Symbolpolitik gegen Erdogan

Über die Todesstrafe darf die Türkei in Deutschland nicht abstimmen lassen, aber tödliche Waffen werden weiter in das Land exportiert

„Kassel entrüsten“ lautete das Motto einer symbolischen Aktion[1], mit der Antimilitaristen den Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann in Nordhessen mit selbstgebastelten Panzersperren blockierten. „Panzerhersteller beliefert Despoten und Regime in der ganzen Welt mit seinen Waffen, das wollen wir verhindern“, erklärte Simon Kiebel von der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen[2] zur Aktion.

Zu den bevorzugten Exportländern dieser Waffen gehört neben Katar die Türkei. Das dürfte manche wundern, die das Zerwürfnis zwischen der Erdogan-Türkei und Deutschland verfolgt haben. Dabei liefen die Militärgeschäfte auch in dieser angeblich so kritischen Phase in den deutsch-türkischen Beziehungen wie geschmiert weiter. Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat bereits mit der Bundesregierung konferiert[3], damit die von ihm angepeilte Nachrüstung der Panzer der türkischen Armee nicht noch scheitert. Sogar eine Panzerfabrik will Rheinmetall in der Türkei errichten.

Wenn dann Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace in ihrer Pressemitteilung[4] die besondere moralische Verwerflichkeit der geplanten Investition darin entdecken, dass das Unternehmen der Erdogan-Familie nahesteht, wird das ganze Elend einer Position deutlich, die von Ökonomie- und Staatskritik nichts wissen will. Wäre die Panzerfabrik eher zu rechtfertigen, wenn die Unternehmen der Opposition nahestehen würden?

Dass es im Kapitalismus auch in der Türkei unter Erdogan um sachliche und nicht um personelle Beziehungen geht, auch wenn sich die Unternehmensführung natürlich in der Regel mit den jeweils Regierenden gutstellt, wenn die gute Profitbedingungen garantieren, wird bei einer solchen Kritik ausgeblendet. Das führt dazu, dass die Kritiker der Türkei meistens an die Bundesregierung appellieren können, Erdogan klare Kante zu zeigen und die meistens die Forderungen schon längst erfüllt hat. Denn es geht in der Regel um Symbolpolitik.

Der Flüchtlingsdeal, an dem die türkische Regierung genau so großes Interesse hat wie die deutsche, wie auch die Rüstungsgeschäfte und die Kooperation mit dem türkischen Militär im Rahmen der NATO gehen natürlich weiter. Schließlich war auch nach dem Militärputsch von 1980, bei dem die Repression gegen die türkische Opposition wesentlich blutiger war als unter Erdogan, der Natoausschluss kein Thema. Im Gegenteil: Die Nato hat mit Befriedigung gesehen, dass Friedhofsruhe in dem Land am Bosporus gewaltsam hergestellt wurde, manche sprechen sogar zugespitzt vom Nato-Putsch[5].

Wie Deutschland die Todesstrafe verabscheuen lernte

Die jüngste Volte in der medial ausgetragenen Fehde ist die Erklärung der Bundesregierung, wonach in Deutschland lebende türkische Staatsbürger über die Wiedereinführung der Todesstrafe hierzulande nicht abstimmen dürfen. Nun steht das Thema zurzeit gar nicht auf der Agenda. Erdogan hatte mehrmals angedroht, ein Referendum gegen die Todesstrafe anzuberaumen. Es gab aber bisher keine konkrete Vorbereitung dazu. Manche politische Analysten bezweifeln, ob es dazu kommt.

Damit würden die Spannungen mit der EU weiterwachsen und alle Verhandlungen storniert. Es gibt aber durchaus Anzeichen, dass die türkische Regierung einen totalen Bruch mit der EU vermeiden und die bisherige Schaukelpolitik fortsetzen will. Zudem ist nach dem trotz massiven Druck und dem vielleicht sogar unregelmäßigen, knappen Ausgang des Referendums unklar, ob Erdogan für die Einführung der Todesstrafe eine Mehrheit bekommen würde. Es könnte allerdings sein, dass die Zustimmung wächst, wenn die Terrorismushysterie weiter angeheizt wird.

Jedenfalls handelt es sich um keine aktuelle Entscheidung. So diente das prophylaktische Verbot des Referendums über die Todesstrafe vor allem der Selbstinszenierung Deutschlands als aufgeklärte Nation. Dass die Todesstrafe generell mit europäischen Werten nicht übereinstimmt, ist eher eine Behauptung. In Frankreich wurde die Todesstrafe erst 1981 nach dem Wahlsieg der Linkskoalition abgeschafft. In Großbritannien wurde gegen heftigen Widerstand großer Teile der Tories die Todesstrafe abgeschafft, nachdem sie vorher für 5 Jahre ausgesetzt war[6].

Auch hier war die Labour Party der eigentliche Motor. Das macht deutlich, dass der Kampf gegen die Todesstrafe historisch ein Thema der Linken war, während große Teile der Konservativen das Recht auf staatliches Töten nicht aus der Hand geben wollten. In der Linken gab es zu dem Zeitpunkt eine Zäsur, als die auf einen Staatssozialismus fixierte Fraktion die staatliche Repression einschließlich der Todesstrafe in der immer autoritärer werdenden Sowjetunion verteidigte.

Auch in Deutschland war der Kampf gegen die Todesstrafe ein linkes Thema, bis zum Ende des Nationalsozialismus. In einer auf historische Themen spezialisierte Onlineplattform[7] ist zu lesen:

Im Parlamentarischen Rat der Jahre 1948/49 waren die Vorzeichen zunächst umgekehrt: Denn plötzlich stand die unausgesprochene Frage im Raum, wie mit deutschen Kriegsverbrechern verfahren werden sollte. So schlug ausgerechnet der rechtsgerichtete Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm vor, ein Verbot der Todesstrafe in der neuen Verfassung zu verankern. Seine „Deutsche Partei“ begriff sich als Interessenvertretung der ehemaligen Nationalsozialisten. Die SPD-Abgeordneten jedoch zögerten, wollten sie doch keineswegs der Bestrafung von Kriegsverbrechern Grenzen setzen. Letztlich setzte sich aber bei den SPD-Abgeordneten die Haltung durch, die Ablehnung der Todesstrafe sei ein wichtiges Element der Abkehr von der NS-Barbarei. Am 6. Mai 1949 wurde trotz Einwände der CDU-Abgeordneten mit deutlicher Mehrheit ein knapper und klarer Satz als Artikel 102 ins Grundgesetz aufgenommen: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“.
Historeo[8]

Die Maßnahme mit der hohe NS-Täter vor der Hinrichtung bewahrt werden wollte, sollte sich bald für die BRD auszahlen. Da das Land früher als andere westeuropäische Nachbarn die staatliche Hinrichtung abgeschafft hatte, konnte sie jetzt als Vorbild für andere Länder inner- und außerhalb der EU fungieren. Auch Israel blieb natürlich nicht von dem neudeutschen Sendungsbewusstsein verschont.

Nachdem die israelische Justiz des für die Shoah verantwortlichen Adolf Eichmann habhaft werden konnte und die Justiz des Landes zu dem Schluss kam, dass für seine Verbrechen nur die Todesstrafe in Frage kommt, konnte sich Westdeutschland schon als moralische Instanz aufspielen, die aus der Geschichte gelernt und deshalb die Todesstrafe abgeschafft hat.

Hier nahm die Erzählung vom zivilisierten Deutschland, das aus seinen Verbrechen gelernt hat, Konturen an. Dass Eichmann von führenden deutschen Sicherheitsdiensten und Politikern gedeckt und der zuständige antifaschistische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit gutem Grund eher auf die israelische als auf die deutsche Justiz vertraute[9], wurde natürlich nicht erwähnt.

Dieser kleine historische Diskurs scheint mir notwendig, weil diese Aspekte völlig ausgeblendet werden, wenn sich die Bundesregierung heute den Kampf gegen die Todesstrafe zu ihren Markenzeichen macht.



„Die Nazis hatten den Leichen keine Nummern aufgemalt“

Wie stark die NS-Vergangenheit auch in die neudeutsche Menschenrechtspolitik hineinwirkt, zeigt sich bei der Berichterstattung über Ermittlungen der deutschen Justiz über angebliche Verbrechen des syrischen Regimes. Der Streit über die Glaubwürdigkeit der Quellen[10] soll hier einmal ausgespart bleiben. Doch frappierend ist, dass die Analogie zu den NS-Verbrechen gezogen wird und sogar die Nazis im Ergebnis noch etwas besser wegkommen. So heißt es in einen Bericht der eng mit syrischen Oppositionellen verbundenen Soziologin Kirsten Helberg in der Taz[11]:

Die Kommission für Internationale Gerechtigkeit und Verantwortung (CIJA) hat etwa eine Million syrischer Dokumente gesichert, die Befehlsketten und Verantwortlichkeiten beweisen. Und auch die Caesar-Fotos führen direkt zu Regime-Vertretern. Denn an den Leichen der Gefangenen sind Nummern angebracht. „Unglaublich“ findet das der ehemalige Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda, Stephen Rapp. „Wir hatten keine Beweismittel in Form von Dokumenten wie in Syrien“, so Rapp. Selbst in Nürnberg habe es das nicht gegeben.
Kirsten Helberg[12]

Es soll nun keineswegs in Abrede gestellt werden, dass syrische Oppositionelle das Recht haben, Verbrechen des Regimes auch im Ausland untersuchen zu lassen. Dass aber ein deutscher Ermittler sofort auf die Naziverbrechen rekurriert, zeigt eben wie eng noch nach 70 Jahren in die aktuelle deutschen Menschenrechtspolitik das Bestreben eingeschrieben ist, deutlich zu machen, dass andere mindestens genau so wüten, wie es die Nazis getan haben.

Auch das Erdogan-Regime wird schon mal mit den Nazis verglichen. Wenn hingegen Erdogan und seine Adepten den Nazivorwurf gegen Deutschland erheben, ist die Empörung groß. Wenn dann noch ein Großteil, aber keineswegs die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Pass, beim Referendum für Erdogans Staatsprojekt stimmen, wird deren Demokratiefähigkeit bezweifelt. Manche haben gar dieses Wahlergebnis zum Anlass genommen, um die doppelte Staatsbürgerschaft zu bekämpfen.

Nur in den deutschen Verhältnissen sucht kaum jemand die Ursachen für das Ergebnis. Sie hätten vielleicht mal das Theaterstück NSU-Monologe[13] hören sollen, das auf langen Interviews von drei nahen Angehörigen von NSU-Opfern beruht. Sie beschreiben sehr eindrücklich, wie sie alle von den deutschen Behörden als Täter behandelt wurden, wie gegen sie ermittelt wird und ihre Nachbarn über sie ausgefragt wurden. Ist es verwunderlich, dass alle drei berichteten, dass es ihnen wichtig war, ihre ermordeten Angehörigen in der Türkei zu beerdigen? Auf einem mehrtätigen Tribunal[14] werden die Opfer darüber berichten.

https://www.heise.de/tp/features/Symbolpolitik-gegen-Erdogan-3713702.html
Peter Nowak
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[1] https://www.dfg-vk.de/stoppt-den-waffenhandel/ruestungskonzern-mit-panzersperren-blockiert
[2] https://www.dfg-vk.de
[3] http://www.presseportal.de/pm/30621/3630701
[4] https://www.greenpeace-magazin.de/nachrichtenarchiv/deutsche-panzer-fuer-erdogan-rheinmetall-will-der-tuerkei-eine-fabrik-bauen
[5] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Tuerkei/30jahre-putsch.html
[6] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45234182.html
[7] http://www.historeo.de/datum/todesstrafe-in-deutschland-debatte-1952
[8] http://www.historeo.de/datum/todesstrafe-in-deutschland-debatte-1952
[9] http://www.zeit.de/kultur/film/2015-09/staat-gegen-fritz-bauer-lars-kraume
[10] https://www.heise.de/tp/features/Folter-und-Hinrichtungen-AI-erhebt-schwere-Vorwuerfe-gegen-syrische-Regierung-3619601.html
[11] https://www.taz.de/Berichte-von-syrischen-Folteropfern/!5406173/
[12] https://www.taz.de/Berichte-von-syrischen-Folteropfern/!5406173/
[13] https://heimathafen-neukoelln.de/spielplan?url=DieNSUMonologe
[14] http://www.nsu-tribunal.de/