei denen Gefangene als Künstler*innen eine wichtige Rolle spielen. Sehr bekannt ist das unabhängige Gefängnistheaterprojekt Aufbruch in Berlin, das zahlreiche vielbeachtete Theateraufführungen realisiert hat. Die Schauspieler*innen sind ausschließlich Gefangene. Das Theater befasst sich dabei kritisch mit der Institution Gefängnis. »Indem sie den Gefangenen aus der Gesellschaft ausschließt, schafft sie innerhalb ihrer Mauern selbige unter Ausschluss der Öffentlichkeit neu«, heißt es auf der Homepage von Aufbruch. Es ist ein Beispiel für eine Kulturarbeit, die das Ziel hat, den Blick der Gesellschaft auf Gefängnisse zu erweitern und verbreitete Klischees zu hinterfragen. Dazu gehört die Vorstellung, dass Gefängnisse nichts mit der übrigen Gesellschaft zu tun haben. Klischees über Gefängnisse und Gefangene wollen die Aktionstage Gefängnis seit nunmehr …

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Doppelt bestraft


Aktionstage sollen auf die Belange von Straffälligen aufmerksam machen

Schon 1977 hatte der Bundestag beschlossen, Strafgefangene für ihre Arbeit im Gefängnis in die Rentenversicherung einzubeziehen. Bis heute wurde das Vorhaben nicht umgesetzt, weil sich Bund und Länder nicht über die Kosten einigen können. »Damit werden nicht nur die Gefangenen, sondern auch ihre Angehörigen bestraft«, erklärt Anais Denigot gegenüber »nd«. Für die Referentin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe ist der Ausschluss von Strafgefangenen aus der Rentenversicherung, der massenhaft Altersarmut produziert, ein Ausdruck dafür, wie stark das Thema Gefängnisse noch immer mit gesellschaftlichen Vorurteilen und Ressentiments belastet ist. In Teilen der Bevölkerung hält sich hartnäckig die grundrechtswidrige Vorstellung, Gefängnisinsassen sollten neben ihrer Haftstrafe auch noch besondere Erschwernisse erleiden. Das Bündnis »Aktionstage Gefängnis« will eine gesellschaftliche Diskussion über die Realitäten in den Gefängnissen anstoßen.
Dazu haben sich unterschiedliche soziale und zivilgesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen. Das Spektrum reicht vom Deutschen Caritasverband, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe bis zur Gefangenengewerkschaft (GG/BO). Mitte November 2016 war dieses Bündnis anlässlich der damals in Berlin tagenden Konferenz der Justizminister der Länder erstmals an die Öffentlichkeit getreten und setzt sich für den Rentenanspruch und den Mindestlohn für Gefangene ein. Ein Jahr später hat sich das Bündnis nun verbreitert und orientiert sich mit den »Aktionstagen Gefängnis« an Vorbildern aus Frankreich und Belgien.
In Frankreich organisieren Sozialverbände bereits seit 40 Jahren jährlich eine ganze Aktionswoche, bei der dezentral in verschiedenen Städten die Bevölkerung für Probleme in den Gefängnissen sensibilisiert werden sollen. Die Palette der Aktionen reicht von Filmveranstaltungen und Ausstellungen bis zum Nachbau einer Gefängniszelle auf einem Platz in der Innenstadt. »Viele Passanten sind überrascht, wie eng die Zelle ist«, beschreibt Anais Denigot, die zu dem Thema geforscht hat, die Reaktionen. Sie gehört zu den VorbereiterInnen des ersten »Aktionstages Gefängnis« in Deutschland. Am 7. November sollen auf einer mehrstündigen Veranstaltung im Büro des Deutschen Caritasverbandes in der Reinhardtstraße 13 in Berlin neben verschiedenen Sozialverbänden und der Gefangenengewerkschaft auch die Leiterin der JVA Moabit, Anke Stein, zu Wort kommen.
Das Bündnis will sich auf die Forderung nach einer Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung konzentrieren. Diese geht an die künftige Bundesregierung, aber auch an die Landesregierungen. Bisher habe sie den Eindruck, dass das Thema zwischen den Ressorts der Justiz- und Finanzminister hin- und her geschoben wird und die Gefangenen und ihre Familien darunter leiden müssen, kritisiert Denigot die bisherige Debatte. Mit den Aktionstagen soll gesellschaftlicher Druck auf die Politik erzeugt werden.

Wichtig ist den OrganisatorInnen auch die Einbeziehung der Betroffenen. Schließlich lautet das Motto der Diskussionsveranstaltung »Selbstorganisation, Mindestlohn und Sozialversicherung«. Dabei spielt die GG/BO eine wichtige Rolle. Ihr ist es seit der Gründung im Mai 2014 gelungen, in allen Bundesländern Gefangene mit der Forderung nach Mindestlohn und Einbeziehung in die Rentenversicherung zu organisieren. In Köln, Berlin, Leipzig und Jena existieren Solidaritätsgruppen, die diese Forderungen von Außerhalb unterstützt. »Dass überschreitet oft unsere Kapazitäten, wir werden schon lange nicht mehr allen Anfragen gerecht«, umreist Martina Franke von der Berliner Solidaritätsgruppe die Probleme einer kontinuierlichen Unterstützungsarbeit zwischen Drinnen und Draußen. Das Bündnis Aktionstage Gefängnis könnte für die Verbreiterung der gesellschaftlichen Basis sorgen und deutlich machen, dass die Betroffenen bei der Durchsetzung von Menschenrechten nicht allein gelassen werden dürfen.

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Peter Nowak