Crowdfunding gegen Kriegsverbrechen in Syrien

Das Geldsammeln im Internet boomt. Jetzt soll mit Crowdfunding dazu beigetragen werden, dass ein Beschluss der UN-Vollversammlung umgesetzt wird

Deutsche und syrische Menschenrechtsgruppen sammeln unter dem Motto „Crowdfunding gegen Kriegsverbrecher“[1] im Internet Spenden, damit die Untersuchung über die Menschenrechtsverletzungen in Syrien beginnen können. Die von der UN-Generalversammlung verabschiedete Resolution A/71/248[2] sieht einen unabhängigen Mechanismus (IIIM – International, Impartial and Independent Mechanism) vor zur Untersuchung schwerstwiegender Verbrechen in Syrien sowohl vonseiten des Regimes als auch von verschiedenen islamistischen Gruppierungen.

„Vor sechs Monaten hat die UN-Vollversammlung Ermittlungen zu den Kriegsverbrechen in Syrien beschlossen. Geschehen ist bisher nichts“, so der Menschenrechtsanwalt Mazen Darwish, Leiter des Syrian Center for Media and Freedom of Expression[3].

Jeder Tag, an dem nicht ermittelt wird, ist ein Geschenk an die Täter, denn es zeigt: Kriegsverbrechen lohnen sich.
Mazen Darwish

Elias Perabo, der Geschäftsführer des Bündnisses Adopt the revolution[4], das die zivilgesellschaftlichen Kräfte in Syrien unterstützt, erklärt gegenüber Telepolis, die Untersuchungen konnten bisher nicht beginnen, weil die nötigen finanziellen Mitteln nicht bereit stünden.
Gerechtigkeit darf nicht am Geld scheitern

Der Geldmangel ist nicht verwunderlich. Sowohl Russland als auch die USA haben kein Interesse, eine Initiative zu unterstützen, die nicht von ihnen, sondern von der UN-Vollversammlung ausgegangen ist. Deutschland hat bisher eine Million beigesteuert. Eine größere Unterstützung wird vom Bundesaußenministerium mit dem Verweis abgelehnt, dass die Finanzierung von unterschiedlichen Ländern getragen werden soll.

„Die Strafverfolgung in Syrien darf nicht an fehlendem Geld scheitern“, betonen die zivilgesellschaftlichen Initiativen[5], die die Spendenkampagne unterstützen. Dazu gehört auch die Organisation Medico International[6]. Deren Mitarbeiter Thomas Seibert will mit der Spendenkampagne auch das Versagen der Politiker deutlich machen. „Für die EU wären es Peanuts die fehlende Summe auszugleichen und damit den politischen Willen für Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterstreichen“, so Seibert.

Tatsächlich wurde schon 24 Stunden nach Beginn der Crowdfunding-Kampagne mehr Geld gesammelt, als Staaten wie etwa Slowenien für die Strafverfolgung beigesteuert haben.

Zeichen gegen Straflosigkeit

Für Perabo geht es nicht nur um das Sammeln von Geld, sondern auch um die politische Debatte. Die Kampagne sei ein Zeichen für die Stärke der Zivilgesellschaft. Sie schafft es, unabhängig von den Staaten dafür zu sorgen, dass die UN-Initiative beginnen kann. Das wäre wiederum auch ein wichtiges Zeichen an die syrische Zivilgesellschaft, die sowohl vom syrischen Regime als auch von den unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen bekämpft wird.

Auf die Vorarbeit dieser syrischen Zivilgesellschaft könnten sich die Ermittler bei ihrer Arbeit stützen, wenn sie denn mit den Untersuchungen beginnen könnten. Perabo verweist auf die vielen Geflüchteten, die in den letzten Monaten in europäischen Staaten Schutz gesucht haben und Opfer von Menschenrechtsverletzungen des Regimes oder islamistischer Gruppen geworden sind.

Zudem seien unter den syrischen Migranten viele Juristen, die nicht verstehen, warum in den europäischen Ländern die Ermittlungen noch nicht begonnen haben. „Ihnen ist nicht zuzumuten, dass sie weiter warten müssen, bis genug Geld vorhanden ist. 6 Monate sind genug“, betont Perabo.

Ein Beginn der Ermittlungen wäre auch ein Signal die Folterer auf allen Seiten, dass sie strafrechtlich nicht immun sind. Dabei verweist Parabo auf die Islamisten verschiedener Länder, die sich in den letzten Jahren im IS-Gebiet beim Foltern fotografieren ließen und die Videos ins Netz stellten, um weitere Mordkumpane zu rekrutieren.

Manche von ihnen waren überrascht, dass sie wegen dieser Videos in Deutschland und anderen Ländern strafrechtlich zu Verantwortung gezogen wurden. Mittlerweile ist diese Art von Terrorpropaganda weniger geworden, was sicher auch Gründe in der schnellen Entzauberung des IS hat.

Aber auch das Wissen darum, dass die Täter und ihre Unterstützer können strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, dürfte manchen Pogromhelden Zügel dafür angelegt haben, ihre Mordlust ganz offen zur Schau zu stellen.


Ermittlungen gegen Islamisten und Regime

Die Kräfte, die es auch in Kreisen der autoritären Linken gibt, die einer Stärkung des syrischen Regimes etwas Positives abgewinnen können, werden allein deswegen gegen Untersuchungen sein und die Kampagne ablehnen.

Doch das ist politisch kurzsichtig. Gerade eine solche juristische Untersuchung könnte doch mit zur Klärung beitragen, für welche Verbrechen das Regime verantwortlich ist und für welche die unterschiedlichen islamistischen Gruppen. Die vehemente Ablehnung der syrischen Regierung, eine solche Untersuchung zuzulassen, spricht nicht dafür, dass es sie nicht gibt.

Unverständlicher ist noch, dass Teile der Linken in Deutschland und anderen Ländern das Regime hierbei verteidigen. Dabei müsste doch die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchung die logische Konsequenz dieser Auseinandersetzung sein.

Es gibt viele Zeugnisse über diese alltägliche Folter[7]. Besonders die Berichte eines angeblichen Geheimdienstüberläufers mit dem Alias-Namen Cäsar[8] haben international für Empörung gesorgt. Es wäre auch die Aufgabe der Untersuchung, hier mehr Klarheit zu schaffen.
https://www.heise.de/tp/features/Crowdfunding-gegen-Kriegsverbrechen-in-Syrien-3751235.html

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3751235

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.crowd4justice.org/
[2] http://www.un.org/en/ga/71/resolutions.shtml
[3] https://scm.bz/en/
[4] https://www.adoptrevolution.org/
[5] http://www.presseportal.de/pm/14079/3662994
[6] https://www.medico.de/
[7] http://www.20min.ch/panorama/news/story/Laut-Amnesty-18-000-Tote-in-Syriens-Gefaengnissen-28008729
[8] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fotos-aus-syrien-zeigen-systematische-folter-und-mord-a-944593.html

Verbrecherjagd dank Crowdfunding

»Vor sechs Monaten hat die UN-Vollversammlung Ermittlungen zu den Kriegsverbrechen in Syrien beschlossen. Geschehen ist bisher nichts«, sagte der Menschrechtsanwalt Mazen Darwish, Leiter des Syrian Center for Media and Freedom of Expression. Für Elias Perabo, Geschäftsführer des Bündnisses »Adopt a Revolution«, steht fest, dass jeder Tag, an dem nicht ermittelt wird, ein Geschenk an die Täter sei, »denn es zeigt: Kriegsverbrechen lohnen sich.« Perabo, dessen Bündnis die zivilgesellschaftlichen Kräfte in Syrien unterstützt, erklärte gegenüber »nd«, die Untersuchungen hätten bisher nicht beginnen können, weil die nötigen finanziellen Mittel nicht bereitstünden.

Der Geldmangel ist nicht verwunderlich. Sowohl Russland als auch die USA haben kein Interesse daran, eine Initiative zu unterstützen, die nicht von ihnen, sondern von der UN-Vollversammlung ausgegangen ist. Deutschland hat bisher eine Million Euro beigesteuert. Eine größere Unterstützung wird vom Bundesaußenministerium mit dem Verweis abgelehnt, dass die Finanzierung von unterschiedlichen Ländern getragen werden solle.

»Die Strafverfolgung in Syrien darf nicht an fehlendem Geld scheitern«, betonen dagegen die zivilgesellschaftlichen Initiativen, die die Spendenkampagne unterstützen. Dazu gehört auch die Organisation Medico International.

Mit der ersten Resonanz auf die Crowdfunding-Kampagne zeigt sich Perabo zufrieden. »Wir haben in 24 Stunden über 12 000 Euro gesammelt, mehr als Staaten wie Slowenien beigesteuert haben«, sagte er. Für Perabo ist das ein Zeichen von Stärke der Zivilgesellschaft. Sie könne unabhängig von den Staaten dafür sorgen, dass die UN-Initiative starten kann. Das wäre wiederum auch ein wichtiges Signal für die syrische Zivilgesellschaft, die sowohl vom syrischen Regime als auch von islamistischen Gruppierungen bekämpft wird.

Auf die Vorarbeit dieser syrischen Zivilgesellschaft können sich die Ermittler bei ihrer Arbeit stützen. Perabo verweist auf die vielen Geflüchteten, die in den letzten Monaten in europäischen Staaten Schutz gesucht haben und Opfer von Menschenrechtsverletzungen des Regimes oder islamistischer Gruppen geworden sind. Unter ihnen seien viele Juristen, die nicht verstünden, warum in den europäischen Ländern die Ermittlungen noch nicht begonnen haben. »Ihnen ist nicht zuzumuten, dass sie weiter warten müssen, bis genug Geld vorhanden ist. Sechs Monate sind genug«, betonte Perabo.

Ein Beginn der Ermittlungen wäre auch ein Zeichen für die Folterer auf allen Seiten, dass sie strafrechtlich nicht immun sind. Perabo verwies auf die Islamisten verschiedener Länder, die sich in den letzten Jahren im IS-Gebiet während ihrer begangenen Gräueltaten fotografieren ließen, um damit Unterstützer zu rekrutieren. Sie seien überrascht gewesen, dass sie dafür in Deutschland und anderen Ländern strafrechtlich zu Verantwortung gezogen werden.
hier der Link zur Crowdfunding-Kampagne:
http://www.crowd4justice.org
/
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1054848.verbrecherjagd-dank-crowdfunding.html

Peter Nowak

Müssen Geflüchtete hilflos und schutzsuchend sein?

Druck auf Merkel in der Flüchtlingsfrage wächst

In der EU ist Merkel isoliert, in Österreich wird eine Großoffensive gegen Migranten geplant, die Linke steckt im Moralisieren fest

Vor einigen Wochen noch wurde Angela Merkel wieder einmal als große Siegerin in den Medien gefeiert. Schließlich wurde sie am CDU-Parteitag mit viel Applaus bedacht und ihre Kritiker in der Flüchtlingsfrage gaben sich mit Formelkompromissen zufrieden. Vor allem Grüne und Zivilgesellschafter, ja sogar Campino von den Toten Hosen[1] sehen in Merkel die große Flüchtlingsfreundin.

Dass damals schon Tausende Menschen aus den Balkanländern, darunter Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden, in ihre sogenannten sicheren Herkunftsländer abgeschoben wurden, ging dabei weitgehend unter. Die Willkommenskultur galt wohl nicht für Roma aus Kosovo. Doch der innerparteiliche Burgfrieden währte nur kurz. Schon wieder melden sich Unionspolitiker zu Wort, die gegen die Merkelsche Flüchtlingspolitik opponieren. Dieses Mal geht es nicht um die Obergrenze, sondern um die Durchsetzung des Dublin-Systems. Einer der Initiatoren dieser Bewegung, der Unionsabgeordnete Christian von Stetten[2], wird in der Zeit zitiert[3]: „Bei einer solch entscheidenden Frage muss sich die Fraktion eine Meinung bilden.“

Zeit Online zitiert aus dem Antrag, dass dort eine „verlässliche Sicherung der deutschen Staatsgrenzen“ gefordert werde, solange internationale Maßnahmen wie die Sicherung der EU-Außengrenze noch keine Wirkung zeigten: „Notwendig sei eine ‚vollständige grenzpolizeiliche Kontrolle und Registrierung aller nach Deutschland Einreisender‘. Diese Maßnahmen müssten auch auf die Grüne Grenze übertragen werden. „Zurückweisungen (…) sind zumindest bei denjenigen vorzunehmen, bei denen keine offenkundigen, zwingenden humanitären Gründe für eine Einreise sprechen“, heißt es weiter.

Dies treffe vor allem auf allein reisende junge Männer zu. Aber auch Menschen, denen eine Wiedereinreisesperre auferlegt wurde, bereits einen Folgeantrag gestellt haben oder bei der Feststellung ihrer Identität nicht mitwirken, soll die Einreise verweigert werden. Nun sind diese Forderungen nicht besonders spektakulär. Ein Großteil ist bereits heute Gesetz. Allerdings können oder wollen die Initiatoren die Frage nicht beantworten, woher beispielsweise das Personal kommen soll, dass nicht nur die offizielle, sondern auch die Grüne Grenze vollständig überwachen soll.

So scheint hinter den Antrag eher die Panik von Unionspolitikern zu liegen, die bei den nächsten Landtagswahlen eine empfindliche Schlappe der Union und den Aufstieg der AfD befürchten. Es sind nicht nur Unionspolitiker, die sich Sorgen machen. Wenn vor einigen Wochen SPD-Politiker Merkel gerügt haben, sie lasse es mit ihrer Politik zu, dass die Konservativen in der Union heimatlos werden, dann kommt dort natürlich die Angst zum Ausdruck, dass die Union der SPD die Wähler wegnimmt.

Wenn man wahrnimmt, wer sich in den letzten Wochen mehr oder weniger verschämt alles als Merkel-Fan geoutet hat, dann ist diese Befürchtung sicher nicht unberechtigt. Wenn dann in der Folge die Union allerdings noch mehr Wähler an die AFD verliert, stehen die sogenannten Parteien der Mitte vor einem Dilemma. Es könnte die Zeit kommen, wo sie selber zusammen in einem Landtag keine absolute Mehrheit mehr haben.

Machtmenschen wie der Merkel-Vorgänger Schröder nutzen nun gleich die Gelegenheit, um Merkel noch zu bescheinigen[4], in der Flüchtlingspolitik keinen Plan gehabt zu haben. Seine Kritik ist teilweise verständlich, wenn er die Weigerung der Union, ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden, kritisiert, was dazu führt, dass Migranten, die in Deutschland bessere Lebensbedingungen suchen, aber nicht politisch verfolgt werden, unter die Asylgesetzgebung gepresst werden, die für diese Menschen gar nicht passt. Wenn Schröder konsequente Abschiebung von straffälligen Migranten fordert, ohne auch nur mal die rechtliche Grundlage zu erörtern, betreibt er natürlich gnadenlosen Populismus.

Es ist aber weniger Merkel als vielmehr Sigmar Gabriel, der durch die Schröder-Attacken aufgeschreckt werden müsste. Vielleicht plant er doch noch mal eine Rückkehr in die Politik? Schließlich darf der Begriff vom Altkanzler nicht täuschen. Es gab Kanzler, die waren schon beim Amtsantritt älter als Schröder heute. Wenn sich der Abwärtstrend der SPD bei den nächsten Wahlen nicht aufhalten lässt, könnte es gut sein, dass Schröder als Retter in der Not gerufen wird. Er kann sogar glaubwürdig Merkel in der Flüchtlingsfrage von rechts kritisieren.

Landrat schickt Geflüchtete vor das Bundeskanzleramt

Wie groß die Ablehnung der Merkelschen Flüchtlingspolitik schon ist, zeigte auch die Aktion[5] eines bayerischen Landrats, der 31 syrische Geflüchtete mit dem Bus nach Berlin schickte, um gegen die Flüchtlingspolitik zu protestieren. Da der Landrat zu den Freien Wählern gehört, fanden vor allem die CSU und auch viele Medien keine guten Worte für die Aktion.

Tatsächlich macht der Landrat deutlich, dass er für eine Flüchtlingsbegrenzung eintritt, also die Aktion zur Umsetzung einer politischen Agenda nutzt. Allerdings könnte sie gegen seinen Willen auch den Geflüchteten entgegen gekommen sein. Vielleicht sehen sie in der Großstadt Berlin mehr Chancen für sich als in der bayerischen Provinz. Wenn sie schlau sind, haben sie Vorkehrungen getroffen und nutzen die Aktion des Landrats, um in Berlin zu bleiben. Dann stünde der Politiker blamiert da und einige Menschen wären zufriedener.

In der EU ist Merkel völlig isoliert

Doch nicht nur in Deutschland mehr noch in der EU wächst der Druck auf Merkel. Das wurde beim gestrigen Besuch von EU-Kommissionspräsident Juncker in Berlin deutlich. Der favorisierte EU-Verteilungsplan geht nicht auf. Ob Dänemark, Schweden, Tschechien. Polen oder die Slowakei, von Ungarn gar nicht zu reden, alle Länder mit ihren unterschiedlichen Regierungen fordern eine Verminderung von Migranten in ihren Ländern oder zumindest ein geordnetes Prozedere.

In einem Interview[6] des Deutschlandfunks mit dem Direktor des Europaprogramms der Bertelsmann-Stiftung Joachim Fritz-Vonnahme[7] wird auch deutlich, wie gespalten die EU in der Flüchtlingsfrage ist. Auf die Frage, ob es noch eine europäische Lösung geben wird, antwortet Fritz-Vonnahme:

Ich glaube nicht mehr, dass es in absehbarer Zeit eine europäische Lösung geben wird, und zwar, weil die Probleme inzwischen zu einem wahren Gestrüpp von nationalen Egoismen herangewachsen sind. Ich will mal nur ein oder zwei Beispiele nennen. Da wird beschlossen, dass man die Grenzschutztruppe Frontex auf 1.500 Mann bis Mitte dieses Jahres aufstocken soll. Die aktuelle Ratspräsidentschaft der Niederländer sagt, das kann aber noch ein bisschen warten. Die Slowaken, die anschließend übernehmen, sagen, nein, nein, wir können überhaupt nicht bis Mitte des Jahres warten, das muss sofort geschehen.

Zweites Beispiel ist die Quote von 160.000 Flüchtlingen, die verteilt werden sollen. Da sind einige wenige Hundert nach Monaten inzwischen verteilt. Oder ein weiteres Beispiel die Überlegung der niederländischen Ratspräsidentschaft, ausgerechnet in dem Augenblick, in dem sie Vorsitz haben, ein Mini-Schengen zwischen vier, fünf, sechs Mitgliedsstaaten aus der Taufe zu heben. Das ist die Spaltung der EU von unten her, von innen her. Das ist wie gesagt alles nur Gestrüpp, in dem keiner so richtig weiß, welchen Weg er eigentlich einschlagen will.Joachim Fritz-Vonnahme

Joachim Fritz-Vonnahme

Großoffensive gegen Migranten in Österreich

Derweil meldet[8] die österreichische Kronenzeitung, sie haben einen eigentlich noch geheimen Plan enthüllt, nach dem das österreichische Bundesheer schon in den nächsten Tagen gegen Migranten an der Grenze vorgehen will und dabei mit der deutschen und slowenischen Regierung in Gesprächen sei. Hier würde nur nachvollzogen, was bereits an vielen anderen Grenzen Praxis ist.

Man vertraut also nicht mehr darauf, dass die türkische Regierung die potentiellen europäischen Einwanderer schon zurückhält und sie teilweise sogar gleich nach Syrien zurückschickt. Denn auch das gehörte zur Flüchtlingspolitik à la Merkel. Doch vor allem ihre neuen Freunde, die wie die Taz gleich einen neuen deutschen Willkommenspatriotismus ausgerufen hatten, ignorierten solche unschönen Details ebenso wie die seit Wochen laufenden Massenabschiebungen in den Kosovo und andere Balkanländer.

Moral statt Analyse in der linken Flüchtlingsdebatte

Gerade die letzten Monate der Flüchtlingspolitik haben die völlige Konzeptlosigkeit einer Linken entlarvt, die in der Flüchtlingsfrage nicht über moralische Bekenntnisse hinauskam. Dabei stand weniger das Interesse der Migranten, sondern das Bedürfnis, sich mit einem angeblich so humanen Deutschland zu solidarisieren, im Mittelpunkt.

Das merkt man allein schon daran, dass in den meisten Publikationen ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Mirganten n Deutschland für immer leben wollen. Dabei haben viele Flüchtlingsorganisationen immer wieder betont, dass sie gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen, wenn sich die Bedingungen in ihren Ländern verbessert haben. So betonen in einer Publikation[9] der zivilgesellschaftlichen Organisation Adopt the Revolution[10], die für eine demokratische Entwicklung ohne die Islamisten und das Assad-Regime in Syrien eintritt, mehrere Interviewpartner, dass sie keinesfalls dauerhaft in Europa bleiben wollen.

Die Initiative Afrique-europe-Interact[11] redet in ihrer jüngsten Publikation vom Recht zu gehen und vom Recht zu bleiben. Dort werden anders als in der moralischen deutschen Flüchtlingsdebatte auch die Folgen für die Länder beschrieben, aus denen viele meist junge Menschen migrieren.

Es wäre zu wünschen, wenn mehr solche Initiativen, in denen Geflüchtete selber zu Wort kommen, gehört werden. Der Mainstream der deutschen Willkommenskultur macht das genau nicht. Ihnen geht es vor allem um die großen Chancen für eine alternde Gesellschaft in Deutschland, die Zuwanderung mit sich bringen sollen. Dabei sind sie sich auch mit führenden Wirtschaftsverbänden einig. Das war auch der Motor der Willkommenskultur im Spätsommer 2015. Die Linke spielte dabei in der Regel die Rolle des humanitären Feigenblattes.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47130/1.html

Peter Nowak 15.01.2016

Anhang

Links

[1]

http://www.express.de/duesseldorf/lob-fuer-die-kanzlerin-campino—merkel–ich-koennte-sie-umarmen—23106736

[2]

http://www.christian-von-stetten.de/

[3]

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-01/angela-merke-cdu-fluechtlinge-streit

[4]

http://www.focus.de/politik/deutschland/altkanzler-zur-fluechtlingskrise-da-wurde-schlicht-die-realitaet-ignoriert-schroeder-kritisiert-merkel_id_5212643.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/landrat-peter-dreier-schickt-fluechtlinge-per-bus-zu-angela-merkel-a-1072011.html

[6]

http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingspolitik-keine-europaeische-loesung-in.694.de.html?dram:article_id=342465

[7]

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ueber-uns/wer-wir-sind/ansprechpartner/mitarbeiter/cid/joachim-fritz-vannahme/

[8]

http://www.krone.at/Oesterreich/Grossoffensive_gegen_illegale_Einwanderer-Heeres-Geheimplan-Story-491105

[9]

http://www.adoptrevolution.org/ich-will-syrerin-bleiben/).

[10]

http://www.adoptrevolution.org/

[11]

http://afrique-europe-interact.net/

Flucht vor allem vor den Bomben des Regimes

Eine Befragung von Flüchtlingen durch die Organisation Adopt the Revolution und die politischen Schlüsse, die daraus zu ziehen sind

Geflüchtete sind in Deutschland in der Regel Objekt. Für die als besorgte Bürger auftretenden Gegner der Geflüchteten, die sich von Dresden bis Erfurt in den letzten Wochen wieder vermehrt auf den Straßen versammeln, ist der Flüchtling als solcher schon Gegenstand der Ressentiments.

Da werden die Smartphones ebenso angeführt, die für den gefährlichen Transit überlebensnotwenig sind, wie auch die Tatsache, dass weit mehr Männer als Frauen Asyl begehren. Obwohl sich für all die Fakten völlig logische Begründungen finden lassen, werden sie von den Flüchtlingsfeinden als zusätzliches Argument für Erregungungen und Ressentiments benutzt. Aber auch viele wohlmeinende Bürger, die in den letzten Wochen Flüchtlinge begrüßt und willkommen geheißen haben, sehen in ihnen vor allem hilfsbedürftige Menschen, die betreut werden sollen.

Dass es sich um Menschen handelt, die einen eigenen Willen und auch eigene Vorstellungen von ihrem Leben in Europa haben, wird dabei oft vergessen. Da ist es sehr erfreulich, dass am gestrigen Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin die Ergebnisse der ersten systematischen Befragung von syrischen Geflüchteten [1] über die Gründe ihrer Flucht und die Perspektiven in Deutschland vorgestellt worden sind. Im Zeitraum vom 12. September bis 2. Oktober wurden von der zivilgesellschaftlichen Organisation Adopt the Revolution [2] in Kooperation mit The Syria Campaign [3] 889 Menschen in 12 Erstaufnahmelagern befragt und wurde dabei vom Wissenschaftszentrum Berlin [4] beraten.

Für ein Syrien ohne Assad

Von den Befragten gaben 92% an, vor bewaffneten Auseinandersetzungen geflohen zu sein, für die nach Ansicht von über zwei Dritteln (70%) die syrische Regierung verantwortlich ist. Weniger als halb so viele (32%) machten den ‚Islamischen Staat‘ (IS) für die Kämpfe verantwortlich. Die Freie Syrische Armee beschuldigten 18%, al-Qaida/Jabhat al-Nusra 16% und die kurdischen Kämpfer 8 Prozent.

Über die Hälfte der Befragten würde nur in ein Syrien ohne Assad zurückkehren. Nur eine kleine Minderheit (8%) möchte dauerhaft bleiben. Für 52% ist eine Rückkehrbedingung, dass Bashar al-Assad geht; deutlich mehr als dafür, dass der IS das Land verlässt (44%). Die Alternative ist offenbar Demokratie, da für 42% freie Wahlen eine Voraussetzung sind, nach Syrien zurückzukehren. Die abstraktere Bedingung, dass „der Krieg enden muss“, erhält jedoch mit 68% die höchste Zustimmungsrate.

Für die Mehrheit der Befragten ist eine Flugverbotszone das wirksamste Mittel, weitere Vertreibung zu reduzieren. Befragt nach Handlungsoptionen der EU und der internationalen Gemeinschaft, um die weitere Flucht von Menschen aus Syrien zu reduzieren, gaben 58% die Einrichtung einer Flugverbotszone an. Es folgten der Stopp von Waffenlieferungen an alle Kriegsparteien in Syrien (38%) sowie mehr humanitäre Hilfe für Syrien (24%), um die Vertreibung zu reduzieren.

Den Initiatoren ist tatsächlich hoch anzurechnen, dass sie mit der Befragung, den Vertriebenen selbst die Möglichkeit gegeben haben, „ihre Meinung zu Fluchtursachen und Handlungsoptionen für die internationale Politik zu äußern“, wie Adopt the Revolution in ihrer Pressemitteilung schreibt.

Politische Handlungsoptionen unklar

Doch welche Handlungsoptionen [5] sich daraus für die Politik ergeben, ist weiter eine offene Frage. Denn die Befragung gibt nun zunächst einmal nur ein Stimmungsbild der Befragten, das unter Umständen Rückschlüsse auf die Sichtweise der syrischen Flüchtlinge in Deutschland insgesamt geben kann. Die Stimmungslage in Syrien aber lässt sich damit wohl kaum ermitteln.

So ist es sehr wahrscheinlich, dass Menschen, die weniger oder keine Probleme mit dem Regime haben, in die von der Regierung gehaltenen Gebiete fliehen, wenn sie vom IS oder anderen islamistischen Gruppen bedroht werden. Für Oppositionelle hingegen, die sich auch ganz klar von den Islamisten abgrenzen, gibt es keine innerstaatliche Fluchtalternative. So ist es klar, dass diese am ehesten das Land verlassen – und das drückt sich auch in den Umfragen aus.

Dass die Fassbomben des Regimes, die wahllos Terror in den großen Städten verbreiten, als zentrale Fluchtursache genannt werden, ist dann auch nicht verwunderlich. Schließlich sind besonders die Gegner des Regimes diesen Bombardements schutzlos ausgeliefert, weil sie nicht in die von der Regierung gehaltenen Gebiete fliehen können.

Ihnen bleibt nur die Alternative unter dem Bombenterror auszuharren oder ins Ausland zu gehen. Dass ein Syrien ohne Assad für viele der Befragten eine Bedingung für eine Rückkehr ist, scheint auch logisch. Warum sollten die Menschen die Strapazen und Gefahren des Transits auf sich nehmen, um dann unter den gleichen schlechten Verhältnissen wieder in Syrien zu leben?

Dass eine Flugverbotszone sehr häufig als Handlungsoption auch für die EU-Staaten genannt wurde, überrascht denn auch nicht, wenn eben die Bombardierungen als Hauptfluchtgrund genannt wurden. Doch wie sie umgesetzt werden soll, bleibt trotzdem offen.

Eine Handlungsanweisung zu einem militärischen Eingriff von Nato-Staaten kann aus den Ergebnissen der Befragungen kaum herausgelesen werden. Schließlich wurden auch die Beendigung des Kriegs und der Stopp aller Waffenlieferungen häufig genannt. So könnte das eine Quintessenz der Befragung vor allem darin liegen, die Geflüchteten im Kampf um ihr Recht zu bleiben, so lange sie wollen, zu unterstützen und sie zu animieren, ihre Freunde und Bekannte, die in einer ähnlichen Lage sind wie sie, ebenfalls aufzurufen, das Land zu verlassen.

Denn das ist angesichts der in der Befragung genannten Zustände in Syrien tatsächlich für viele Menschen der sinnvollste Weg. Es ist zumindest die einzige Garantie, weder von Islamisten noch von den Repressionsorganen des Regimes verfolgt oder gar ermordet zu werden. Die Bekräftigung dieses Rechts, zu kommen und zu bleiben, sollte auch deshalb erfolgen, weil längst schon maßgebliche Politiker von Union und SPD statt von Willkommenskultur vom Ende der Belastungen reden.

http://www.heise.de/tp/news/Flucht-vor-allem-vor-den-Bomben-des-Regimes-2840360.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://www.adoptrevolution.org/pm_umfrage/

[2]

https://www.adoptrevolution.org/

[3]

https://thesyriacampaign.org/

[4]

https://www.wzb.eu/de

[5]

https://www.adoptrevolution.org/fluchtursachen-und-handlungsoptionen/

Was macht die Friedensbewegung, wenn Russland in Syrien mit bombt?

Am kommenden Sonntag geht ein Teil der deutschen Friedensbewegung 100 Jahre zurück in die Geschichte. Sie nehmen das Jubiläum der Zimmerwalder Konferenz, als sich vor 100 Jahren in den kleinen Schweizer Ort die versprengten Reste der europäischen Sozialdemokratie trafen, die den Kurs des Burgfriedens ablehnten, zum Anlass, um über die Probleme der heutigen Friedensbewegung zu sprechen[1].

Seit einigen Tagen ist die Situation für die abermals versprengen Reste der aktuellen Friedensbewegung noch schwerer geworden. Seit Russland genau wie die USA und Frankreich ebenfalls in Syrien Ziele bombardiert, müsste zumindest der Teil der Friedensbewegung in Argumentationsschwierigkeiten geraten, der Putin und seine Politik immer als friedlich darstellte und dagegen die kriegerische USA bzw. den US-Imperialismus stellten.

Ein Paradebeispiel war in diesen Kreisen die diplomatische Initiative Russlands, das syrische Giftgas ohne kriegerischen Einsatz zu beseitigen. So sei in letzter Minute ein schon geplantes Eingreifen der USA und anderer Natostaaten in Syrien verhindert worden, so die Sichtweise der Fraktion in der Friedensbewegung, die vielleicht etwas verkürzt als prorussisch bezeichnet werden können. Es ist tatsächlich schwer, einen Begriff für diese Strömung zu finden, die in Teilen der traditionellen Linken ebenso anzutreffen ist wie in der diffusen Mahnwachenbewegung, aber auch in offen rechten Kreisen.

Rückkehr der Geopolitik

Der Begriff der Putinversteher, der sich für diese Strömung eingebürgert hat, ist schon deshalb untauglich, weil er schon die Tatsache, dass jemand die Interessenlage und Beweggründe eines Landes verstehen will, mit einer negativen Konnotation versieht. Am ehesten könnte diese russlandfreundliche Strömung als Neuauflage einer Geopolitik[2] begreifen, die geografische Gegebenheiten zum Gegenstand der Politik machen will. Da wird zum Beispiel eine Verständigung mit Russland mit der notwendigen Kooperation der europäischen Mächte begründet. Die USA wird als nichteuropäische Macht als potentieller Aggressor betrachtet, der eine Kooperation zwischen der EU und Russland hintreiben könnte.

Auch das Konzept der Eurasischen Union, ein Bündnis zwischen europäischen und asiatischen Ländern, zu denen Russland den Schlüssel bieten soll, ist in geopolitischen Kreisen populär. Das Konzept kommt ursprünglich aus der politischen Rechten. Heute beziehen sich auch Menschen und Initiativen darauf, die sich als links verstehen. Doch mit dem emanzipatorischen Anspruch hat es auch heute nichts zu tun. Es geht um Staaten und ihre Regenten und die überhistorischen geografischen Gegebenheiten, die angeblich die Geschichte bestimmen. Kein Platz ist in einem solchen Geopolitikkonzept für die Bewohner der Länder, ihre Wünsche und ihre Kämpfe.

Es ist kein Zufall, dass anlässlich des Geburtstags von Otto von Bismarck, der sich in diesem Jahr am 1. April zum 200. Mal jährte, viel über vermeintlich löbliche Seiten des erzreaktionären Politikers sinniert wird. Dabei wird besonders betont, dass Bismarck nach zahlreichen, von ihm provozierten Kriegen einen Ausgleich mit Russland suchte, woraus Handlungsmöglichkeiten für den gegenwärtigen Ukraine-Konflikt abgeleitet werden.

Hier wird versucht, eine geopolitische Tradition zu kreieren. Auch heute wird sie hauptsächlich in rechtspopulistischen Kreisen gepflegt. So wird auf einer Konferenz des Magazins Compact der französische Geopolitiker Thierry Meyssan auftreten[3], der erst kürzlich aufrief, IS und Moslembürger gemeinsam mit Putin zu bekämpfen. Meyssan ist mit seiner Veröffentlichung zum 11. September zum Star der Verschwörungstheoretiker geworden. Ihm wird aber auch von seinen Kritikern[4] bescheinigt, dass er lange Zeit in Frankreich als Wissenschaftler der Aufklärung galt. Gerade darin aber dürfte sein Erfolg liegen.

Den Anhängern eines solchen Bündnisses geht es nicht um eine Welt ohne Krieg. Ihnen geht es um ein starkes Deutschland bzw. einer deutschbeherrschten EU-Zone, die sich im Bündnis mit Russland gute Voraussetzungen für den Kampf um Bodenschätze und Wasser erobern soll und dazu natürlich bei Bedarf auch Krieg führen können. Nur sollen es nach den Vorstellungen der Geopolitiker eben Kriege sein, die im deutschen Interesse sind.

Die Intervention Russlands in Syrien hingegen wird dann als weltweiter Beitrag im Kampf gegen den Islamismus interpretiert, wie es der russische Präsident in seiner Rede auf der UN-Vollversammlung[5] kundtat und dazu sogar Verbindungen zur Anti-Hitler-Koalition zog, um auch die Traditionslinke zufrieden zu stellen.

Vom kalten und heißen Krieg

Tatsächlich ist die syrische Intervention für die russische Regierung vor allem eine gute Gelegenheit, um der Welt und auch der Bevölkerung zu signalisieren, wir sind wieder zurück in der Weltpolitik. Russland hat keineswegs vor, nach der Pfeife und unter dem Oberbefehl der USA oder Frankreich zu handeln. Wenn nun der französische Präsident Hollande von Putin fordert, er solle an den westlichen Vorgaben richten und nur die Islamistenfraktion bombardieren, die weltweit als zum Abschuss freigegeben angesehen wird, nämlich den IS, wird damit in Moskau auf wenig Gehör stoßen.

Dort hat man vielmehr deutlich gemacht, dass es Gespräche mit Vertretern westlicher Staaten nur in technischen Fragen geben soll. Man will so vermeiden, dass man sich, wie kurzzeitig im Kosovo passiert, plötzlich bewaffnet gegenübersteht, bzw. dass man gar aufeinander schießt. Man ist also dann wieder auf der Höhe des Kalten Krieges, als es den Verantwortlichen auch darum ging zu verhindern, dass daraus ein heißer Krieg wird.

Aber schon das Vokabular war zynisch. Denn der Krieg fand in den drei Kontinenten statt. Dort starben die Menschen, dort wurden die Städte und Dörfer verwüstet, die Felder vermint und eine unbekannte Zahl von Menschen dem Tod oder der Verelendung ausgeliefert. Heiß wäre der Krieg aber nur nach dieser Definition nur dann geworden, wenn dabei auch in den Zentren, also in den USA, in Russland, Frankreich oder Deutschland, Bomben eingeschlagen hätten und Menschen ums Leben gekommen wären. So wurden die Menschen also sortiert nach Metropolenbewohnern und den anderen.

Wenn nun Russland die Ergebnisse der Niederlage der Sowjetunion im Kalten Krieg rückgängig machen will und sich nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland als Macht, mit der man rechnen muss, präsentiert, bedeutet das für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ein Zurück zu diesen Zuständen. Wer von den russischen Bomben getroffen wird, ist für die meisten Medien hierzulande nicht interessant. Genau so wenig wie die Opfer der anderen Mächte, die mit Bomben und Drohnen dort aktiv sind.

Nur die Initiative Adopt the revolution[6], die weiterhin beharrlich daran erinnert, dass der Aufstand in Syrien damit begann, dass sich Menschen gegen eine autoritäre Herrschaft auflehnten, bevor die völlig legitime Revolte durch Nachbarstaaten militarisiert wurde, macht sich die Mühe, Menschen aus Orten zu Wort kommen[7] zu lassen, die unter russischen Bomben[8] lagen.

Solche Initiativen stehen damit in der Tradition einer Antimilitarismusbewegung, die wie der linke Flügel der Sozialdemokratie vor 1914 die Opfer unter den Menschen aller Länder ebenso in den Mittelpunkt stellte, wie die ökonomischen und politischen Interessen der Kriegsbeteiligten aller Allianzen. Sie kamen gerade nicht auf die Idee, sich dabei auf eine Seite zu stellen. Wenn schon nicht von dem Standpunkt eines linken Antimilitarismus kritisiert[9] der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich das russische Eingreifen in Syrien immerhin als weitere Untergrabung der Autorität der Vereinten Nationen.

Radikale Humanisten und der Krieg

Doch es sind nicht nur prorussische Geopolitiker, die die Bombe zumindest zeitweilig lieben lernen. Auch Philipp Ruch vom Kunstprojekt Zentrum für politische Schönheit[10]hat sich in einem Gespräch[11] mit dem Herausgeber des Freitag Jakob Augstein für eine militärischen Einsatz in Syrien ausgesprochen, natürlich nur zur Verteidigung der Menschen und ihrer Rechte.

Dass dieses Argument nicht nur von der rot-grünen Bundesregierung, sondern auch der Nato schon längst entdeckt wurde, um militärische Interventionen besser vermitteln zu können, scheint dem selbsternannten radikalen Humanisten Ruch entgangen zu sein. Es fällt ihm auch gar nicht auf, wie stark er die Ursachen des Syrienkonflikts vereinfachen muss, um seine Forderung nach einem Militäreinsatz gegen Assad zu legitimieren. Während es für die prorussischen Geopolitiker nur die Islamisten und ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Unterstützer als Kriegstreiber gibt und Assad als legitime Regierung gilt, wird er für Ruch zum Betreiber einer „genozidalen Kriegsführung“ und die Islamisten und ihre Förderer kommen gar nicht vor.

So müssen alle, die sich für Kriege aussprechen, immer zuerst die Realität so zurechtbiegen, damit dann das Feindbild auch stimmt. In der Realität stirbt aber nicht die Wahrheit, wie ein gerne verwendetes Bonmot sagt. Es sind reale Menschen, die sterben – und je mehr Kräfte beim Bomben mitmachen, desto größer wird ihre Zahl.

Peter Nowak

Anhang

Links

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http://www.kriegsberichterstattung.com/id/4706/100-Jahre-Zimmerwalder-Konferenz-Imperialismus-heute–Differenzen-verstehen–Spaltungen-ueberwinden/

[2]

http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/geopolitik/2976

[3]

http://juergenelsaesser.wordpress.com/2015/09/29/gemeinsam-mit-russland-is-und-muslimbruederschaft-bekaempfen/).

[4]

http://jungle-world.com/artikel/2002/15/24145.html

[5]

http://www.kremlin.ru/events/president/news/50385

[6]

https://www.adoptrevolution.org

[7]

http://www.adoptrevolution.org/fakten-talbiseh/

[8]

https://www.adoptrevolution.org/weitere-angriffe-des-russischen-militaers-interview-mit-aktivisten-aus-kafranbel/

[9]

http://www.stefan-liebich.de/de/article/4541.auch-russland-untergr%C3%A4bt-autorit%C3%A4t-der-uno.html

[10]

http://www.politicalbeauty.de/

[11]

https://digital.freitag.de/#/artikel/die-zugbruecke-geht-schon-wieder-hoch

[12]

http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_21.html

Sind die USA Schuld an der Flüchtlingskrise?

Syrien, die Folter und Heuchelei

Links

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Ist Frieden mit Assad noch möglich?

Ein Aufruf zur Unterstützung der syrischen Zivilgesellschaft sorgt für Debatten

Der syrische Bürgerkrieg ist aus den Schlagzeilen unserer Medien verschwunden. Mittlerweile sind die Meldungen über Bombenanschlägen und ermordete Aktivisten in dem Land so alltäglich geworden, dass sie keinen prioritären Nachrichtenwert mehr haben. Da erinnert ein Aufruf des Bündnisses Adopt a Revolution daran, dass der Aufstand in Syrien einmal im Kontext der „Arabellion“ Hoffnungen auf eine emanzipierende Entwicklung für die Menschen in dem Land geweckt hat. Unter dem Motto „Freiheit braucht Beistand“ wird dort noch einmal der vielzitierte arabische Frühling beschworen, der auch in Tunesien, Ägypten und Jemen in erster Linie ein Elitentausch gewesen ist.

Vom arabischen Frühling zum islamistischen Herbst

In dem aktuellen Aufruf wird die Entwicklung vom arabischen Frühling zum aktuellen islamistischen Herbst kritisch reflektiert:

„Vor anderthalb Jahren hat eine junge Generation in Syrien ihren Willen zur Freiheit erklärt. Für diese mutigen Frauen und Männer gibt es keinen Weg zurück in die alte Republik der Angst. Unbewaffnete lokale Bürgerkomitees, kurdische Initiativen, Studentengruppen, aber auch palästinensische Jugendliche verweigern sich der militärischen Logik der Zerstörung und verteidigen den demokratischen Aufbruch. Sie helfen nicht nur Verwundeten und Ausgebombten, sondern verteidigen auch die Interkonfessionalität der syrischen Demokratiebewegung gegen die religiöse Hetze des Regimes wie gegen die immer stärker werdenden radikal-islamischen Tendenzen innerhalb der Freien Syrischen Armee und protestieren gegen tagtägliche Menschenrechtsverletzungen.“

Es wird aber gegen eine Haltung argumentiert, die in der aktuellen Entwicklung der aktuell mit vielen Projektionen befrachteten Arabellion nur wieder die Erkenntnis mitnimmt, dass sich sowieso nichts ändert und daher jede Parteinahme sinnlos ist. Doch dieser Aufruf wurde wie die Aktivitäten von Adopt a Revolution generell in Kreisen der traditionellen Linken mit Argwohn und offener Kritik begegnet.

Kein Aufruf zur Friedhofsruhe?

Unter den bezeichnenden Titel „Kein Aufruf zum Frieden“ moniert der Publizist Joachim Guilliard, in dem Aufruf fehle eine Distanzierung von der Stationierung deutscher Patriot-Raketen, ohne zu bedenken, dass Aufrufe immer knapp zusammengefasste Minimalerklärungen sind, die auf einen großen Unterstützerkreis zielen. Daher könnte man auch positiv anmerken, dass kein positiver Bezug auf die Patriot-Raketen erfolge, die Frage also ausgeblendet wurde.

Gravierender scheint Guilliards Vorwurfs, in dem Aufruf werde nicht für Verhandlungen mit dem Assad-Regime plädiert und so in den Augen des Kritikers „unbeirrt am Ziel des Umsturzes festgehalten“. Zudem wird eine mangelnde Trennschärfe zwischen zivilgesellschaftlicher und bewaffneter Opposition moniert. „Selbstverständlich suchen die Initiatoren des Aufrufs nur für unbewaffnete Gruppen Unterstützung. Wenigen Unterzeichnern dürfte jedoch bekannt sein, wie eng deren Verbindungen zu bewaffneten Aufständischen meist sind“, so Guilliard.

Tatsächlich hat sich mit dem Sänger Konstantin Wecker ein prominenter Unterstützer mittlerweile von dem Aufruf distanziert und seine Unterschrift zurückgezogen. In einer Mitteilung an seine politischen Fans heißt es:

„Liebe Freunde, von Freunden der Friedensbewegung wurde ich auf eine Aussage von Ferhad Ahma, Beiratsmitglied und einer der Hauptinitiatoren von Adopt a Revolution hingewiesen. Herr Ahma hat am 03.12. im DLF gesagt: ‚Ich glaube, um schnellstmöglich einen Sturz des Regimes herbeizuführen, brauchen die Rebellen nach wie vor effiziente und bessere Waffen. Ansonsten wird dieser Kampf sich noch in die Länge ziehen.‘ Unter diesen Umständen muss ich meine Unterschrift unter den Syrien-Appell zurückziehen. Das verstehe ich nicht unter einer zivilen Demokratisierung. Im Vordergrund für alle sollte die Dialogbereitschaft stehen.“

Damit übernimmt Wecker den Friedensbegriff, den Guilliard bereits gegen den Aufruf von Adopt a Revolution in Anschlag gebracht hat. Frieden heißt hier vor allem Dialog mit dem Machthabern und Verzicht auf radikale Opposition. Denn die zwinge die Machthaber zum harten Zurückschlagen und die Gewalt nimmt kein Ende. In dieser Lesart wird ein Aufruf zum Frieden schnell zur Aufforderung zur Friedhofsruhe, die den Machthabern nutzt.

So erinnert der gesamte Gestus von Guilliards Kritik an die Erklärungen kemalistischer Gruppen in der Türkei, die den zivilen kurdischen und türkischen Oppositionellen eine Nähe zur bewaffneten Guerilla vorwerfen und damit Repressalien gegen Gewerkschafter, Menschenrechtler und auch gewählten linken Parlamentariern rechtfertigen.

Problem des VIP-Unterschriftensammelns

Die Debatte macht aber auch deutlich, wie fraglich das in der Protestbewegung allgemein beliebte Unterschriftensammeln bei Prominenten ist. Da dürfte vor allem im Internetzeitalter täglich einlaufenden Appellen, Resolutionen und Offenen Briefen manchmal die Zeit zur genauen Lektüre fehlen. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass nicht nur Konstantin Wecker seine Unterschrift unter einem Appell zu Syrien zurückgezogen hat?

Auch der deutsch-französische Publizist und Soziologe Alfred Grosser hat mittlerweile seine Unterschrift unter einen Offenen Brief der Vereinigung Schriftsteller für den Frieden zurückgezogen, weil er ihm eine Passage am Ende des Schreibens, in dem den syrischen Machthaber die Folgen seines Nichtrücktritts ausgemalt wurde, zu „naturalistisch“ war. Wahrscheinlich hatte er sich vor der Unterschrift nicht die Zeit genommen, den zweiseitigen Brief bis zum Schluss zu lesen. Auf welche Weise der syrische Herrscher den Brief erhalten sollte und ob er von ihm und der Distanzierung Kenntnis genommen hat, ist nicht bekannt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153394
Interview: Peter Nowak
Peter Nowak