Lieber tot als zurück

Abschiebungen sind mittlerweile zur Routine geworden. Vor allem die konservativen Parteien drängen darauf, Geflüchtete so schnell und effizient wie möglich loszuwerden. Dass die deutsche Flüchtlingspolitik auch tödlich enden kann, dokumentiert der Verein „Antirassistische Initiative“.

Der 23 Jahre alte Hashmatulla F., ein Geflüchteter aus Afghanistan, wird am 17. September 2017 rechtswidrig nach Bulgarien abgeschoben. Dort kommt er in Abschiebehaft und wird mit Schlägen gezwungen, sich mit einer „freiwilligen“ Ausreise einverstanden zu erklären. Am 3. Oktober folgt seine Abschiebung nach Afghanistan, obwohl schon am 22. September das Verwaltungsgericht Sigmaringen angeordnet hatte, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihn nach Deutschland zurückholen muss. F. fürchtet in Afghanistan um sein Leben, denn als ehemaliger Militärangehöriger und wegen seiner Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften wurde er von Angehörigen der Taliban und des Islamischen Staates mit dem Tode bedroht. Mit einem weiteren Beschluss ordnet das Verwaltungsgericht Sigmaringen seine Rückholung aus Afghanistan nach Deutschland an, damit das Asylverfahren hier stattfinden kann. Mit einem Visum der deutschen Botschaft in Pakistan kann Hashmatulla F. am 14. Dezember nach Deutschland zurückfliegen.

Das ist eine der wenigen Meldungen mit einem positiven Ende, die in der aktuellen Ausgabe der Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ aufgelistet sind. Seit 25 Jahren sammelt der Berliner Verein „Antirassistische Initiative“ (ARI) die Fälle und gibt sie einmal im Jahr gesammelt heraus.

Elke Schmidt hat das Projekt 1993 mit einer Mitstreiterin gestartet. Damals hatte sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt. Sie forschten nach und fanden heraus, dass er mit acht anderen tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken war. Mit einem Filmteam machte die ARI damals den Tod in der Neiße öffentlich. Seitdem sammelt das kleine Team Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt, die in direktem Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik stehen: 261 Geflüchtete töteten sich zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 31. Dezember 2017 aus Angst vor ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 79 Menschen in Abschiebehaft. 2528 Geflüchtete verletzten sich aus Angst oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung, unter anderen bei Hunger- und Durststreiks, oder versuchten, sich umzubringen, davon befanden sich 743 Menschen in Abschiebehaft.

Schwerpunkt Afghanistan
Der Schwerpunkt der aktualisierten Ausgabe sind Abschiebungen nach Afghanistan, die Mitte Dezember 2016 begannen. Und das, obwohl Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl immer wieder darauf hingewiesen haben, dass das Land nicht sicher ist und sich daher eine Rückführung von Geflüchteten nach menschenrechtlichen Kriterien verbietet. Längst sind die Abschiebungen zur Routine geworden. Schlagzeilen machen sie in der Regel nur noch, wenn es Geflüchteten gelingt, sich erfolgreich einer zwangsweisen Ausweisung zu entziehen.

In der Dokumentation der ARI werden die oft tödlichen Folgen der Abschiebepolitik an vielen Beispielen benannt. Der 23-jährige Geflüchtete Atiqullah Akbari war am 23. Januar 2017 abgeschoben worden. Zwei Wochen später wurde er durch einen Bombenanschlag in Kabul verletzt. Der 22 Jahre alte Farhad Rasuli wurde am 10. Mai 2017, drei Monate nach seiner Abschiebung aus Deutschland, in Afghanistan bei einem Anschlag durch die Taliban getötet. Der 23-jährige Abdullrazaq Sabier wurde am 31. Mai bei einem Bombenanschlag im Diplomatenviertel von Kabul zwar nicht, wie anfangs berichtet, getötet, aber doch schwer verletzt. Sein Asylantrag in Deutschland war abgelehnt worden. Nachdem die dritte Sammelabschiebung stattgefunden hatte, gab er dem Abschiebungsdruck der Behörden nach und war im März „freiwillig“ nach Afghanistan zurückgekehrt.

Elke Schmidt von der ARI macht im Gespräch mit Kontext darauf aufmerksam, dass die Massenabschiebungen nicht nur in Afghanistan, sondern auch hierzulande tödliche Folgen haben können. „Mindestens acht AfghanInnen, davon drei Minderjährige, töteten sich in den Jahren 2016 und 2017, es kam zu 110 Suizidversuchen und Selbstverletzungen. Viele dieser Vorfälle fanden in Abschiebehaft statt. Schmidt geht von einer noch höheren Dunkelziffer aus. Schließlich veröffentlicht die ARI in ihrer Dokumentation nur Meldungen, die gegenrecherchiert und von zwei Quellen bestätigt worden sind.

Tod am Bodensee
In der Flüchtlingsunterkunft „Inter-Mezzo“ im Wasserburger Ortsteil Hengnau in der Nähe von Lindau tötete sich am 27. Februar 2017 ein 17 Jahre alter Flüchtling aus Afghanistan – zwei Tage vor seiner Volljährigkeit. Der Jugendliche lebte seit 2015 in Lindau, war offensichtlich traumatisiert und litt unter Depressionen. Ein Stein, den er in der Schule für eine Ausstellung bemalte, zeigt eine skizzierte Person mit traurigem Gesichtsausdruck hinter oder vor Gittern. Der Jugendliche hatte in Afghanistan ohne für ihn ersichtlichen Grund im Gefängnis gesessen, bevor er seine Flucht antrat. Doch in Deutschland traf er auf Bürokratie und Ablehnung.

Am 2. Januar 2017 zündete sich ein 19-jähriger Afghane im Warenlager eines Supermarkts im bayerischen Gaimersheim selbst an, nachdem er sich mit Benzin übergossen hatte. Mit schweren Brandverletzungen wurde er ins Krankenhaus gebracht. Der bayerische Flüchtlingsrat erinnerte nach dem Vorfall daran, dass die Arbeitsverbote und die sich häufenden Abschiebungen bei vielen Geflüchteten aus Afghanistan Ängste auslösen, die bis zum Suizid führen können. Oft komme es auch zur Retraumatisierung bei Menschen, die in Afghanistan und auf ihrer Flucht mit Gewalt und Misshandlungen konfrontiert waren.

Doch solche menschenrechtlichen Dokumente sind für die Abschiebungen nicht entscheidend, sondern die Einschätzungen und Berichte des Auswärtigen Amtes (AA). Das beschreibt Afghanistan in einem neuen Bericht als Land in desaströser Lage, in dem es kaum Fortschritte in Sachen Menschenrechte gebe. Aber da es in dem Bericht auch heißt, dass in Afghanistan keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung“ besteht, forderten CSU-PolitikerInnen sofort, die Abschiebungen nach Afghanistan weiter zu intensivieren. Dieser Auffassung hat sich auch Bundeskanzlerin Merkel in der Fragestunde des Bundestages angeschlossen. Für viele Geflüchtete aus Afghanistan bedeuteten diese Ankündigungen noch mehr Angst und noch mehr Stress.

Sturz in sieben Meter Tiefe
Auch die gesundheitlichen Folgen von Abschiebungen werden in der Dokumentation der ARI aufgelistet. Der 56 Jahre alte Herr S. wird im Rahmen einer Sammelabschiebung aus der Abschiebehaft Pforzheim von der Polizei abgeholt und über Frankfurt am Main nach Afghanistan ausgeflogen. Auf dem Asphalt des Flughafens in Kabul erleidet der physisch und psychisch kranke Mann einen schweren Schwindelanfall, so dass die afghanischen Behörden ihn direkt nach Deutschland zurückschicken. Hier kommt er erneut in Abschiebehaft.

Doch nicht nur Geflüchtete aus Afghanistan verüben Suizid aus Angst vor der Abschiebung. Am 26. Oktober 2017 wollten PolizeibeamtInnen einen Geflüchteten aus Gambia zur Identitätsfeststellung zum Regierungspräsidium Karlsruhe aus der Unterkunft in der Salmbacher Straße in Schömberg im Landkreis Calw abholen. Sie treffen ihn aber nicht an. PassantInnen finden den 43 Jahre alten Mann lebensgefährlich verletzt vor dem Haus am Boden. Ein Zeuge sagt aus, dass der Gambier aus dem Fenster geklettert und von der Dachkante sieben Meter in die Tiefe gesprungen war. Er hatte Angst vor einer drohenden Abschiebung.

Die alljährlich aktualisierte Dokumentation ist auch eine Entgegnung auf den anschwellenden Chor der PopulistInnen. Durch die Datenbank, die auch online verfügbar ist, hoffen Elke Schmidt und ihre MitstreiterInnen, dass die Schicksale der Opfer deutscher Flüchtlingspolitik breiter wahrgenommen werden, als es bisher der Fall ist. Und ihre Hoffnung scheint aufzugehen: In der letzten Zeit habe es vermehrt Anfragen von SchülerInnen und Studierenden gegeben.

aus: KONTEXT:Wochenzeitung, Ausgabe 376
https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/376/lieber-tot-als-zurueck-5140.html

Peter Nowak

„Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“

Der neueste Lagebericht für Afghanistan der Bundesregierung und eine Dokumentation der Antirassistischen Initiative

Viel Konkretes ist bei der ersten Abgeordnetenbefragung der Bundeskanzlerin nicht herausgekommen. Es seien zu viele Fragen gestellt wurden und daher waren die Antworten erwartbar unkonkret, lautet die Kritik.

Und doch könnte die Antwort auf eine Frage dafür sorgen, dass Flüchtlinge aus Afghanistan noch mehr in der Angst leben müssen, in ihre Heimat zurück geschickt zu werden. Angesichts eines neuen Lageberichts aus dem Auswärtigen Amt ist Merkel der Meinung, dass die Gründe für die Einschränkung des Abschiebestopps entfallen.

Wie unterschiedlich ein Lagebericht zu Afghanistan bewertet wird

Der neueste Lagebericht für Afghanistan wird sehr unterschiedlich bewertet. Diejenigen, die die afghanischen Flüchtlinge möglichst schnell abschieben wollen, stützen sich auf die Passage, „die keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung“ in Afghanistan mehr feststellt.

Vor diesem Hintergrund hatte die CSU bereits gefordert, den Abschiebestopp auf den Prüfstand zu stellen. Nun hat sich Merkel dem angeschlossen. In der SPD gibt es noch Widerspruch dazu. Doch, es gibt auch eine ganz andere Interpretation des Berichts. „Die Lage in Afghanistan bleibt desaströs“, lautet[1] zum Beispiel das Fazit der Süddeutschen Zeitung, die an den noch als vertraulich eingestufen Bericht gekommen ist.

Das Auswärtige Amt hat einen neuen Bericht über die Lage in Afghanistan fertiggestellt. Demnach ist die Situation in dem Land nach wie vor desaströs, auf fast jede positive Entwicklung folgt ein Aber.

Süddeutsche Zeitung

Mitte Dezember 2016 haben die Massenabschiebungen von Geflüchteten aus Deutschland nach Afghanistan begonnen. Längst sind sie zur Routine geworden und die Kritik[2] wie auch die Einschränkungen haben daran wenig geändert.

Die wenig bekannten Konsequenzen

Schlagzeilen machen sie in der Regel nur noch, wenn es einem Geflüchteten gelingt, sich erfolgreich einer zwangsweisen Ausweisung zu entziehen. Jetzt erinnert die Antirassistische Initiative Berlin[3] mit einer Dokumentation an die Konsequenzen dieser Abschiebungen für die Betroffenen.

Sie ist anders als die Berichte des Auswärtigen Amts keine Grundlage für die Regierungspolitik. Daher spielt sie auch bei der Debatte im Bundestag keine Rolle. Dabei steht die Situation der Flüchtlinge in Afghanistan im Mittelpunkt der aktualisierten Dokumentation „Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“, die die ARI seit 1994 jährlich herausgibt.

Dort sind die Menschen benannt, die nach ihrer Abschiebung in Afghanistan verletzt oder getötet wurden:

Der 23-jährige Asylbewerber Atiqullah Akbari war am 23. Januar 2017 abgeschoben worden. Zwei Wochen später wurde er durch einen Bombenanschlag in Kabul verletzt. Der 22 Jahre alte Farhad Rasuli wird am 10. Mai 2017, drei Monate nach seiner Abschiebung aus Deutschland, in Afghanistan bei einem Anschlag durch die Taliban getötet. Der 23jährige Abdullrazaq Sabier stirbt am 31. Mai bei einem Bombenanschlag im Diplomatenviertel von Kabul. Sein Asylantrag in Deutschland war abgelehnt worden. Nachdem die dritte Sammelabschiebung stattgefunden hatte, gab er dem Abschiebungsdruck der Behörden nach und war im März „freiwillig“ nach Afghanistan zurückgekehrt.

Antirassistische Initiative Berlin

Die Angst wächst auch unter afghanischen Flüchtlingen in Deutschland

Elke Schmidt von der ARI macht im Gespräch mit Telepolis darauf aufmerksam, dass die Massenabschiebungen nicht nur in Afghanistan tödliche Folgen haben. „Mindestens 8 Afghanen, davon 3 Minderjährige, töteten sich in den Jahren 2016 und 2017 selbst. Es kam zu 110 Selbstverletzungen und Suizidversuchen.“

Doch Elke Schmidt geht von einer höheren Dunkelziffer aus. Schließlich veröffentlicht die ARI in ihrer Dokumentation nur Meldungen, die gegenrecherchiert und bestätigt wurden. So zündete sich am 2. Januar 2017 ein 19jähriger Afghane im Warenlager eines Supermarkts im bayerischen Gaimersheim selbst an, nachdem er sich mit Benzin übergossen hatte. Er wurde mit schweren Brandverletzungen ins Krankenhaus gebracht.

Der bayerische Flüchtlingsrat[4] erinnerte nach dem Vorfall in einer Presseerklärung daran, dass die Arbeitsverbote und die sich häufenden Abschiebungen bei vielen afghanischen Geflüchteten Ängste auslösen, die bis zum Selbstmord führen. Oft kam es auch zur Retraumatisierung bei Menschen, die in Afghanistan und auf ihrer Flucht mit Gewalt und Misshandlungen konfrontiert waren.

Die aktuelle Debatte um die Aufhebung der noch bestehenden Einschränkungen bei den Abschiebungen nach Afghanistan dürfte die Ängste der Menschen noch erhöhen. Die Dokumentation liefert viele erschreckende Beispiele über die tödliche Flüchtlingspolitik aus der ganzen Republik. Sie ist seit 1994 ein leider noch immer unverzichtbares Stück Gegenöffentlichkeit.

Seit wenigen Wochen ist diese wohl umfangreichste Dokumentation des bundesdeutschen Alltagsrassismus unter ari-dok.org[5] auf einer Datenbank im Internet zu finden. Durch die Onlinedatenbank hoffen Schmidt und ihre Mitstreiter, dass noch mehr Menschen auf die gesammelten Daten zugreifen. In der letzten Zeit habe es vermehrt Anfragen von Schülern und Studierenden gegeben.

Schmidt gehörte vor 24 Jahren zu den Mitbegründern des Projekts. Damals hatte sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass er mit 8 tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken ist. Die Neiße als EU-Grenze ist längst Geschichte, die gewalttätige und oft auch tödliche deutsche Flüchtlingspolitik leider nicht

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4075253
https://www.heise.de/tp/features/Bundesdeutsche-Fluechtlingspolitik-und-ihre-toedlichen-Folgen-4075253.html

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/lagebericht-des-auswaertigen-amts-afghanen-droht-wieder-abschiebung-1.3998925
[2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-01/fluechtlinge-afghanistan-abschiebeflug
[3] http://www.ari-berlin.org
[4] https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/informationen.html
[5] https://www.ari-dok.org/

Schrecken nach der Abschiebung

Die Antirassistische Initiative Berlin hat Schicksale von abgewiesenen Asylbewerbern in Afghanistan dokumentiert

Mitte Dezember 2016 haben die Abschiebung von Geflüchteten aus Deutschland nach Afghanistan begonnen. Mittlerweile sind sie zur Routine geworden. Insgesamt 13 Abschiebeflüge gab es in den vergangenen anderthalb Jahren. 234 Menschen wurden ausgeflogen. Schlagzeilen machen die Flüge in der Regel nur noch, wenn es einem Geflüchteten gelingt, sich erfolgreich einer Ausweisung zu entziehen. Jetzt hat die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) an die Konsequenzen dieser Abschiebungen für die Betroffenen erinnert. Sie stehen im Mittelpunkt der aktualisierten Dokumentation »Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen«, welche die ARI seit 1994 jährlich herausgibt. Dort sind die Menschen benannt, die nach ihrer Abschiebung in Afghanistan verletzt oder getötet wurden.

Der 23-jährige Asylbewerber Atiqullah Akbari war am 23. Januar 2017 abgeschoben worden. Zwei Wochen später wurde er durch einen Bombenanschlag in Kabul verletzt. Der 22 Jahre alte Farhad Rasuli wurde am 10. Mai 2017, drei Monate nach seiner Abschiebung aus Deutschland, in Afghanistan bei einem Anschlag durch die Taliban getötet. Der 23-jährige Abdullrazaq Sabier stirbt am 31. Mai bei einem Bombenanschlag im Diplomatenviertel von Kabul. Sein Asylantrag in Deutschland war abgelehnt worden. Nachdem die dritte Sammelabschiebung stattgefunden hatte, gab er dem Abschiebungsdruck der Behörden nach und war im März »freiwillig« nach Afghanistan zurückgekehrt.

Elke Schmidt von der ARI macht im Gespräch mit »nd« darauf aufmerksam, dass die Massenabschiebungen nicht nur in Afghanistan tödliche Folgen haben können, sondern auch hierzulande. »Mindestens acht Afghan_innen, davon 3 Minderjährige, töteten sich in den Jahren 2016 und 2017 selbst. Es am zu 110 Selbstverletzungen und Suizidversuchen«. Elke Schmidt geht von einer noch höheren Dunkelziffer aus. Schließlich veröffentlicht die ARI in ihrer Dokumentation nur Meldungen, die gegenrecherchiert und bestätigt wurden. So zündete sich am 2. Januar 2017 ein 19-jähriger Afghane im Warenlager eines Supermarkts im bayerischen Gaimersheim selbst an, nachdem er sich mit Benzin übergossen hatte. Mit schweren Brandverletzungen wurde er ins Krankenhaus gebracht. Der bayerische Flüchtlingsrat erinnerte nach dem Vorfall daran, dass die Arbeitsverbote und die sich häufenden Abschiebungen bei vielen Geflüchteten aus Afghanistan Ängste auslöst, die bis zum Selbstmord führen können. Oft komme es auch zur Retraumatisierung bei Menschen, die in Afghanistan und auf ihrer Flucht mit Gewalt und Misshandlungen konfrontiert wurden.

Die Dokumentation liefert viele erschreckende Beispiele über die tödliche deutsche Flüchtlingspolitik. Sie ist seit 1994 ein leider noch immer unverzichtbares Stück Gegenöffentlichkeit. Seit wenigen Wochen ist diese wohl umfangreichste Dokumentation des deutschen Alltagsrassismus auf einer Datenbank im Internet zu finden (www.ari-dok.org). Durch die Onlinedatenbank hoffen Elke Schmidt und ihre Mitstreiter_innen, dass noch mehr Menschen auf die gesammelten Daten zugreifen. In der letzten Zeit habe es vermehrt Anfragen von Schüler_innen und Studierenden gegeben.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1090400.schrecken-nach-der-abschiebung.html
Peter Nowak