Verdursten mitten im Meer

Moussa Tourés Film »Die Piroge« erzählt vom Hoffen und vom Schrecken auf einem afrikanischen Flüchtlingsboot

»Bring mir ein T-Shirt von einem britischen Fußballklub mit«, bittet der kleine Junge im Senegal seinen Vater, der sich wie viele Menschen in Afrika auf der Suche nach einem besseren Leben zur Flucht nach Europa entschlossen hat. Einige Wochen später wird er wieder in Dakar sein. Dazwischen liegen Tage des Hoffens und des Schreckens, die in dem preisgekrönten Film »Die Piroge« des senegalesischen Autors Moussa Touré auf faszinierende Weise dargestellt werden.

Zunächst ist die Stimmung auf dem kleinen Boot noch gelöst und die Menschen sind voller Hoffnung auf ein neues Leben in Europa. Ein junger Mann träumt von einer Karriere als Fußballspieler, ein anderer will als Musiker irgendwo in Europa sein Glück versuchen. Andere haben bescheidenere Ziele. Sie wollen auf den andalusischen Feldern arbeiten und ihren Familien und Angehörigen in der Heimat das Geld zum Leben schicken.

Auch die kleinen und größeren Streitereien zwischen den Passagieren an Bord werden gezeigt. So stören die ständigen Gebete einen anderen beim Schlafen. Das Huhn eines älteren Mannes sorgt ebenfalls für Zank. Als eine blinde Passagierin an Bord entdeckt wird, die die Transfergebühren nicht bezahlt hat, droht die Stimmung zu kippen. Doch die Wut des Kapitäns legt sich, als er die Kochkünste der Frau schätzten lernt.

Die hoffnungsvolle Stimmung an Bord hält nicht lange an. Ein schwerer Sturm zieht auf und die hohen Wellen machen das Boot manövrierunfähig. Nach dem Ende der Schreckensnacht ist ein Drittel der Passagiere über Bord gespült worden. Unter den Toten ist auch der einarmige Mann, der sich am Beginn der Reise geweigert hatte, mit den anderen Passagieren zusammen seine Dokumente auf der Überfahrt zu vernichten, um eine Identifikation zu erschweren. Er wollte wenigstens noch die Hoffnung behalten, im Todesfall in der Heimat beerdigt zu werden. Dieser letzte Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen.

Die meisten Männer, die den Sturm überlebt haben, sterben nun einen langsamen, qualvollen Tod. Viele verdursten auf dem manövrierunfähigen Boot mitten im salzigen Ozean. Ihr Sterben wird im Film in langen Einstellungen gezeigt. Als eine spanische Küstenwache die Piroge entdeckt, sind nur noch Wenige am Leben. Nachdem sie sich einige Tage von dem Horror erholen konnten, werden sie umgehend mit dem Flugzeug in ihre Heimat abgeschoben. Vorher haben sie ein kleines Taschengeld bekommen. Damit kann der Vater seinem Sohn doch noch seine Bitte nach einem Fußball-T-Shirt erfüllen. Allerdings kauft er es nicht in Europa, sondern am Flughafen der senegalesischen Hauptstadt Dakar.

»Die Geschichte, die Moussa Touré erzählt, ist beides: schmerzhaft individuell – über die einzelnen Männer auf dem Boot – und gleichzeitig unermesslich, da die Erfahrung, die sie schildert, von Millionen von Menschen auf der Welt geteilt wird«, schrieb ein Kommentator der »New York Times«, als der Film in den USA lief. Am Sonntag hat »Die Piroge« (»La Pirogue«) im Kino in den Hackeschen Höfen in Anwesenheit des Regisseurs seine hiesige Premiere. Im Anschluss wird Moussa Touré für ein Publikumsgespräch zur Verfügung stehen.

Previews am 2.6., 17 Uhr und am 3.6., 20 Uhr im Hackesche Höfe Kino, Rosenthaler Str. 40/41, Mitte. Ab 6.6. läuft der Film im regulären Programm dieses Kinos.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/823097.verdursten-mitten-im-meer.html

Peter Nowak

Charite übergibt Schädel an Namibier

Gebeine von Herero und Nama werden zurückgeführt

Die Charité wird am Freitag 20 menschliche Schädel an die namibische Regierung übergeben. Sie stammen von Angehörigen der Stämme Herero und Nama, die vor über 100 Jahren von deutschen Kolonialsoldaten ermordet wurden. Die Schädel wurden anschließend zu „rassekundlichen“ Untersuchungen die Charité gebracht, wo sie sich bis heute befinden. „Zur Rückführung der sterblichen Überreste wird eine offizielle Delegation aus Namibia erwartet“, erklärte Judith Strom von der Nichtregierungsorganisation AfricAvenir.
Mit der Übergabe der Gebeine wolle man zur Versöhnung beitragen, sagte eine Charité-Sprecherin. Für Yonas Endrias vom Global Afrikan Congress ist es „ein längst überfälliger erster Schritt zur Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus“. Die Übergabe sei nur durch zivilgesellschaftlichen Druck möglich geworden. „Alle in Deutschland befindlichen geraubten Gebeine aus der Kolonialzeit müssen zurückgeführt werden. Anders als im gegenwärtigen Fall müssten die Kosten vom deutschen Staat übernommen werden.“
Zudem, so Endrias, müsse sich die Bundesregierung endlich für die Verbrechen des deutschen Kolonialismus entschuldigen und über Reparationszahlungen verhandeln. Das bekräftigten am Dienstag auf einer Pressekonferenz VertreterInnen von drei namibischen Komitees zur Aufarbeitung des Völkermords an den Herero und Nama, die zwischen 1904 und 1907 in die Wüste getrieben und der Vernichtung preisgegeben wurden.
Auf einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt werden die Namibier am Mittwoch um 19 Uhr berichten, welche Spuren der deutsche Kolonialismus in ihren Ländern hinterlassen hat. Die Veranstaltung soll den Druck auf die Bundesregierung verstärken.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F09%2F28%2Fa0140&cHash=8049657a9e

Peter Nowak