Gewalt gegen rechts und Twitterradikalität

Nach dem Angriff auf den Bremer AfD-Politiker Magnitz streiten Linke und Liberale. Ein Kommentar

Der linksliberalen taz [1] wurde vor 1989 öfter von Konservativen Probleme mit der Gewaltfrage nachgesagt. Sie habe sich von linker Militanz nicht genug distanziert. Längst ist die Zeitung im Staat angekommen. Die damit verbundenen Probleme mit der Gewaltfrage teilt sie mit ihren früheren Kritikern. Auch die taz verteidigt bestimmte Kriege, wenn vorgeblich der Schutz von Menschenrechten oder Minderheiten auf der Agenda stehen. Selbstverständlich werden in der taz Kriege verteidigt, wenn sich Grüne dabei exponieren. Doch kürzlich ging es in den Haus-Mitteilungen der Taz um die „alte Gewaltfrage“ [2].

„die freiberufliche journalistin veronika kracher, die in den vergangenen jahren auch der taz mehrere beiträge veröffentlicht hat, verschickte nach dem körperlichen angriff auf bremer afd-bundestagsabgeordneten frank magnitz… „Gewalt gegen rechts und Twitterradikalität“ weiterlesen

Der blinde Fleck in der Debatte

Die ersten rechten Großdemos gab es in Ostdeutschland im Wendeherbst 1989

„Plötzlich weiß ich, wie Adolf-Hitler-Wähler aussehen. Es riecht förmlich nach Pogrom. Einer hält beschwörend sein Schild ‚keine Gewalt‘ hoch. Wir antworten mit ‚Nazis raus‘.“ Diese Beschreibung einer rechten Demonstration in Ostdeutschland ist fast 30 Jahre alt [1]. Verfasst wurde sie von Aktivisten der linken DDR-Opposition, veröffentlicht wurde sie am 29. November 1989 im telegraph [2], der auch im Jahr 2018 noch immer eine Publikation für linke Kritik ist.

Die Beschreibung der Demoszenen vor 29 Jahren weist auf einen blinden Fleck in der Debatte um die Frage hin, warum in Ostdeutschland die Rechten so stark sind. Da wird auf die Verantwortung der DDR hingewiesen, aber die Wendemonate im Herbst ’89 und Frühjahr 1990 oft völlig ausgeblendet.

Die Festnahme einer angeblichen rechten Terrorzelle in Chemnitz war nur das jüngste Beispiel. Nun soll nicht behauptet werden, das Erstarken der Rechten sei ein lediglich ostdeutsches oder auch nur deutsches Problem. Schließlich sind in mehreren EU-Ländern die Ultrarechten an der Regierung.

Rechte Ordnungszelle Sachsen

Was aber feststellbar ist: Vor allem Sachsen hat sich innerhalb Deutschlands zur rechten Ordnungszelle entwickelt so wie in der Weimarer Republik Bayern. Und so wie in Bayern hatten staatliche Institutionen eine wesentliche Mitverantwortung dafür. Da wird auf die Verantwortung der DDR hingewiesen, aber die Wendemonate im Herbst 1989 und Frühjahr 1990 werden oft völlig ausgeblendet.

Die Berichte im telegraph und in anderen zeitgenössischen Dokumenten zeigen jedoch: Die ersten rechten Massendemonstrationen nach der Niederlage des NS fanden im Wendeherbst 1989 statt. Organisiert wurden sie nicht von der SED und ihren nahestehenden Organisationen, sondern von einer sich nach Rechts radikalisierenden Bevölkerung, die aus der gegen den autoritären SED-Staat gerichteten Parole „Wir sind das Volk“ den nationalistischen Slogan „Wir sind ein Volk“ machten.

Im telegraph werden die Veränderungen sehr gut beschrieben und auch die Verantwortung der DDR-Verantwortlichen genannt [3]:

Aber es ist nicht mehr die gewohnte Leipziger Demo: überall Deutschlandfahnen, Transparente wie „Wiedervereinigung jetzt“, „Weizsäcker – Präsident aller Deutschen“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Während der Ansprachen verdichtet sich das Gefühl, unter die REPs geraten zu sein. Auf die wenigen klaren Absagen an die Wiedervereinigung (SDP, Vereinigte Linke, ein Mensch aus Heidelberg) folgen Pfiffe und der Schlachtruf „Deutschland einig Vaterland“ in Fußballstadionmanier. Selbst als ein Redner notwendige gute Nachbarschaft mit unseren polnischen und tschechischen Freunden fordert, wird er ausgepfiffen – diese Ausländerfeindlichkeit bekam Nahrung durch staatliche Stimmungsmache in der DDR in den letzten Tagen.

Aus telegraph, November 1989

Ja, autoritäre Staatssozialsten nutzten häufig „volksdümmlich“ Nationalismus und auch Antisemitismus, wie sich in der Geschichte des Stalinismus und seiner Nachfolger zeigte. So wurde in der DDR von der SED Stimmung gegen Polen gemacht, als dort die Opposition erstarkte, die wiederum durchaus ebenfalls reaktionäre und klerikale Untertönte hatte.

Doch im Wendeherbst waren nicht die SED und ihre Unterorganisationen die Schrittmacher der Restentwicklung; sondern der BRD-Staat. Die Regierung unter Kohl wollte die „Wir sind ein-Volk-Stimmung“ nutzen für eine schnelle Einverleibung der DDR. Die Grünen waren damals ebenso dagegen wie die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine.

Diese Kritiker wurden von der Union in die Nähe des Vaterlandsverrats gerückt. Aber auch ein Großteil der DDR-Opposition war für den Erhalt einer demokratischen DDR und keinesfalls für die Wiedervereinigung. Gegen sie richteten sich die nationalistischen Aufmärsche im Herbst 1989.

Der Runde Tisch, an dem die unterschiedlichen Oppositionsgruppen eine wichtige Rolle spielten, untersagte einen Eingriff der BRD in die Wahlen zur Volkskammer der DDR im März 1990. Doch dieser Beschluss war Makulatur, weil er von sämtlichen Parteien Westdeutschlands ignoriert wurde.

Massenhaft wurden Deutschlandfahnen und Publikationen in die DDR geliefert, die mit nationalistischen Parolen die schnelle Wiedervereinigung propagierten. Linke Kritiker wurden schon im November 1989 als Rote und „Wandlitzkinder“ beschimpft und oft auch tätlich angegriffen.

Neue Rechtspartei mit Unterstützung der CSU

Aber nicht nur auf der Straße wurde die Rechte von der BRD aus unterstützt. Zu dem für die Volkskammerwahlen geschmiedeten Wahlbündnis der Unionsparteien gehört mit der Deutschen Sozialen Union [4] auch eine stramm rechte Partei. Sie wurde bis 1992 von der CSU unterstützt, die mit der DSU die Etablierung einer eigenen Rechtspartei außerhalb Bayerns doch noch umzusetzen hoffte.

Solche Pläne, die sogenannte Vierte Partei [5] rechts von der Union, scheiterten bereits in der Ära Franz Joseph Strauß. Danach war die DSU eine von vielen rechten Kleinparteien, die vor allem in Sachsen in den letzten zwei Jahrzehnten kamen und verschwanden.

Ab und an machten DSU-Mitglieder durch ultrarechte Aktionen beispielsweise gegen die Oder-Neiße-Grenze Schlagzeilen.

Es ist deutsch im Kaltland

Bereits im Herbst 1989 transportierte die rechte Partei „Die Republikaner“ Tonnen an Materialien von Frankfurt/Main in die DDR, wie ein daran beteiligter Kurier später enthüllte. Hier wurden die Grundlagen für die rechte Ordnungszelle Sachsen gelegt, in der antifaschistische Aktivitäten wie beispielsweise gegen die rechten Aufmärsche zum Jahrestag der Dresden-Bombardierung kriminalisiert wurden.

Im Wendeherbst 1989 wurden die Grundlagen für jene rechte Alltagskultur gelegt, die Manja Präkels [6] in Kaltland [7] gut beschreibt. Sie könnte ebenso wie die telegraph-Autoren als Zeitzeuge bei der Aufklärung zur Rolle der BRD bei der Genese einer Rechten in den Wendmonaten beitragen. Schließlich forderten SPD-Politiker kürzlich eine Wahrheits- bzw. eine Aufarbeitungskommission für die Wendezeit.

„Wir sollten aber die Gelegenheit nutzen, im Rahmen einer solchen Kommission nicht nur die Arbeit der Treuhand, sondern die gesamte Nachwendezeit umfassend aufzuarbeiten. 28 Jahre nach dem Sturz des SED-Regimes durch die Friedliche Revolution ist ein guter Zeitpunkt dazu: Die Menschen und Zeitzeugen, die den Übergang der Systeme und seine Auswirkungen miterlebt haben, können sich noch aktiv und lebendig an den Diskussionen beteiligen“, fordert [8] der Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller.

Eine Arbeitsgruppe Rechtsentwicklung und Wendemonate sollte dabei mit an erster Stelle stehen. Wenn die Politik da nicht mitmacht, sollte eine außerparlamentarische Initiative aktiv werden. Das könnte die Fortsetzung der Tagung [9] über 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland [10] im letzten Dezember in Potsdam sein.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.antifa-nazis-ddr.de/schoenhuber-pfeift-die-ratten-kommen/
[2] http://telegraph.cc/
[3] http://www.antifa-nazis-ddr.de/schoenhuber-pfeift-die-ratten-kommen/
[4] https://www.dsu-deutschland.de/
[5] https://books.google.de/books?id=sywaxlKl0a0C&hl=de
[6] http://manjapräkels.de/
[7] https://kritisch-lesen.de/rezension/es-ist-deutsch-in-kaltland
[8] https://www.spd-mueller.de/die-aufarbeitung-muss-noch-viel-weiter-gehen/
[9] https://afa-ost.de/
[10] https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/30-jahre-antifa-in-ostdeutschland

Antifa Ost … … Erinnerungen an eine angefeindete Bewegung

Eine Gruppe von Punks und alternativen Jugendlichen sitzt um einen Tisch an einer Schreibmaschine und ist mit der Herstellung eines Flugblatts beschäftigt. In einer anderen Szene treffen sich die Jugendlichen zu einer Diskussion, doch ein Teil verlässt diese schon nach kurzer Zeit, weil zu viel geredet und zu wenig gehandelt wird.

Die Szenen stammen aus einen Film, der vor 30 Jahren in Potsdam entstand. Mitglieder der Unabhängigen Antifa wollten damit über ihre Arbeit informieren und mehr Mitstreiter gewinnen. Am Freitag des ersten Dezemberwochenendes wurde mit diesem Kurzfilm im Potsdamer Rechenzentrum die Tagung «30 Jahre Antifa in Ostdeutschland» eingeleitet. Einige der Jugendlichen aus dem Film gehörten zu den Mitorganisatoren.

Die Sozialwissenschaftlerin Christin Jänicke beschäftigt sich mit der Unabhängigen Antifa in der DDR, weil die in den Büchern über die autonome Antifabewegung oft nicht erwähnt wird. «Die Geschichte wurde fast ausschließlich aus Westperspektive geschrieben», so Jänicke gegenüber der SoZ. Sie hat vor einigen Monaten gemeinsam mit Benjamin Paul-Siewert im Verlag Westfälisches Dampfboot das Buch 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung herausgegeben. Seitdem wurde auf zahlreichen Veranstaltungen an das 30.Jubiläum der Unabhängigen Antifa in der DDR erinnert und auch die Potsdamer Tagung hätte es ohne das Buch nicht gegeben.

Auf der Auftaktveranstaltung diskutierten Referenten über die Hintergründe des antifaschistischen Engagements in einem Staat, der den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erklärt hatte. Der Theologe und Politikwissenschaftler David Bergerich stellte in seinem Beitrag die allzu simple Vorstellung von der «bösen» Regierung und der guten Bevölkerung in Frage. Er erinnerte daran, dass die KZ-Überlebenden in der Regierung einer großen Masse von NS-Mitläufern in der Bevölkerung gegenüberstanden. Das Verwenden von NS-Symbolen, besonders bei Fußballspielen, war eine klare Provokation gegen die DDR-Regierung und ihre führende Partei. Doch die direkten Opfer waren Jüdinnen und Juden und die wenigen Nichtdeutschen in der DDR.

Die Filmwissenschaftlerin Angelika Nguyen berichtete, wie sie in der Schulzeit dem rassistischen Alltagsterror ihrer Mitschüler ausgesetzt war. Während in salbungsvollen Reden die internationale Solidarität mit Vietnam beschworen wurde, wurde sie wegen ihrer Herkunft aus diesem Land beleidigt und gedemütigt.

Die Historikerin und Publizistin Annette Leo, die in der Endphase der DDR über die Unabhängige Antifa berichtet hat, setzte sich sehr differenziert mit der Rolle des Antisemitismus in der DDR auseinander. Sie erinnerte an die Kampagne gegen Jüdinnen und Juden Anfang der 50er Jahre, die mit Stalins Tod beendet wurde. Auch die antiisraelische Politik der DDR und aller Warschauer-Vertragsstaaten sei nicht frei von antisemitischen Elementen gewesen. Der Mitbegründer der Ostberliner Antifa, Dietmar Wolf, ging auf die kurze Geschichte dieser unabhängigen Bewegung in verschiedenen Städten der DDR ein. Nach der Wende zerstreuten sich viele Gruppen, doch ihre Mitglieder blieben aktiv gegen die Neonazibewegung, die seit Herbst 1989 anwuchs.

In der anschließenden Diskussion meldeten sich auch DDR-Bürger zu Wort, die sich kritisch zur autoritären SED-Politik äußerten, aber für eine differenzierte Sichtweise warben, wenn es um den Umgang mit Opfern der Shoah in der DDR geht. So berichtete ein Mann, dass er als Studierender in den 80er Jahre mit seinen Kommilitonen jüdische Friedhöfe in Berlin betreut und gepflegt habe. Das sei eine offizielle, auch von der DDR-Politik geförderte Aktion gewesen. Auch habe es in der DDR Bücher und Filme gegeben, die den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden thematisierten. Nur der Begriff Holocaust wurde dafür nicht verwendet.

Insgesamt hätte man den Veranstaltern mehr Mut für eine auch kontroverse Debatte gewünscht. Der Moderator hat manche Fragen als Statements qualifiziert, die dann nicht weiter diskutiert wurden. Auch einige Referenten wie David Begerich schienen wenig Interesse an einer Diskussion ihrer Thesen gehabt zu haben und ignorierten Nachfragen aus dem Publikum.

Am Samstag wurden in einer Arbeitsgruppe auch die Konflikte mit der West-Antifa angesprochen, die dazu führten, dass sich nicht nur die ostdeutsche Antifa separat organisierte. Andrej Holm erklärte, dass die radikale Linke in der Ostdeutschland sich in unterschiedlichen Bereichen vor der westdeutschen Dominanz und deren «kolonialem Verhalten» schützen wollte. Zur Herausbildung einer eigenständigen ostdeutschen Linken sei es allerdings nicht gekommen. Als positives Gegenbeispiel nannte Isabella Wohmann die Umland-Antifa, wo Berliner Gruppen Initiativen ohne Metropolenarroganz unterstützten.

Die Tagung soll im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Dann soll die aktuelle Vernetzung von Initiativen im Mittelpunkt stehen. Auf https://afa-ost.de/literatur
finden sich zahlreiche Dokumente über den Kampf gegen Rechte in der DDR und die Anfänge der Antifa-Ost.

aus: SoZ, Sozialistische Zeitung Januar 2018

Antifa Ost …

Peter Nowak

Ostdeutsche Antifa blickt zurück

Auf einer Tagung diskutierten Aktivisten über linke Politik in der DDR- und Wendezeit

Eine Gruppe Punks und alternativer Jugendlicher sitzt um eine Schreibmaschine und ist mit der Herstellung eines Flugblatts beschäftigt. Die Szene stammt aus einen Kurzfilm, der vor 30 Jahren in Potsdam entstanden ist. Mitglieder der damals in der Stadt gegründeten »unabhängigen Antifa« wollten damit die Bevölkerung über ihre Arbeit informieren.

Am vergangenen Freitag wurde mit diesem Kurzfilm im Potsdamer Rechenzentrum die Tagung »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland« eingeleitet. Einige der Jugendlichen aus dem Film gehörten zu den Mitorganisatoren. Für manche war es ein Wiedersehen nach vielen Jahren. Auch zahlreiche junge Menschen waren aber darüber hinaus zu der Tagung gekommen, die mit über 200 Teilnehmern gut besucht war. »Ich bin antifaschistisch aktiv und ich will mich informieren, wie in der DDR, in der Wendezeit und in den 1990er Jahren der Kampf gegen Neonazis organisiert wurde«, sagte ein Besucher, der seinen Namen nicht nennen will, zum »nd«.

Die Sozialwissenschaftlerin Christin Jänicke wollte sich dagegen mit der unabhängigen Antifa in der DDR beschäftigen, weil diese in Büchern über die autonome Antifabewegung oft nicht erwähnt werde. »Die Geschichte der Antifa wurde fast ausschließlich aus Westperspektive geschrieben«, sagte Jänicke. Sie hat vor einigen Monaten gemeinsam mit Benjamin Paul-Siewert im Dampfbootverlag das Buch »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland, Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung« herausgegeben. Seitdem erinnerten die Autoren auf zahlreichen Veranstaltungen an das 30-jährige Jubiläum der unabhängigen Antifa in der DDR. Auch die Tagung am Wochenende hätte es ohne das Buch nicht gegeben. 

Auf der Auftaktveranstaltung diskutierten die Teilnehmer über die Hintergründe des selbstorganisierten antifaschistischen Engagements in einem Staat, der den Antifaschismus selbst zur Staatsdoktrin erklärt hatte. Der Theologe und Politikwissenschaftler David Bergerich stellte in seinen Beitrag die allzu simple Vorstellung von der »bösen« Regierung und der »guten« Bevölkerung in Frage. Er erinnerte daran, dass die Überlebenden der Konzentrationslager in der Regierung einer großen Masse von NS-Mitläufen in der Bevölkerung gegenüberstanden. 

Das Verwenden von NS-Symbolen besonders bei Fußballspielen wäre so eine klare Provokation gegen die DDR und ihre führende Partei gewesen. Doch die direkten Opfer waren Juden und die wenigen Nichtdeutschen in der DDR.

Die Filmwissenschaftlerin Angelika Nguyen berichtete weiter, wie sie in der Schulzeit dem rassistischen Alltagsterror ihrer Mitschüler ausgesetzt war. Während in salbungsvollen Reden die internationale Solidarität mit Vietnam beschworen wurde, habe man sie wegen ihrer Herkunft aus diesem Land gedemütigt. 

Die Historikerin und Publizistin Annette Leo, die in der DDR über die unabhängige Antifa berichtet hatte, setzte sich weiter differenziert mit der Rolle des Antisemitismus in der DDR auseinander. Sie erinnerte an die Kampagne gegen Juden Anfang der 1950er, die mit Stalins Tod beendet wurde. Auch die antiisraelische Politik der DDR und aller Warschauer-Vertragsstaaten sei nicht frei von antisemitischen Elementen gewesen. 

Der Mitbegründer der Ostberliner Antifa Dietmar Wolf ging derweil auf die kurze Geschichte der unabhängigen Bewegung in den Städten der DDR ein. Nach der Wende zerstreuten sich laut ihm wieder viele Antifa-Gruppen, doch ihre Mitglieder blieben oft aktiv gegen die seit 1989 anwachsende Neonazibewegung.

Am Samstag wurden in einer Arbeitsgruppe auch die Konflikte zwischen westdeutschen und ostdeutschen Antifaschisten, die zu einer separaten Organisierung führten, angesprochen. Der Stadtsoziologe Andrej Holm erklärte, dass sich die radikale Linke in den verschiedenen Bereichen vor der westdeutschen Dominanz und deren »kolonialen Verhalten« schützen wollte. Zur Herausbildung einer eigenständigen ostdeutschen Linken sei es allerdings nicht gekommen. 

Als positives Gegenbeispiel benannte Isabella Wohmann die »«Umland-Antifa, wo Berliner Gruppen Initiativen ohne »Metropolenarroganz« unterstützten. Die Tagung soll im nächsten Jahr mit weiteren Treffen fortgesetzt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1072407.ostdeutsche-antifa-blickt-zurueck.html

Peter Nowak

Antifa: Wie gegen eine AfD vorgehen, die sich in Parlament und Gesellschaft etabliert?

Jetzt könnten die fehlenden Bezüge zu Streiks und sozialen Kämpfen zum Problem werden

Die rechtsnationale AfD ist auf ihren Hannoveraner Parteitag noch ein Stück weiter nach rechts gerückt. So hatte der rechtskonservative Berliner AfD-Vorsitzende Gerd Pazderski keine Chance und Gauland bot sich als großer Einiger der Partei an. Er gilt schon lange als Protegé des rechten Flügels.

Der Rechtsruck wird weitergehen, solange die Partei trotzdem Wahlerfolge hat. Bisher haben ihr die regelmäßigen medialen Skandalisierungen nicht geschadet. Da geht es nicht um Björn Höcke, dessen Parteiausschluss wohl nicht mehr zur Debatte steht, auch wenn sich der Parteitag damit nicht befasst hat. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass sich AfD-Politiker aus der zweiten Reihe an rechten Foren beteiligen, in denen offene Neonazipositionen vertreten werden.

Da wurde auch erstmals der Name der AfD-Landesvorsitzenden von Schleswig Holstein, Doris von Sayn-Wittgenstein, genannt, die trotzdem auf dem Parteitag fast zur Co-Sprecherin neben Meuthen gewählt worden wäre. Der eigentliche Streit innerhalb der AfD wird auch nicht zwischen Rechtsextremen und weniger extremen Rechtskonservativen ausgetragen, sondern zwischen den einen, die aus der AfD eine völkische Bewegung machen und nur als stärkste Kraft in eine Regierung eintreten wollen – sie haben sich vor kurzen in Leipzig zur Compact-Konferenz in Leipzig getroffen, dessen Motto „Opposition heißt Widerstand“ lautete. Daneben gibt es die anderen, die auch als Minderheitenpartei mit Union und FDP die politische Landschaft nach rechts verschieben wollen.

Die beiden nach der Bundestagswahl ausgetretenen AfD-Mitglieder Petry und Pretzell sind da die bekanntesten Exponenten dieser Realofraktion. Pretzell ist weiterhin Mitglied der ultrarechten Parteienformation Europa der Nationen und der Freiheit im EU-Parlament gemeinsam mit FPÖ und Front National. Das macht deutlich, dass es bei dem Streit ums Mitregieren und nicht um die Abgrenzung nach rechtsaußen geht.

Die Probleme der AfD-Gegner

Nun ist es für die Gegner der AfD keine angenehme Situation, wenn man den Parteitag einer Partei verhindern will, die in manchen Bundesländern stärkste Partei ist. Das macht schon einen Unterschied zur NPD, die eben ihr NS-Aroma zu deutlich verströmte. Die AfD hingegen hat mittlerweile deutlich gemacht, dass man Rechtsaußen sein und trotzdem Wahlen gewinnen kann. Trotzdem zeigte sich das Bündnis Rassismus ist keine Alternative, das wesentlich gegen den AFD-Parteitag mobilisiert, zufrieden mit dem Ergebnis:

„Mehr als 7.000 Menschen setzten zum AfD-Bundesparteitag in Hannover ein deutliches Zeichen gegen den Rechtsruck in Deutschland. In ihren spontanen Aktionen, Blockaden und in der Großdemonstration ließen sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht von einem überzogenen und brutalen Polizeieinsatz einschüchtern“, schrieb der Bündnis-Sprecher Jan Sperling.

Doch für die Antifa-Bewegung werden sich einige Fragen stellen, wenn es der AfD gelingt, sich längerfristig in den Parlamenten und mehr noch in den öffentlichen Diskursen zu etablieren. Das macht schon jetzt bemerkbar.

Wenn bei den Protesten gegen die geplante Schließung von Siemens-Zentralen auch die AfD beteiligt ist und damit durchaus bei einigen der Beschäftigten auf Zustimmung stößt, dann ist das ein Zeichen, dass sich auch auf der Straße und sogar in manchen Fabriken eine rechte Protestkultur zu etablieren beginnt.

Wenn eine von Zwangsräumung bedrohte Ulmer Familie, deren Schicksal die Publizistin Gabriele Göttle sehr bewegend in der Taz porträtiert, am Schluss über die „Asylbewerber“ und „Ausländer“ hetzt, dann wird deutlich, wie tief die sozialrassistische Ideologie ins Bewusstsein auch der poor People eingedrungen ist. Hieraus speist sich der Erfolg der AfD und von Pegida.

Mit Rechten reden?

Ist es dann überhaupt sinnvoll, Sympathie für den Kampf gegen die Vertreibung einer Familie herzustellen, die sich ihre soziale Situation rassistisch erklärt und der als Lösung auch nur „weniger Ausländer“ einfällt, könnte man fragen. Und was würde Ulrike Sommer von der Initiative „Rassismus ist keine Alternative“ darauf antworten? Sie hat schließlich in einem Interview mit dem Neuen Deutschland auf die Frage, ob man mit Rechten reden soll, so geantwortet:

„Mit Rechten reden“, wie es momentan von manchen gefordert wird, ist also nichts für Sie?
Nein, das ist ein grundlegender Fehler. Statt mit wollen wir über sie reden. Unsere Argumente richten sich nicht an die überzeugten Brandstifter, die in der Bevölkerung vorhandene autoritäre Ansichten und Vorurteile artikulieren. Sie richten sich an alle, die die rassistische, sexistische Propaganda der AfD nicht mehr ertragen wollen und das Gefühl haben, ihrem Aufstieg hilflos zusehen zu müssen. Wir wollen klarmachen, dass die AfD mit uns nicht unwidersprochen eine Bühne bekommt.

Ulrike Sommer vom „Bündnis Nationalismus ist keine Alternative“

Die politische Stoßrichtung des Statements ist völlig korrekt. Dass heute durch den Stand der Produktionskräfte die Mittel vorhanden wären, weltweit eine Situation zu schaffen, wo niemand mehr hungern und an heilbaren Krankheiten sterben muss, ist zutreffend. Nur fehlt hier ein wichtiger Hinweis: Die kapitalistische Profitgesellschaft ist eine reale Schranke für die Umsetzung dieser Vorstellung. Diese Auslassung aber ist folgenreich.

So wird der falsche Eindruck erweckt, es läge schlicht am Willen von Politikern mit der Umsetzung einer globalen Umverteilung zu beginnen. Wer hingegen, wie Sarah Wagenknecht und Co., einen Sozialstaat im nationalen Rahmen propagiert, wird fast schon inAfD-Nähe gestellt. Dabei besteht das Problem doch in erster Linie darin, dass sie nicht über den Kapitalismus hinaus denken können und wollen und daher eben keine Vorstellung von einer globalen Emanzipation jenseits nationaler Reformprogramme haben.

Leerstelle Kapitalismuskritik

Wenn Ulrike Sommer vom antinationalen Bündnis kein Wort dazu sagt, dass ihre Vorstellungen im Kapitalismus eben nicht umzusetzen sind, mag das auch daran liegen, dass man möglichst keine Bündnispartner vergraulen will. Dadurch werden aber auch Illusionen erzeugt, man könnte sich die Mühe sparen, den Kapitalismus theoretisch verstehen und praktisch überwinden zu müssen, wenn man das schöne Leben für alle erreichen will.

Die Leerstelle Kapitalismuskritik, die sich in vielen Erklärungen der aktuellen antifaschistischen Bewegung findet, hat auch Folgen für den Umgang mit den Menschen, die rassistische und andere AfD-kompatible Ideologeme vertreten, wie beispielsweise die erwähnte, von Zwangsräumung bedrohte Ulmer Familie, die Göttle porträtiert hat. Und das war richtig.

Denn die Solidarität mit der Familie gegen ihre Vertreibung bietet die Chance, dass sie auch ihr Weltbild ändert. Allerdings muss dann auch das rassistische Weltbild benannt und kritisiert werden. Schließlich ist da die Ulmer Familie keine Ausnahme. Das ist in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht verwunderlich. Die Menschen verhalten sich sozialchauvinistisch und damit gemäß der kapitalistischen Logik, die auf Ausgrenzung basiert.

Mit einer moralisch grundierten Rassismuskritik kommt man da nicht weit. Die beste Antifa-Aktivität bestünde darin, in den Stadtteilen der armen Bevölkerung Basisarbeit zu machen, von Räumung bedrohte Menschen wie die erwähnte Ulmer Familie sowie Aktionen auf Jobcentern und in Betrieben zu unterstützen. Der Begriff „arme Menschen“, der oft einen mitleidigen Ton bekommt, wird hier im Sinne des Autors und Erwerbslosenaktivisten Harald Rein verwendet, der kürzlich das Buch Wenn arme Menschen sich nicht mehr fügen veröffentlicht hat und damit auf das Poor-People-Movement in englischsprachigen Ländern rekurriert.


Soziale Kämpfe wären die beste Antifa-Arbeit

Nur in konkreten Kämpfen gäbe es die reale Möglichkeit, dass die Menschen ihre rassistische und sozialchauvinistische Haltung ändern. Dafür gibt es in der Geschichte aller Länder viele Beispiele. Didier Eribon erinnerte in seinen in Deutschland vielzitierten Buch „Rückkehr nach Reims“ an eine Beobachtung des Philosophen Sartre:

Vor dem Streik ist der französische Arbeiter spontan rassistisch und traut Einwandern nicht über den Weg, während des Streiks aber verschwinden diese niedrigen Empfindungen. Da herrscht Solidarität und wenn auch nur partielle oder vorübergehende.

Jean-Paul Sartre

Eribon bestätigt diese Einschätzung aus eigenen Erfahrungen und erinnerte an die Parole der späten 1960er Jahre „Französische Arbeiter, eingewanderte Arbeiter, ein Boss, ein Kampf“, die selbst bei kleinen Streiks eine Rolle spielen. Sartres Beobachtung müsste ausgeweitet werden. Seine Beobachtung gilt für alle Länder und der Streik könnte auch ein Zahltag im Jobcenter oder eine verhinderte Zwangsräumung sein.

Es ist klar, dass die Antifa-Bewegung in Deutschland in ihrer heutigen Verfassung eine solche Aufgabe nicht leisten kann, schon ganz einfach deshalb, weil sie in den Stadtteilen, in denen die armen Menschen wohnen, kaum vertreten ist. Auch in den Hauptschulen ist die Antifa kaum vertreten. Doch das größte Problem besteht darin, dass in großen Teilen der Antifa-Bewegung gar nicht das Bewusstsein dafür besteht, dass der soziale Kampf mit den armen Menschen die Rechten stoppen kann.

Das wurde auch auf einer Potsdamer Tagung am Wochenende deutlich, die sich dem 30-jährigen Jubiläum der Unabhängigen Antifa in der DDR widmete, die sich gegen die auch dort sich entwickelnde Neonazi-Bewegung gegründet hatte. Während sich die sehr informative Auftaktdiskussion der Situation in der DDR widmete, ging es in den Workshops am Samstag um die Gegenwart.

Auch hier spielte die Frage, wie es gelingen kann, die armen Menschen in den abgehängten Stadtteilen zu gewinnen, kaum eine Rolle. Kämpfe im Betrieb, im Jobcenter und dem Stadtteil als Teil des Kampfes gegen Rechts kamen auch dort nicht vor. Dabei hat die Mitorganisatorin der Tagung und Mitherausgeberin des im Dampfboot-Verlag herausgegebenen Buches 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland, Christin Jänicke, darauf hingewiesen, dass es sich um eine linksradikale Bewegung handelt, die eine Distanz zu allen Parteien hatte.

Es ist aber auch in vielen Teilen eine linksliberale Bewegung, die in ihrer berechtigten Kritik an der Traditionslinken gleich alle Streiks und sozialen Kämpfe mit entsorgen will oder ihnen zumindest fernsteht. Manche sehen sogar den Klassenkampf als überholt an. Das wird aber in einer Zeit zu einem Problem, wo der Kampf gegen Rechts eben gerade heißen müsste, in diese Kämpfe zu intervenieren.

Soll man also mit Rechten reden? Nicht wenn es sich um ihre Ideologen und Funktionäre wie Götz Kubitschek und Co. handelt, zu deren Rittergut in letzter Zeit viele auch sich links verstehende Autoren pilgern und am Mythos mitstricken. Wenn es aber um soziale Bewegungen oder Streiks geht, sollte eine antifaschistische Bewegung Teil der Kämpfe sein und dort dann auch Rassismus, Antisemitismus und andere anti-emanzipative Ideologeme kritisieren.

https://www.heise.de/tp/features/Antifa-Wie-gegen-eine-AfD-vorgehen-die-sich-in-Parlament-und-Gesellschaft-etabliert-3907606.html

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Den-Rechtsruck-in-der-AfD-hat-es-nicht-gegeben-3907424.html
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/facebook-gruppe-unter-rassisten-so-diskutieren-afd-politiker-im-netz/20561026.html
[3] https://konferenz.compact-shop.de/
[4] http://www.deutschlandfunk.de/enf-front-national-und-afd-der-rechte-rand-des-eu-parlaments.795.de.html?dram:article_id=353719
[5] https://nationalismusistkeinealternative.net/
[6] https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5462673/
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071657.afd-bundesparteitag-die-linke-wird-antinational-sein-oder-sie-wird-nicht-sein.html
[8] http://www.agspak-buecher.de/Harald-Rein-Wenn-arme-Leute-sich-nicht-mehr-fuegen
[9] https://www.afa-ost.de/
[10] http://www.antifa-nazis-ddr.de/
[11] https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/30-jahre-antifa-in-ostdeutschland
[12] https://www.heise.de/tp/features/Mit-Linken-oder-Rechtsnationalen-reden-3862027.html

»Der DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter«

Dietmar Wolf war in der linken DDR-Opposition aktiv und Mitbegründer der Unabhängigen Antifa Ostberlin. In diesem Herbst jährt sich zum 30. Mal die Gründung der Unabhängigen Antifa in verschiedenen Städten der DDR. Daran erinnert ein Buch mit dem Titel »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland«, das kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist (»Jungle World« 30/2017). Wolf ist bis heute Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift »telegraph«. Wegen seiner antifaschistischen Tätigkeit will er kein Foto von sich veröffentlicht sehen. Am 30. September wird er ab 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 in Berlin über die Geschichte der Unabhängigen Antifa in der DDR berichten.

Warum haben Sie und Ihre Mitstreiter die Unabhängige Antifa gegründet?
Seit 1983 nahmen die offenen Aktivitäten von faschistischen Gruppen, zum größten Teil rechtsgerichtete Skinheads und Fußballfans, sprunghaft zu. Es kam immer wieder zu Überfällen auf Ausländer, Punks, linksalternativ Gekleidete und Oppositionelle. In dieser Zeit bildeten sich auch feste faschistische Gruppen, die sich zum Beispiel »Bewegung 30. Januar« – in Anlehnung an die Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 – oder »Bucher Front« nannten. Die hatten damals bereits Kontakte zu Westberliner Faschisten, die in der Folgezeit intensiviert wurden. Der Überfall von Nazi-Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987 hatte in zweierlei Hinsicht Signalwirkung. Zum einen erhöhte sich die Zahl der offenen Übergriffe von Nazis und Skinheads, zum anderen regte sich erstmals selbstorganisierter Widerstand. Daraus folgte die Gründung von unabhängigen Antifagruppen in Potsdam und Dresden 1987, in Halle 1988 und in Berlin dann im April 1989.

Warum gründete sich die Unabhängige Antifa in Ostberlin erst so spät?
Nach dem Nazi-Überfall in der Zionskirche gab es, ähnlich wie in Potsdam und Dresden, auch in Berlin einen Versuch von Punks im Umfeld der oppositionellen Umweltbibliothek und der Offenen Arbeit der Erlöserkirche, eine Antifagruppe zu gründen. Das schlug jedoch fehl. Zu verschieden waren die Vorstellungen, zu diffus die Ziele. Im April 1989 gab es dann einen zweiten Anlauf. Auslöser war das Gerücht, dass sich zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers DDR-weit Neonazis am 20. April in Potsdam versammeln wollten. Am 19. April fand in der »Kirche von Unten« (KvU) eine Podiumsveranstaltung zu Nazis in der DDR statt. Diese Veranstaltung war die Initialzündung für die Gründung einer Antifagruppe etwa zwei Wochen später. Daran beteiligten sich über 100 junge Menschen, die mehrheitlich nicht der Oppositionsszene angehörten.

Sehen Sie in der langen Weigerung der DDR-Verantwortlichen, die Existenz aktiver Neonazis in der DDR anzuerkennen, eher Hilflosigkeit oder Kalkül?
Es kann gar keinen Zweifel geben, dass die DDR im Wesen ein antifaschistischer Staat war. Nirgendwo wurde so rigoros und konsequent entnazifiziert wie in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Dabei darf sicher nicht verschwiegen werden, dass es ab 1948 vielen Nazis und Naziverbrechern gestattet wurde, wieder ins politische und gesellschaftliche Leben der DDR zurückzukehren und dort auch hohe politische, gesellschaftliche und militärische Positionen zu erlangen. Das ist einer der ganz großen Widersprüche des DDR-Antifaschismus. Man darf aber nicht verschweigen, dass die Zahl der Naziverbrecher und faschistischen Massenmörder, die in den westlichen Besatzungszonen und dann in der BRD erneut Einfluss erlangten und wirtschaftlich, militärisch und politisch Karriere machen durften, im selben Zeitraum deutlich höher war.

Warum konnte sich trotz der antifaschistischen Postulate in der DDR eine Naziszene etablieren?
Ein alles entscheidender Punkt für mich ist, dass sich die DDR im Gegensatz zur BRD auf antifaschistische Werte und Traditionen berief. Doch dieser DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter. Mit allen Mitteln und Möglichkeiten der staatlichen Gewalt wurde gegen neofaschistische Erscheinungen und Tendenzen vorgegangen. Gleichzeitig sollte dies unter allen Umständen im Geheimen geschehen und schon gar nicht thematisiert werden. Nachdem die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1948 mit dem Befehl 35 die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) für beendet erklärt hatte, wurde die gesamte Bevölkerung der SBZ/DDR automatisch zu Antifaschisten erklärt. Eine offene gesellschaftliche Aufarbeitung der Machtübergabe an Hitler und der Unterstützung durch den Großteil der deutschen Bevölkerung und eine Diskussion darüber, wie ein wirklicher sozialistisch-antifaschistischer Wiederaufbau nach der Befreiung Deutschlands stattfinden müsste, wären unumgänglich gewesen. Doch diese fanden nie statt.

Was waren die Gründe?
Dem standen Stalin und die stalinistisch beeinflussten Teile der KPD/SED im Weg. Es ging auch um den alleinigen Herrschaftsanspruch der KPD/SED, der sich grundlegend auf den Mythos vom ersten antifaschistischen Staat auf deutschem Boden stützte, in dem unter Führung der KPD/SED der Faschismus mit der Wurzel ausgerottet worden sei. So ist es nicht verwunderlich, dass Ermittlungen gegen Alt- und Neonazis im Wesentlichen in die Verantwortung des DDR-Geheimdiensts MfS fielen. Die DDR-Justiz verurteilte faschistische Täter stets nur wegen sogenannten Rowdytums oder wegen Störung des sozialistischen Zusammenlebens.

Welches Verhältnis hatten die unabhängigen Antifagruppen zur DDR-Opposition?
Es gab gute Kontakte zu linken Oppositionsgruppen, die sich anarchistisch definierten, wie zum Beispiel die Umweltbibliothek und die KvU in Berlin. Das kam auch daher, dass einige Mitglieder dieser anarchistischen Gruppen in den Antifagruppen aktiv waren. Der große Teil der Oppositionsgruppen, auch einige linke, marxistische, trotzkistische, nahm die Antifagruppen und das Thema Rassismus und Nazis in der DDR aber nicht wirklich ernst.

Die Maueröffnung ermöglichte direkte Kontakte mit Westberliner und westdeutschen Antifagruppen. Wie entwickelte sich das Verhältnis?
Das Verhältnis war nicht unproblematisch. Nach anfänglich großem Interesse und großer Bereitschaft zur Zusammenarbeit mussten viele Antifaschisten aus der DDR feststellen, dass es ihnen unter Linken nicht anders ging als mit dem Rest der Gesellschaft. Bevormundung, Herabwürdigung und ideologische Eingliederungsversuche aus dem Westen führten sehr schnell dazu, dass auch unter den antifaschistischen Gruppen der Begriff des Ost-West-Konflikts Einzug hielt. Während westdeutsche Antifagruppen Anfang der Neunziger mit der AABO eine antifaschistisch ausgerichtete Kader- und Sammlungsorganisation nach dem Muster der K-Gruppen der Siebziger und dem historischen Vorbild des stalinistischen Rotfrontkämpferbunds aufbauen wollten, schufen Antifagruppen aus der ehemaligen DDR das sogenannte Ostvernetzungstreffen, zu dem Gruppen aus dem Westen keinen Zugang hatten.

Die Pogrome von Hoyerswerda bis Rostock haben zu einer bis heute nicht abgeschlossenen Diskussion geführt, ob die dortigen Neonazis Produkt der DDR oder der Wende waren. Was denken Sie darüber?
Zu sagen, die Nazis in der DDR seien nicht Produkt der DDR gewesen, wäre natürlich Blödsinn. Gleichzeitig ist es auch großer Blödsinn, wenn Menschen behaupten, schuld sei der Zwangskollektivismus der DDR gewesen, weil dort alle Kinder im Kindergarten gleichzeitig auf den Topf gesetzt wurden. Man darf den sozialen Zusammenbruch durch die Zerstörung der DDR-Wirtschaft und die massenhafte Existenzvernichtung durch den kapitalistischen Raubzug nach dem 3. Oktober 1990 nicht gänzlich ignorieren. Es mag sein, dass die Bereitschaft, rassistisches und antisemitisches Gedankengut auf die Straße zu tragen und Gewalt auszuüben, im Osten größer ist. Fakt ist aber auch, dass es neben den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda und Rostock das rassistische Pogrom in Mannheim-Schönau im Mai 1992 und die rassistischen Mordanschläge in Mölln und Solingen gab. Im Übrigen wurde die AfD 2016 in Mannheim-Schönau bei den dortigen Landtagswahlen mit 30 Prozent stärkste Partei.

Sie sind noch heute in der antifaschistischen Bildungsarbeit tätig. Sehen Sie angesichts des Aufstiegs der AfD noch eine besondere Rolle der Unabhängigen Antifa der DDR oder ist das für Sie nur noch eine historische Frage?
Es ist auch der Beharrlichkeit antifaschistischer Politik und Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass selbst bürgerliche Medien heute die AfD als faschistisch einordnen. Ich sehe meine Bildungsarbeit als einen kleinen Beitrag zum Erhalt und zum Transfer von antifaschistischer Geschichte und Wissen. Sie ist in gewisser Weise eine Brücke von 1987 ins Jahr 2017. Denn leider stelle ich immer wieder fest, dass die Antifaschisten von 2017 kaum etwas über die Antifaschisten von 2007 und 1997 wissen, geschweige denn über die von 1987.

https://jungle.world/artikel/2017/39/der-ddr-antifaschismus-war-lediglich-ein-staatlich-verordneter
Interview: Peter Nowak