Keine Experimente

Die Ära Merkel erinnert an die Adenauerzeit. Dann kam die APO von links, dieses Mal könnte sie von rechts komme

Eine Überraschung ist die Meldung nicht, dass Merkel für eine vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin antritt. Eine Sensation wäre es gewesen, wenn sie nicht mehr angetreten wäre. Viel Neuigkeitswert dürfte die Nachricht auch deshalb nicht haben, weil es um eine Kandidatur für eine Wahl handelt, die Merkel erst noch gewinnen muss. Eigentlich. Doch es kennzeichnet die deutschen Verhältnisse, dass Merkel mit ihrer erneuten Kandidatur schon als künftige Bundeskanzlerin gesetzt zu sein scheint. Es wäre dann nur noch die Frage, in welcher politischen Konstellation Merkel dann regiert.

Vieles spricht für eine Fortsetzung der Kooperation mit der SPD. Mit der Nominierung von Steinmeier zum Bundespräsidentenamt scheinen die Weichen in diese Richtung gestellt zu werden. Doch Merkel könnte auch mit allen anderen Farbkonstellationen mit Ausnahme von AfD und Linkspartei regieren. Die Grünen warten nur auf ein Zeichen und die FDP hofft, nicht nur wieder ins Parlament zu kommen, sondern auch wieder Zünglein an der Waage zu werden. Gerade hat die FDP mit der Nichtnominierung des nationalliberalen Holger Zastrow[1] zum Direktkandidaten für den Bundestag verhindert[2], dass künftig auch eine liberale Pegida-Fraktion im Bundestag sitzt. Diese Entscheidung dürfte auch als deutliches Signal aufgefasst werden, dass die FDP eine Fortsetzung ihrer bisherigen Bündnispolitik mit der Union anstrebt und keine Rechtsopposition gegenüber Merkel sein will. Das dürfte natürlich auch die AfD freuen, die so keine Konkurrenz von rechts bekommt.

Wenig Chancen dürften auch Vorstellungen einer Koalition links von der Union haben, die angesichts der Regierungsbildung in Berlin wieder verstärkt diskutiert wird. Wenn die vielzitierte Mehrheit jenseits der Union es nicht einmal geschafft hat, mit einem politisch einflusslosen Präsidentschaftskandidaten ein Signal zu setzen, kann eine solche Regierungskonstellation als ziemlich unwahrscheinlich gelten.

Im Nachhinein ist Sigmar Gabriels öffentliches Vorfühlen bei Margot Käßmann eher als Alibihandlung zur Beruhigung des linken Flügels zu interpretieren, denn als Versuch, tatsächlich eine solche Kandidatur ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Wenn es anders gewesen wäre, hätte man doch Gesine Schwan, die immerhin schon mal als aussichtslose Bundestagspräsidentin angetreten ist, erneut als Kandidatin vorgeschlagen. Mit ihr hätten sowohl die Linken als auch die Grünen gut leben können.

Mit Steinmeier wird hingegen ein Kandidat nominiert, der nur eine Botschaft aussendet: Es soll weitergehen im scheinbar ideologielosen Wursteln und dabei soll bloß nicht über Inhalte geredet werden. So ist es auch ein Symbol, dass sich Steinmeier beharrlich weigert[3], sich bei den Guantánamo-Opfer Murat Kurnaz dafür zu entschuldigen, dass er in seiner Amtszeit und durch sein Handeln und Unterlassen länger unter der menschenunwürdigen Haft leiden musste, weil Steinmeier seine Überstellung nach Deutschland verzögerte.

Wenn er nun als Begründung für seine Nichtentschuldigung anführt, das ganze läge Jahre zurück, bedient er einen typisch deutschen Verdrängungsdiskurs, der uns von der Generation, die in der NS-Zeit lebte und daran beteiligt war, nur zu bekannt war. Steinmeier verhält sich hier also hochpolitisch und trotzdem gilt er als unpolitischer Technokrat. Das Duo Steinmeier-Merkel steht für ein Weiter so und bloß keine Experimente.


Während Merkel jetzt öfter mit der Kohl-Ära verglichen wird, weil ihre Amtszeit nach einer neuen vollen Legislaturperiode ähnlich lang wäre, ist die ganze Grundhaltung, die auch Merkels erneute, für die Union alternativlose Kandidatur umgibt, eher mit der Adenauerära zu vergleichen.

„Keine Experimente“ hieß die Parole zu einer Zeit, als die BRD das Bollwerk der Kalten Krieger wurde, während sich viele Nachbarländer und auch maßgebliche politische Kreise in den USA auf eine begrenzte Politik der friedlichen Koexistenz mit den Staaten des Warschauer Vertrags zu bewegten. Keine Experimente hieß damals in einer sich rasch veränderten Welt, dass die BRD der Hort der Stabilität im Kalten Krieg gegen den Osten sein müsse. Genau so dürfte beim kommenden Wahlkampf erneut argumentiert werden. Nur ist es diesmal nicht mehr ein nominalsozialistischer Block, gegen den der Status quo verteidigt werden soll. Es sind vielmehr die vom Kapitalismus selbst produzierten Widersprüche, die überall die Vertreter einer illiberalen Demokratie Auftrieb geben.

Waren es anfangs nur die Regierungen von Ungarn und Polen, so ist diese Strömung mit Erdogan und jetzt Trump massiv gestärkt worden. Zumal der russische Präsident Putin als Sympathisant und Förderer der illiberalen Demokratie gilt. Bald könnten weitere Länder wie Österreich, demnächst vielleicht auch Frankreich in diesen Kreis aufsteigen.

Der kommende Bundestagswahlkampf dürfte Merkel neue Unterstützer und Förderer bringen, die damit gerade die vermeintlich liberale Demokratie verteidigen wollen. Die Frage ist nun, ob die Zustimmung, die das Merkel-Lager von Mitte-Links bekommt, die Verluste am rechten Flügel aufwiegen. Dort dürfte die Union an die AfD verlieren, die mit dem Feindbild Merkel, die angeblich die Migranten ins Land geholt hat, ihre heterogene Partei einen will. Wie weit das rechte Anti-Merkel-Ressentiment bis in liberale Kreise reicht, zeigt die politische Vita der Publizistin Cora Stephan[4], die es aus dem Spontimilieu bis zur AfD-Versteherin[5] geschafft hat. Stephan unterstützte Merkel 2005 bei der Wahl, weil sie von ihr die Durchsetzung des knallharten neoliberalen Programms erwartete, für das Merkel damals stand. Als Merkel genau die deutsche Maggie Thatcher nicht werden konnte, bezeichnete Stephan ihre Merkel-Unterstützung als Irrtum[6] und sucht nun rechts von der Union Partner für eine Politik à la Thatcher.

Dabei trifft ein Befund von Stephan den Nagel auf den Kopf, aber wohl in einem anderen Sinne, als es die Rechtsdissidentin meint. „Angie ist Tina geworden.“ Tina steht dabei für „there is no alternative“, ein Spruch, mit dem Thatcher jede sozial und gesellschaftspolitische Opposition gegen die Zumutungen einer nationalen Standortpolitik als irrrelevant bezeichnete. Genau das macht auch Merkel – und das dürfte zumindest im kommenden Jahr jeder linken Alternative zu ihr auf parlamentarischer Ebene wenig Möglichkeiten lassen.

Das kann für eine Linke auch positive Effekte haben, weil sie erst gar nicht in die Illusion verfallen, es wäre als Regierung mehr möglich, als einige Stellschrauben im Kapitalismus zu verstellen. Wenn das Merkel-Lager „Keine Experimente“ propagiert, sollte man auch daran erinnern, dass nur wenige Jahre nach ähnlichen Parolen in der Adenauerzeit das Wetterleuchten der außerparlamentarischen Opposition begann. Die aber wurde durch Diskussionen über Alternativen außerhalb des Parlaments vorbereitet. Dabei ging es um grundsätzliche Fragen der Gesellschaft und der Kultur. Eine ähnliche Entwicklung gibt es aktuell im rechten Spektrum und so könnte einmal auf die Merkel-Ära die Zeit der rechten Apo folgen. Das ist die Alternative, die Cora Stephan und viele andere heute fordern. Für Menschen, denen es um Emanzipation und Gleichheit geht, ist das kein besonders erfreulicher Ausblick.

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20.11.2016  –  Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.fdp-sachsen.de/ueber-uns/holger-zastrow/
[2] http://www.mdr.de/sachsen/nominierungen-bundestagswahl-sachsen-100.html
[3] https://www.heise.de/tp/news/Frank-Folter-Steinmeier-3492085.html
[4] http://cora-stephan.blogspot.de/
[5] https://www.woz.ch/-6df6
[6] http://www.sueddeutsche.de/politik/buch-ueber-merkel-ansichten-einer-wutbuergerin-1.1061536

„Così non va“

Fördert europäische Krisenpolitik faschistische Bewegungen?

Der rasante Erfolg der griechischen Nazipartei Goldene Morgenröte beflügelt auch extreme Rechte in anderen Ländern

Auf zahlreichen Homepages von Freien Kameradschaften wird der Wahlerfolg einer Partei, die jahrelang im Promillebereich lag, bei den letzten griechischen Parlamentswahlen 7 Prozent bekam und mittlerweile in Umfragen zur drittstärksten Partei in Griechenland aufgestiegen ist, als Inspiration bezeichnet.

Schließlich versucht die Goldene Morgenröte ihren Rassismus und Antisemitismus gar nicht zu verbergen. Anders als viele andere Parteien der europäischen Rechten, die für ihren Aufstieg einen zumindest taktischen Schwenk zur Mitte hin vollziehen und möglichst nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollen, hat die Goldenene Morgenröte Erfolge, obwohl sie wie eine schlechte Kopie der NS-Bewegung daherkommt und aus ihrer Bewunderung für Hitler kein Geheimnis macht.

„Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“

Was Neonazigruppen inspiriert, jagt Antifaschisten Schrecken ein und motiviert sie zu Aktivitäten. So hat eine Gruppe um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yorgos Mitralias ein Antifaschistisches Europäisches Manifest initiiert, das mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.

Das Manifest ist eine radikale Absage an die wesentlich von Deutschland initiierte europäische Krisenpolitik, die für das Anwachsen rechter Bewegungen verantwortlich gemacht wird. In dem Manifest heißt es:

„Nicht anders als in den 20er und 30er Jahren rührt diese neofaschistische und rechtsextreme Bedrohung von der tiefen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und auch moralischen und ökologischen Krise des Kapitalismus her, der die Schuldenkrise als Vorwand vorschiebt, um nun eine beispiellose Offensive gegen den Lebensstandard, gegen die Freiheiten und Rechte der Arbeiter, gegen die alle da unten zu führen! Unter Ausnutzung der Angst der Besitzenden vor den Risiken sozialer Explosion, der Radikalisierung der durch die Krise und die drakonischen Austerity-Maßnahmen ausgezehrten Mittelklassen sowie der Hoffnungslosigkeit ausgegrenzter und verarmter Arbeitsloser breiten sich rechtsextreme, neonazistische und neofaschistische Kräfte in ganz Europa aus; sie erringen einen massiven Einfluss bei den benachteiligten Schichten, die sie gegen traditionelle und neue Sündenböcke (Migranten, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte usw.) sowie gegen soziale Bewegungen, linke Organisationen und Arbeitergewerkschaften systematisch aufhetzen.“

Wie in den 1930er Jahren wird auch eine verarmende Mittelklasse als Massenbasis für die aktuellen faschistischen Bewegungen gesehen. Judith Carreras vom Organisationsbüro des Manifestes erklärt gegenüber Telepolis, das primäre Ziel sei es, deutlich zu machen, dass der Faschismus kein schlechter Geist aus der Vergangenheit, sondern ein aktuelles Problem für die Gegenwart und Zukunft der Menschen in Europa ist.

Die vorrangige Aufgabe der europäischen antifaschistischen Bewegung soll die Unterstützung von Menschen und Organisationen sein, die sich in Ungarn und Griechenland den neuen faschistischen Bewegungen entgegenstellen. Wie in Griechenland hat mit der Jobbik-Bewegung auch in Ungarn eine Bewegung Zulauf, die, wie die Goldenen Morgenröte, kein Hehl aus ihrer Nazibewunderung macht.

Wie in Ungarn beeinflussen auch in Griechenland die Neonazigruppen das politische Klima in diesem Land direkt. Sowohl in Griechenland als auch in Ungarn richtet sich auch die Regierungspolitik gegen Linke, Flüchtlinge und andere Minderheiten, die auch von den Nazis zu Feinden erklärt werden.

Rechte Achse Nürnberg-Athen

Womöglich gibt es aber noch mehr Betätigungsfelder für eine europäische antifaschistische Bewegung. Mittlerweile hat sich in Nürnberg eine erste Zelle der Goldenen Morgenröte in Deutschland gegründet. Auch Kontakte zu fränkischen Neonazis hat es gegeben, die sogar ihre griechischen Kameraden im griechischen Parlament besucht haben.

Ob die griechischen Neonazis sich auch in Deutschland ausbreiten könnten und eine Rolle wie vor Jahren die türkischen ultrarechten Grauen Wölfe spielen könnten, die eine reale Gefahr für türkische und kurdische Linke waren, ist noch offen. Viele Deutschgriechen wollen es soweit gar nicht kommen lassen. Mit einer Erklärung unter dem Titel „Nichts ist Golden an diesen Morgenröten“ wollen sie zur Demaskierung dieser Bewegung beitragen. Dafür wird allerdings entscheidend sein, ob es gelingt, auch unter den von der Krisenpolitik betroffenen Menschen Unterstützung zu finden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153812
Peter Nowak